Online first, Leser last

In den vergangenen Tagen könnte hier der Eindruck entstanden sein, die Arbeit professioneller deutscher Online-Medien bestehe vorwiegend darin, ungeprüft Agenturmeldungen durchzuschleusen. Dem ist natürlich nicht so.

Die „Berliner Morgenpost“ zum Beispiel hat in der vergangenen Woche auf ihrer Internetseite als Service die Information aufbereitet, welche Schulen in der Stadt wieviel Geld aus dem Konjunkturprogramm bekommen.

Und man muss sogar nur höchstens mehrere Hundert Male klicken, um die Zahl zu finden, die einen interessiert.






etc.

[eingesandt von CB]

45 Replies to “Online first, Leser last”

  1. Ich kann mich fast nicht aufregen, so sehr regt mich das auf.
    Echt! Fassungsloser Stumpfsinn.

  2. Denkt eigentlich niemand nach, was die da für einen Blödsinn einstellen? Die Einkaufsliste eines Mördes über dutzende Seiten zu verteilen ist ja schon stupide, aber 419 Klicks, um irgendwie die richtige Schule zu finden? Das übersteigt meinen Verstand.

  3. Sie….können….es….nicht….besser.

    Denn DAS erzeugt ja noch nicht einmal Klicks, denn es wird ja wohl niemand alle Schulen durchklicken, oder?

  4. Sowas erinnert mich immer an den Zettel mit der Aufschrift
    „Wie beschäftigt mann einen Trottel: Bitte wenden“ auf beiden Seiten.

    Vermutlich der verzweifelte Versuch die Leser länger auf der Seite zu halten.

    Armselig

  5. Wer alle Zahlen auf einmal haben will, der sieht sich den Quelltext der Seite an. Dort findet sich dann:

    var sprueche=Array(
    ‚CHARLOTTENBURG-WILMERSDORF‘,
    ‚Eichendorff-Grundschule’+“+’10625 Berlin, Goethestraße 19’+“+’316.000 Euro‘,
    ‚Lietzensee-Grundschule’+“+’14057 Berlin, Witzlebenstraße 34-35’+“+’180.000 Euro‘,
    ‚Goerdeler-Grundschule’+“+’10629 Berlin, Sybelstraße 20’+“+’262.000 Euro‘,
    ‚Juan-Miró-Grundschule’+“+’10623 Berlin, Bleibtreustraße 43’+“+’924.000 Euro‘,
    ‚Dietrich-Bonhoeffer-Grundschule’+“+’14050 Berlin, Spandauer Damm 205-215’+“+’185.000 Euro‘,
    ‚Wald-Grundschule’+“+’14055 Berlin, Waldschulallee 83-93’+“+’1.133.000 Euro‘,

    ‚ Quelle: Angaben der Bezirke‘
    )

    Beim Guardian wär das ganze ein Google Docs Spreadsheet im DataStore. Ob ich es noch erleben darf, dass deutsche Zeitungen mal so weit kommen.

  6. Endlose Klickstrecken? Das haben wir doch schon zig mal gehabt!

    Wie wäre es denn damit: auf faz.net erzeugt (jetzt erst oder schon immer?) jeder einfache „Linksklick“ an einer beliebigen Stelle auf einer beliebigen Seite (natürlich auch im Fernsehblog) eine neue Anfrage an ts.faz.net bei der u.a. auch gleich noch die Position des Cursors mit übertragen wird.

    Das nenne ich doch mal eine innovative Methode um Klicks zu erzeugen (oder auch um seine Leser zu überwachen). Ein Hoch auf die Qualitätsmedien.

  7. Nun ja, hätte man das ganze in eine Liste gepackt, wäre am Ende noch jemandem aufgefallen, dass ungefähr in jeder zweiten Zeile ein Fehler ist:
    „andreasstraße“ klein,
    „Boshagener Straße“ statt „Boxhagener Straße“,
    „Grobeerenstr.“ statt „Großbeerenstr.“
    usw.
    usf.

    (Wenn sie schlau sind bei der MoPo, machen sie noch mal eine Klickstrecke aus den Fehlerkorrekturen.)

  8. @8: Endlose Klickstrecken? Das haben wir doch schon zig mal gehabt!
    Das ist ja genau das Problem. Sie können es nicht lassen und packen jeden Hafenkäs in solche Monster. Das wird nicht dadurch besser, dass es schon so oft passiert ist. Und solange es passiert, wird sich wer darüber aufregen oder darüber bloggen. Ob der zigste Artikel bei stefan-niggemeier.de zum Thema endlose Klickstrecken zum Verschwinden dieser idiotischen Praxis beiträgt, weiß ich nicht. Aber man kann ja schlecht hingehen und jeden Redakteur, der so eine Klickstrecke online gestellt hat, aus dem Verkehr ziehen, oder? Bloßstellen ist eigentlich eine ganz gute Methode.

  9. @ 10 Nach dem Mädchenname der Mutter des Vorbesitzers seiner Zahnbürste
    Das ist nach Bezirken „geordnet“, wobei jeder Bezirk ein eigenes Bild als Vor- und Abspann bekommt: Nr. 70 Abspann von Chartlottenburg-Wilmersdorf. Lustigerweise ist der Hinweis, dass darauf die Schulen aus Friedrichshain-Kreuzberg kommen nicht die Nr. 71; die ist ein leeres Bild. Klickprostitution vom Feinsten.

  10. Mann muss das ne scheiß Arbeit sein sowas als Klickstrecke einzufügen. Armer Praktikant. :-(

    Oder geht das mittlerweile automatisch? Haben alle Online-Rdaktionen in Deutschland zusammengelegt und ein Programm entwickelt? Hum.

  11. Vermutlich könnte man ewig so weitermachen: Nr. 99 und Nr. 100 unterscheiden sich nur an der Summe: Beides Robert-Koch-Oberschule. Einmal 510.000, das nächste Mal 660.000. €.

    Mich würde auch nicht wundern, wenn man auf eine eklatant von der Summe 314 Mio. abweichende Zahl käme, wenn man alle Beträge zusammenrechnen würde.

  12. „eine neue Anfrage an ts.faz.net bei der u.a. auch gleich noch die Position des Cursors mit übertragen wird.“

    Was machen die damit? Rechtsgrundlage der Erhebung? Grundsatz der Datensparsamkeit?

  13. @16: Da sind aber auch die Zahlungen an „diverse Standorte“ (also Nichtschulen) dabei. Nimmt man nur die Schulen her, kommt man auf 315.280.000 €.

    (Was mache ich hier eigentlich?)

  14. @18: Beim Überfliegen der Schlagzeilen auf n-tv.de klicke ich häufig mehr oder weniger bewusst auf den weißen Bereich auf der rechten Seite. Kürzlich ging nach einem Klick plötzlich ein Werbefenster auf. Ich habe mich gewundert und ein wenig herumprobiert. Das Fenster öffnete sich wieder und wieder, obwohl sich der Mauszeiger nicht in eine Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger änderte.

    Es wird wohl einfach festgestellt, wie viele Leser wie oft wo rumklicken. An den favorisierten Stellen wird dann einfach mal fröhlich Werbung versteckt.

  15. Macht der Spiegel doch auch dauernd so, lange Artikel auf zig Seiten zu zerstückeln. Das ist besonders schön, wenn man ihn auf dem iPhone liest. Bringt dem Verlag aber mehr Clicks, und auf jeder Seite ist Platz für neue Anzeigenkunden.

  16. Die eigentliche Katastrophe wird durch diese Art Qualitätsjournalismus auch noch willentlich überdeckt. Seit 2004, also dem Geburtsjahr der Schulreform, hat der ehemalige Finanzsenator von Berlin, gerade auf dem Bildungssektor, eigentlich zwingend benötigte Mittel (Ausgaben) gestrichen „gesparrt“, was das Umsetzen der Reformen nahezu zum Erliegen brachte. Ergo ist das was sich in diesem Bundesland als verlässliche Halbtagsbetreuung bezeichnet, vielerorts eher Wunschdenken als realisierbare Praxis…

    In Berlin fallen in manchen Schulen den Kindern im wahrsten Sinne des Wortes die Decken auf den Kopf. Ich habe das in Farbe und Bunt erlebt. Bei einer Führung viel uns eine Deckenplatte vor die Füße! Und da haben die noch Unterricht gemacht. Berliner Standard halt…

    Dennoch schön das die Morgenpost darauf aufmerksam macht, dass Berliner Schulen nun ca. die Hälfte des Geldes bekommen, was sie die letzten 5 Jahre benötigt haben!

    Einfach nur noch peinlich das ganze Elend!

  17. Eine Frage an die Fachleute. Ich sehe die ganze Seite ja im Quellcode und die ganze Klickstrecke auch (lustigerweise heisst die ganze Strecke: ’sprueche‘). Mit JavaScript wirds dann durch das Array durchgeschaltet. Profitiert denn der Betreiber davon? Werden diese Klicks überhaupt gezählt? Die Inhalte werden ja auch nicht irgendwie asynhron geladen oder so.

  18. @28:

    Ja, der Betreiber profitiert: Bei jedem Klick wird die IVW-Box geladen, jeder Klick zählt also offenbar als Page Impression. Nebenbei werden Daten über sämtliche Browser-Plugins noch an einen Springer-Server geschickt. Und der Referrer (also stefan-niggemeier.de) übrigens auch… All das ist aber gängige Praxis, glaube ich.

  19. @johannes/7
    Daß Du alles aufgelistet hast, finde ich großartig, aber entweder hat die Morgenpost das Kant-Gymnasium zweimal erwähnt oder Du.
    Trotzdem super.

  20. Die Klickboxen sind wirklich unerträglich! Und immer mehr Online-Zeitungen gehen dazu über. Vielleicht soll das den Online-Leser auch dazu „zwingen“, doch wieder eine Papierausgabe zu kaufen :-)

  21. Auf meinen Wunsch, die Angaben als Tabelle zu veröffentlichen, erhielt ich folgende Antwort:

    — schnipp —
    Lieber Herr Drohm,

    vielen Dank für Ihre Mail. Leider ließ sich die Vielzahl der Schulen (mehr als 300) im Internet nicht als Tabelle darstellen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

    Viele Grüße,
    — schnapp —

    Offenbar ist das Internet mit Tabellen, die mehr als 300 Zeilen haben, überfordert. Schade.

  22. Ja, schade. Und eine Datenbank, bei der man den Namen der Schule in ein Suchfenster eingibt und dann die entsprechenden Angaben angezeigt bekommt, wäre vermutlich viel zu praktisch.

  23. Ach, was seid ihr alle empfindlich! Seid doch froh, dass die Morgenpost nur für jede Schule einen Klick will und nicht für jeden Euro, den die Schulen insgesamt bekommen. Also dass es nicht so aussieht:

    316.000 Mal hintereinander:

    „Ein Euro bekommt die
    Eichendorff-Grundschule
    10625 Berlin, Goethestraße 19“

    und dann 180.000 Mal:

    „Ein Euro bekommt die
    Lietzensee-Grundschule
    14057 Berlin, Witzlebenstraße 34-35“

    usw.

    DAS wäre wirklich etwas zu viel. Aber nur 419 Klicks in einer Bilderstrecke? Das schafft man ja als Leser sogar an einem Vormittag. Und am Nachmittag hat man dann sogar noch Zeit zum Arzt zu gehen.

  24. @34:

    Da sieht man mal, wie das Internet den Printmedien unterlegen ist. Nicht nur, dass dort nur Pseudo- und Möchtegern-Journalisten schreiben, es kann auch nicht mit großen Tabellen umgehen ;-)

    Früher™ hat man dann immerhin eine Tabelle in überschaubare Abschnitte aufgeteilt und 20 x 15 Zeilen gezeigt – und nicht 30 x 1!

  25. @Christian/7:

    die liste ist die original-liste, die ich aus dem JavaScript extrahiert habe. Absolut unangetastet.

    hat Spass gemacht :)

  26. Ich bin für eine TopTen der längsten Klickstrecken Deutschlands.

    Alternativ dazu:
    „Die 800 längsten Klickstrecken Deutschlands – hier als Klickstrecke“

  27. Warum nicht einfach jeden Text als Klickstrecke? Der Text wird Wort für Wort geladen, das aktuelle Wort ist der Link zum jeweils nächsten. Man kann ganz den eigenen Leserhythmus finden, vielleicht rhythmisch lesen. Wenn man dann noch den PC so einstellt, dass jeder Klick einen schönen Klang ertönen lässt, könnte man darüber sicher auf ganz neue Bewusstseinsstufen vordringen und jede Menge Alkohol oder sonstiger Substanzen sparen. Das wäre sicher auch gut für die Volksgesundheit.

  28. Ja, da ist auch jede Menge Werbung drin. Ab dem fünften Klick gehen da Werbefenster und Flash-Spielereien auf. Die tollen Bilder von der Yacht sind das aber allemal wert…

  29. Die Morgenpost wird sich bei Stefan Niggermeier für diesen Thread bedanken – soooo viele PIs ;-)

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