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9Live: Noch transparenter geht gar nicht

Ich schreibe für die morgige „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ mal wieder einen größeren Artikel über 9Live. Und habe der Pressetelle des Senders per E-Mail auch brav meine Fragen geschickt.

Liebe Frau …,

hier, wie besprochen, meine Fragen zu 9live.

Viele Grüße
Stefan Niggemeier

  • Was bedeutet es, wenn auf 9live ein „Countdown“ gezählt wird?
  • Haben die unterschiedlichen Geräusche oder ihr Fehlen eine Bedeutung?
  • Was ist eine „Schwellenzeit“ oder eine „Grenzzeit“, die die Moderatoren gelegentlich erwähnen?
  • Was bedeutet es, wenn der „Hot-Button“ in Flammen steht?
  • Inwiefern erhöhen mehrere „geöffnete Leitungen“ die Chance, in die Sendung durchgestellt zu werden? Ich verstehe das Prinzip des Hot Buttons so, dass ein Redakteur zu einem bestimmten Zeitpunkt jemanden, der gerade in der Leitung ist, zufällig auswählt. Die Zahl der durchgestellten Anrufer erhöht sich also nicht durch mehr Leitungen. Sehe ich das falsch?
  • Wieviele Leitungen gibt es insgesamt zu 9live? Stimmt die verschiedentlich zu lesende Zahl 30?
  • Warum werden bei 9live oft über Stunden keine Anrufer durchgestellt?
  • Warum überzieht 9live oft sehr lange die angegebene Zeit einzelner Sendungen?
  • In einer Sendung, in der es u.a. ein Auto zu gewinnen gab, öffnete der Moderator den vom Zuschauer gewählte Karton erst, nachdem der Kameramann für eine kurze Zeit von diesem Karton wegschwenkte. Die Aktion war sehr auffällig und ermöglichte es dem Moderator, den Gewinn in dem Karton noch auszutauschen (zu sehen u.a. hier). Ist es das, was 9live unter „Transparenz“ versteht?
  • Wie verhindert es 9live, dass von den Spielen insbesondere Spielsüchtige angesprochen werden?
  • Welche Funktion hat es, dass bei 9live immer wieder minutenlang extreme Blitz-, Blink-, Schnitt- und Zoomeffekte zu sehen sind?
  • Warum führt 9live die Zuschauer immer wieder über den Schwierigkeitsgrad von Spielen, bei denen verdeckte Begriffe an einer
    Tafel erraten werden müssen, in die Irre?

  • Fühlt sich 9live an die „Anwendungs- und Auslegungsregeln der Landesmedienanstalten für die Aufsicht über Fernseh-Gewinnspiele“ gebunden?
  • Konkret: Informiert 9live im Hot-Button-Modus den Zuschauer von Beginn des Spiels an darüber, in welchem Zeitrahmen eine Durchstellung vorgesehen ist?
  • Konkret: Stellt 9live sofort, wenn ein Zuschauer, der durchgestellt wurde, auflegt, einen weiterern Zuschauer durch?
  • Wird der korrekte Ablauf der Spiele in irgendeiner Form von einer unabhängigen Stelle kontrolliert?

Und weil es 9Live großen Wert darauf legt, dass die Spiele des Senders „transparent, fair und verständlich“ sind, bekam ich natürlich auch eine Antwort. Sie lautet vollständig so:

Lieber Herr Niggemeier,

vielen Dank für die Zusendung Ihrer Fragen, auf die ich Ihnen gerne wie folgt antworte.

9Live war bei der Formulierung und Ausgestaltung der Gewinnspiel-Regeln der Landesmedienanstalten maßgeblich beteiligt. Wir sind nach wie vor in einem Dialog mit den Landesmedienanstalten über die Weiterentwicklung des Regelwerks. Darüber hinaus unterliegt unser Programm der ständigen Programmaufsicht der Medienanstalten. Jeden Monat zahlen wir über eine Million Euro aus und machen über 6.000 Zuschauer zu Gewinnern. Wir produzieren täglich 14 Stunden Live-TV und wie in jeder anderen Unterhaltungsshow auch, sind Lichteffekte, Geräusche o. ä. ein Handwerkszeug des Regisseurs.

Die von Ihnen angesprochene Auto-Szene wurde bereits unmittelbar danach intern kritisiert. Wir finden die Kameraeinstellung ebenso unglücklich. Wir können Ihnen versichern, dass der vom Zuschauer ausgewählte Karton nicht ausgetauscht wurde. Im Übrigen könnte ein von Ihnen unterstellter Tausch gar nicht unbemerkt stattfinden, da viele Produktions-Mitarbeiter während der Live-Show im Studio arbeiten. Übrigens: Neben diesem Auto wurde an dem Sendetag ein weiteres Auto sowie rund 40.000 Euro ausgespielt.

Viele Grüße

Euren Kopf habt ihr längst verloren

Ich habe mich an den falschen Altersangaben der „Bild“-Zeitung abgearbeitet, 9live-Sendungen transkribiert, eine dreistellige Zahl von Hitlisten-Sendungen der Dritten Programme zusammengetragen und mehrteilige Dieter-Wedel-Filme ohne vorzuspulen angesehen. Aber die Lügen, der Irrwitz, die Dummheit und die Dreistigkeit, die ganze niederträchtige Propaganda des „Handelsblattes“ und anderer Medienpartner in der Kampagne gegen die Piratenpartei und die sogenannte Netzgemeinde: Ich fürchte, die Auseinandersetzung mit all dem übersteigt selbst meinen Masochismus.

Bitte lesen Sie deshalb:

Zehn Jahre FAS

Am 11. September 2001 saß ich im fünften Stock des vierstöckigen FAZ-Gebäudes in Berlin-Mitte. Unsere Redaktionsräume waren in Wahrheit in einem Haus nebenan, man erreichte sie über einen absurd verwinkelten Weg, der durch zwei verschiedene Treppenhäuser führte und einem jede Lust nahm, die Mittagspause außer Haus zu verbringen.

Ich war als einer der letzten zum Team dazugekommen, das die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ neu erfinden sollte. Eigentlich hätte Alexander Gorkow die Medienseite machen sollen, der hatte dann aber zum Glück keine Lust mehr.

Es war die Idee von Nils Minkmar, stattdessen mich zu fragen. Ich habe erst gezögert, denn die ganze FAZ-Welt war mir unbekannt und fremd, politisch, aber auch stilistisch. Andererseits sollte die „Sonntagszeitung“ ja gerade anders sein, jünger, zugänglicher, unterhaltsamer — dafür standen auch die Namen vieler Journalisten, die dafür von anderen Zeitungen eingekauft worden waren.

Und so saß ich mit den anderen Feuilletonisten am 11. September 2001 im fünften Stock des vierstöckigen FAZ-Gebäudes in Berlin-Mitte, um die Nullnummer der neuen Zeitung fertigzustellen. Redaktionsschluss dieser Ausgabe war zum Glück um 13 Uhr; ab dem Nachmittag wäre an Arbeiten nicht zu denken gewesen, jedenfalls kaum für eine Übung, die nicht zur Publikation bestimmt war.

Die Nacht verbrachte ich dann schlaflos vor CNN in einer Dienstwohnung, die die FAZ damals noch in Ku’damm-Nähe hatte (eine Wohnung hatte ich auf die Schnelle noch nicht gefunden in Berlin), ein gesichtsloses Apartment im Achtziger-Jahre-Design, das die Irrealität der ganzen Situation noch verstärkte.

Die große Medienkrise hatte noch nicht richtig begonnen. Im Nachhinein schätze ich, dass es der allerletzte Moment war, in dem sich die FAZ ein solches Wagnis wie die Sonntagszeitung noch getraut hätte. Es hat sich als großer Glücksfall herausgestellt, für die FAZ, der durch die FAS eine fruchtbare innere Konkurrenz erwuchs, die sie lebendiger machte und die ihr ganz neue Leserschichten eroberte. Und für mich.

Das fühlte sich, zugegeben, nicht an jedem Tag so an. Wir haben als Ganzes eine Zeit gebraucht, unsere eigene Form und Rolle zu finden. Und ich in der Redaktion auch.

Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ hat es geschafft, die große Freiheit, die die FAZ auszeichnet, die Lizenz, anders zu sein, speziell, verschroben und sehr klug, mit einem entschiedenen Willen zu verbinden, sich dem Leser zuzuwenden, ihn Woche für Woche einzufangen, zu überraschen und intelligent zu unterhalten. Jedes Ressort hat FAZ-typisch seine eigene Kultur entwickelt, aber der Widerspruch, der daraus oft entsteht, kommt dem Leser zugute in Form von Vielfalt und Reibung.

Das Wunderbare an einer Sonntagszeitung ist, dass es sehr wenig Pflicht gibt und ganz viel Kür. Das bedeutet andererseits auch: Es gibt eine Pflicht zur Kür. Ich konnte mir für die Medienseite etwas einfallen lassen. Ich musste mir für die Medienseite etwas einfallen lassen. Ich habe diesen Luxus manche Woche verflucht.

Claudius Seidl, einer der beiden Feuilleton-Chefs, ist jemand, der nicht aufhört zu zweifeln, und wenn man eine Woche Zeit hat, eine Zeitung zu gestalten, gibt es viel Gelegenheit dafür: Ist das wirklich der richtige Aufmacher? Wäre der Rhythmus nicht besser, wenn die Texte der Seiten 4 und 8 die Plätze tauschen? Kann die Fotoredaktion, die schon zwanzig Mal geguckt hat, bitte noch ein einundzwanzigstes Mal gucken, ob sie nicht ein besseres Bild findet? Nein, das ist noch die Überschrift, wirklich nicht, nein, doch, da fällt Ihnen noch was ein, ganz sicher.

Es ist gar nicht so sehr Perfektionismus als einfach der Wille, eine Zeitung zu gestalten — mit all den Elementen, die dazu gehören. Da ist kaum Routine. Das ist oft anstrengend, gerade wenn das Ziel ist, nicht anstrengend zu sein.

Ich könnte jetzt sagen, das Wunderbare an meiner Zeit bei der FAS war, dass man mich Sachen machen ließ.

Ich durfte zum Beispiel einen Artikel über den Deutschen Presserat, der sich seit Jahrzehnten als „zahnloser Tiger“ bezeichnen lassen muss, so illustrieren:

Ich durfte Haim Saban, der kurzzeitig das deutsche Fernsehen zu kaufen schien, einen Reiseführer schenken:

Ich durfte den viel zu früh verstorbenen Axel Zerdick interviewen, der den Zeitungen schon 2003 prognostizierte, sie sollten sich von dem Gedanken verabschieden, die Stellenanzeigen kämen je zurück — die FAZ lebte zu einem großen Teil von diesen Stellenanzeigen.

Ich durfte mich an 9live abarbeiten, an Johannes B. Kerner und — fast immer — an der „Bild“-Zeitung und ein größeres Stück schreiben über die Vorworte von Jörg Walberer in der „Hörzu“.

Das Wunderbare an meiner Zeit bei der FAS war, dass die Kollegen mich machen ließen, aber das ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Vor allem brachten sie mich dazu, zu machen. Sie schubsten und inspirierten mich. Ich habe länger gebraucht, um zu merken, dass es kein Fluch war, sondern eine Chance, dass ich von Feuilleton-Leuten umgeben war, die ganz anders tickten als ich Medienheini. Dass sie anders auf das Fernsehen blickten, ratlos meine Aufregung über irgendwelche Brancheninterna wahrnahmen und mich stattdessen nachdrücklich ermunterten, Artikel über Dinge zu schreiben, die mir selbstverständlich erschienen.

Ich habe viel gelernt in den vergangenen zehn Jahren bei der FAS, und nicht nur die Kunst des gepflegten Kalauers in der Überschrift. Ich hatte das Glück, mit Kollegen zu arbeiten, die gut sind und gut zu mir waren und deren Kreativität mich inspiriert und angespornt hat.

Am vergangenen Wochenende habe ich meine vorerst letzten Artikel für die FAS geschrieben, fast auf den Tag genau zehn Jahre, nachdem sie zum ersten Mal erschienen ist. Ich freue mich sehr darauf, demnächst für den „Spiegel“ zu schreiben, aber ich verlasse die FAS mit etwas Wehmut. Ich möchte mich bedanken bei all meinen Kollegen, vor allem bei Johanna Adorján, Michael Hanfeld, Peter Körte, Christiane Kroth, Nils Minkmar, Tobias Rüther, Claudius Seidl, Harald Staun, Volker Weidermann.

Und bei Frank Schirrmacher — und natürlich Alexander Gorkow, ohne den das alles nicht möglich gewesen wäre.

Schlaf- und Skandalbehörden

Ich hätte die „Funkkorrespondenz“ lesen sollen. Oder mir einen Merkzettel machen mit der Warnung an mich selbst: „Wenn du einen Artikel schreibst, der zum Ergebnis kommt, dass die Medienaufsicht in Deutschland womöglich funktioniert, hast du vermutlich nur nicht gründlich genug recherchiert.“

Am Sonntag habe ich für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ eine Bilanz der Gewinnspielsatzung gezogen. Seit eineinhalb Jahren drohen 9Live und den anderen Call-TV-Anbietern Bußgelder, wenn sie gegen die Regeln verstoßen, die ein Mindestmaß von Fairness und Transparenz garantieren sollen. Die Landesmedienanstalten haben seitdem über eine halbe Million Euro Bußgeld verhängt und sind der Meinung, das habe Wirkung gezeigt — obwohl noch kein Sender Geld gezahlt habe. (Tatsächlich haben Kabel 1, Super RTL und Das Vierte schon Bußgelder bezahlt. Davon wusste nur der zuständige Sprecher der baden-württembergischen Medienanstalt LfK, den ich gefragt hatte, angeblich nichts.)

Die aufregendere Geschichte stand zwei Tage zuvor im Branchendienst „Funkkorrespondenz“: Einen Teil dieser Summe werden die Sender nämlich nie zahlen müssen, weil die Landesmedienanstalten Fristen versäumt haben und die Verfahren einstellen mussten, weil es verjährt war. 115.000 Euro hat die Bayerische Landesmedienanstalt BLM auf diese Weise dem Sender 9Live geschenkt — weil die Mitarbeiter in den Osterferien waren. Oder im Deutsch der Beamten:

„Die Verjährung kam dadurch zustande, dass durch ein äußerst bedauerliches Büroversehen während der Urlaubszeit die fünf Fälle in der BLM liegengeblieben sind und es so versäumt wurde, die Bescheide der Staatsanwaltschaft fristgerecht zuzustellen.“

Als Konsequenz aus der Schlamperei sei „umgehend eine doppelte Terminkontrolle eingeführt“ worden, teilte die BLM der „Funkkorrespondenz“ mit, verweigerte aber die Auskunft, ob gegen Mitarbeiter dienstrechtliche Maßnahmen eingeleitet wurden.

Die Landesmedienanstalten werden, was viel zu wenig bekannt ist, zum größten Teil von den Rundfunkgebühren bezahlt: Sie bekommen knapp zwei Prozent davon, weit über 100 Millionen Euro jährlich. Wir, die Gebührenzahler, finanzieren also ein — aufgrund der föderalen Struktur der Medienaufsicht — ohnehin außerordentlich aufwändiges Verfahren, das einem Bußgeldbescheid vorausgeht. Und am Ende ist dieser ganze Aufwand für die Katz, weil die Mitarbeiter der BLM vergessen haben, sich die damit verbundene Frist irgendwohin zu schreiben, und sich in den Osterurlaub verabschiedet haben?

Es ist nicht so, dass es sich um Ausnahmen in einem sonst funktionierenden System handelte. Die „Funkkorrespondenz“ berichtet von zwei weiteren Fällen, in denen durch Schlamperei in der BLM die Verfahren verjährten. Auch bei der Medienanstalt Berlin-Brandenburg MABB musste ein Bußgeldverfahren wegen abgelaufener Fristen eingestellt werden, weil — wie die Behörde mitteilte — „die Weihnachtszeit dazwischen kam“.

Bei den Landesmedienanstalten — und insbesondere den beiden genannten — verbindet sich in einzigartiger Weise der ganze Albtraum einer föderalen Bürokratie mit Inkompetenz und schlichtem Unwillen. Ich bin überzeugt davon, dass die Bayerische Landesmedienanstalt unter Wolf-Dieter Ring (seit 21 Jahren im Amt) kein Interesse daran hat, die von ihr lizensierten (und im Land angesiedelten) Sender wirkungsvoll zu kontrollieren. Und der Aufsichts- und Auskunftswiderwille der MABB unter Hans Hege (seit 19 Jahren im Amt), die theoretisch für Pro Sieben zuständig wäre, ist ein fortdauernder Skandal.

Ich habe vor fünf Jahren zusammen mit Peer Schader für die „Sonntagszeitung“ einen Text über das Elend der Medienaufsicht in Deutschland geschrieben. Dessen Überschrift „Schafft die Landesmedienanstalten ab!“ wurde leider gelegentlich als bloße Polemik missverstanden.

Die geheimnisvolle Fionnghuala

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Seit Anrufsendern, die gutgläubige Zuschauer in die Irre führen, Bußgelder drohen, ist das Geschäft fairer geworden – und schlechter. Dabei hat noch keiner bezahlt.

Heute würde es Schlag auf Schlag gehen. Kein Gerede, keine Verzögerungen, garantiert zwanzig Gewinner in fünfzehn Minuten. Dirk Löbling, der Animateur, der an diesem späten Donnerstagabend Dienst hat bei 9Live, scheint angemessen aufgeregt. So ein „Gewinner-Countdown“, erklärt er, sei „sehr speziell“. Und weil er von der Regie vorgegeben werde, könne man sich darauf verlassen, dass das damit verbundene Versprechen eingehalten werde.

Vierzehneinhalb Minuten später ist ein Gewinner gefunden. Es stehen noch 25 Sekunden auf der Uhr, es fehlen noch 19 Gewinner, und Löbling macht Geräusche und Gesten, die seine Fassungslosigkeit ausdrücken sollen. Wie soll das zu schaffen sein?

Es ging dann doch recht entspannt. Es stellte sich nämlich heraus, dass der Anrufsender bei seinem „Gewinner-Countdown“ nur die Zeit zählt, die er zählt. Bis die nächsten zwanzig Sekunden Spielzeit abgelaufen waren, verging eine Dreiviertelstunde, in der der Moderator sich zeitweise mit einem Menschen in seinem Ohr über die Blumen in der Studiodekoration unterhielt. Nach endlosen Minuten erbarmte er sich, zählte einen Countdown runter, dann lief der „Gewinner-Countdown“ wieder weiter, jemand wurde durchgestellt, nannte einen Beruf, der auf „-er“ endet, und gewann einen zweistelligen Eurobetrag. Es schien, als müsse man sofort anrufen, weil das Spiel sofort vorbei sei. Aber 9Live könnte im Notfall einen solchen „Gewinner-Countdown“ von wenigen Sekunden über Jahre strecken.
Sie machen sich immer noch einen Spaß – und vor allem natürlich: ein Geschäft – daraus, die Zuschauer in die Irre zu führen. Aber die Hoch-Zeiten des Call-TV sind vorbei, im Guten wie im Schlechten. Die Tricks, die 9Live heute einsetzt, sind vergleichsweise harmlos. Aber auch die Erlöse sind nicht mehr, was sie mal waren. Der Marktanteil des Senders liegt bei nur noch 0,1 Prozent – bei jüngeren Zuschauern ist er nicht mehr messbar. Für die Schwestersender Sat.1, Pro Sieben und Kabel 1 produziert 9Live noch Anrufsendungen tief in der Nacht; eine Sendung wie „Quiz Night“ auf Sat.1 läuft regelmäßig vor immerhin ein- bis zweihunderttausend Zuschauern – aber wer weiß, wie viele von denen wach sind.

Auch der Spartenkanal Sport 1 bessert sein Einkommen mit den Telefongebühren dummer Zuschauer auf und lässt werktags nachmittags zum Beispiel weibliche Vornamen mit „A“ am Ende raten (gesucht waren am Freitag: „Notburga, Immacolata, Inmaculada, Fatoumata, Fearchara, Femmechina, Fionnghuala, Flordeliza, Rizalia, Boglarka“). Aber Sender wie Super-RTL, MTV, Viva, Nickelodeon, Tele 5 und Das Vierte haben sich inzwischen von dem zwielichtigen Geschäft verabschiedet; in der Schweiz sorgte ein Gerichtsurteil für das abrupte Ende der Branche.

Warum das Geschäft nicht mehr so läuft? Die einfachste Erklärung ist, dass die Teilnehmer im Laufe der Zeit entweder zu klug oder zu arm geworden sind, um noch mitzumachen. Pro-Sieben-Sat.1 nennt in seinem Geschäftsbericht als Grund für die sinkenden Anruferzahlen und Erlöse „die Einführung einer neuen Gewinnspielsatzung der Landesmedienanstalten“. Neu daran waren weniger die Regeln, die Mindeststandards an Fairness und Transparenz sicherstellen sollen und in ähnlicher Form schon vorher galten; neu war die Möglichkeit, Bußgeld gegen Sender zu verhängen, die sich nicht an sie hielten.

Seit die Satzung vor eineinhalb Jahren in Kraft getreten ist, hat die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) der Medienanstalten 54 Beanstandungen ausgesprochen und Bußgeld in Höhe von 575 500 Euro verhängt, den größten Teil gegen 9Live. Die Mängel sind fast immer dieselben: Es sei unzulässig Zeitdruck aufgebaut, über die Auswahlverfahren und Einwahlchancen in die Irre geführt oder über den Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe getäuscht worden.

Dem 9Live-Animateur Jürgen Milski, der als „Big Brother“-Kandidat und Kumpel des selig vergessenen Ztlatko aufgefallen war, wurde jetzt eine besondere Ehre zuteil: Erstmals sprach die ZAK ein Bußgeld nicht nur gegen den Sender, sondern auch den Moderator persönlich aus. Gesucht waren: „Tiere mit Doppelbedeutung“. Keine einzige der achtzehn 9Live-Lösungen (darunter Holzbohrer, Feuerwalze, Perlhuhn, Rammbock) wurde erraten. Inwiefern es sich zum Beispiel beim Rammbock überhaupt um ein Tier handele, ließ der Sender offen. Milski erweckte dafür wiederholt den Eindruck, es handle sich um ein leichtes Spiel. „Normalerweise halten wir uns an die Geschäftsführung und den Sender, weil es um strukturelle Probleme oder seine Aufsichtspflicht geht“, sagt Axel Dürr, Sprecher der in der ZAK geschäftsführenden baden-württembergischen Landesmedienanstalt LfK. In diesem Fall aber habe es den Eindruck gegeben, dass Milski besonders eigenmächtig die Regeln brach.

Jeder dieser Bußgeldbescheide ist ein kleines Wunder, denn er ist das Ergebnis eines bürokratischen Kraftaktes: Die zuständige Landesmedienanstalt stellt einen Verstoß fest, gibt dem Sender Gelegenheit zur Stellungnahme, wertet sie und gibt den Fall an die Prüfgruppe der ZAK, die ihn an die eigentliche Kommission aus den 14 Direktoren der Medienanstalten weiterleitet, die über den Bußgeldbescheid entscheidet, dessen Ausstellung dann wieder der zuständigen Medienanstalt obliegt. Gegen den Bescheid kann der Sender Beschwerde einlegen, womit sich wiederum die Medienanstalt beschäftigt und dann erneut die ZAK.

Am Ende, wenn die Sender das Bußgeld nicht akzeptieren, geht es vor Gericht. Und weil das dauert und die Sender bislang gegen jede Beanstandung Beschwerde eingelegt haben, ist nach Auskunft von Dürr bislang kein Cent tatsächlich bezahlt worden. Gegen verschiedene Pflichten, die Spiele transparent und fair zu veranstalten, wehrt sich 9Live zudem mit einer Klage und bestreitet die Rechtmäßigkeit der Satzung insgesamt. In einzelnen Punkten gab ihm das Verwaltungsgericht München im vergangenen Jahr Recht, beide Seiten sind in Revision gegangen.

Trotz des langen, schwierigen Prozesses meint Dürr, dass die Satzung und die Bußgelder Wirkung gezeigt hätten. Neben den drohenden Kosten schmerze die Sender vor allem, dass die ZAK ihre Beanstandungen konsequent öffentlich macht. „Es ist immer noch nicht alles Gold, und wir lehnen uns nicht zurück, aber es hat sich einiges getan. Ein Großteil der Beanstandungen ist abgestellt worden.“ Tatsächlich warnt 9Live zum Beispiel regelmäßig, dass die Zuschauer auf ihr „Telefonverhalten“ achten sollen. Es läuft sogar immer wieder der Hinweis durchs Bild, dass die Chance, durchgestellt zu werden, nicht von der Zahl der angeblich offenen „Telefonleitungen“ abhänge – diesen Eindruck haben die Produzenten sonst immer gerne erweckt.

Auch Marc Doehler meint, es gebe „definitiv Fortschritte“. Er verfolgt mit anderen Verrückten seit Jahren die Call-TV-Programme und protokolliert den Ablauf in einem Forum (citv.nl). Es sind ausführliche und erschütternde Dokumente der Täuschungen und Lügen, die wohl einen wesentlichen Beitrag geleistet haben, die schlimmsten Auswüchse abzustellen. Viel weniger Regelverstöße entdeckt Doehler heute im Programm, auch weil nur noch eine Handvoll einfacher Spiele immer wieder wiederholt werde. Teilweise würden die Zuschauer zwar mit ausgeklügelten Tricks noch in die Irre geführt. Aber wer auf die idiotischen Aussagen der Moderatorinnen hereinfalle, die die Aufgabe, eine deutsche Stadt mit A an zweiter Stelle zu finden, als „ziemlich schwer“ bezeichnen, sei schon selbst schuld. Warum er trotzdem noch guckt? „Der Unterhaltungsfaktor ist immer noch groß“, gibt Doehler zu. „Und ehe ich mir ‚Frauentausch‘ ansehe…“

9Live möchte sich zu alldem nicht äußern, weil man „derzeit konstruktive Gespräche mit der ZAK“ führe. Deren Sprecher Dürr bestätigt, dass geredet wird: „Da ist Bewegung drin.“ Im September werde die ZAK eine Bilanz der Gewinnspielsatzung vorlegen, womöglich gäbe es bis dahin auch eine Absprache mit 9Live, die die endlosen Verfahren unnötig mache. Das Ziel beider Seiten sei dasselbe: dass weniger Bußgelder verhängt werden müssen.

Eine andere Auseinandersetzung mit Call-TV-Veranstaltern eskaliert dagegen gerade: Es geht um die Firmen Mass Response und Primavera, die mit besonders dubiosen Methoden unter anderem im Schweizer Fernsehen auffielen. Zu den Unregelmäßigkeiten, die von Beobachtern wie Doehler und der Seite fernsehkritik.tv dokumentiert wurden, gehört, dass Umschläge mit den Lösungen in der Live-Sendung plötzlich verschwanden und an anderer Stelle wieder auftauchten, was den Verdacht von Manipulationen nährte. Die Firmen bestreiten dies und gehen juristisch gegen die Kritiker vor. Einiges deutet darauf hin, dass es in den anstehenden Prozessen endlich nicht mehr um Formalien geht oder sich die Firmen mit einem Verwirrspiel um die Verantwortlichkeiten herausreden können, sondern sich die Gerichte in der Sache mit den Betrugsvorwürfen auseinandersetzen werden. [Nachtrag, 26. September: Bislang sind gerichtliche Verfahren, die von Primavera gegen diese Vorwürfe eingeleitet hat, zu Gunsten der Call-TV-Firma ausgegangen oder noch nicht rechtskräftig beendet.] Als Zeugen sind auch viele Producer und Moderatoren benannt, die die unwahrscheinlich klingenden Erklärungen der Produktionsfirmen plausibel machen sollen.

Der Countdown läuft.

Wie ich in den „Spiegel“ kam

Ich stand am Donnerstag voriger Woche gerade im Nieselregen in der Hamburger Fußgängerzone, als mich Martin U. Müller vom „Spiegel“ auf dem Handy erreichte. Nach ein bisschen Small Talk wechselte er den Tonfall und klang plötzlich, als müsse er etwas sehr Unangenehmes mit mir besprechen. Ihm sei da nämlich eine Information zugespielt worden.

Es stellte sich heraus, dass es nicht um die Sache mit den Schafen im Keller und den missglückten Sex-Experimenten ging, sondern bloß um einen Beitrag, den ich für das Online-Magazin screen.tv geschrieben habe, das die Sendergruppe ProSiebenSat.1 herausgibt. Müller konfrontierte mich mit der Beobachtung, dass ich da sogar im Impressum stünde und wollte wissen: Ob ich kein Problem damit hätte, für ein Unternehmen zu arbeiten, das sonst Gegenstand meiner Berichterstattung sei. Ob ich in Zukunft regelmäßig für die arbeiten würde. Ob die Bezahlung im üblichen Rahmen gewesen sei oder es sich um einen dieser sagenumwobenen Aufträge handele, für die man ein halbes Reihenhaus bekomme. Ob mir bekannt sei, dass der Berufsverband Freischreiber, bei dem ich ja Mitglied sei, eine strikte Trennung von Journalismus und PR-Arbeit fordere.

Ich versuchte, dem „Spiegel“-Redakteur zu erklären, dass es sich nicht um PR handelt, sondern einen journalistischen Artikel, den ich ohne jede Einflussnahme oder inhaltliche Vorgabe geschrieben habe. Bei screen.tv handelt es sich nicht um eine Werbebroschüre, sondern ein journalistisches Magazin, das nur insofern möglicherweise PR für ProSiebenSat.1 darstellt, als damit vielleicht die Hoffnung auf einen Imagegewinn verbunden ist: Dass ein solches Unternehmen es sich in solchen Zeiten leistet, Geld für ein solches Magazin auszugeben.

Ich versuchte den Verdacht, dass ich hier PR für ProSiebenSat.1 betreibe, noch dadurch zu entkräften, dass ich ihn darauf hinwies, dass deren Töchter in meinem Stück keineswegs gut wegkommen, woraufhin er fragte, ob ich das extra gemacht hätte, quasi als Demonstration der Unabhängigkeit, und ich erwiderte: Nein, einfach weil die Streaming-Angebote der Gruppe so schlecht sind. Es war ein anstrengendes Gespräch, was sicher auch daran lag, dass ich nicht verstand, was er mir eigentlich vorwarf, und noch weniger, was daran ein Thema für den „Spiegel“ sein könnte.

Medienjournalismus. Schon das Wort belustigt Begriffsstutze wie Henryk M. Broder, weil sie so tun, als wäre es analog zu Zeitungs-, Fernseh- und Onlinejournalismus gebildet und stelle also eigentlich einen Pleonasmus dar. Dabei steht es in einer Reihe mit Sport-, Politik- oder Wirtschaftsjournalismus; der erste Wortteil bezeichnet nicht das Medium, sondern seinen Gegenstand.

Doch die scheinbare Doppeldeutigkeit des Wortes zeigt auch das Spezielle an der Arbeit als Medienjournalist, das Dilemma beim Schreiben in den Medien über die Medien. Fast jeder Text ist zwangsläufig ein Text über ehemalige oder potentielle zukünftige Auftrag- oder Arbeitgeber, über direkte Kollegen oder Konkurrenten. Fast jeder medienjournalistische Text steht somit unter dem Generalverdacht einer Interessenskollision, eines Kalküls jenseits journalistischer Kriterien.

Ich nehme an, dass diese Situation auch den Medienjournalisten beim „Spiegel“ nicht fremd ist. Was ihnen aber offenbar fremd ist: Dass ein journalistisches Leben außerhalb der „Spiegel“-Redaktion existiert. Dass es Journalisten gibt, sogar Medienjournalisten, die nicht angestellte Redakteure sind, mit festem Gehalt und Einbindung in eine Hierarchie, sondern frei arbeiten, und das sogar freiwillig, nicht aus Not. Und dass diese Freiheit auch eine Form von Unabhängigkeit ist.

Als freier Journalist arbeite ich für verschiedene Auftraggeber. Die Auftraggeber sind Medienunternehmen. Medienunternehmen sind Gegenstand meiner Berichterstattung. Fast jeder Text ist insofern angreifbar, und dagegen hilft nur eines: der Beweis der Unabhängigkeit in der täglichen Arbeit.

Und damit sind wir wieder beim „Spiegel“, der tatsächlich Platz fand in seiner Ausgabe vom vergangenen Montag für ein Stück über mich und meinen Artikel im von ihm anonymisierten „Online-Magazin der ProSiebenSat.1 AG“. Der „Spiegel“ wirft mir nicht vor, einen bestellten PR-Text für ProSiebenSat.1 geschrieben zu haben. Er findet ausdrücklich, dass mein Text sich „nicht wie eine Eloge auf die Sendergruppe“ lese. Warum es sonst verwerflich ist, als Medienjournalist für ein journalistisches Magazin zu schreiben, wenn es nicht von einem Verlag, sondern einem Fernsehsender herausgegeben wird, lässt der „Spiegel“ offen. Martin U. Müller raunt nur, ich nähme es „offenbar nicht ganz so genau, was die Distanz zum Gegenstand [meiner] Berichterstattung betrifft“.

„Kritiker in der Kritik“ steht übrigens als Überschrift über der „Spiegel“-Meldung, und das ist einerseits natürlich ein alter Journalisten-Trick, sich quasi unsichtbar zu machen, aber die Wirkung des eigenen Tuns vorwegzunehmen. Der Kommentator dot tilde dot beschreibt den Effekt so:

interessant an dieser kritik ist, dass sie nur „ist“ und gar nicht stattfindet – außer im spiegel-artikel, der über die kritik berichtet. die aber gar nicht stattfindet, außer im spiegel-artikel, der über sie berichtet. obwohl sie nicht stattfindet.

(mir wird schwindelig. ich habe das gefühl, abschweifen zu müssen, um beim thema zu bleiben.)

Andererseits gab es die „Kritik“ aber tatsächlich schon vor dem Artikel, und das ist womöglich die interessantere Geschichte als die Frage, warum der „Spiegel“ mich kritisiert. Martin U. Müller ist nämlich nicht über die offizielle Pressemitteilung auf meine Mitwirkung an dem Magazin aufmerksam geworden, oder über Google oder Turi2, sondern über eine anonyme Mail. Der Absender hat sie in ähnlicher Form auch als Kommentar an verschiedenen Orten abgegeben, unter anderem hier im Blog unter dem Namen „finanzbeamter“:

Seit Februar2009 gab es für Herrn Niggemeier im Bereich Call TV nichts mehr über 9live zu berichten.Dafür engagiert er sich aber gerne für die Unternehmenskommunikation der Gesellschafterin, zusammen mit seinem Spezi Peer Schader. Wenn das mal kein Gschmäckle hat.

Ich kenne den Absender nicht, der allem Anschein nach auch schon unter anderem Namen hier kommentiert hat; offenkundig ist aber, dass er aus dem Umfeld der Call-TV-Branche und ihrer besonders schwarzen Schafe kommt. Dieselbe E-Mail-Adresse wurde auch schon benutzt, um als Drohungen zu verstehende Nachrichten an Kritiker des dubiosen Treibens von Call-TV-Firmen wie Primavera.TV verschickt.

Dieser Unbekannte hatte also Lust, mir ein bisschen Ärger zu machen – und fand ausgerechnet beim „Spiegel“ tatsächlich ein offenes Ohr. Die lustige Verschwörungstheorie, wonach ich (wenn ich das richtig verstehe) von ProSiebenSat.1 gekauft worden sei und deshalb nicht mehr kritisch über 9live berichte, hat zwar explizit dann doch keinen Weg in den „Spiegel“ gefunden. Aber Martin U. Müller konfrontierte mich im Telefongespräch tatsächlich auch mit diesem Vorwurf.

Und das, obwohl der nicht einmal einer schlichten Überprüfung der Fakten standhält: Ich habe noch im August 2009 über 9live berichtet. (Kann natürlich sein, dass ich erst danach gekauft wurde.)

Das ist das einzig wirklich Ärgerliche an meinem unfreiwilligen Gastauftritt im „Spiegel“: Dass das Nachrichtenmagazin sich beim Versuch, mich ein bisschen zu ärgern, zum Erfüllungsgehilfen irgendeines dubiosen Dunkelmanns gemacht hat, der gerade versucht, Call-TV-Kritiker einzuschüchtern.

„Galileo“ und die 50-Autos-Lotterie

Wenn Sie sich bitte diesen kurzen Ausschnitt aus dem Umfeld der ProSieben-Sendung „Galileo“ anschauen mögen, ich hätte danach dann zwei Fragen dazu:

Erstens, ohne zu spicken: Was kostet die Teilnahme an dem „Galileo-Wissensquiz“?

Die Antwort „nichts“ ist natürlich falsch, obwohl das Wort „gratis“ ewig im Bild ist und der Sprecher zweimal „kostenlos“ sagt. Die Information, dass die Handy-Nachrichten, mit denen man an der Verlosung der Autos teilnimmt, jeweils 50 Cent kosten, hat Pro Sieben sicherheitshalber im Kleinstgedruckten versteckt. Sie steht allerdings immerhin in den SMS mit den Fragen, die man täglich bekommt, wenn man sich für das Spiel anmeldet.

Die zweite Frage ist schwieriger: Wer veranstaltet dieses Gewinnspiel? ProSieben? „Galileo“? Muss ja, steht ja groß drauf. Und als Ort für weiterführende Informationen sind der Teletext und die Homepage von ProSieben angegeben. Andererseits findet sich in den dortigen „besonderen Teilnahmebedingungen für das Galileo-Wissens-Quiz“ folgender Hinweis:

Veranstalter:
Hauptveranstalter der Gewinnaktion ist die imobic GmbH, Malkastenstraße 3, 40211 Düsseldorf

Kein Wunder: Bei der „Gewinnaktion“ handelt es sich um dasselbe imobic-Geschäft, für das auch die Programmzeitschrift „TV Spielfilm“/“TV Today“ auf ihrem Titel wirbt, und bei den 50 Autos, die es zu gewinnen gibt, um dieselben 50 Autos.

Komischerweise ist das aber nicht die Antwort, die ich von Christoph Körfer, dem Unternehmenssprecher von ProSieben, bekommen habe. Er teilte mir mit:

„Es handelt sich um ein klassisches Gewinnspiel von ProSieben in Zusammenarbeit mit dem Kooperationspartner imobic GmbH. Die Abwicklung läuft über ProSieben.“

Das glaube ich nicht. Dagegen sprechen nicht nur die eigenen Teilnahmebedingungen und die Tatsache, dass dasselbe Geschäft mit denselben Autos auch mit anderen Werbepartnern und ohne den Namen „Galileo“ stattfindet. Auch die Kurzwahl für die Premium-SMS, über die die Teilnehmer mitmachern (2010), und die Gratis-SMS-Nummer zur Anmeldung (2009) sind auf die Firma imobic GmbH registriert. Als technischer Dienstleister sind ebenfalls nicht ProSieben oder die hauseigenen Spezialisten für teure Telefonspiele von 9live für die Abwicklung zuständig, sondern die Digame GmbH.

Weiterführende Fragen ließ ProSieben unbeantwortet, dabei wollte ich zum Beispiel bloß wissen, ob das, was man oben im Film sieht, nun bezahlte Werbung oder Eigenwerbung von ProSieben ist und ob ProSieben an den durch die Werbung generierten Einnahmen beteiligt wird.

Auch von Lutz Carstens, dem Chefredakteur von „TV Spielfilm“ und „TV Today“, habe ich auf ähnliche Fragen keine Antworten bekommen. Dort waren die Anzeigen von imobic sogar in den redaktionellen Programmteil integriert:


Nein, lesen kann man das auch im Original nicht vollständig, und ein Hinweis, dass es sich um Werbung handelt, fehlt natürlich. Carstens stellt sich auf meine Anfragen inzwischen tot. (Ich glaube aber, dass er noch lebt und mir nur seine komischen Schleichwerbegeschäfte nicht erklären will.)

Gemeldet hat sich dafür aber Roman Tietze, der Chef der imobic GmbH. Zu der Art, wie „TV Spielfilm“ in sein Geschäft mit den Autos und den SMS eingespannt ist, möchte er mir auch nichts sagen. Immerhin erklärt er aber, dass „die Bob Mobile AG ein Investor bei der imobic GmbH ist. Die imobic GmbH ist jedoch operativ vollständig unabhängig und veranstaltet das Gewinnspiel komplett eigenständig.“

Ausgerechnet Bob Mobile. Die Firma hat im Geschäft mit Premium-SMS einen schlechten Ruf und ist berüchtigt dafür, sehr weit zu gehen, um Ahnungslose in teure Abo-Fallen zu locken. Unter anderem wirbt Bob Mobile mit dem (falschen) Versprechen eines IQ-Tests und verwendet dabei graphische Elemente, die es wie ein Angebot des sozialen Netzwerkes MeinVZ aussehen lassen, wie hier vor wenigen Tagen auf Bild.de:

MeinVZ erklärte dazu gegenüber BlogWave.de, dass sich Bob Mobile schon einmal dazu verpflichtet habe, diese „rechtswidrige und vor allem die Verbraucher massiv irreführende Werbung“ einzustellen.

Soviel zur Seriösität von Bob Mobile, einem Investor der erst ein paar Tage alten Firma imobic, die es irgendwie geschafft hat, eine riesige Kampagne für eine Auto-Lotterie zu starten, mit Medienpartnern, die das Angebot als ihr eigenes ausgeben, um es nicht als Werbung deklarieren zu müssen, und sich weigern, ein paar einfache Fragen nach der Art der Zusammenarbeit zu beantworten.

Falls es sich um ein seriöses, alltägliches Geschäft handeln sollte, geben sich alle Beteiligten aber viel Mühe, den gegenteiligen Eindruck zu erwecken.

DFB zwingt Jens Weinreich in die Knie

Jens Weinreich und der Deutsche Fußball-Bund haben ihren Rechtsstreit beigelegt.

Der Sportjournalist Weinreich erklärt, dass er DFB-Präsident Theo Zwanziger nicht in die Nähe eines Volksverhetzers rücken wollte, als er ihn einen „unglaublichen Demagogen“ nannte. Der DFB erklärt, dass er Weinreich nicht in seiner Arbeit behindern wollte, als er Lügen über ihn verbreitete (das mit den Lügen erklärt der DFB natürlich nicht).

Der DFB wird sein bislang erfolgloses Unterlassungsverfahren gegen Weinreich nicht weiter verfolgen. Und Weinreich wird nicht darauf beharren, dass der DFB die Gegendarstellung veröffentlichen muss, die er gerichtlich bereits durchgesetzt hatte.

Ich verstehe sehr gut, dass Jens sich auf diesen Vergleich eingelassen hat. Aber er bedeutet aus meiner Sicht, dass der DFB, der sowohl juristisch als auch publizistisch in dieser Auseinandersetzung bislang der klare Verlierer war, nun als Sieger vom Platz geht. Dass der Verband nicht einmal dazu gebracht werden konnte, eine Gegendarstellung gegen seine verleumderische Pressemitteilung über Weinreich abzudrucken, spricht Bände.

Die Zermürbungstaktik des DFB und seines Anwaltes (dessen Kanzlei in anderen Fällen auch mich vertritt) ist voll aufgegangen. In den vier Verfahren, die das ehemalige Call-TV-Unternehmen Callactive und ihr Geschäftsführer Stephan Mayerbacher gegen mich angestrengt haben (der mir neuerdings unaufgefordert Mails mit möglicherweise brisanten Dokumenten über angebliche Mauscheleien zwischen 9Live und der Bayerischen Landesmedienanstalt schickt), habe ich erlebt, wieviel Kraft, Zeit und Geld eine solche Auseinandersetzung kostet. Während ein Mann wie Theo Zwanziger einen ganzen Stab von Juristen und PR-Leuten kommandieren kann, um mit allen Mitteln seine Ehre und seinen Stolz zu verteidigen, ist für einen Freien Journalisten wie Jens Weinreich jede Verhandlung nicht nur mit Kosten, sondern auch mit Einnahmeverlusten und einer erheblichen psychischen Belastung verbunden.

Jens Weinreichs Bitte um Spenden hat eine verdiente und, wie ich finde, sensationelle Resonanz gefunden: Rund 860 verschiedene Menschen gaben insgesamt knapp 22.000 Euro. Das ist nicht nur, aber auch ein Beweis dafür, wieviel Solidarität im regelmäßig verfluchten Internet zu finden ist und ich bin ein bisschen stolz darauf, einen kleinen Beitrag dazu geleistet zu haben.

Aber letztlich ist es mit all dem Geld nicht getan. Es geht darum, immer wieder die Kraft aufzubringen, die Zumutungen und Drohungen der Gegenseite auszuhalten. Und es geht darum, für sich die Entscheidung zu treffen, ob man wirklich einen erheblichen Teil des eigenen Lebens mit einer so unproduktiven Auseinandersetzung verschwenden will, die man letztlich nicht gewinnen kann, egal wie sie formal ausgeht: Weil jeder Sieg so teuer mit eigener Energie erkauft ist, während die Gegenseite gelassen den Einsatz immer weiter erhöhen kann.

Wie gesagt: Ich verstehe die Entscheidung von Jens sehr gut, und vermutlich ist es sogar die richtige Entscheidung. Aber machen wir uns nichts vor: Der DFB hat durch den Vergleich klar gewonnen. Jedem Kritiker, der es wagen könnte, von seiner Meinungsfreiheit Gebrauch zu machen und den DFB-Präsidenten in einer Form zu kritisieren, die ihm nicht passt, wird es eine Warnung sein.

Nachtrag. Auch lesenswert: Alexander Svenssons Interpretation des Vergleichs, die sich eigentlich nicht so sehr von meiner unterscheidet, aber einen deutlich positiveren Tenor hat.

Böse Bescherung bei „Big Brother“

RTL 2 hat sich nach Informationen des Medienmagazins DWDL.de von seinem Programmdirektor Axel Kühn getrennt, und Schuld sein sollen nicht zuletzt die schlechten Quoten von „Big Brother“. Ein großes Rätselraten herrsche im Sender und bei der neuerdings von Ex-9Live-Chef Marcus Wolter geführten Produktionsfirma Endemol, woran das liegen mag, dass die jungen Menschen die tägliche Container-Show plötzlich verschmähen. Dabei sind die Kandidaten extra schon in Dezember für ein Dreivierteljahr in den Container gezogen. „Weihnachten und Silvester im Haus – fern ab von den lieben Verwandten und Bekannten“, hatte Kühn zuvor gesagt, „das ist einfach spannend.“

Nun. Dann schauen wir uns das doch mal an.

Heiligabend im „Big Brother“-Haus. Der Morgen beginnt für viele mit einem Kater. Besonders für Madeleine, die großes Interesse an Daniel hat, der sein Interesse für sie am Abend vorher aber in folgende Worte kleidete:

„Es ist so, dass ich die schönen Sachen an dir sehe. Aber es ist auch so, dass es halt einige Sachen gibt, die nicht mit dem übereinkommen, was ich in einer Partnerin finden möchte.“

Er meint wohl ihr Aussehen.

Die 29-jährige Desi taucht als neue Mitbewohnerin auf. „Schließlich muss ja nicht immer nur Weihnachten vor der Tür stehen“, sagt der Sprecher aus dem Off. Wir werden noch viel von ihm hören.

Alle stellen sich Desi vor. Bussi.

Desiree bekommt das Haus gezeigt, das erneut in einen reichen und einen armen Bereich geteilt ist, die sich diesmal aber „Himmel“ und „Hölle“ nennen, was natürlich ganz etwas anderes ist. Die Leute in der Hölle müssen zum Beispiel auch den Müll der Himmelsbewohner trennen und ihre Wäsche waschen.

Jana erklärt Desi, was blöd ist an der Hölle: das Duschen im Freien:

„Wenn es windig ist, ist blöd, dann stehste nicht mehr unter dem Strahl. Aber das draußen Schlafen ist obercool. Wir haben viel bessere Luft als die da oben.“

Die Frauen sind sich einig, dass das Schlimmste an der Hölle ist, dass man in einer Art Sträflings-Einheitskleidungherumlaufen muss. „Du kannst Dich gar nicht identifizieren“, sagt Madeleine. Desi stellt fest, dass es schwierig ist, ohne eigene Sachen, zu zeigen, ob man Tussi ist, Schickimicki oder eher so locker.

Noch ein neuer Bewohner zieht ein: Oliver. Alle stellen sich vor. Bussi.

Die anderen Himmelsbewohner müssen entscheiden, wer von den beiden Neuen in die Hölle muss. Weil es vier Männer und nur zwei Frauen sind, entscheiden sie sich für Desiree. Hey, nur deswegen, echt.

Oliver muss in die erste Etage gehen, sich dort ausziehen und gelangt durch eine Rutsche wieder ins Erdgeschoss – aber auf die Höllenseite.


Weihnachtsmann. Screenshot: RTL 2

„Besuch ist eingetroffen“, erzählt der Sprecher. „Ho-ho-hoher Besuch, denn kein geringerer als der Weihnachtsmann höchstpersönlich gibt sich die Ehre.“ Tatsache: Ein trauriger alter Mann mit Bart steht da. Er sagt unbewegt:

„Das Leben hält immer Überraschungen bereit. Und was eben noch dunkel und ausweglos erschien, dreht sich vielleicht im nächsten Moment. Heute feiert ihr den Heiligen Abend, wie ihr ihn noch nie gefeiert habt. Und nicht nur ihr feiert ihn anders, sondern eure Leute zuhause auch. Mit einer, einer Sicherheit könnt ihr natürlich hier bleiben: Sie denken an euch. Sie denken an euch.“

Seine Ansprache treibt mehreren Kandidaten die Tränen in die Augen, vielleicht aber nur aus Rührung.

Nur die Himmelsbewohner bekommen nun je ein Päckchen und persönliche Worte:

„Orhan, du bist impulsiv, hast sehr viel Energie, und manchmal weißt du gar nicht, wohin damit.“

„Sascha, ich weiß, dein Humor ist sehr speziell. Und du magst es manchmal, unbequem zu sein. Du bist du, konsequent und willensstark. Und das ist gut so.“

Bevor er geht, schlägt der Weihnachtsmann den leer ausgegangenen Höllenbewohnern vor, sich „mit dem kleinen Wörtchen Danke“ zu beschenken.

Endlich Bescherung. Zwei Wochen sind die Bewohner von zuhause weg, aber schon ein Bild der Liebsten reicht, dass sie völlig die Fassung verlieren. Einer nach dem anderen heult Schnotten und Rotz. Die anderen heulen aus Solidarität mit.

Sascha hat eine große Fahne bekommen:

„Super-Geschenk. Viele Leute haben unterschrieben. Hier haben viele Leute unterschrieben, die ich teilweise einmal im Jahr sehe oder bis jetzt auch nur einmal gesehen habe.“

Vermutlich hätte man ihm eine noch größere Freude gemacht, wenn noch Leute unterschrieben hätten, die er noch nie getroffen hat.


Cathy, aufgelöst, mit Geschenk. Screenshot: RTL 2

Cathy wird von „Big Brother“ vor die Wahl gestellt, ob sie ihre Geschenke von zuhause haben will oder stattdessen ihr Herzblatt Beni aus der Hölle zu sich holen. Cathy entscheidet sich für ihn. Beni sagt, sie darf das nicht tun. Cathy entscheidet sich für die Geschenke. Sie heult. Sie bekommt ein Foto von ihrer Schwester. „Sie was das wunderschönste Baby, das ich je gesehen habe“, erklärt Cathy den anderen fassungslos. „Ja, danke. Ich liebe euch. Und vermisse euch ganz doll. Frohe Weihnachten.“

Der Tisch ist festlich gedeckt für das Weihnachtsessen. Aber nur für die Bewohner des Himmels. Großer Aufruhr. Die Himmelsbewohner beschließen, wenn die anderen nichts kriegen, auch nichts zu essen. Das sind zwar eigentlich die Spielregeln, aber jetzt ist Weihnachten. Und Weihnachten ist, wie Madeleine sagt, „ein anderer Tag“.

Der Sprecher stabreimt etwas vom „Bankett-Boykott“ und „festlichem Fasten“:

„Mit den Herzen sind die Himmels-Bewohner ganz nah bei ihren höllischen Nachbarn; mit dem Magen… naja. (…) Lieber ein gutes Gewissen als ein festlicher Bissen. (…) Stullen-Nacht statt Stiller Nacht?“

Immerhin hat der Weihnachtsmann den Sascha glücklich gemacht.

„Die ersten Worte, wo alle gelacht haben, ob sie meinen Humor verstehen oder nicht: So bin ich, so bin ich auch draußen. Aber als er meinte, weisse was: Du bist dir treu. Was schöneres… klar: Brief wichtig, Fahne wichtig, aber dass du dir selber treu bist, das hat sonst keiner gehört. Weisse? Dieses Ding ist für mich das wichtigste, weisse?“

Es gibt dann noch ein paar Diskussionen, ob man sich nur normal küssen lassen muss, wenn man unter dem Mistelzweig durchgeht, oder auch mit Zunge, und dann ist Heiligabend vorbei im „Big Brother“-Haus. Am nächsten Tag wird „Big Brother“ die Grenzen zwischen den Bereichen aufheben, das gibt ein großes Hallo.

Komisch, dass das keiner sehen wollte.

Auch Fernsehshow-Anrufer haben Rechte – in Großbritannien

Die Briten haben eine erfrischend eindeutige Haltung zu Fernseh- und Radiosendungen, in denen das Publikum dazu aufgefordert wird, die ein oder andere kostenpflichtige Telefonnummer anzurufen: Wenn der Zuschauer Geld ausgibt, muss er auch etwas dafür bekommen. Eine tatsächliche Chance auf einen Gewinn, zum Beispiel. Oder die Möglichkeit, eine Wahl mit einer abgegebenen Stimme tatsächlich zu beeinflussen.

Es war keine böse Absicht, dass die BBC am vergangenen Wochenende gegen diese Regel verstieß und wieder einmal den Volkszorn provozierte. Es war reine Dusseligkeit. Und das ausgerechnet bei der seit Monaten unter größter Anteilnahme der Nation laufenden Show „Strictly Come Dancing“, die auf deutsch in Deutschland „Let’s Dance“ heißt und in der Prominente um die Wette tanzen. Heute Abend ist das große Finale – es werden weit über zehn Millionen Zuschauer erwartet.

Eigentlich hätte im Halbfinale am vergangenen Samstag eines von drei verbliebenen Paaren ausscheiden sollen. Die Wertungen von vier Juroren einerseits und die Abstimmung des Publikums andererseits bestimmen jeweils zur Hälfte die Platzierung der Kandidaten. Die beiden schlechteren Paare müssen in ein Duell, in dem dann die Jury alleine entscheidet.

Es ergab sich aber, dass die Jury zufällig zwei Paare punktgleich auf den ersten Platz gesetzt hatte. Das drittplatzierte Paar hatte aufgrund des Punktesystems keine Chance mehr, den ersten Platz zu erreichen und so vor dem entscheidenden Duell gerettet zu werden – ganz egal, wie das Publikum abgestimmt hätte. Entgegen der ununterbrochenen Aufrufe, für das eigene Lieblingspaar zu stimmen und es so vor dem Duell zu bewahren, war jede Stimme für die Drittplatzierten verschenkt.

Leider fiel das den Verantwortlichen erst auf, als die Abstimmung längst lief. Und leider gab es keine Regel, was in einem solchen Fall zu tun sei. Und so beschloss die BBC, die Abstimmung nach einer Stunde „einzufrieren“ und alle drei Paare ins Finale kommen zu lassen. Die bereits abgegebenen Stimmen sollen dann dort gelten.

Ein Anruf in der Sendung kostet nur vergleichsweise lächerliche 15 Pence (16 Cent), aber das Ausmaß an Empörung und Schiebung-Rufen war dennoch gewaltig. Es legte sich erst dann ein wenig, als die BBC öffentlich erklärte, all die Anrufer, die wirklich unglücklich seien über den veränderten Ablauf, könnten ihr Geld zurück bekommen – zunächst hatte die BBC genau das abgelehnt. Aber bei kostenpflichtigen Telefonspielen sind die Briten besonders sensibilisiert, seit herauskam, dass nicht nur Sender und Sendungen nach dem Vorbild von 9Live die Zuschauer in die Irre führten, sondern die Anrufer auch in großen Shows und sogar Benefiz-Galas getäuscht wurden. Die Aufsichtsbehörde Ofcom griff mit Strafen in Höhe von mehreren Millionen Euro durch. Noch in dieser Woche verhängte sie eine Geldbuße von rund 100.000 Euro, weil vorher aufgezeichnete Radiosendungen der BBC so taten, als könne man live anrufen.

Eine funktionierende Medienaufsicht aber ist in Deutschland ähnlich unvorstellbar wie die Art, in der sich ein BBC-Verantwortlicher in den BBC-Nachrichten unangenehme Fragen vom Moderator nach dem peinlichen Chaos bei „Strictly Come Dancing“ gefallen lassen musste (Video). Vor allem aber fehlt bei uns fast jedes Gefühl, dass mit dem Geld, das die Fernsehsender durch die teuren Anrufe einnehmen, eine Verpflichtung verbunden ist.

Als im vergangenen Jahr der Kandidat Max Buskohl die RTL-Casting-Show „Deutschland sucht den Superstar“ außer der Reihe verließ, behaupteten er und sein Vater hinterher, der Sender habe ihn überredet, nicht sofort zu gehen, sondern erst nach der nächsten Entscheidungsshow. So konnte RTL am Samstag durch die Telefonanrufe der Zuschauer noch Einnahmen in schätzungsweise sechsstelliger Höhe generieren – bevor am Sonntag klar wurde, dass all diese Anrufe bedeutungslos waren, weil Buskohl ging und deshalb der vom Publikum herausgewählte Kandidat bleiben durfte. Die zuständige Landesmedienanstalt sah sich nicht veranlasst, bei RTL überhaupt nachzufragen, was denn da los war, ein öffentlicher Aufschrei über den Betrug an den Zuschauern blieb aus. Vermutlich hätte man das Gelächter der RTL-Verantwortlichen durch die halbe Republik gehört, wenn einer der Anrufer versucht hätte, sein Geld zurück zu bekommen.