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Zeitungsverleger instrumentalisieren „Charlie Hebdo“-Anschlag für Kampf gegen Pegida

Diese Karikatur wird morgen als Teil einer Aktion des Zeitungsverlegerverbandes in vielen Zeitungen erscheinen:


Karikatur: Klaus Stuttmann; Quelle: BDZV

Ich halte sie für infam.

Der Vorwurf, der darin steckt, ist perfide und falsch. Er ist perfide, weil er Menschen, die friedlich demonstrieren, mit einem Verbrechen in Verbindung bringt, das sie nicht befürworten, nicht gutheißen und das nicht in ihrem Namen begangen worden ist. Und er ist falsch, weil die Zeitschrift „Charlie Hebdo“ aus Sicht der Pegida-Leute genau das Gegenteil dessen ist, was sie als „Lügenpresse“ beschimpfen.

Vielleicht sollte ich vorwegschicken: Ich habe keinerlei Sympathien für Pegida und die Ressentiments ihrer Anhänger. Ich halte, bei aller Kritik, die ich an Medien habe, die pauschale Verurteilung für falsch und den Begriff „Lügenpresse“ für inakzeptabel. (Und den Vorwurf von dieser Seite schon deshalb für grotesk, weil Blätter wie die „Bild“ den Pegida-Leuten in den vergangenen Jahren zuverlässig Treibstoff für ihre Paranoia geliefert haben.)

Aber.

Es ist idiotisch, so zu tun, als müssten sich die Pegida-Leute, die sich gerade über die Morde an den Karikaturisten von „Charlie Hebdo“ empören, dafür schrecklich verbiegen, weil sie doch eigentlich auch gegen die freie Presse seien, wie die islamistischen Attentäter. Denn aus Pegida-Sicht haben die „Charlie Hebdo“-Mitarbeiter dadurch, dass sie sich trauten, den Islam zu kritisieren — im grausamsten Sinne des Wortes: ohne Rücksicht auf Verluste — , genau das getan, was sie in den deutschen Medien vermissen und was einen erheblichen Teil des „Lügenpresse“-Vorwurfs ausmacht.

In dieser Sicht ist „Charlie Hebdo“ das Gegenteil von „Lügenpresse“; seine Mitarbeiter zahlten für ihren Mut, anders als die „Lügenpresse“ die Wahrheit zu sagen, mit dem Leben. Was nicht nur die Wut auf die Täter (und die Religion, auf die sie sich berufen) steigert, sondern auch auf die „Lügenpresse“.

Das ist nicht meine Sicht. Ich mache mir diese Argumentation auch nicht zu eigen. Aber sie hat eine innere Logik.

Äußerlich krankt die Logik natürlich daran, dass man „Charlie Hebdo“ dafür als ein islamkritisches Blatt wahrnehmen muss und nicht als ein Blatt, das sich an allen Religionen abarbeitete, an den Fanatikern, an den Mächtigen, an den Idioten — und nicht zuletzt an den Islamophoben und den Ausländerfeinden wie Marine Le Pen. „Charlie Hebdo“ ist ein Blatt, das den Pegida-Leuten nicht gefallen dürfte. Aber dadurch, dass es offenkundig einem islamistischen Attentat zum Opfer fiel, ist es leicht, sein Wesen fälschlicherweise auf die Verspottung des Islam zu reduzieren.

Es ist schon richtig: Man muss „Charlie Hebdo“ vor der nachträglichen Vereinnahmung durch Islamophobiker bewahren. Und man muss verhindern, dass die Morde der Terroristen in Paris von den Pegida-Leuten für ihre Agitation gegen Ausländer und Moslems instrumentalisiert werden.

Aber die Parallele, die die Karikatur zwischen den Worten der Pegida-Anhänger und den Taten des islamistischen Terroristen zieht, ist falsch. Und ihre Wirkung ist verheerend. Wiederum aus Sicht dieser Leute formuliert: Die deutsche „Lügenpresse“ ist nicht nur zu feige, die Wahrheit zu sagen. Sie erklärt sich nach den Attentaten sogar für solidarisch, wenn nicht identisch mit denen, die dafür nicht zu feige waren. Und erklärt stattdessen ihre Kritiker zu Komplizen der Täter.

Die Presse bestätigt aus Pegida-Sicht so, auf kaum zu übertreffende Weise, den Vorwurf von der „Lügenpresse“.

Und es kommt noch besser. Einer der Vorwürfe, die gegen die Medien erhoben werden, ist der der „Gleichschaltung“ — oder weniger problematisch formuliert: dass es in ihnen an Meinungsvielfalt mangele. Und die Zeitungen bringen nun, als Antwort darauf, gemeinsam in großer Zahl dieselbe infame Karikatur, für alle bereitgestellt vom Zeitungsverlegerverband BDZV? Und das ist klug?

Die Gemeinschaftsaktion besteht nicht nur aus der Zeichnung. Dazu gehört ein Text von Helmut Heinen, dem BDZV-Präsidenten. Er kommt daher wie einer von vielen Appellen, die man in diesen Tagen hören kann, die Meinungs- und Pressefreiheit zu verteidigen. Aber er nutzt die Tragödie von Paris in, wie ich finde, schamloser Weise, Eigen-PR für Zeitungen zu machen. Vermutlich ist es nur einem glücklichen Zufall zu verdanken, dass er die Morde nicht dafür nutzt, noch einmal an die Bedeutung des Leistungsschutzrechtes zu erinnern oder die Unverschämtheit zu betonen, dass der Mindestlohn auch für so etwas immanent Kostbares und Edles gelten soll wie das Austragen von Zeitungen.

Es ist ein Dokument der Selbstgerechtigkeit. Heinen klopft sich und den seinen auf die Schulter:

In herausragender Solidarität berichten freie Medien weltweit seit Tagen über dieses unmenschliche Verbrechen (…)

Herausragende Solidarität, was soll das sein? Inwiefern ist das eine journalistische Qualität? Und: Solidarität mit wem oder was? Vielleicht am Ende: mit sich selbst?

Die Medien und gerade auch die Zeitungen tragen durch Kommentare und Hintergrundberichte zur Reflexion über unsere zivilen Standards bei.

Gerade auch die Zeitungen!

Sie sind, mit allen Fehlern und Schwächen, mit ihren Stärken und Vorzügen, eine Errungenschaft unserer Demokratie, die wir stets aufs Neue verteidigen müssen. Das zeigt nicht nur der Anschlag auf „Charlie Hebdo“. Das zeigen auch Nazi-Schmierereien an den Wänden deutscher Verlagshäuser oder das dumpfe Verunglimpfen der „Lügenpresse“ durch die Pegida-Anhänger.

Ja, auch ich sehe in dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“ einen Anschlag auf die Presse- und Meinungsfreiheit insgesamt. Aber ich hätte davor zurückgeschreckt, von dem blutigen Gemetzel in Paris unmittelbar einen Bogen zu schlagen zu „Schmierereien“ und „Verunglimpfungen“, so lästig sie auch sein mögen. Ich glaube auch, dass es richtig ist, den Rufen von der „Lügenpresse“ etwas entgegenzusetzen, aber sie sind, so unerträglich sie sein mögen und so eindeutig ihr politischer Hintergrund ist, nicht dasselbe wie ein Mordanschlag. Einen anderen Eindruck zu erwecken, ist töricht und kontraproduktiv.

Es klingt, als würde Heinen das in diesen Tagen inflationär benutzte Bekenntnis „Je Suis Charlie“ nicht als Zeichen der Solidarität zu verstehen, sondern als wehleidiges: Ja, uns wird auch Unrecht getan, durch diese bösen Rufe auf Demonstrationen und das alles.

Die Zeitungsverleger instrumentalisieren das Attentat von Paris für ihren Kampf gegen Pegida. Ich möchte mich davon distanzieren.

[Offenlegung: Ich schreibe regelmäßig für die FAZ.]

Nachtrag, 23:45 Uhr. Der „Zollern-Alb-Kurier“ hat seinen Artikel mit der Karikatur gelöscht.

Korrektur, 10. Januar. Die „Welt“ hat sich nicht an der Aktion beteiligt, sondern Heinens Kommentar nur in einem kurzen Auszug dokumentiert.

Übrigens hat der BDZV noch eine Alternativ-Karikatur angeboten. Einige Blätter, wie die „Rhein-Zeitung“, haben diese statt der oben gezeigten abgedruckt.

Nachtrag, 11. Januar. Sehr lesenswert zum Thema:

Nachtrag, 12. Januar. Der Deutsche Journalisten-Verband DJV distanziert sich von der BDZV-Kampagne.

Google bekommt Vorzugsbehandlung von Axel Springer

Der Axel-Springer-Konzern diskriminiert kleinere Suchmaschinen und Aggregatoren. Das Unternehmen hat heute verkündet, Google die Erlaubnis gegeben zu haben, Ausschnitte aus den Inhalten sämtlicher Internetangebote des Unternehmens kostenlos in den Suchergebnissen anzuzeigen. Diese sogenannte „Gratis-Lizenz“ betrifft aber, wie mir der Verlag auf Anfrage mitteilte, ausschließlich Google. Andere, kleinere Anbieter müssen nach wie vor eine in der Regel kostenpflichtige Lizenz erwerben, wenn sie kurze „Snippets“ mit Textausschnitten anzeigen wollen, oder riskieren eine juristische Auseinandersetzung mit Springer oder der von Springer dominierten Verwertungsgesellschaft VG Media.

Anderen Anbietern erteile Springer keine kostenlose Lizenz, weil sie „keine marktbeherrschende Stellung haben“, erklärte eine Verlagssprecherin. „Aufgrund des geringen Marktanteils anderer sind wir nicht gezwungen, auch dort so vorzugehen.“

Ursprünglich hatten eine Reihe von Verlagen der Leistungsschutzrecht-Allianz für die Anzeige der „Snippets“ von Google Geld gefordert. Google reagierte darauf mit der Ankündigung, in den Ergebnislisten von solchen Angeboten nur noch die Überschrift zu zeigen, was auch nach dem neuen Presse-Leistungsschutzrecht unzweifelhaft kostenlos zulässig ist. Die meisten Verlage ruderten daraufhin zurück und erklärten, vorerst auf ihren vermeintlichen Anspruch auf Bezahlung zu verzichten.

Nur Springer gab für einen Teil seiner Online-Angebote zunächst keine solche Verzichtserklärung ab. In der Folge brach die Zahl der Zugriffe auf diese Seiten nach Angaben von Springer über die Google-Suche um 40 Prozent ein. Auf Dauer hätte das jährliche Umsatzeinbußen in Millionhöhe pro Marke bedeutet.

Nun darf Google diese kostenlose Leistung, die für die Springer-Angebote extrem wertvoll ist, wieder erbringen. Springer verzichtet also darauf, Geld von einem Unternehmen dafür zu verlangen, dass es ihm einen wesentlichen Teil seines Umsatzes beschert.

Der Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner kommentierte das in einer Telefonkonferenz, die aus seinem Paralleluniversum übertragen wurde, mit den Worten:

„Das ist vielleicht der erfolgreichste Misserfolg, den wir je hatten. So traurig es ist, aber wir wissen jetzt sehr präzise, wie massiv die Folgen der Diskriminierung sind, wie sich die Marktmacht von Google tatsächlich auswirkt und wie Google jeden bestraft, der ein Recht wahrnimmt, das der Deutsche Bundestag ihm eingeräumt hat.

Der Deutsche Bundestag hat den Verlagen tatsächlich das Recht eingeräumt, für kleinere Textausschnitte von Suchmaschinen Geld zu verlangen. Es hat nach allgemeiner Rechtsauffassung Suchmaschinen aber nicht dazu verpflichtet, diese Textausschnitte auch anzuzeigen, wenn sie kostenpflichtig sind.

Dadurch dass Springer und andere Verlage ausschließlich Google eine Gratis-Lizenz erteilt haben, werden andere Suchmaschinen und Aggregatoren benachteiligt. Sie müssten aufgrund dieser Diskriminierung entweder Geld an die Verlage zahlen oder, anders als Google, darauf verzichten, das Angebot deutscher Verleger-Medien ohne Einschränkungen in ihren Suchergebnissen anzuzeigen. Der Axel-Springer-Konzern trägt somit seinen Teil dazu bei, die Marktmacht von Google, die er beklagt, weiter zu vergrößern.

Nachtrag, 9. November. Christoph Keese, Außenminister bei Springer und der wichtigste Vater des Leistungsschutzrechtes, erwidert in seinem Blog:

(…) Die VG Media kann den kleineren Suchmaschinen gar keine Gratislizenzen einräumen, denn sie ist gesetzlich dazu verpflichtet, den genehmigten Tarif durchzusetzen. Nach dem Tarif — aber nur nach ihm! — muss sie alle Marktteilnehmer gleich behandeln. Es besteht Kontrahierungspflicht.

Die Gratislizenz an Google wurde jedoch gegen den Willen der VG Media und der Verlage erteilt — wegen des missbräuchlichen Drucks des Marktbeherrschers. Sie ist das Ergebnis einer Nötigung.

Kleinere Suchmaschinen sind aber keine Marktbeherrscher. Folglich können sie Verlage und VG Media nicht nötigen. Ohne Nötigung aber darf die VG Media nur auf Basis des staatlich genehmigten Tarifs gleichbehandeln. Mithin ist eine Gratislizenz an die kleineren Suchmaschinen nicht möglich. (…)

Verlage empört: Jetzt will Google nicht mal mehr ihr Recht verletzen!

Lassen wir uns die Sache mit dem Leistungsschutzrecht sicherheitshalber von den Leuten erklären, die sich damit auskennen müssen, weil sie es sich ausgedacht haben: die Presseverleger. Im Januar 2013 veröffentlichten die Verbände der Zeitungs- und Zeitschriftenverlage, BDZV und VDZ, eine gemeinsame Broschüre mit 17 Fragen und Antworten zu dem von ihnen geforderten Leistungsschutzrecht.

Unter Punkt 7 heißt es darin:

Es ist wichtig, die Position der Verlage im Detail zu verstehen: Sie sind für freie Links, auch Überschriften können frei verwendet werden. Doch das Kopieren von Textauszügen oder ganzer Beiträge sollte nicht ohne vorheriges Nachfragen beim Verlag möglich sein. Es ist nur fair, dass etwa Aggregatoren eine Lizenz brauchen, um ihre auf fremden Inhalten basierenden Geschäftsmodelle zu realisieren. Das Leistungsschutzrecht trägt dazu bei, dieses Prinzip durchzusetzen: Wer nutzen will, muss vorher fragen.

Unter Punkt 10 steht:

Wenn […] Suchmaschinen und Aggregatoren wünschen, Auszüge aus Artikeln oder ganze Texte anzuzeigen, müssen sie den Verlag in Zukunft vorher fragen. […] Wenn zwei Partner nicht zueinanderfinden, entstehen Chancen für Konkurrenten.

Wer nutzen will, muss vorher fragen. Ob das im konkreten Fall sinnvoll ist, darüber kann man streiten, aber die Logik war nachvollziehbar.

Genau genommen ist die Forderung einer Reihe von Verlage unter der Führung von Axel Springer, die sich in der VG Media zusammengeschlossen haben, aber natürlich eine andere: Wer nutzen will, muss zahlen.

Das wäre die Antwort, die ein Unternehmen wie Google bekäme, wenn es fragte. Google will aber nicht zahlen. Und hat deshalb — bei seiner Websuche — auch nicht gefragt. Die VG Media hat Google daraufhin verklagt.

So weit, so konsequent.

Aber konsequent ist auch die Reaktion von Google: Der Konzern hat heute bekannt gegeben, von kommender Woche an von den Suchergebnissen der VG-Media-Verlage nur noch das anzuzeigen, wofür keine Genehmigung notwendig ist: die Überschrift und der Link.

Der Schritt von Google ist womöglich rechtlich notwendig, ganz sicher aber geschickt. Das Unternehmen listet die Angebote der Leistungsschutz-Allianz nicht aus, was angesichts der marktbeherrschenden Stellung womöglich heikel wäre. Aber es zeigt nur das an, was unbestritten nicht gegen das Leistungsschutzrecht verstößt.

Die Verlage hätten so mit dem von ihnen heftig herbeilobbyierten Gesetz erreicht, dass ihre Seiten in den Suchergebnissen weniger attraktiv erscheinen und mutmaßlich weniger geklickt werden. Glückwünsche bitte direkt an Christoph Keese, Mr. Leistungsschutzrecht bei Axel Springer.

Das war aber natürlich nicht das Ziel, und so formuliert die VG Media eine wütende Pressemitteilung mit dem irren Titel: „Google erpresst Rechteinhaber“.

Die VG Media wirft Google vor, diejenigen Verleger zu „diskriminieren“, die von Google für die Anzeige ihrer Inhalte Geld wollen, und zwar dadurch, dass es deren Inhalte nur noch in der kostenlos erlaubten Form anzeigt. Die „Erpressung“ besteht aus VG-Media-Sicht darin, dass Google auf diese Weise „die Zustimmung der Verleger zu einer unentgeltlichen Nutzung der Inhalte erzwingen“ will.

Noch einmal zum Mitdenken: Die Verlage haben sich zuerst darüber beklagt, dass Google ihre Inhalte (angeblich) rechtswidrig nutzt. Nun beklagen sie sich darüber, dass Google ihre Inhalte nicht mehr rechtswidrig nutzt.

Man kann den Irrsinn kaum noch angemessen kommentieren.

Zum Stichwort „Erpressung“ fiele mir jetzt eher eine Gruppe von Verlagen ein, die andere Unternehmen dazu zwingen will, ihre Inhalte (zu deren Vorteil) anzuzeigen und ihnen dafür auch noch Geld zu geben.

Der harmlosen Logik „Wer nutzen will, muss vorher fragen“ aus der PR-Broschüre der Verlage steht in Wirklichkeit die Forderung gegenüber: „Google muss nutzen und zahlen.“

Nun ist es aber so, dass das neue Leistungsschutzrecht gar keinen Vergütungsanspruch festlegt, sondern nur einen Unterlassungsanspruch. Es stellt fest, dass der Presseverleger „das ausschließliche Recht“ hat, „das Presseerzeugnis oder Teile hiervon zu gewerblichen Zwecken öffentlich zugänglich zu machen, es sei denn, es handelt sich um einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte“. Er kann dieses Recht aber übertragen.

Das Unternehmen Google hat den VG-Media-Verlagen heute de facto erklärt, dass sie ihr Recht gern behalten können.

Wer nutzen will, muss vorher fragen. Wer nicht fragen will, nutzt nicht.

Leistungsschutz­recht wirkt: Mehrere Suchmaschinen zeigen Verlagsseiten nicht mehr an

Wer die Internetsuche von web.de, GMX oder T-Online nutzt, bekommt keine Ergebnisse mehr von „Bild“, „Welt“, „Hannoversche Allgemeine“, „Berliner Zeitung“ und zahlreichen weiteren Online-Angeboten von Zeitungen angezeigt. Die drei Portale haben jene Verlage, die in der VG Media organisiert sind, um Ansprüche aus dem neuen Presse-Leistungsschutzrecht geltend zu machen, ausgelistet.


Betroffen sind unter anderem folgende Seiten:

  • haz.de
  • welt.de
  • bild.de
  • abendblatt.de
  • mopo.de
  • morgenpost.de
  • ksta.de
  • express.de
  • derwesten.de
  • rp-online.de
  • merkur-online.de
  • tz.de
  • waz-online.de
  • goettinger-tageblatt.de
  • op-marburg.de
  • ln-online.de
  • lvz-online.de
  • dnn-online.de
  • shz.de
  • augsburger-allgemeine.de
  • oz-online.de
  • bunte.de
  • berliner-zeitung.de

Inhalte anderer Verlage, die nicht Geld für die Anzeige kurzer Ausschnitte ihrer Inhalte in Suchmaschinen oder Aggregatoren verlangen, werden nach wie vor angezeigt. Nach Angaben des Unternehmens 1&1, zu dem GMX und web.de gehören, wurden alle digitalen verlegerischen Angebote, die die VG Media als Wahrnehmungsberechtigte ausweist, zum 1. August 2014 bis auf weiteres ausgelistet. Anfang Juli hatte die VG Media bekannt gegeben, unter anderem 1&1 auf „Zahlung einer angemessenen Vergütung für die Verwertung der Presseleistungsschutzrechte der Verleger“ verklagt zu haben.

1&1-Sprecher Jörg Fries-Lammert begründet die Auslistung auf Nachfrage so:

Die VG Media macht für die von ihr vertretenen Presseverleger Ansprüche nach dem sog. Leistungsschutzrecht geltend. Im Kern geht es unter anderem darum, ab welcher Textlänge und von wem Presseverleger eine Vergütung für die öffentliche Zugänglichmachung von Presseerzeugnissen verlangen können. Wir sind überzeugt, dass diese Forderungen unbegründet sind. Lediglich vorsorglich haben wir uns entschlossen, hiervon betroffene Angebote auszulisten. Nutzereffekte waren bisher nicht feststellbar.

Der Schritt der Suchmaschinen ist konsequent: Schließlich untersagt das neue Leistungsschutzrecht, das die Verlage unter Führung des Axel-Springer-Verlages und seines Strategen Christoph Keese erkämpft haben, die ungenehmigte Anzeige von Ausschnitten ihrer Inhalte. Ob die sogenannten „Snippets“ in den Ergebnissen von Suchmaschinen davon betroffen sind, ist umstritten — die in der VG Media organisierten Verlage meinen Ja.

Insofern können sie sich also freuen, dass ihre Inhalte nicht mehr von GMX, web.de und T-Online genutzt werden und kein Nutzer dieser Angebote mehr zu ihren Seiten geführt wird.

Die Bedeutung dieser drei Angebote ist nicht groß; der Rückgang des Traffics dürfte für die betroffenen Seiten nur minimal sein. Andere Suchmaschinen wie Yahoo und Bing scheinen die Verlage der Leistungsschutzallianz bislang nicht ausgelistet zu haben.

Dadurch dass GMX, web.de und T-Online anders als Google nicht den Markt dominieren, haben die Verlage keine Handhabe, gegen die Auslistung vorzugehen. Im Fall von Google würden sie einen solchen Schritt als Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung interpretieren und versuchen, dagegen juristisch vorzugehen. Die Suchmaschine von Google soll die Verlags-Inhalte, die sie nicht anzeigen darf, anzeigen müssen — und dafür zahlen.

GMX, web.de und T-Online weisen ihre Nutzer nicht darauf hin, dass ihnen bestimmte Seiten bei der Suche nicht mehr angezeigt werden. Es scheint bislang auch niemandem groß aufgefallen zu sein, was den Verlagen, die ihre wertvollen und nun durch ein eigenes Leistungsschutzrecht geschützten Inhalte für unverzichtbar für eine Suchmaschine halten, zu denken geben könnte.

Nachtrag, 15.45 Uhr. Jetzt habe ich auch eine Antwort der Telekom zur Auslistung der Verlagsseiten auf t-online.de bekommen:

Die VG Media und die Deutsche Telekom haben sich in der letzten Zeit über die Lizenzierung der Leistungsschutzrechte von denjenigen Presseverlegern ausgetauscht, die von der VG Media vertreten werden. Man konnte sich allerdings nicht einigen. Die Deutsche Telekom hat sich daher — bis auf Weiteres — entschlossen, ab Ende Juli 2014 die entsprechenden Suchergebnisse auf ihren Portalen so darstellen zu lassen, dass sie eindeutig nicht unter das Leistungsschutzrecht für Presseerzeugnisse der von der VG Media vertretenen Presseverlage fallen.

Mutmaßungen über Google: Kartellamt lässt Madsack und VG Media blöd aussehen

FAZ.net berichtet, dass das Bundeskartellamt eine Beschwerde deutscher Zeitungsverlage gegen Google in Sachen Leistungsschutzrecht scharf zurückgewiesen gewiesen habe. In einem Brief der Behörde heiße es: „Die Anknüpfungspunkte für ein eventuell kartellrechtsrelevantes Verhalten von Google beruhen teilweise nur auf Mutmaßungen. Das eigentliche Beschwerdeziel bleibt unklar.“ Kartellamtspräsident Andreas Mundt sagte: „Erforderlich für die Einleitung eines Missbrauchsverfahrens ist stets ein hinreichender Anfangsverdacht. Die Beschwerde der VG Media konnte diesen nicht begründen.“ Die Vorwürfe der VG Media knüpften nicht an ein konkretes Verhalten von Google an.

Das erinnert mich daran, dass ich hier seit Wochen einen fertigen Eintrag zum Thema ungebloggt herumliegen habe. Es ist die Fortsetzung dieses Eintrags, in dem ich der VG Media vorgeworfen hatte, den Bundestag in eben dieser Sache zu desinformieren.

Das passt heute ganz gut:

Die Madsack-Mediengruppe macht Google öffentlich unhaltbare Vorwürfe, möchte Nachfragen dazu aber nicht beantworten.

Thomas Düffert, der Vorsitzende der Geschäftsführung, hatte im Juni begründet, warum sich sein Verlag („Hannoversche Allgemeine Zeitung“, „Leipziger Volkszeitung“, „Lübecker Nachrichten“) zusammen mit elf anderen und der Verwertungsgesellschaft VG Media beim Bundeskartellamt über den Suchmaschinenkonzern beschwert habe:

„Madsack hat im vergangenen Jahr von Google eine schriftliche Aufforderung erhalten, auf die Durchsetzung unseres soeben durch den deutschen Gesetzgeber gewährten Presseleistungsschutzrechtes ganz zu verzichten und zu erklären, keine Vergütungsansprüche gegen Google geltend zu machen. Andernfalls würde Google, als deutschland- und weltweit größter Betreiber von Suchmaschinen, unsere digitalen verlegerischen Angebote auslisten. Für uns ist diese Drohung eindeutig ein Marktmissbrauch, denn bei einem Fast-Monopolisten wie Google ausgelistet zu werden und damit nicht mehr sichtbar zu sein, hat weitreichende Folgen.

Ich habe der Madsack-Pressestelle dann folgende Fragen gestellt:

Können Sie mir sagen, wann und in welcher Form Google Madsack damit gedroht hat, die Angebote aus seiner Suchmaschine auszulisten?

Im Zusammenhang mit dem Leistungsschutzrecht hat Google im Sommer 2013 angekündigt, Angebote, die keine entsprechende Einverständniserklärung abgeben, aus „Google News“ herauszunehmen, nicht aber aus der Suchmaschine. Bezieht sich die Aussage von Herrn Düffert darauf? Oder gab es weitere „Drohungen“ von Google?

Hat „Google News“ nach Ansicht von Madsack eine marktbeherrschende Stellung im Bereich der Nachrichtenaggregatoren?

Die Pressesprecherin sagte mir zu, sich „schnellstmöglich“ zu melden, tat das dann aber gar nicht mehr. Auf Nachfrage erklärte sie, sie hätte meine Anfrage an die VG Media weitergegeben. Auf erneute Nachfrage sagte sie, Madsack werde sich nicht dazu äußern.

Einer der großen Regionalzeitungsverlage, „ein Garant der Meinungsbildung und damit für die Demokratie in Deutschland“ (O-Ton Düffert) behauptet lautstark, von Google quasi erpresst worden zu sein, möchte aber nicht sagen, wann und in welcher Form das geschah.

Es könnte natürlich damit zu tun haben, dass Google, wie gesagt, gar nicht mit einer solchen Auslistung aus der Suche gedroht habe, sondern es bei dem Vorgang im Sommer 2013 ausschließlich um den Nachrichtenaggregator „Google News“ ging.

Aber tatsächlich, immerhin, bekam ich dann doch noch eine Antwort von der VG Media, jener Organisation, die für Madsack, Springer und mehrere weitere Verlage versucht, aus dem neuen Leistungsschutzrecht Erlöse zu erzielen. Die VG Media hatte im Juli Bundestagsabgeordnete und Vertreter mehrerer Bundesministerien zu einer Informationsveranstaltung eingeladen und dabei ebenfalls behauptet, dass Google den Verlagen im vergangenen Jahr mit einer Auslistung aus der Suche gedroht habe. Auf meine Bitte um eine Erklärung antwortete die VG Media nach nur zwei Nachfragen:

Das Leistungsschutzrecht spricht von Suchmaschinen und anderen kommerziellen Diensten, die Inhalte entsprechend einer Suchmaschine aufbereiten. Im Gesetzestext ist der zentrale Satz so formuliert: „Zulässig ist die öffentliche Zugänglichmachung von Presseerzeugnissen oder Teilen hiervon, soweit sie nicht durch gewerbliche Anbieter von Suchmaschinen oder gewerbliche Anbieter von Diensten erfolgt, die Inhalte entsprechend aufbereiten.“ Deswegen ist keineswegs nur Google News betroffen, sondern auch Google Search, Google Bilder und jede andere Form von Suche und Aggregation, die mehr umfasst, als einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte.

Das mag sein. Die Einverständniserklärung, die Google im vergangenen Jahr forderte und die die VG Media für einen Missbrauch der Marktmacht Googles hält, bezog sich allerdings ausschließlich auf „Google News“.

Die VG Media weiter:

Außer Google weiß niemand, mit welchen Mechanismen die verschiedenen Google-Dienste miteinander verknüpft sind. Die VG Media hat deutliche Hinweise darauf, dass die Auslistung aus Google-News auch Auswirkungen auf die Auffindbarkeit in der Suchmaschine hat. Google verschweigt die Auswirkungen, die die angedrohte Auslistung von „Google News“ auf die anderen Google-Dienste hat, insbesondere auch auf die allgemeine Google-Suche.

Ich hatte im Juli, als ich die Antwort bekam, auch schon den Verdacht, dass es sich bei den „deutlichen Hinweisen“ um bloße Mutmaßungen handelt. Und selbst wenn nicht, hätte das nichts mit dem Vorwurf zu tun, den die VG Media und Verlage wie Madsack gegen Google erhoben haben, nämlich mit einer Auslistung aus der Suche zu drohen.

Irgendwie bin ich nicht überrascht über die Klatsche des Kartellamts für diesen Verein.

Nachtrag, 18:50 Uhr. Die VG Media bezeichnet die Meldung von FAZ.net sprachlich originell als „sachlich unzureichende Darstellung und Bewertung“ des Sachverhaltes.

iRights.info dokumentiert das Schreiben des Kartellamtes im Original und kommentiert es.

 

Was Google News von Rudi Völler unterscheidet

Die Verlage der Leistungsschutzrecht-Allianz behaupten, Google habe ihnen mit Auslistung aus der Suchmaschine gedroht. In Wahrheit tauchen selbst die Angebote, die die Einverständniserklärung für die kostenlose Nutzung bei „Google News“ nicht abgegeben haben, noch in der Nachrichtensuche des Konzerns auf.

Die „Rhein-Zeitung“ zum Beispiel hat sich im vergangenen Jahr entschieden, „Google News“ die kostenlose Auswertung ihrer Inhalte nicht zu gestatten. Trotzdem werden bei der News-Suche Artikel aus der „Rhein-Zeitung“ angezeigt:

Das liegt daran, dass Google zwischen der Nachrichtensuche und dem Nachrichtenaggregator „Google News“ unterscheidet.

Der Aggregator stellt aus verschiedenen Quellen und zu selbst wählbaren Themen einen Nachrichtenüberblick zusammen. Die Textanrisse („Snippets“) sind länger als in der normalen Google-Suche, und es handelt sich immer um die Anfänge der Artikel, nicht die Stelle, an der ein bestimmter Suchbegriff vorkommt.

In dieser Darstellung kommen Artikel der „Rhein-Zeitung“ nach Angaben von Google keinesfalls mehr vor.

Sobald der Nutzer aber oben in das Fenster einen Suchbegriff eingibt, verlässt er für Google die Logik eines Aggregators und wechselt in die Such-Logik. Über den angezeigten Ergebnissen steht zwar immer noch „News“, aber die Snippets sind kürzer und zeigen einen Artikelausschnitt rund um den gesuchten Begriff. Google ist der Meinung, für diese Anzeige keine besondere Einwilligung der Verlage zu benötigen, weil die Ausrisse kurz genug seien, um nicht unter das neue Presse-Leistungsschutzrecht zu fallen.

Die Einverständniserklärung, die Google im vergangenen Sommer von den Verlagen verlangte, um ihre Inhalte weiter (unentgeltlich) bei „Google News“ anzuzeigen, bezieht das Unternehmen ausschließlich auf den Nachrichtenaggregator, nicht auf die Suche.

Das ging aus dem damaligen Schreiben von „Google News“ keineswegs hervor, und die Unterscheidung ist auch für den Nutzer nicht offensichtlich. Die „Rhein-Zeitung“ klagt entsprechend auch darüber, dass das Verhalten von Google intransparent und unberechenbar sei: „Nach unserem Eindruck ändert Google News immer mal wieder seine Art und Weise, wie es unsere Nachrichten mal bereitstellt und mal nicht — und das ohne unser Zutun“, sagt Chefredakteur Christian Lindner. „Derzeit sind bei Google News wieder mehr unserer Nachrichten als früher zu finden — ohne dass wir etwas geändert oder dem zugestimmt haben.“

So undurchsichtig das Verhalten von Google ist: Es deutet nichts darauf hin, dass der Vorwurf stimmt, dass Angebote, die die Nutzung ihrer Inhalte bei „Google News“ abgelehnt haben, in irgendeiner Weise von Auslistung bei der Google-Suche bedroht wären. Im Gegenteil: Sie tauchen selbst in den aufmerksamkeitsstarken (und mutmaßlich viel geklickten) News-Kästen in der normalen Google-Suche auf:

E-Mail von Google News

E-Mail von Google News an Publisher vom 21. Juni 2013:

Neues vom Google News-Team – Aktion erforderlich

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,

wir möchten Sie auf diesem Wege über eine kleine, aber wichtige Veränderung unseres Dienstes Google News informieren.

Wie Sie vermutlich wissen, ändert sich zum 1. August die Rechtslage für Presseverlage im Internet. Von da an bietet das neue Leistungsschutzrecht deutschen Presseverlegern ein exklusives Recht, ihre Inhalte öffentlich im Internet verfügbar zu machen. Es gab bereits eine langwierige und komplexe Debatte rund um das neue Gesetz. Trotzdem bestehen weiterhin erhebliche Unsicherheiten zu dessen Umsetzung und juristischen Konsequenzen.

Wir sind nach eingehender Prüfung davon überzeugt, dass unser Dienst Google News mit dem Leistungsschutzrecht im Einklang steht. Dennoch möchten wir vor dem Hintergrund der Diskussion sichergehen, dass Sie weiterhin mit der Aufnahme der Inhalte Ihrer Website in Google News einverstanden sind. Wir führen deshalb am 21. Juni für unsere Verlagspartner eine neue Bestätigungserklärung ein. Diese gibt Verlagen und Webpublishern in Deutschland eine zusätzliche Möglichkeit, zu entscheiden, ob ihre Inhalte in Google News angezeigt werden sollen oder nicht.

Bitte klicken Sie hier, um zu dem neuen Tool weitergeleitet zu werden. Dort können Sie (mit wenigen Klicks) Ihre Bestätigungserklärung hinterlegen, damit Inhalte Ihrer Website (auch weiterhin) in Google News aufgenommen werden dürfen. Sie können Ihre Entscheidung natürlich jederzeit wieder ändern. Wenn Sie bis zum 1. August keine Bestätigungserklärung bei uns hinterlegen, werden Ihre Inhalte ab diesem Datum nicht mehr in Google News angezeigt.

Bitte beachten Sie, dass Sie sich mithilfe der Webmaster Tools als Websitebetreiber verifiziert haben müssen, falls Sie das noch nicht getan haben.

Zusätzliche technische Informationen finden Sie hier. Weitere Informationen zum Hintergrund dieser Änderung in Google News können Sie unter folgendem Link einsehen.

Wir würden uns sehr freuen, wenn Ihr Haus seine Inhalte auch weiterhin über Google News einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen würde. Wenn Sie sich mit uns in Verbindung setzen möchten, verwenden Sie bitte das Kontaktformular in der Google News-Hilfe.

Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Google News-Team

Wie „Bild“ versucht, „Focus Online“ in die Bezahlschranken zu weisen

Eine tolle Sache, dieser Streit zwischen „Bild“ und „Focus Online“. Seit Wochen schon kann man auf Twitter eine größere Zahl von Wut-Rülpsern von „Bild“-Leuten vernehmen. Sie ärgern sich schwarz, dass „Focus Online“ mit großer Konsequenz ihre exklusiven und für die Leser kostenpflichtigen „Bild plus“-Geschichten übernimmt und gratis anbietet.

Gestern hat sich Bild.de-Chef Julian Reichelt dann in den Branchendienst turi2 übergeben. Er bezichtigt den „Focus Online“-Chef Daniel Steil des Diebstahls und der Hehlerei. Steil hat früher in leitender Position bei „Bild“ gearbeitet, weshalb Reichelt ihm nachtrauert: „Er ist auf die dunkle Seite gewechselt.“ (Reichelt meint vermutlich: auf die andere dunkle Seite.)

Die „Bild“-Zeitung ist übrigens das Blatt, das vor drei Jahren 60.000 Euro Schadensersatz an die Zeitschrift „Lettre International“ zahlen musste, weil es ohne Genehmigung lange Passagen aus einem Interview mit Thilo Sarrazin abgedruckt hatte, aber das nur am Rande.

Um die Aufregung der „Bild“-Leute zu verstehen, muss man sich ansehen, wie hemmungslos „Focus Online“ die fremden Inhalte ausschlachtet. Nehmen wir den gestern veröffentlichten „Focus Online“-Artikel „TV-Moderatorin streitet versuchten Mord ab“. Er beruht auf zwei „Bild plus“-Artikeln („Staatsanwalt ermittelt gegen ‚Big Brother‘-Star“, „Jetzt spricht das Unfall-Opfer“). Ich habe dem kompletten „Focus Online“-Artikel mal die entsprechenden Original-Passagen gegenüber gestellt:

„Focus Online“

„Bild“

Der Unfall liegt schon eine Weile zurück, doch für einen Lastwagenfahrer hatte er schreckliche Folgen: Der 47-Jährige erlitt lebensgefährliche Verletzungen an der Halswirbelsäule und den Beinen. Zudem wurde er von den bleibenden Schäden berufsunfähig. Was ist passiert? Wie konnte das geschehen? Die Polizei ermittelte und glaubt nun die Täterin gefunden zu haben. Nach einem Bericht der „Bild“-Zeitung, soll es sich um eine TV-Moderatorin handeln. Demnach soll die 32-Jährige nicht nur die Verursacherin des tragischen Autounfalls zu sein, sondern auch Fahrerflucht und einen Vertuschungsversuch begangen haben.

Der Unfall ist fast ein Jahr her.

Der Lkw-Fahrer kam mit lebensgefährlichen Verletzungen an der Halswirbelsäule und an den Beinen ins Krankenhaus.

Jetzt will die Polizei die kaltblütige Unfall-Fahrerin ermittelt haben!
Nach BILD-Informationen soll es sich um die TV-Moderatorin und „Big Brother“-Star […] handeln.

Der Unfall ereignete sich am 26. Juli 2013. An diesem Morgen war ein Lkw-Fahrer kurz vor sechs Uhr früh dabei, seinen Lastwagen an einer Straße im Berliner Stadtteil Altglienicke zu überprüfen. Damals sei der 47-Jährige von einem unbekannten Fahrzeug erfasst worden, berichtet ein Polizeisprecher „Bild“ gegenüber. Der Autofahrer flüchtete jedoch und ließ den schwerverletzen Mann auf der Fahrbahn liegen.

Es war in den Morgenstunden des 26. Juli 2013. Der Lkw-Fahrer (47) war kurz vor 6 Uhr dabei, seinen Lastwagen an der Straße Am Falkenberg im Berliner Stadtteil Altglienicke fahrbereit zu machen.

Ein Polizeisprecher: „Der 47-Jährige wurde von einem damals unbekannten Fahrzeug erfasst. Der Autofahrer flüchtete und ließ den schwerverletzen Mann auf der Fahrbahn liegen.“

„Als ich aufgewacht bin, konnte ich mich nicht mal mehr an meinen Namen erinnern“, erzählte der Mann jetzt der „Bild“-Zeitung. Er müsse immer noch fünf Mal in der Woche zur Reha und Schmerzmittel nehmen. „Ich kann heute mit meinen Wunden leben. Aber kann das der Täter mit seinem schlechten Gewissen?“

Der LKW-Fahrer zu BILD: „Als ich aufgewacht bin, konnte ich mich nicht mal mehr an meinen Namen erinnern.“ Sein rechtes Bein war 18-mal gebrochen. Bis heute muss er fünfmal wöchentlich zur Reha, dreimal täglich Schmerzmittel nehmen. Die nächste OP steht im Herbst an. Er sagt: „Ich kann heute mit meinen Wunden leben. Aber kann das der Täter mit seinem schlechten Gewissen?“

Ähnlich äußert sich ein Polizeisprecher. „Die Behandlungen dauern bis heute an. Zudem ist von bleibenden Schäden und Berufsunfähigkeit infolge des Tatgeschehens auszugehen“, sagte er dem Blatt. „Der Fahrer hatte das Opfer mit lebensgefährlichen Verletzungen seinem Schicksal überlassen.“ Der Unfallort sei eine wenig befahrene Straße. Deshalb werde wegen versuchten Mordes ermittelt.

„Die Behandlungen dauern bis heute an. Zudem ist von bleibenden Schäden und Berufsunfähigkeit infolge des Tatgeschehens auszugehen“, sagt der Polizeisprecher.

Der Unfallort ist eine wenig befahrene Straße. „Der Fahrer hatte das Opfer mit lebensgefährlichen Verletzungen seinem Schicksal überlassen“, sagt der Polizeisprecher.

Deshalb wird wegen versuchten Mordes ermittelt.

Den Informationen von „Bild“ zufolge sei es Kriminaltechnikern erst mehrere Monate nach dem dramatischen Unfall geglückt, das Fahrzeugmodell zu bestimmen. Laut einem Beamten sei ein Fahrzeug in den Fokus der Ermittlungen geraten, das zwei Tage nach der Tat in Sachsen als gestohlen gemeldet worden war. „Der Wagen wurde wenig später in Polen mit Unfallspuren sichergestellt und steht im Ergebnis der kriminaltechnischen Untersuchungen als unfallverursachendes Fahrzeug zweifelsfrei fest“, erklärte ein Polizeisprecher.

Monate nach dem Horror-Crash gelang es den Kriminaltechnikern, das Fahrzeugmodell zu bestimmen.

Der Beamte: „Es geriet ein Fahrzeug in den Fokus der Ermittlungen, was zwei Tage nach der Tat in Sachsen als gestohlen gemeldet worden war.“

„Der Wagen wurde wenig später in Polen mit Unfallspuren sichergestellt und steht im Ergebnis der kriminaltechnischen Untersuchungen als unfallverursachendes Fahrzeug zweifelsfrei fest“, sagt der Polizeisprecher.

Der Mercedes konnte schließlich einer deutschen Fersehmoderatorin zugeordnet werden. Mittlerweile geht die Staatsanwaltschaft nach Informationen der „Bild“-Zeitung davon aus, dass der angezeigte Diebstahl als „ein Versuch des Vertuschens der Unfallbeteiligung“ zu werten ist. Deshalb werde gegen […] nun wegen versuchten Mordes ermittelt. Auch ihr 41 Jahre alter Verlobter geriet angeblich ins Visier der Polizisten. Er soll dem Ex-„Big-Brother“-Star geholfen haben, das Unfallauto nach der Tat aus dem Land nach Polen zu schmuggeln. Gegen ihn werde wegen Betruges zum Nachteil einer Versicherung und Vortäuschen einer Straftat ermittelt.

Es ist der Mercedes der TV-Moderatorin […]!

Die Staatsanwaltschaft geht mittlerweile davon aus, dass der angezeigte Diebstahl als „ein Versuch des Vertuschens der Unfallbeteiligung“ zu werten ist.

Deshalb wird gegen […] jetzt wegen versuchten Mordes – und gegen ihren Verlobten (41) wegen Betruges zum Nachteil einer Versicherung und Vortäuschen einer Straftat ermittelt.

Ihr Verlobter soll […] geholfen haben, dass Unfallauto nach der Tat nach Polen zu bringen.

Die TV-Moderatorin dementiert den Verdacht. Sie äußerte sich gegenüber „Bild“: „Wir waren das nicht. Wir haben damit nichts zu tun. Ich habe zu diesem Zeitpunkt gearbeitet.“ Ein Ermittler aber glaubt die Wahrheit zu kennen: „In den Vernehmungen zeigt sie sich eiskalt und ohne Anflug von Reue“, zitiert ihn „Bild“.

Die TV-Moderatorin am Dienstag zu BILD: „Wir waren das nicht. Wir haben damit nichts zu tun. Ich habe zu diesem Zeitpunkt gearbeitet.“

Ein Ermittler zu BILD: „In den Vernehmungen zeigt sie sich eiskalt und ohne Anflug von Reue.“

Das entspricht einer quasi-vollständigen Übernahme der Informationen aus den beiden „Bild“-Artikeln. Jedes Zitat eines der Beteiligten wurde verwertet. Wer auf einen der Links zu „Bild“ klickte, erführe dort nichts Wesentliches, was nicht schon bei „Focus Online“ steht.

(Lustigerweise haben die „Focus Online“-Leute beim Kopieren an einer Stelle sogar den Namen der Beschuldigten übernommen, den sie sonst aus ihrem Text getilgt hatten. Man unterschätzt sie leicht, die Tücken des Copy & Paste.)

„Focus Online“ kopiert alles. Nicht nur aus „Bild“-Artikeln, aber natürlich ist „Bild“ eine besondere Fundgrube für ein solches konsequent auf Reichweitenmaximierung angelegtes Online-Angebot.

Wenn Uli Hoeneß vor seinem Haftantritt noch einmal kurz einen „Bild“-Mann zurückruft und ihm ein paar Sätze sagt, steht all das hinterher nicht nur (kostenpflichtig) auf „Bild plus“, sondern auch (frei) auf „Focus Online“, mit ausführlichsten Original-Zitaten, gekürzt nur um das unwesentlichste Drumherum und ein paar eitle Belanglosigkeiten. Wenn ein angeblicher „WhatsApp“-„Insider“ mit „Bild“ über die Probleme und Pläne bei dem Nachrichtendienst spricht, pickt sich „Focus Online“ daraus nicht die vermeintliche Nachricht oder ein, zwei knackige Zitate, sondern erzählt den kompletten Artikeln, fast ohne Auslassung, nach.

Das wird nicht besser dadurch, dass „Focus Online“ immer und immer wieder die Quelle nennt und geradezu übertrieben oft darauf verlinkt — es gibt ja tatsächlich keinen Grund, auf den Link zu klicken.

Das alles ist, ohne Frage, extrem dreist.

Es scheint aber, erstaunlicherweise, nicht rechtswidrig zu sein. Zumindest räumt Julian Reichelt das ein, was ihn nicht daran hindert, „Focus Online“ zu bezichtigen, Straftaten zu begehen. In der Logik eines „Bild“-Menschen geht das problemlos: Jemanden, der etwas tut, was nicht strafbar ist, einer Straftat bezichtigen und auf Nachfrage auch darauf beharren.

Dass das umfangreiche, fast vollständige Kopieren von Inhalten, wie es „Focus Online“ betreibt, laut „Bild“ rechtlich nicht angreifbar ist, ist aber auch deshalb erstaunlich, weil man jahrelang so getan hatte, als ob es gegen genau das doch ein Mittel gebe: Ein Leistungsschutzrecht.

Nun ist dieses Leistungsschutzrecht da — und es hilft doch nicht gegen „Diebe“ und „Hehler“? Sollte es etwa so sein, dass es bei dem Leistungsschutzrecht gar nicht um den Schutz vor solchen Leuten ging, die sich systematisch an eigenen, womöglich teuer erstellten Inhalten bedienen und darauf ein eigenes Geschäftsmodell aufbauen? Sondern dass das nur ein Vorwand war, um ein Gesetz zu bekommen, mit dem sich (womöglich, bestenfalls, wie auch immer) ein Teil der Einnahmen von Google abzwacken lässt?

Okay, das ist gar keine überraschende Erkenntnis. Aber schön, dass das gerade in dieser Anschaulichkeit der Öffentlichkeit vorgeführt wird. Und das auch noch am Beispiel von „Focus Online“, einem Unternehmen aus dem Hause Hubert Burda, dem Präsidenten des Verbandes deutscher Zeitschriftenverleger, der an vorderster Front für das Leistungsschutzrecht gekämpft hat und dabei Sätze formulierte, die vor dem Hintergrund des „Focus Online“-Geschäftsmodells nachträglich ganz besonders schön schimmern:

[…] wer die Leistung anderer kommerziell nutzt, muss dafür bezahlen. Dieses ökonomische Grundprinzip muss auch im digitalen Zeitalter mit seiner „Link-Ökonomie“ gelten. Sonst sehen wir der schleichenden Enteignung der Inhalte-Produzenten tatenlos zu.

Der Zorn der „Bild“-Leute über die Ausbeutung ihrer Inhalte ist nachvollziehbar. Sie sind besonders wütend, weil sie so machtlos sind und weil der Gegner einer der ihren ist (die Möglichkeit, dass Verlage die Ausbeuter sind und nicht die Ausgebeuteten, war in der ganzen Leistungsschutzrecht-Debatte irgendwie gar nicht vorgesehen). Und besonders auf die Palme muss sie treiben, dass der Gegner so gut ist.

Im Interview mit turi2 beklagt Bild.de-Chef Reichelt ausdrücklich, dass „Focus Online“ die ausgeschlachteten „Bild“-Inhalte „durch die berüchtigte Focus.de-Google-Optimierung laufen“ lässt. „Berüchtigt“ ist diese Optimierung aus Bild.de-Sicht natürlich nur, weil sie so gut funktioniert. Als ob Bild.de nicht selbst gerne seine Inhalte, zumindest die freien, so optimiert hätte wie „Focus Online“. Reichelt und seine Kollegen nehmen dem „Focus“ nicht nur übel, dass er ihnen etwas wegnimmt, sondern dass er auch noch das meiste daraus macht.

Im Gegensatz dazu hat „Bild“ mit seiner selbstgewählten Paid-Content-Strategie dafür gesorgt, dass seine Inhalte für den flüchtigen Suchmaschinenbenutzer unsichtbar sind. Reichelt sagt im Turi2-Interview: „Paid-Inhalte werden von Google nicht angezeigt.“ Tatsächlich stimmt das — auf „Bild plus“-Inhalte bezogen. Paid-Inhalte zum Beispiel vom „Hamburger Abendblatt“ werden durchaus von Google angezeigt, und zwar sowohl in der Web- als auch in der News-Suche. Letzteres liegt daran, dass das „Abendblatt“ der „Erster Klick gratis“-Vorgabe folgt und Besuchern, die auf diesem Weg kommen, einen Blick hinter die Bezahlschranke gestattet. Aber selbst die britische „Times“, die das nicht tut, wird mit ihren Paid-Inhalten bei Google und Google News gelistet.

Vielleicht kann Herr Reichelt mal erklären, warum „Bild“ das mit seinen „Plus“-Inhalten nicht gelingt — und so zur Profitmaximierung der angeblichen „Hehler“ noch beiträgt.

Vermutlich sind sie bei „Bild“ aber ohnehin noch mit dem Auswechseln all der Sicherungen beschäftigt, die ihnen in den vergangenen Wochen im Streit mit „Focus Online“ durchgebrannt sind. Neulich haben sie sich sogar ganz besonders darüber aufgeregt, dass der, äh, Mitbewerber es wagte, eine „Bild“-Exklusiv-Nachricht nicht nur selbst zu melden, sondern sogar als „Eilmeldung“ an seine App-Nutzer zu verschicken. Anscheinend gilt: Über Dinge, die „Bild“ rauskriegt, darf nur „Bild“ seine Leser mit der gebotenen übertriebenen Dringlichkeit informieren.

Die VG Wort enteignet Urheber, vernebelt die klare Rechtslage und spielt auf Zeit

Der Streit um die VG Wort betrifft Hunderttausende Urheber, aber das Thema ist abschreckend komplex. Es geht um die Frage, ob die Verwertungsgesellschaft pauschal einfach einen Teil der Tantiemen aus Urheberrechten, die sie einnimmt, an die Verleger überweisen darf. Ein Gericht hat das im Oktober bereits in zweiter Instanz in einem konkreten Fall für unzulässig erklärt. Es stellt damit die langjährige Praxis nicht nur der VG Wort, sondern auch der VG Bild-Kunst und der GEMA in Frage.

In den vergangenen Wochen haben der Börsenverein des Deutschen Buchhandels sowie die VG Bild-Kunst und die Initiative Urheberrecht, für die der frühere Vorstand der VG Bild-Kunst, Gerhard Pfennig, als Sprecher tätig ist, zu dem Verfahren Stellung genommen. Auch die VG Wort selbst hat ihre erneute juristische Niederlage kommentiert, in Form von „wichtigen Fragen und Antworten“, in denen sich auch der bezeichnend pampige Satz findet: „Die VG WORT hat diesen Rechtsstreit nicht begonnen“ — das hat sie in der Tat nicht; sie hat halt nur, wie es aussieht, das Recht gebrochen. Die Verwertungsgesellschaft nimmt es dem Kläger, dem Urheberrechtler Martin Vogel, übel, dass er — bislang erfolgreich — sein Recht eingeklagt hat, dass Geld, das ihm zusteht, nicht an irgendwelche Verleger weitergeleitet wird.

Ende der kommenden Woche befasst sich eine außerordentliche Mitgliederversammlung der VG Wort mit dem Rechtsstreit und den notwendigen Konsequenzen daraus. Vogel tritt im Folgenden der Rechtsauffassung der VG Wort und damit auch der VG Bild-Kunst und der GEMA entgegen. Es ist auch ein Versuch, die Materie (halbwegs) verständlich aufzubereiten.

 

  • Ein Gastbeitrag von Martin Vogel

In Presseerklärungen und Interviews versuchen die Verantwortlichen der VG Wort und des Börsenvereins (des Interessenverbands der Verleger), die Sach- und Rechtslage, von der die Verteilungspraxis der VG Wort und auch von VG Bild-Kunst und GEMA auszugehen haben, möglichst zu vernebeln. Dabei geht es ihnen vermutlich nicht zuletzt darum, Zeit zu gewinnen, damit die Nachforderungsansprüche der Urheber gegen diese Verwertungsgesellschaften und die Haftungsansprüche gegen die Verantwortlichen möglichst verjähren. Für die Vorstände und die Verwaltungsräte dieser Gesellschaften geht es dabei auch persönlich um den Vorwurf der Veruntreuung und um mögliche Schadensersatzforderungen.

Welcher Autor kennt schon die Hintergründe?

Vielen berufsmäßigen Autoren, vor allem auch Journalisten und Autoren literarischer Werke, erscheint der jährliche Scheck der VG Wort als ein Himmelsgeschenk. Oft genug bringt er Geld, das dringend benötigt wird, um irgendwie weiter über die Runden zu kommen. Vorausgegangen ist das mühselige Ausfüllen der Formulare, mit denen ein Wortautor jeden einzelnen Beitrag bei der VG Wort zu melden hat. Kaum ein Autor weiß, woher die Einnahmen der VG Wort stammen und wie der Anteil eines Autors an den Ausschüttungen ermittelt wird. Die VG Wort tut in der laufenden öffentlichen Diskussion wohlweislich nichts, um die weit über 400.000 Autoren, die sie als Treuhänderin vertritt, einfach und nachvollziehbar über ihr Verteilungsverfahren aufzuklären. Der Scheck oder eine Überweisung mit einer pauschalen Bemerkung zum Grund der Zahlung (etwa „Hauptausschüttung HA2012 für N.N.“, „2011 VG Wort Wissenschaft Zeitschriftenbeiträge xxx EUR“) müssen dem Autor genügen. Deshalb weiß auch kaum jemand, dass sein Scheck sehr viel höher ausfallen würde, wenn sich die VG Wort bei der Verteilung an Recht und Gesetz halten würde.

Wohin ist das Geld, das eigentlich den Autoren zusteht, abgeflossen?

Einen Großteil ihrer Einnahmen schüttet die VG Wort Jahr für Jahr pauschal an Verlage aus, ohne deren Berechtigung zu überprüfen oder auch nur überprüfen zu können. Die VG Wort tut so, als wäre die Beteiligung der Verlage an dem Vergütungsaufkommen ein Naturgesetz. Diese pauschale Verlegerbeteiligung ist grob rechtswidrig. Bereits zwei Gerichte, das Landgericht München I (Urteil vom 24.5.2012) und nunmehr auch das Oberlandesgericht München (Urteil vom 17. Oktober 2013), haben dies der VG Wort in einem Musterverfahren mit klaren und harten Worten bescheinigt.

Um welches Geld geht es?

Der größte Teil der Einnahmen der VG Wort stammt aus der sogenannten Gerätevergütung. Hersteller und Händler von Geräten, mit denen Privatkopien urheberrechtlich geschützter Werke, insbesondere von Wortautoren und Komponisten, hergestellt werden können (Kopiergeräte, Brenner, Drucker usw.), haben diese Gerätevergütung zu bezahlen (§§ 54 ff. UrhG.). Dazu kommt die sog. Betreibervergütung, die für den Betrieb von Kopiergeräten, z. B. in Copyshops, öffentlichen Bibliotheken und Bildungseinrichtungen, zu zahlen ist (§ 54c UrhG.). Im Jahr 2012 hat die VG Wort dadurch 65,19 Mio Euro eingenommen. Nach Abzug der Verwaltungskosten steht dieses Vergütungsaufkommen nach eindeutiger Rechtslage zu 100 Prozent den Autoren zu. Verlage haben daran keinerlei Rechte.

Wie ist die Rechtslage?

Nur selten kann ein Jurist sagen: Die Rechtslage ist eindeutig. Hier ist dies aber so. Unter Juristen kann nicht ernsthaft darüber gestritten werden, dass die pauschalen Ausschüttungen der VG Wort an die Verlage geltendem Recht krass widersprechen. Das ist auch der Grund, warum die VG Wort und der Börsenverein (als Interessenverband der Verlage) schon jetzt, vor dem rechtskräftigen Abschluss des Musterverfahrens, laut nach dem Gesetzgeber rufen. Dieser soll dafür sorgen, dass die Geldflüsse der VG Wort auch weiterhin zu einem Großteil zu den Verlagen abgeleitet werden können.

Rechtliche Ausgangslage

Hauptaufgabe der VG Wort ist es, Rechte der Urheber gegenüber Nutzern ihrer Werke wahrzunehmen, aus dieser Rechtewahrnehmung Erlöse zu erzielen und das Vergütungsaufkommen an die Berechtigten auszuschütten. Die VG Wort darf als Treuhänderin nur Personen an den Ausschüttungen beteiligen, die ihr nachweislich Rechte zur Wahrnehmung übertragen haben. Dies ist selbstverständlich und wird zudem vom Bundesgerichtshof immer wieder bestätigt. So steht es auch in der Satzung der VG Wort (§ 2). Nur hält sich die VG Wort nicht daran.

Das Vergütungsaufkommen der VG Wort stammt zum weitaus größten Teil aus der Gerätevergütung. Nach dem Urheberrechtsgesetz erwerben die Wortautoren die Ansprüche auf die Gerätevergütung schon mit der Schaffung ihrer Werke. Da nicht jeder einzelne Urheber seinen Anspruch auf eine Gerätevergütung bezogen auf sein Werk selbst geltend machen kann, schreibt das Gesetz vor, dass alle diese Ansprüche nur durch eine Verwertungsgesellschaft wie die VG Wort wahrgenommen werden dürfen. Das Vergütungsaufkommen ist dann möglichst leistungsgerecht an diejenigen auszuschütten, die ihre Rechte bei der Verwertungsgesellschaft eingebracht haben.

Verleger schaffen keine urheberrechtlich geschützten Werke. Ansprüche auf eine Gerätevergütung für einzelne Werke könnten sie deshalb nur besitzen, wenn sie solche Ansprüche von den Urhebern vertraglich erworben hätten. Aber genau dies schließen das Recht der Europäischen Union und das Urheberrechtsgesetz aus gutem Grund aus. Dies schützt die Urheber davor, die Vergütungsansprüche, die ihnen kraft Gesetzes zustehen, an die wirtschaftlich weit stärkeren Verleger abtreten zu müssen.

Recht der Europäischen Union

Nach dem Recht der Europäischen Union kann es ein Mitgliedstaat zulassen, dass Privatkopien geschützter Werke ohne Genehmigung der Urheber gefertigt werden. Eine solche Regelung beeinträchtigt die Urheber in ihren Rechten am Werk. Deshalb muss ein Mitgliedstaat, der eine Privatkopieausnahme einführt, den Urhebern dafür einen „gerechten Ausgleich“ sichern. In Deutschland wird dieser gerechte Ausgleich durch die Geräteabgabe gewährleistet. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in zwei Urteilen, dem Luksan-Urteil vom 9.2.2012 und dem Austro-Mechana-Urteil vom 11.7.2013, klar ausgesprochen, dass der Urheber (im damaligen Fall der Hauptregisseur eines Films) „unbedingt“ die Zahlung des Ausgleichs für eine Privatkopieausnahme erhalten müsse. Der EuGH hat deshalb ausdrücklich entschieden, dass der Anspruch des Urhebers auf den gerechten Ausgleich unverzichtbar ist. Dies gilt natürlich auch für die Wortautoren. Deshalb kann sich kein Verleger diesen Anspruch abtreten lassen, wenn es ihm dabei darum geht, den Anteil des Autors an der Gerätevergütung ganz oder teilweise in die eigene Tasche zu stecken.

In einem „Börsenblatt“-Interview vom 13.11.2013 hat der Geschäftsführer der VG Wort, Robert Staats, „erhebliche Zweifel“ daran geäußert, ob die Luksan-Entscheidung des EuGH auf die Konstellation bei der VG Wort übertragen werden könne. Die juristische Fachliteratur teilt diese Bedenken, für die Staats keine hinreichende Begründung nennt, durchweg nicht. Es ist ein bemerkenswertes Beispiel interessengeleiteter Argumentation, dass Staats seine angeblichen Bedenken wiederholt, obwohl der EuGH die Grundsätze seines Luksan-Urteils in der Entscheidung Austro-Mechana ausdrücklich und ganz allgemein für den „gerechten Ausgleich“ (das heißt auf Deutschland bezogen für die Verteilung der Gerätevergütung) bestätigt hat. Dieses erneute Urteil des EuGH wird von der VG Wort und anderen interessierten Kreisen vollständig mit Schweigen übergangen. Die VG Wort weiß nur zu gut, warum sie es, soweit irgend möglich, in der Öffentlichkeit vermeidet, die Rechtsprechung des EuGH, die ihren Standpunkt eindeutig widerlegt, auch nur entfernt anzusprechen.

Soweit das Urteil des OLG München aus der Austro-Mechana-Entscheidung herleitet, dass es generell zulässig sei, Vergütungsansprüche des Urhebers an einen Verleger abzutreten, interpretiert es die Entscheidung erkennbar unzutreffend. Denn der EuGH lässt unmissverständlich eine Abtretung nur zu, wenn der gerechte Ausgleich dem Urheber dadurch zumindest mittelbar zugute kommt. Das ist nicht der Fall, wenn der Verleger die Vergütung aus der Geräteabgabe auch nur teilweise fremdnützig, also für den eigenen Geldbeutel, erhält. Deshalb ist nach Unionsrecht eine Abtretung an den Verleger nur zulässig, wenn dieser die Zahlungen der Verwertungsgesellschaft als Treuhänder für den Urheber in Empfang nimmt. Das kann auch der VG Wort, der VG Bild-Kunst und dem Börsenverein nicht entgangen sein. Trotzdem führen sie zusammen mit den in ihren Aufsichtsgremien und in der „Initiative Urheberrecht“ vertretenen Gewerkschaften DJV (Deutschen Journalistenverband) und ver.di weiterhin die Urheber als ihre Treugeber hinters Licht. Und die staatliche Aufsicht des Deutschen Patent- und Markenamts sieht bei diesem Treiben einfach weg.

Deutsches Urheberrecht

Das deutsche Urheberrecht darf nur in Übereinstimmung mit dem vorrangigen Recht der Europäischen Union ausgelegt werden. In § 63a des Urheberrechtsgesetzes ist zudem klar geregelt, dass der Urheber auf einen gesetzlichen Vergütungsanspruch (wie seinen Anspruch auf die Gerätevergütung) nicht verzichten kann. Er kann diesen Anspruch zwar an einen Verleger abtreten, aber nur zu dem Zweck, dass dieser den Anspruch bei einer Verwertungsgesellschaft wie der VG Wort einbringt. Da die Gerätevergütung aber nach zwingendem Unionsrecht allein dem Urheber zufließen muss, ist eine solche Abtretung, wie oben ausgeführt, allenfalls dann möglich, wenn der Verlag als Treuhänder des Urhebers handelt. Derartige Abtretungen an einen Verlag hat es bisher praktisch nie gegeben; etwas anderes behauptet auch die VG Wort nicht. In jedem Fall wäre der Verlag in einem solchen Fall aber verpflichtet, die gesamte Ausschüttung als Treuhänder an den Urheber weiterzuleiten.

Zu den Ausflüchten der VG Wort

Die VG Wort und der Börsenverein versuchen, die rechtswidrige Begünstigung der Verlage zu bemänteln. Sie verweisen auf die Satzung der VG Wort und darauf, dass die Verteilungspläne von der Mitgliederversammlung beschlossen würden. Das sind jedoch offensichtliche Schutzbehauptungen. Ein Verein wie die VG Wort muss sich bei seiner Satzung und den Beschlüssen seiner Gremien an zwingendes Recht halten. Das sollte gerade im Fall der VG Wort für jeden unmittelbar einleuchtend sein: Die VG Wort ist Treuhänderin von weit über 400.000 Autoren. Nur etwa 350 davon sind bei ihr Mitglied. Die Ansprüche aller Mitglieder und Nichtmitglieder auf eine leistungsgerechte Ausschüttung der erwirtschafteten Beträge dürfen nicht einfach durch Beschluss einer geringen Zahl von Vereinsmitgliedern beschnitten werden, damit einem Teil der Mitglieder (nämlich den Verlagen) ohne rechtliche Grundlage Vorteile zugeschanzt werden können. Abgesehen davon hat der Bundesgerichtshof wiederholt ausgeführt, dass sich die Verteilung der Verwertungsgesellschaften nicht nach den Bestimmungen der Vereinssatzungen zu richten hat, sondern nach dem Wahrnehmungsvertrag. Verteilungsquoten in der Satzung sind deshalb unbeachtlich. Dennoch berufen sich die betroffenen VG Wort und VG Bild-Kunst weiterhin dreist auf ihre Satzungen, wenn sie ihren Berechtigten weis machen, dass die bestehende Rechtslage zu einem nicht zu bewältigenden Verwaltungsaufwand führt.

Tradition

Die rechtswidrige Praxis der VG Wort, die Verlage auf Kosten der allein berechtigten Urheber pauschal an der Gerätevergütung zu beteiligen, hat eine langjährige, traurige Tradition. Rechtmäßig kann sie dadurch nicht werden.

Solidarprinzip

Einmütig erklären VG Wort und Börsenverein, dass Grundgedanke der pauschalen Regelung von Anfang an das Solidarprinzip gewesen sei. Viele Autoren werden sich bei diesen Worten die Augen reiben. Sie erfahren erst jetzt allmählich, wie „solidarisch“ sie über viele Jahre gegenüber den Verlagen gewesen sind, und dass diese „Solidarität“ dazu geführt hat, dass sie als wissenschaftliche Autoren nur 50 Prozent und als nicht-wissenschaftliche Autoren nur 70 Prozent des ihnen eigentlich zustehenden Ausschüttungsbetrags erhalten haben.

Vielen Autoren wird der Verweis auf das Solidarprinzip auch aus anderen Gründen schrill in den Ohren klingen. Die Mehrheit der Autoren macht, gerade im Wissenschaftsbereich, ganz andere Erfahrungen. Was soll ein wissenschaftlicher Autor von der Solidarität seines Verlags halten, wenn er diesem alle wichtigen Rechte abtreten musste und oft genug, statt ein Honorar zu erhalten, für die Drucklegung zahlen musste? Wie es um die Solidarität der Verlage steht, zeigt sich gerade auch in diesen Wochen: Die großen Verlage beginnen damit, sich von der VG Wort abzusetzen. Dies zeigen die Bestrebungen, das Leistungsschutzrecht der Presseverleger nicht durch die VG Wort wahrnehmen zu lassen.

Verwaltungsaufwand

Die VG Wort meint, es werde ihr ein ungeheurer Verwaltungsaufwand zugemutet, wenn sie nur an diejenigen ausschütten dürfte, die bei ihr Rechte eingebracht haben. Sie wäre dann gezwungen, die einzelnen Verträge zwischen Urhebern und Verlagen heranzuziehen und zu überprüfen. Dieser Verwaltungsaufwand sei nicht zu leisten und würde die Erträge weitgehend verschlingen.

Das Gegenteil ist richtig. Bei Beachtung der einfachen Sach- und Rechtslage ist der notwendige Verwaltungsaufwand der VG Wort erheblich geringer als bisher. Nach zwingendem Unionsrecht und deutschem Recht können nur Urheber Inhaber von Ansprüchen aus der Gerätevergütung sein. Diese Ansprüche sind unverzichtbar. Verlage können sie nicht zu eigenem Vorteil erwerben. Die VG Wort darf daher von vornherein nur an die Urheber ausschütten. In Betracht käme allenfalls, dass ein Verlag als Treuhänder für einen Urheber auftritt. Dann könnte die VG Wort den Anteil des Urhebers an den Verlag ausschütten, dies aber nur zu dem Zweck der Weiterleitung an den Urheber. Dass Verlage der VG Wort gegenüber auch nur erklären, Treuhänder von Autoren zu sein, behauptet die VG Wort selbst nicht.

Richtig ist nur, dass es der VG Wort nach ihrer bisherigen Verwaltungspraxis absolut unmöglich ist darzulegen, warum sie überhaupt an Verlage ausschüttet, obwohl diese nicht einmal behaupten müssen, Vergütungsansprüche bei der VG Wort eingebracht zu haben und dementsprechend auch keine Unterlagen dazu einreichen (dazu noch später).

Ausschüttung auf Leistungen der Verlage

Die VG Wort und der Börsenverein meinen, ohne den Beitrag der Verlage zur Veröffentlichung der Werke der Urheber hätten diese keine Einnahmen aus der Gerätevergütung erzielen können. Wegen dieser Leistung hätten es die Verlage verdient, an der Gerätevergütung beteiligt zu werden.

Verlage sind keine Wohltätigkeitsunternehmen. Die Erlöse aus dem Vertrieb der Werke der Urheber sind das Entgelt für die Leistungen der Verlage und der Grund, warum sie überhaupt tätig werden. Eine Beteiligung an der Gerätevergütung ist dagegen ausgeschlossen, weil diese nach dem klaren Unionsrecht und deutschem Recht allein den Urhebern zusteht. In den Topf, der für die Urheber mit der Gerätevergütung gefüllt wird, dürfen die Verleger nicht hineingreifen.

Einen Anspruch auf eine Gerätevergütung haben neben den Wortautoren auch andere Urheber wie Komponisten und Filmregisseure. Werden Tonträger mit geschützter Musik oder ein Film hergestellt, haben die Tonträger- und Filmproduzenten ein eigenes Leistungsschutzrecht. Nur auf diese eigenen Leistungsschutzrechte dürfen die Produzenten Ausschüttungen aus der Gerätevergütung erhalten. Der Urheberanteil an der Gerätevergütung ist dagegen nach zwingendem Recht ihrem Zugriff entzogen. Noch weniger dürfen Verleger, die nicht einmal ein eigenes Leistungsschutzrecht für ihre Druckwerke besitzen, sich aus dem Anteil an der Gerätevergütung bedienen, der allein den Wortautoren zufließen muss.

Bisherige Gerichtsentscheidungen

In dem Musterverfahren über die Verteilungspraxis der VG Wort haben die Gerichte bisher nicht eingehender auf das Unionsrecht abgestellt. Das war möglich, weil schon andere, ganz einfache Rechtsgrundsätze ihre Entscheidung begründen konnten, dass die pauschale Beteiligung der Verleger an den Ausschüttungen der VG Wort willkürlich und damit rechtswidrig ist. Verleger können, wie schon gesagt, keinesfalls Ansprüche auf eine Gerätevergütung erwerben. Aber selbst unterstellt, solche Abtretungen könnten wirksam sein, könnten sich die Verleger nur höchst selten darauf berufen. Das hat einen einfachen Grund bereits darin, dass Abtretungen an Verleger meist ins Leere gingen, weil die Autoren diese Ansprüche schon zuvor in ihren Wahrnehmungsverträgen an die VG Wort abgetreten haben. Nun tun die Verwertungsgesellschaften so, als hätte es diesen Grundsatz für sie nie gegeben. Spätestens das Urhebervertragsgesetz von 2002 hätte bei ihnen letzte Zweifel am bestehenden Abtretungsrecht beseitigen müssen. Denn der damals in Kraft getretene § 63a UrhG ließ zum Schutz des Urhebers eine Abtretung von Vergütungsansprüchen nur noch an eine Verwertungsgesellschaft zu.

Im Verhältnis der wissenschaftlichen Autoren zu den Verlagen sind Abtretungen der gesetzlichen Vergütungsansprüche ohnehin absolut unüblich. Dies schon deshalb, weil es häufig gar keinen schriftlichen Verlagsvertrag gibt. Das weiß auch die VG Wort. Denn die Verlage hatten gar kein Interesse, in schriftliche Verlagsverträge Abtretungsklauseln aufzunehmen, weil das für ihre Beteiligung durch die VG Wort völlig unnötig war. Warum hätten sie die Autoren darauf hinweisen sollen, dass die Verlage die Hälfte der VG Wort-Ausschüttungen einfach so einkassieren?

Verleger müssen gegenüber der VG Wort nicht einmal behaupten, Inhaber wahrzunehmender Rechte zu sein

Wie wenig sich die VG Wort bei ihrer Verteilungspraxis um die Rechtslage kümmert, zeigt ein Blick in ihre Verteilungspläne. Jeder Urheber, der seine Werke bei der VG Wort meldet, hat seine Erfahrungen mit dem mühsamen Ausfüllen der Meldeformulare. Mit diesen Einzelmeldungen belegt der Autor, welche urheberrechtlich geschützten Beiträge er verfasst hat und welche entsprechenden Rechte er damit der VG Wort zur treuhänderischen Wahrnehmung überträgt. Verlage könnten solche Einzelmeldungen im Rahmen ihres Unternehmens sehr viel einfacher erstellen. Von ihnen werden aber Einzelmeldungen nach den Vorschriften der Verteilungspläne gar nicht verlangt.

Dies bedeutet: Verleger müssen der VG Wort gegenüber nicht einmal durch Einzelmeldungen behaupten, dass sie bezogen auf bestimmte Werke von den Autoren Vergütungsansprüche erworben haben. Die VG Wort schüttet an Verleger einfach so aus, blind und pauschal. Entgegen ihren Treuhänderpflichten orientiert sie sich bei den Einzelausschüttungen an Verleger nicht daran, ob und welche Rechte bei ihr eingebracht worden sein sollen. Maßgebend sind für sie vielmehr nach der Rechtslage sachfremde Kriterien wie z. B. bei Fachbüchern deren Aufnahme in das Verzeichnis lieferbarer Bücher.

Würde eine rechtmäßige Verteilungspraxis letztlich doch zum Schaden der Autoren ausschlagen?

Die VG Wort ist durch ihre rechtswidrige Verteilungspraxis in eine schwierige Lage gekommen. Sie hat zu Unrecht große Teile des Vergütungsaufkommens pauschal an Verleger ausgeschüttet. Haftungs- und strafrechtliche Konsequenzen wegen möglicher Veruntreuungen sind nicht ausgeschlossen. Es ist nachvollziehbar, dass die dafür Verantwortlichen äußerst unruhig geworden sind. Die Urheber sollten sich aber von dieser Unruhe nicht anstecken lassen.

Die Behauptung der VG Wort und von Pfennig auf der Website der VG Bild-Kunst, der vom OLG München gerade zu Gunsten des Klägers entschiedene Prozess könne dazu führen, dass ein Großteil der Urheber in Zukunft schlechter als bisher gestellt werde, ist eine grobe Irreführung. Das gegenwärtige Verteilungssystem dient nicht dem Schutz der Autoren, wie VG Wort und VG Bild-Kunst behaupten. Es führt vielmehr zur teilweisen (bis zu hälftigen) Enteignung der Urheber, denen nach dem Unionsrecht zwingend der volle Ertrag des gesetzlichen Anspruchs auf die Gerätevergütung zufließen muss.

Ebenso ist unerfindlich, warum die Schlagkraft der Urheber bei der Durchsetzung der Urheberinteressen leiden müsste, wenn die VG Wort korrekt nur an die Urheber ausschüttet. Die Erfahrung zeigt, dass die Verleger (wie andere Verwerter) schon im eigenen Interesse auf eine Stärkung des Urheberrechts dringen, wenn dies auch für sie nützlich ist. Es ist nicht ersichtlich, dass sie gegenüber dem Gesetzgeber auch tätig werden, wenn das nur im Interesse der Urheber liegt (z. B. beim Urhebervertragsrecht). Selbst dann, wenn die Verleger so weit gehen sollten, die VG Wort zu verlassen, wäre das für die Urheber alles andere als eine Katastrophe: Bereits das Aufkommen aus der Gerätevergütung (2012: 65,19 Mio Euro), das allein den Urhebern zusteht, genügt, um die VG Wort als schlagkräftige Organisation der Urheber zu erhalten. Für die Urheber würde das bedeuten, dass ihre Verwertungsgesellschaft nicht mehr auf ihre Kosten unsinnige Summen ausgibt, um unter Einsatz teurer juristischer Gutachten und unter Ausschöpfung aller Rechtsmittel Prozesse nur zu dem Zweck zu führen, an den Ausschüttungen an Nichtberechtigte wie die Verleger festhalten zu können. Gewonnen hätten die Urheber eine Verwertungsgesellschaft, die nur für ihre Interessen kämpft.

Nachtrag, 25. November. Urban Pappi, geschäftsführender Vorstand der VG Bild-Kunst, antwortet auf Martin Vogels Vorwürfe in den Kommentaren.

Funktionäre, die unverhohlen gegen die Interessen der Urheber agieren

Martin Vogel kämpft seit vielen Jahren gegen die Praxis der Verwertunggesellschaft VG Wort, pauschal einen erheblichen Teil der Tantiemen, die sie einnimmt, nicht an die Urheber der Werke auszuschütten, sondern an Verlage. Die Autoren würden dadurch in rechtswidriger Weise um Geld gebracht, das ihnen zusteht, argumentierte Vogel, der sich mit dem Thema auskennt. Er wurde dafür von allen Seiten angefeindet und diffamiert, nicht zuletzt auch von den Journalistenverbänden DJV und ver.di. Die Auseinandersetzung bekam eine neue Qualität, als Vogel gegen die VG Wort und ihre Verteilungspläne klagte.

Als ein Gericht im Mai 2012 seine Rechtsposition weitgehend bestätigte, stellte die VG Wort das zunächst noch als „Einzelfall“ dar. Inzwischen hat auch die zweite Instanz die Praxis der VG Wort, pauschal Geld an Verlage auszuschütten, für rechtswidrig erklärt — und nun muss auch die VG Wort einräumen, dass der Prozess ihre seit Jahren praktizierte Arbeitsweise fundamental in Frage stellt.

Die VG Wort wird wohl Revision einlegen und vor den Bundesgerichtshof ziehen. Sie fordert aber nun auch den Gesetzgeber auf, die illegalen Ausschüttungen für die Verlage durch eine Gesetzesänderung zu legitimieren.

Das Urteil wirft insbesondere auch Fragen nach der Rolle der Journalistenverbände DJV und Ver.di auf.

Ein Gastkommentar von Martin Vogel.

Soeben hat das Oberlandesgericht München das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts München I bestätigt, mit dem die Verteilungspläne der Verwertungsgesellschaft Wort für rechtswidrig erklärt worden sind, weil sie gegen das Willkürverbot verstoßen. In meinem Rechtsstreit ging es um die Verteilung des Aufkommens der VG Wort aus gesetzlichen Vergütungsansprüchen der Autoren, die gesetzlich allein dem Urheber zustehen. Das hat der Gesetzgeber 2002 noch einmal unterstrichen, als er in Paragraph 63a des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) bestimmt hat, dass Vergütungsansprüche unverzichtbar sind und im Voraus nur an eine Verwertungsgesellschaft abgetreten werden können.

Obwohl sie Treuhänderin der Autoren ist, hat die VG Wort sich um diese Gesetzesänderung nicht geschert. Sie hat, obwohl sie die jetzt gerichtlich bestätigte Rechtslage kannte, weiter nach ihrer hergebrachten Verteilungspraxis die Hälfte der Vergütungen u.a. für die private Vervielfältigung von Werken (insgesamt rund 60 Millionen Euro jährlich) den Autoren vorenthalten und an die Verleger dieser Werke überwiesen. Dabei müssen die Verleger nicht einmal behaupten, durch Abtretung des Autors Vergütungsansprüche an den von ihnen verlegten Werke erworben zu haben. Das wäre im Übrigen auch nur zu einem sehr geringen Teil der Fall.

Doch auf vermeintliche Abtretungen kommt es gar nicht mehr an. Denn seit Ende 2002 sind auch nach vorrangigem EU-Recht Vergütungsansprüche des Urhebers unverzichtbar und unabtretbar. Denn der Europäische Gerichthof hat entschieden, dass die gesetzlichen Vergütungen „unbedingt“ beim Urheber ankommen müssen. Eine Abtretung derartiger Ansprüche an Verleger scheidet damit definitiv aus.

Trotz der eindeutigen Rechtslage konnte sich der Vorstand der VG Wort, der bestrebt war, alles beim Alten zu belassen, auf die Berufsverbände und die Gewerkschaften der Urheber verlassen. Denn als es darum ging, die Verteilungspläne der Gesetzesänderung von 2002 anzupassen, stimmten die Mitglieder von ver.di und dem Deutschen Journalistenverband — entsprechend angeleitet von ihren Rechtsberatern — einstimmig dafür, nicht entsprechend der geänderten Rechtslage zu verteilen. Die Mitglieder der Verbände der wissenschaftlichen Autoren taten es ihnen gleich. Einmal ging die Abstimmung über die Beibehaltung der alten Verteilungspläne 120:1 aus, ein anderes Mal 80:1 aus. Toll, haben sich der Vorstand der VG Wort und die Berufsverbände der Autoren gesagt.

Alles blieb also wie bisher, das heißt, der Vorstand hat seine Ruhe, die Verleger bekommen ihren Anteil, die Berufsverbände der wissenschaftlichen Autoren wie der Deutsche Hochschulverband erhalten weiterhin erhebliche unberechtigte Zahlungen aus der Kasse der VG Wort und der Deutsche Journalistenverband und ver.di samt ihrer Unterverbände sehen sich in ihrer Bedeutung gestärkt. Zudem wurde unter wortgewaltigem Einsatz des Vorsitzenden des Deutschen Schriftstellerverbandes in ver.di eine Bestimmung in die VG-Wort-Satzung eingefügt, nach der dem Verleger für seine verlegerische Leistung ein entsprechender Anteil am Ertrag der VG Wort zusteht. Grotesk! Als könnten treuhänderisch gebundene Vereine kurzerhand durch Satzungsbeschluss den Berechtigten die Hälfte ihrer Vergütung wegnehmen und an Nichtberechtigte ausschütten. Dabei haben das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof keinen Zweifel daran gelassen, dass nur derjenige etwas erhalten kann, der auch Rechte in die Verwertungsgesellschaft einbringt, und dass sich die Verteilung nicht nach Satzungsbestimmungen richtet, sondern allein nach dem Wahrnehmungsvertrag.

Ende 2007 kam es auf Betreiben des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels zu einer Änderung des Paragrafen 63a des Urhebergesesetzes. An den vorausgehenden Anhörungen des Justizministeriums nahmen selbstverständlich auch die Vertreter von VG Wort, GEMA und VG Bild-Kunst sowie Repräsentanten von DJV und ver.di teil. Alle waren mit der Gesetzesänderung einverstanden, nach der Urheber — entgegen dem bereits geltenden EU-Recht — wieder eine Abtretung an Verleger vornehmen und damit die Verwertungsgesellschaften weiterhin an Verleger ohne Rechtsnachweis verteilen können sollten. So unterbreitete ver.di in seiner Stellungnahme zur geplanten, 2007 endlich beschlossenen Gesetzesänderung folgenden Vorschlag:

„Verwertungsgesellschaften, in denen Urheber und Verwerter gemeinsam vertreten sind, können beschließen, dass die Verwerter im Hinblick auf ihre Leistung angemessen beteiligt werden.“

Dieser Vorschlag bezieht sich klar auf die Situation in der VG Wort, in die eben die Verleger keine eigenen Rechte, insbesondere keine Leistungsschutzrechte, sondern nur abgeleitete Rechte einbringen.

Es war also Absicht, dass damit alles so bleiben würde wie bisher und die Urheber das verlieren sollten, was ihnen der Gesetzgeber von 2002 gewährt hat und das EU-Recht bekräftigt. Neben ver.di hat auch der DJV hinter den Kulissen für die Beibehaltung des Status quo gearbeitet und mir als Mitglied bei meiner Klage gegen die VG Wort den üblichen Verbandsrechtsschutz versagt, weil dies nicht den Interessen des DJV entspreche.

Nach dem Urteil des OLG München haben die Gewerkschaften und Berufsverbände der Urheber Erklärungsbedarf. Warum haben sie seit 2002 trotz der für ihre Mitglieder positiven Auswirkungen des Paragrafen 63a Urhebergesetz darauf hingearbeitet, gesetzlich zu legitimieren, dass den Urhebern weiterhin nur die Hälfte des auf ihre Werke entfallenden Vergütungsanteils ausgeschüttet wird, diese also massiv geschädigt werden? Immerhin geht es um mindestens 500 Mio Euro, die den Kreativen in GEMA, VG Wort und VG Bild-Kunst seit 2002 durch die rechtswidrigen Verteilungen ihrer Gesellschaften entgangen sind.

Der DJV beklagt, dass die VG Wort bei einem Erfolg der Klage nicht mehr weiterexistieren könne wie bisher. Andere Funktionäre, die die Schädigung der Autoren zu verantworten haben, äußern sich ähnlich. Als hätte sich das Gesetz nach den Statuten der VG Wort zu richten — und nicht umgekehrt!

Am 2.10.2013 hat die Gewerkschaft ver.di eine merkwürdige Pressemitteilung veröffentlicht. Darin heißt es:

Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) verwahrt sich gegen falsche Behauptungen, wonach sie „zusammen mit der VG Wort“ und anderen Beteiligten „2007 eine Änderung des Paragrafen 63a Urhebergesetz durchgesetzt“ habe, die das Abtreten von Vergütungsansprüchen an Verlage wieder erlaubte.

Und weiter:

Behauptungen, die diese Tatsachen in ihr Gegenteil verkehren, akzeptieren wir nicht und behalten uns im Wiederholungsfall ausdrücklich vor, auch juristisch gegen entsprechende Falsch-Berichterstattung vorzugehen.

Es ist nicht zum ersten Mal, dass ver.di versucht, durch Klageandrohungen die öffentliche Diskussion ihr unangenehmer Tatsachen und Meinungen im Zusammenhang mit dem Paragraphen 63a zu unterbinden. Offenbar ist dies ihr letztes Mittel, die Öffentlichkeit darüber hinwegzutäuschen, dass es maßgeblich die Verbände der Urheber waren, die dafür verantwortlich zeichnen, dass die Urheber auch weiterhin nur die Hälfte der ihnen kraft Gesetzes zustehenden Vergütung erhalten. Was freilich den Funktionären der Verbände und Gewerkschaften passt, nützt noch lange nicht deren Mitgliedern. Ver.di schürt zur Rechtfertigung ihrer Mitwirkung an der Schädigung der Autoren, die durch die Entscheidung des OLG München offenbar geworden ist, nun Zweifel:

Ob ein letztinstanzlicher Erfolg dieser Klage am Ende „mehr Geld für die Autoren“ bedeute, wie in einem Teil der
Berichterstattung prognostiziert, oder doch nur neuen Streit, sei derzeit völlig offen.

heißt es in ihrer Pressemitteilung, als könnten die Autoren nicht eins und eins zusammenzählen und als käme es auf die Einhaltung des Treuhandgrundsatzes gar nicht an.

In diesem Kontext lohnt ein Blick auf die Website der „Initiative Urheberrecht“, in der sich die meisten Urheberverbände zusammengeschlossen haben und die jährlich einen beträchtlichen Betrag von der VG Bild-Kunst erhält. Ein Teil der Funktionäre der in der Initiative zusammengeschlossenen Verbände wird sich nun in ihrer Eigenschaft als frühere Vorstände oder Verwaltungsratsmitglieder der einschlägigen Verwertungsgesellschaften für die unrechtmäßige Verteilung verantworten müssen.

Dort agiert der frühere Vorstand der VG Bild-Kunst als Sprecher und fordert im Namen der angeschlossenen Verbände, dass die Urheber von ihrer Kunst leben können müssen (wie das bei solchen freischaffenden Urhebern gehen soll, deren Werke nicht nachgefragt werden, verrät er nicht). Was freilich ist von solchen Funktionären zu halten, die eine derart großspurige Forderung erheben, aber den Urhebern bereits jetzt das vorenthalten, was ihnen von Gesetzes wegen zusteht, ja die sogar jetzt unverhohlen gegen die Interessen und mit dem Geld ihrer Wahrnehmungsberechtigten vom Gesetzgeber fordern, ihre bisherigen Veruntreuungen zu legitimieren?