Ohne Waschbären nach Fleckenberg: Yvonne Willicks’ „Großer Haushaltscheck“

Ich bin gestern Abend versehentlich in eine Ausgabe des „Großen Haushaltschecks“ mit Yvonne Willicks im WDR-Fernsehen geraten.

Das Thema war „Waschen“, und deshalb ist Yvonne Willicks zur Recherche natürlich zunächst einmal in den Ort Fleckenberg gefahren.

(Man muss es als ein Ausdruck der unbestechlichen Seriosität des Westdeutschen Rundfunks deuten, dass er Frau Willicks nicht mit drei Waschbären nach Waschaffenburg schickte. Andererseits liegt das auch gar nicht in Nordrhein-Westfalen.)

Als nächstes traf Willicks sich mit dem Komiker Klaus-Jürgen „Knacki“ Deuser, der insofern Experte ist, als er mehrere Jahre lang eine Stand-Up-Comedy-Show namens „Nightwash“ aus einem Waschsalon moderiert hat.

Mit Deuser ging sie in einen Waschsalon und traf eine Frau, die über Probleme mit SpermaWaschmittelflecken auf schwarzer Sportkleidung klagte. Da braucht oft man ein „detektivisches Gespür“, um die Ursache herauszufinden, erläuterte Yvonne Willicks und machte sich an die Arbeit. Sherlock Willicks erster Verdächtiger, nicht aufgelöstes Waschpulver, hatte allerdings ein Alibi, da die Frau Flüssigwaschmittel nimmt. Irgendwann gab sie dann einfach zu, dass sie gerne zuviel davon verwendet, woraufhin Yvonne Willicks sagte, dass die Flecken daher kommen könnten, dass sie zuviel davon verwendet. Die Expertise von Fachleuten lässt Laien immer wieder sprachlos beeindruckt zurück.

Willicks und Deuser gingen danach auf die Straße, wo Willicks vergeblich versuchte, Passanten darauf aufmerksam zu machen, dass sie zu heiß gewaschen wurde.

Das T-Shirt von Knacki Deuser zeigt übrigens kein eingemauertes Schwein, sondern das Waschsymbol für „kann ruhig heiß getrocknet werden“. (Wenn das Schwein nur ein Loch hätte, müssten Sie die Hitze zurücknehmen, aber das wissen Sie ja sicher.)

Bald darauf traf Willicks einen Mann von der „Stiftung Warentest“, die herausgefunden hat, dass Waschmaschinen in den energiesparenden Waschgängen oft gar nicht die angegebenen Temperaturen erreichen. Natürlich traf sie ihn nicht irgendwo, sondern im Café Waschsalon.

(Bitte beachten Sie, dass im Sinne eines sorgsamen Umgangs mit Gebührengeldern die Aufnahmen auch für die vermutlich bereits in Planung befindliche Sendung „Der große Dope-Check“ Verwendung finden können.)

Yvonne Willicks war über das, was der „Stiftung Warentest“-Mann ihr aus dem „Stiftung Warentest“-Heft vorlas, so empört, dass sie keine Sekunde zögerte und noch im Café Waschsalon …

… eine gepfefferte, fast fehlerfreie und gar nicht sehr schnippische E-Mail an die EU und diverse Waschmaschinenhersteller verfasste:

Der Mittelteil der Sendung war dann nicht mehr so spannend. Die WDR-„Fachkraft“ ließ sich die fiesen Flecken zeigen, die beim Football-Spielen entstehen, fand heraus, dass Waschmaschinen tatsächlich Socken auffressen können, ließ sich erklären, dass man eigentlich keine 17 verschiedenen Spezialwaschmittel braucht, und machte den ekligen Bakterienschleim aus der Maschine einer Familie weg.

Es gab zum Schluss womöglich ein paar ganz brauchbare Tipps, die ich aber leider vergessen habe, weil ich so fasziniert davon war, dass die Produktion Yvonne Willicks zum Posieren in eine Trickkulisse beamte …

… wo sie tatsächlich auf die gezeichneten Knöpfe der Waschmaschine drückte, bis sie, natürlich, ihre Ratschläge aus deren Bullauge verbreitete, das garantiert bakterien-, aber leider halt nicht yvonnewillicksfrei war.

Der durchschnittliche Zuschauer des WDR-Fernsehens ist über 60 Jahre alt. Er kann aber wenigstens nicht behaupten, von seinem Sender nicht wie ein Achtjähriger behandelt zu werden.

Eine Haltung mit Anstand? Das kann für RTL nur ein Missverständnis sein

Es war der Versuch, bei einem Sender wie RTL so etwas wie Anstand zu beweisen. Er ist umfassend gescheitert.


Foto: RTL

Es geht, zugegebenermaßen, scheinbar um nicht viel: den „Deutschen Comedypreis“ bloß, eine Auszeichnung, die Jahr für Jahr in Erinnerung ruft, wie klein die fernsehaffine Humorindustrie in Deutschland ist. (Mario Barth wurde sieben Jahre in Folge ausgezeichnet; Olaf Schubert war in diesem Jahr in einer bezeichnenden Doppelfunktion als Vorsitzender der Jury und Gewinner in der Kategorie „bester Komiker“ beteiligt — das Personal ist knapp.)

Nun gewannen aber gestern in der Kategorie „beste Moderation“ auch Sonja Zietlow und Daniel Hartwich: für die RTL-Dschungelshow „Ich bin ein Star — holt mich hier raus“. Das war einerseits nicht ganz unverdient, andererseits aber unglücklich, denn es war der erste Jahrgang ohne den verstorbenen Dirk Bach. Man konnte das, mit bösem Willen, so interpretieren, als hätte es geholfen, dass Bach nicht dabei war. Die Auszeichnung war mindestens ungeschickt.

Zietlow und Hartwich empfanden das offenbar auch so und kamen nicht zur Preisverleihung. Sie schickten stattdessen eine bemerkenswerte Videobotschaft mit folgendem Wortlaut:

Zietlow: Pünktlich zum ersten Todestag von Dirk Bach bekommen wir für den Dschungel also den allerallerallersten Preis überhaupt. Und zwar für die erste Staffel ohne Dirk Bach. Was für ein beschissenes Timing! Seit exakt zehn Jahren machen wir jetzt „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“. Für diese zehn Jahre würde ich jeden Preis der Welt mit Kusshand annehmen. Aber nicht für die erste Ausgabe ohne meinen Dickie.

Hartwich: Für Sonja und Dirk kommt dieser Preis ein Jahr zu spät. Für Sonja und mich kommt er ein Jahr zu früh. Ich kann keinen Preis annehmen, den mein Vorgänger verdient gehabt hätte. Ich hab mich nur ins gemachte Nest gesetzt. Und dann gewinnen wir auch noch in der Kategorie „Beste Moderation“. Aber von den vier Menschen, die für diese Moderationen zuständig sind, sind zwei gar nicht nominiert: Nämlich unsere beiden Autoren Jens Oliver Haas und Micky Beisenherz.

Zietlow: Es fühlt sich nicht richtig an. Nicht die richtige Kategorie, nicht die richtigen Nominierten und nicht der richtige Zeitpunkt. Und deshalb bitten wir um Verständnis, dass wir heute nicht mit euch feiern können.

Hartwich: Vielleicht nächstes Jahr. Vielleicht bekommt die Show dann endlich ihren ersten Preis. Ausgezeichnet… ist sie ja sowieso schon.

In dieser Form schaffte es das Statement aber nicht in die Preisverleihung. RTL schnitt die ersten drei Sätze von Zietlow und die letzten drei von Hartwich weg.

Es blieb, immerhin, eine klare Haltung, die viel positive Resonanz auslöste.

Auf seiner Internetseite ließ RTL zwar die darin enthaltene Kritik weg, berichtete aber:

Große Gefühle beim Comedypreis 2013: Sonja Zietlow und Daniel Hartwich wurden in der Kategorie „Beste Moderation“ für „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ ausgezeichnet. Die beiden Moderatoren waren bei der Preisverleihung in Köln nicht anwesend, verkündeten aber via Video-Botschaft, dass sie den Preis ein Jahr nach dem Tod von Dirk Bach nicht annehmen. Aus Respekt für „Dicki“ und weil es sich „komisch anfühle“, wie Zietlow in ihrer emotionalen Botschaft verkündete.

Hier könnte die Geschichte enden.

Aber offenbar war das noch zuviel kritische Haltung für RTL. Und so mussten die beiden Moderatoren plötzlich in einer neuen Erklärung ihre Haltung revidieren. Nun verlautbarten sie:

„Der Comedypreis für die beste Moderation ist das Ergebnis einer Teamleistung — den können und wollen wir deshalb gar nicht ablehnen. Den Zeitpunkt für die Nominierung finden wir nicht glücklich, aber die Auszeichnung ehrt uns. Wir wollten nur erklären, warum wir kurz nach Dickies erstem Todestag keinen Preis entgegennehmen und feiern können, den wir für die erste Staffel ohne ihn bekommen.“

Dass das im klaren Widerspruch zur Videoerklärung der beiden steht — und sogar zur früheren eigenen Darstellung auf der Seite von RTL — verschweigt der Bohlen-Sender. In einer Pressemitteilung schrieb er, die Videobotschaft von Zietlow und Hartwich sei „missverständlich so interpretiert“ worden, „dass sie den Preis abgelehnt hätten“.

RTL hat auch seine Berichterstattung auf rtl.de nachträglich geändert. Nun steht da nicht mehr, dass Zietlow und Hartwich den Preis nicht annahmen, sondern dass es „Verwirrung um die vermeintlich abgelehnte Ehrung“ gegeben habe. Nach der entsprechenden vermeintlichen Richtigstellung heißt es jetzt im Text:

Zuvor hatte es so ausgesehen, als wollten sie die Auszeichnung gar nicht annehmen. Die beiden waren in der Kategorie „Beste Moderation“ für „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ ausgezeichnet worden.

Die beiden Moderatoren waren bei der Preisverleihung in Köln nicht anwesend, hatten sich aber in einer Videobotschaft zu Wort gemeldet. Darin drückten sie sich allerdings so unklar aus, dass sie die Gäste im Saal ratlos zurückließen. Sie würden sich „komisch“ fühlen, weil Dirk Bach den Preis nicht bekommen hatte. „Der Preis kommt für mich zehn Jahre zu spät“, so Zietlow.

(Nein.)

Aus RTL-Sicht ist damit vermutlich alles wieder in Butter: Natürlich haben die tollen RTL-Moderatoren den schönen RTL-Comedypreis für die feine RTL-Sendung angenommen, sie wollten halt nur aus Pietät oderwiedasheißt nicht feiern kommen. Die eigene Berichterstattung wurde entsprechend geschönt.

Nur die Moderatoren, die eigentlich Haltung bewiesen hatten, stehen nun da wie Idioten, die nicht wissen, was sie wollen, und sich nicht einmal klar ausdrücken können.

Nachtrag, 18:55 Uhr. Als wäre die Sache nicht verworren genug, hat Sonja Zietlow nun gegenüber DWDL folgendes Statement abgegeben, das man schwerlich als „Erklärung“ bezeichnen kann:

„Eine Auszeichnung ist für mich wie ein Lob! Das hat man bekommen und Punkt. Ob man sich des Lobes für würdig hält und wie man damit umgeht, das steht auf einem anderen Blatt. Ich bin nicht wegen Terminschwierigkeiten nicht zur Verleihung des Comedypreises gegangen, sondern weil ich der Meinung bin, dass ich eine Auszeichnung zu genau diesem Zeitpunkt, in genau dieser Kategorie nicht verdient habe. Jedenfalls nicht NUR Daniel und ich.

Mit dieser Haltung wollte ich keineswegs respektlos gegenüber dem Preis, den Veranstaltern und der Jury erscheinen, nein, ich wollte meine höchste Anerkennung denjenigen zollen, die seit 10 Jahren für eine außergewöhnliche, mit Herzblut und Liebe gemachte Sendung stehen. Allen voran einem Mann, der zu Lebzeiten genau diesen Preis mehr als verdient hat: Dirk Bach! Aber wir haben diesen Preis nun mal genau JETZT bekommen, das Lob wurde ausgesprochen und ist angekommen. Und ich weiß auch schon genau, was ich damit machen werde…“

Phänomenologie: Die Reisewarnung

(Falls Sie am Sonntag in der FAS meine Glosse über die „Reisewarnung“ gelesen und sich gefragt haben, wo denn da der Witz ist: Es könnte daran liegen, dass ein nicht ganz unentscheidender Halbsatz beim Kürzen versehentlich rausgefallen ist. Dies ist die unredigierte Original-Fassung.)

Der Reiseveranstalter hat gute Nachrichten: Das britische Außenministerium warnt nur noch davor, Nosy Be zu besuchen, wenn es nicht unbedingt notwendig ist. Das sei eine deutliche Verbesserung gegenüber der Situation vier Tage zuvor, als das britische Außenministerium noch vor jedem Besuch der zu Madagaskar gehörenden Insel warnte. Man sei zuversichtlich, schreibt der Reiseveranstalter, dass es bis zu unserem Urlaubsbeginn eine weitere Herabstufung geben werde.

Feine Sache, auch wenn ich Probleme habe, mir die nächstharmlosere Formulierung konkret auszumalen. „Reisen Sie nur dann nach Nosy Be, wenn es Ihnen mittel- bis ziemlich wichtig ist, Sie sich den Urlaub wirklich verdient haben und Ihre Reiserücktrittsversicherung eine Absage nicht zahlt“? (Trifft in unserem Fall natürlich alles zu.)

Am weißen Sandstrand der Ferieninsel waren vor einer guten Woche auf einem Scheiterhaufen zwei Franzosen gelyncht worden, die für den Tod eines Achtjährigen verantwortlich gemacht wurden. Angeblich sollen in ihren Kühlschränken menschliche Organe gefunden worden sein, die wohl auch gern bei „lokal üblichen kultischen Ritualen“ verwendet werden, wie es hieß. Das ist ein bisschen mehr Brauchtum, als man sich als Urlauber wünscht.

Jedenfalls ist die Reise nun aber anscheinend auch dann nicht ungefährlich, wenn man sich nicht persönlich als Organhändler betätigt. Dank Internet kann man die Reisewarnungen aller Herren Länder vergleichen. Die amerikanische Botschaft in der Hauptstadt Antananarivo empfiehlt Reisenden, „sehr ernsthaft zu prüfen“, ob sie wirklich nach Nosy Be reisen müssen, solange die Behörden die „Ordnung“ nicht wiederhergestellt haben. Die französische Regierung erklärt ihren Bürgern, dass sie, wenn sie im Moment schon unbedingt nach Nosy Be reisen wollen, die einheimische Bevölkerung nicht durch „arrogantes Auftreten“ ärgern sollen. Und das deutsche Auswärtige Amt schreibt bündig: „Von Urlaubs- und Geschäftsreisen auf die Ferieninsel Nosy Bé wird derzeit dringend abgeraten.“

Das „dringend“ in diesem Satz klingt, als sei es extra für Leute geschrieben worden, die versucht sind, sich auf beschwichtigende Nachrichten ihres Reiseveranstalters oder halbrelativierend klingende Hinweise anderer Regierungen, die sie sich im Internet zusammengesucht haben, zu verlassen. Aber wir haben ja noch drei Wochen.

(Das britische Außenministerium hat übrigens inzwischen tatsächlich die Warnung noch weiter heruntergestuft und sagt nun nur noch, man solle sehr aufpassen.)

Blinkend mit Hasen jonglieren: Die „Huffington Post“ und die Inflation der Aufmerksamkeit

Die „Huffington Post“ bietet Bloggern Aufmerksamkeit statt Geld, aber die Aufmerksamkeit, die sie bietet, muss die „Huffington Post“ auch erst selbst generieren. Sie tut das atemlos, pausenlos; die ganze Seite ist wie jemand, der schnipsend, winkend, johlend, Rad schlagend, mit Kaninchen jonglierend, mit gigantischen blinkenden Pfeilen auf sich zeigend vor einem steht.

Dies ist aktuell die Startseite, und zu sagen, dass das ungefähr der unattraktivste und am wenigsten heimelige Ort ist, den ich mir vorstellen kann, geht völlig am Thema vorbei. Die Seite sieht so aus, weil ihre Verantwortlichen wissen, dass genau diese überladene, bewegte, bunte, großbuchstabige Überforderung dafür sorgt, am meisten Aufmerksamkeit und Klicks zu generieren.

Im Inneren lärmt es genau so weiter. Jeder Pups wird zu einer dröhnend stinkenden Riesenflatulenz aufgeblasen. Dies war vor wenigen Minuten die Startseite des Medien-Ressorts:

Wer den Fehler macht, auf das spektakulär klingende Versprechen vom „TREFFEN MIT DEM FEIND“ zu klicken, kommt zu einem Geschichtlein, wonach ein konservativer Journalist auf Twitter erklärt hat, warum er an einem Hintergrundgespräch mit Präsident Obama teilgenommen hat, über dessen Inhalt er nichts sagen darf. Sechs Tweets, die praktisch keine Beachtung fanden, und in ihrer Einleitung dazu muss selbst die „Huffington Post“ zugeben, dass es fast keine Proteste aus der konservativen Ecke gab, für die der Mann sich überhaupt hätte rechtfertigen müssen. Aber eine Aufmachung, als hätte sich Obama mit dem Chef der Taliban getroffen.

Der Medienteil besteht sonst gerade aus:

  • der Meldung, dass eine Korrespondentin CNN verlässt, was eine andere Seite gemeldet hat
  • dem Gerücht, dass der Sohn der Schauspielerin Mia Farrow bei MSNBC anfangen könnte, was eine andere Zeitung gemeldet hat
  • einigen Sätzen von Alec Baldwin, dass er zunächst gar nicht so scharf darauf war, für MSNBC zu arbeiten, was er einer anderen Seite gesagt hat
  • einer Meldung über Einschaltquoten, die auf einer anderen Seite gestanden haben
  • einem Video von einer Diskussion auf MSNBC
  • einem Zitat aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk NPR
  • einer AP-Meldung über Journalisten, die in Syrien festgehalten werden
  • einer Meldung, dass die Berichterstattung über die Präsidentschaftswahl 2016 schon jetzt extrem umfassend ist, was eine Studie ergab

Hinter der vielversprechenden Schlagzeile „The Ultimate Example Of The Power Of The Press“ verbirgt sich eine Reuters-Meldung, wonach der iranische Verhandlungsführer im Atom-Streit sich über den Bericht einer Hardliner-Zeitung so sehr geärgert habe, dass er physische Schmerzen bekam und sich im Krankenhaus untersuchen ließ. Mit der Original-Überschrift der Nachrichtenagentur („Hardline newspaper report sends Iran foreign minister to hospital“) ist natürlich kein Blumentopf zu gewinnen.

Die Beobachtung, dass Obama bei einer Pressekonferenz nur Journalisten von kleineren Medien aufrief und nicht die großen, führt in der „Huffington Post“ zur nicht weiter erklärten Teaser-Zeile: „SHUT OUT“.

Und auch der (aus einem anderen Medium abgeschriebenen) Beobachtung, dass eine bekannte MSNBC-Journalistin bei einem Vortrag vor Studentinnen und Journalistinnen einer jungen Frau womöglich einen Kontakt zum Sender verschafft hat, verschafft die „Huffington Post“ die angemessene größtmögliche Beachtung.

Das wird alles, gemessen an Aufmerksamkeit, wunderbar funktionieren. Der designierte Chefredakteur der deutschen Ausgabe der „Huffington Post“, Sebastian Matthes, erzählt auch stolz, dass man im Redaktionssystem mehrere alternative Überschriften und Bebilderungen anlegen kann und dann sieht, welche besser geklickt und verlinkt wird.

Wenn man erfolgreich auf einen Artikel gelockt wurde, ist es damit natürlich nicht getan. Zu fast jedem Stück gehört eine Bildergalerie oder ein Video, locken Dutzende weitere Teaser, laden Symbole zum Twittern, E-Mailen, Teilen, Kommentieren ein. Ich soll den Autoren folgen, Themen abonnieren, Newsletter bestellen, das Ressort liken, es bei Reddit unterbringen, die regelmäßig vierstellige Zahl von Kommentaren zum Text lesen. Die ganze Seite brüllt: Mach mit! Tu was! Komm hierher! Schau hierüber! Klick das!

Das ist vermutlich vorbildlich und unzweifelhaft erfolgreich, gemessen an einer einzigen Währung: Aufmerksamkeit.

Die „Huffington Post“ ist Meister darin, Aufmerksamkeit zu generieren und sich von anderswo generierter Aufmerksamkeit einen möglichst großen Teil abzuzwacken. Die eigentlich entscheidende Frage, worauf diese Aufmerksamkeit gerichtet ist, tritt hinter der Frage, wie man sie steigern kann, völlig zurück. Aufmerksamkeit ist ein Wert an sich. Hey: Boris Becker, der Mann, von dem man wirklich schon lange nichts mehr gehört und gelesen hat, wird der erste Blogger der an diesem Donnerstag startenden „Huffington Post Deutschland“. Hurra!

Das kann man natürlich alles machen, das ist auch nicht der Sargnagel im deutschen Journalismus. Ich glaube nur, dass der hiesigen Medienlandschaft kaum etwas weniger gefehlt hat als eine solche Windmaschine. Es spricht viel dafür, dass die deutsche „Huffington Post“, wie ihr amerikanisches Vorbild, für Menschen, die guten Journalismus und einzigartige Inhalte suchen, ein eher unwirtlicher Ort wird.

Und dann ist es schon bemerkenswert, wie schwer sich selbst die „Huffington Post“ noch damit tut, die ganze Aufmerksamkeit, die sie erfolgreich generiert, in Geld umzuwandeln. Nach Berechnungen des „Handelsblatts“ schreibt sie international rote Zahlen. Auch Aufmerksamkeit ist eine Währung, die unter Inflation leidet.

Milchmädchen im Einsatz gegen ARD und ZDF: Der Unsinn der Steuerzahler-„Studie“

Heute erkläre ich Ihnen, wie ARD und ZDF eine halbe Milliarde Euro jährlich einsparen können. Achtung: Indem sie das Geld einfach nicht ausgeben. Ta-daa!

Und jetzt sagen Sie nicht, das sei eine Rechnung, für die man nicht einmal ein Milchmädchen wecken müsste. Der Steuerzahlerbund, ein natürlicher Gegner des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, hat es mit dieser Rechnung heute in die „Welt“, die „Rheinische Post“, die „FAZ“ und diverse Online-Medien geschafft.

Er hat sie natürlich besser verpackt. Er hat sie als „Sonderinformation 1“ seines „Deutschen Steuerzahlerinstituts“ (DSi) herausgegeben und mit diversen Fußnoten, Quellenangaben und volkswirtschaftlichen Erläuterungen den Eindruck erweckt, es handele sich hier um eine seriöse wissenschaftliche Forschungsarbeit. Die Medien nennen das Papier „Studie“.

Angeblich weist es den öffentlich-rechtlichen Sendern nach, dass sie jährlich 650 Millionen Euro verschwenden.

Der größte Batzen dieses Betrages kommt aus den Sportrechte-Etats der Sender. Die ließen sich, laut der „Studie“, von jährlich 335 Millionen Euro auf 185 Millionen Euro senken. Auf die Zahl von 185 Millionen Euro kommt die „Studie“ nicht durch irgendein akribisches Nachrechnen, sondern durch den „Vorschlag“, es würde doch völlig genügen, wenn ARD und ZDF die Ausgaben für Sportgroßereignisse „generell auf z.B. fünf Prozent des Programmaufwands begrenzen“.

Hätte die „Studie“ ohne weitere Erklärung eine Begrenzung auf „z.B. vier Prozent“ oder „z.B. drei Prozent“ vorgeschlagen, hätten ARD und ZDF nach dieser Logik also noch viel mehr Geld verschwendet.

Darüber hinaus könnten ZDF, arte und Deutschlandradio laut der „Studie“ jährlich 50 Millionen Euro bei den Programmaufwendungen sparen. Diese Zahl ist nicht selbst ausgedacht, sondern stammt aus einer guten Quelle: Dem Bericht der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF). Die habe ein solche Kürzungspotenzial bei den Sendern festgestellt.

Das ist richtig. Und sie hat es nicht nur festgestellt, sondern diese Summe den Sendern auch gleich abgezogen. Die KEF hat die Etats, die sie ZDF, arte und Deutschlandradio bewilligt, für die aktuelle Gebührenperiode bereits um dieses Kürzungspotenzial reduziert. Anders gesagt: Die Sender mussten bzw. müssen dieses Geld ohnehin sparen und können es nicht mehr „verschwenden“. Denselben Logikfehler macht die „Studie“ auch beim von der KEF gekürzten Personalaufwand der Sender.

Ein erheblicher Anteil der 650 Millionen Euro, die ARD und ZDF angeblich verschwenden, ist Geld, das ARD und ZDF gar nicht bekommen: Das DSi schlägt vor, die 14 Landesmedienanstalten zusammenzulegen. Die bekommen jährlich 142 Millionen Euro von den Rundfunkbeiträgen. Was man auf diese Weise sparen könnte? Die „Studie“ weiß es — wie so oft — auch nicht, glaubt aber einfach mal — wie so oft — dem ausgewiesenen Medienexperten Hans-Peter Siebenhaar vom „Handelsblatt“. Weil der einmal von einer Ersparnis „im dreistelligen Millionen Euro-Bereich“ schrieb, zählt die „Studie“ einfach mal grob 100 Millionen auf die Gesamtverschwendungssumme — wohlgemerkt: von ARD und ZDF, die damit nichts zu tun haben.

Wie seriös die „Studie“ ist, zeigt sich auch in den Fußnoten. An einer Stelle heißt es:

Der Vorwurf, Politik und Rundfunk unterlägen gegenseitiger Einflussnahme kommt nicht von ungefähr. (…) Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk spielt gelegentlich sein Machtpotenzial gegenüber der Politik aus. So wurde den Abgeordneten des nordrhein-westfälischen Landtags z.B. gedroht, wenn diese gegen den neuen Rundfunkbeitrag stimmten, würde das im WDR eine negative Berichterstattung zur Folge haben.

Urheber dieser Behauptung ist Christian Nienhaus, der Geschäftsführer der WAZ-Gruppe (heute Funke-Gruppe), der das 2011 in einem FAZ-Interview gesagt hatte. Die Passage sorgte — verständlicherweise — für einigen Wirbel; der WDR drohte Nienhaus mit rechtlichen Schritten. Eine Woche später nahm er seine Äußerungen zurück:

„Ich stelle ausdrücklich klar, das ich mit meiner Äußerung nicht die Behauptung aufstellen wollte, der WDR habe unmittelbar oder mittelbar Abgeordneten im Landtag von Nordrhein-Westfalen in Zusammenhang mit deren Abstimmungsverhalten über die Mediengebühr mit einer negativen Berichterstattung im WDR gedroht“.

Die Verfasser der „Studie“ haben das praktischerweise nicht mitgekriegt, was natürlich auch daran liegen kann, dass sie womöglich eher fachfremd sind. Autoren sind im Papier nicht angegeben, am Ende steht nur: „Bearbeitung: Karolin Herrmann“. Karolin Hermann ist Diplom-Volkswirtin und beim DSi eigentlich zuständig für Haushaltspolitik und Haushaltsrecht.

Als Positionspapier und Sammlung von Argumenten gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der bestehenden Form aus volkswirtschaftlicher Sicht ist die Veröffentlichung natürlich völlig legitim. Es lässt sich aus ihr nur nicht seriös ablesen, wieviel Geld ARD und ZDF jährlich „verschwenden“.

Aber was ist „seriös“ schon für ein Kriterium, wenn es gegen ARD und ZDF geht?

[Offenlegung: Ich habe im Sommer mein Geld hauptsächlich damit verdient, für eine WDR-Sendung zu arbeiten. Persönlich unterstütze ich die Forderungen nach einer Deckelung des Sportrechte-Etats und einer Zusammenlegung der Medienanstalten, aber das ist ja nicht der Punkt.]

„Es waren AUSLÄNDER“ — Der falsche Kampf gegen die vermeintliche Selbstzensur

Der Dortmunder Journalistik-Professor Horst Pöttker möchte von der Presse grundsätzlich darüber informiert werden, wenn Straftäter oder Verdächtige ausländischer Herkunft sind. Er fordert in der aktuellen Ausgabe der „Zeit“, die Richtlinie 12.1 im Pressekodex ersatzlos zu streichen. In der heißt es, dass die „Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt“ werden soll, „wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.“

Über diese Richtlinie und ihre Wirkung kann man streiten. Man sollte dafür aber bessere Argumente haben als Horst Pöttker.

· · ·

Pöttker macht seine Kritik an einem konkreten Beispiel fest: Dem tödlichen Angriff einer Gruppe von jugendlichen Fußballspielern auf einen Linienrichter, im Dezember 2012 in Alemere bei Amsterdam. Pöttker schreibt:

Niederländische Medien berichten sofort, dass es sich bei den drei Jugendlichen um Marokkaner handelt. In Deutschland erfährt man dies erst einige Tage später aus rechten Blogs.

Das stimmt nicht. Die ersten Meldungen über den Tod des Linienrichters erschienen in Deutschland am Dienstag nach der Tat. Am Mittwoch berichtete der „Tagesspiegel“ ausführlich und schrieb:

Dass es sich bei den festgenommenen Schlägern laut „Algemeen Dagblad“ um drei Marokkaner handelt, macht den Fall nicht unbedingt leichter. Nach einem Bericht des Innenministeriums vom November 2011 wurden 40 Prozent aller marokkanischen Einwanderer im Alter zwischen 12 und 24 Jahren innerhalb der letzten fünf Jahre wegen Verbrechen in den Niederlanden verhaftet, verurteilt oder angeklagt. In Stadtvierteln mit mehrheitlich marokkanischstämmigen Einwohnern erreiche die Jugendkriminalität bereits 50 Prozent.

Einen Tag darauf berichtete die „taz“:

Auf niederländischen Websites wurde schon am Dienstag intensiv über die Täter diskutiert. Im Mittelpunkt standen dabei deren vermeintlicher Hintergrund und die Frage, ob es sich um „allochthone“, also Migranten handele. Die Boulevard-Zeitung Telegraaf zitierte den BuitenBoys-Vorsitzenden Oost, nach dem die Aggressoren drei marokkanische Spieler von Nieuw Sloten gewesen.

Die „taz“ lieferte auch ein Beispiel, wie die laut Pöttker so vorbildlich selbstzensurfreien niederländischen Medien teilweise berichteten. Am Dienstagabend habe die neokonservative Website GeenStijl.nl getitelt:

Nieuw-Sloten: Es waren AUSLÄNDER.

Richtig ist, dass in den deutschen Nachrichtenagenturen und vielen anderen Artikeln die Herkunft der Täter nicht genannt wurde. Pöttker fragt: „Warum haben seriöse deutsche Medien die Herkunft der Totschläger verschwiegen?“ Und urteilt:

Mit meinem Verständnis von Journalismus ist eine derartige Selbstzensur nicht zu vereinbaren. Journalisten sollten nicht die Erzieher der Nation sein.

Er schließt mit einem Zitat von Ingeborg Bachmann: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“

Offenbar besteht die „Wahrheit“ für Pöttker darin, die ethnische Zugehörigkeit von Tatverdächtigen zu nennen. Ob diese Zugehörigkeit irgendetwas mit der Tat zu tun hat, spielt für ihn entweder keine Rolle oder er geht davon aus, dass das eh immer der Fall ist: Eine Tat erklärt sich durch die Herkunft des Täters.

Warum ist diese — und anscheinend nur diese — Information so entscheidend, dass ein Verzicht auf sie in der Berichterstattung einem Verzicht auf die Wahrheit gleichkommt? Was sagt es uns, dass die Täter in diesem Fall marokkanischer Abstammung waren? Dass Marokkaner generell zu Gewalt neigen? Dass sie in den Niederlanden schlecht integriert sind? Dass es eigentlich kein Problem mit Jugendgewalt gibt oder mit Fußballgewalt, sondern mit Ausländergewalt? Oder ist die Nationalität eigentlich gar nicht relevant, sondern nur eine Chiffre für die Religion, und es zeigt sich in der Brutalität des Angriffs nur, wie viele der rechten Blogs sofort unterstellen würde, die Neigung von Moslems zu Gewalt?

Warum gibt sich Pöttker mit der Forderung zufrieden, die ethnische Herkunft von Tatverdächtigen zu nennen? Wäre es nicht die „Wahrheit“, zu schreiben: „Islamische Jugendliche überfallen christlichen Linienrichter“? Das ist womöglich auch wahr.

André F. Lichtschlag wies in seinem Online-Magazin „eigentümlich frei“ bedeutungsschwanger darauf hin, dass der Mann, der drei Monate vor dem Gewaltausbruch in den Niederlanden eine Frau in einem Jobcenter in Neuss erstach, auch marokkanischer Herkunft war. Und dass der Mann, der Monate zuvor in Belgien um sich schoss und viele Menschen tötete und verletzte, Sohn marokkanischer Einwanderer sei.

Drei ganz unterschiedliche Gewaltakte in drei ganz unterschiedlichen Situationen an drei ganz unterschiedlichen Orten — aber alles Marokkaner. Das kann doch kein Zufall sein, meint Lichtschlag, ohne zu erklären, was es stattdessen ist und was wir daraus für den Umgang mit Menschen marokkanischer Herkunft schlussfolgern sollten. (Die Gewalttaten, die auf das Konto mitteleuropäischer Menschen ohne Migrationshintergrund gehen, scheint er nicht addieren zu wollen.)

Aber in Deutschland werden Menschen mit Migrationshintergrund ja nicht mehr diskriminiert. Stellt jedenfalls Horst Pöttker beiläufig fest, während er erklärt, dass in der Richtlinie des Pressekodex ursprünglich nicht von „Minderheiten“ die Rede war, die vor Diskriminierung zu schützen seien, sondern von „schutzbedürftigen Gruppen“:

Aber sind die 16 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, die heute in Deutschland leben, tatsächlich schutzbedürftig? Als der Presserat das Wort 2007 strich, hatte er offenbar bemerkt, dass das nicht (mehr) der Fall ist.

Die Sätze muss man auch erstmal so hinschreiben — insbesondere, während in München ein Prozess wegen einer Mordserie gegen Menschen mit Migrationshintergrund läuft, bei der sich Polizei und Medien über viele Jahre nur vorstellen konnten, dass die türkischen und griechischen Opfer selbst irgendwie kriminell sein mussten. Und wer meint, dass das Ermordetwerden ja ein Schicksal ist, das in Deutschland nur wenige Ausländer erleiden, der lese diesen aktuellen „Tagesspiegel“-Artikel über den Alltagsrassismus, den ein 15-Jähriger in Berlin erlebt.

Menschen mit Migrationshintergrund sind keine schutzbedürftigen Gruppen mehr. Das steht da wirklich. Und die „Zeit“, die sich seit einer Weile als Kämpfer gegen vermeintliche Denk- und Sprechverbote profiliert, gegen das, was sie als „Political Correctness“ bezeichnet und für einen „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen“-Populismus, hatte offenbar kein Problem damit.

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Man kann den Unterschied zwischen einer wahren Tatsache und der Wahrheit auch ganz gut an Pöttkers Artikel selbst deutlich machen. Er erklärt, dass die von ihm kritisierte Richtlinie auf eine Anregung des Verbands der Deutsch-Amerikanischen Clubs von 1971 zurückgehe, um bei der Berichterstattung über Zwischenfälle mit amerikanischen Soldaten „darauf zu verzichten, die Rassenzugehörigkeit der Beteiligten ohne zwingend sachbezogenen Anlass zu erwähnen“, wie es damals hieß. 1993 sei sie auf Anregung des Zentralrates von Sinti und Roma verschärft worden.

Das mag wahr sein, aber der Eindruck, die Richtlinie sei eine deutsche und historische Besonderheit, ist falsch. Zur „Wahrheit“ hätte auch die Information gehört, dass sich ähnliche Richtlinien in vielen Medienkodizes finden, zum Beispiel im Handbuch von Reuters („Mention race or ethnicity only when relevant to the understanding of a story“), den Richtlinien der britischen und irischen National Union of Journalists („Only mention someone’s race if it is strictly relevant“) und dem britischen Pressekodex („Details of an individual’s race, colour, religion, sexual orientation, physical or mental illness or disability must be avoided unless genuinely relevant to the story“).

Gründen all diese Richtlinien ebenfalls auf „historischen Umständen, die sich geändert haben“, wie Pöttker schreibt? Nein, sie gründen auf der Erfahrung und Erkenntnis, dass Menschen verallgemeinern und Stereotype bilden. Dass sie aus der Erwähnung, dass ein Gewalttäter marokkanischer Herkunft war, schließen, dass diese Tatsache bedeutungsvoll ist und dass sie nicht nur etwas über den Täter aussagt, sondern auch über Marokkaner.

Pöttker meint, es würde reichen, wenn im deutschen Pressekodex zu diesem Thema nur noch der Satz stehen bliebe: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.“ Ein Blick zum Beispiel in den Kodex der Internationalen Journalisten-Vereinigung IFJ hätte ihn schlauer gemacht. Dort heißt es:

„The journalist shall be aware of the danger of discrimination being furthered by the media, and shall do the utmost to avoid facilitating such discrimination based on, among other things, race, sex, sexual orientation, language, religion, political or other opinions, and national or social origins.“

Es geht nicht nur darum, nicht selbst zu diskriminieren. Es geht um die Gefahr, dass Berichterstattung, selbst vermeintlich wahrheitsgemäße, solche Diskriminierung erleichtern oder verstärken kann.

Das ist der gute Grund, den ethnischen Hintergrund eines Täters oder Tatverdächtigen nicht zu nennen, es sei denn, er ist relevant — oder, wie es in der Richtlinie im deutschen Pressekodex heißt: „Wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.“ Das ist ein nachvollziehbares Kriterium und kein „starres Formulierungsverbot“, wie Pöttker behauptet. Und natürlich erlaubt es Journalisten, der Frage nachzugehen, welche Rolle der ethnische Hintergrund der Täter bei dem Angriff auf den Linienrichter spielte, ob kulturelle oder religiöse Prägungen eine Rolle spielen, ob und in welcher Form die Tat mit Verarmung, Verwahrlosung, Arbeitslosigkeit, misslungener „Integration“ zusammenhängt.

Pöttker aber tut so, als wäre schon die ethnische Herkunft der Täter eine Erklärung für die Tat.

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Ein Argument, das Pöttker gegen die Richtlinie im Pressekodex vorbringt, ist bedenkenswert: die Frage, ob sie heute nicht kontraproduktiv wirkt. Pöttker schreibt:

Untersuchungen zeigen, dass Leser es merken, wenn die Nationalität eines Täters gezielt weggelassen wird. Die führt zu einem Vertrauensverlust, der sich von jenen ausschlachten lässt, die tatsächlich diskriminieren. Die rechten Blogs konnten im Falle des zu Tode geprügelten niederländischen Linienrichters hämisch bemerken, dass „die deutsche Qualitätspresse die Herkunft der mohammedanischen Edelmigranten verschweigt“.

Ich kann mir vorstellen, dass eine tendenziell fremdenfeindliche Gesellschaft gerade dadurch, dass die ethnische Herkunft eines Tatverdächtigen normalerweise nicht genannt wird, ihre Vorurteile über den Hang von Ausländern zu Kriminalität und Gewalt bestätigt sieht. Dass das gut gemeinte Diskriminierungsverbot zu einer Paranoia führt, die hinter jeder Meldung über eine Gewalttat Ausländer vermutet — gerade weil das nicht explizit da steht.

Das wäre ein Problem und womöglich ein Grund, den Pressekodex zu überarbeiten. Allerdings führt Pöttkers Verweis auf die rechten Blogs in die Irre. Die Fremdenfeinde dort finden in Berichterstattung genauso Bestätigung für ihren Hass wie in Nichtberichterstattung. Wenn die seriösen Medien die Herkunft von Tätern nennen, nehmen sie das als Beweis für die Ernsthaftigkeit des Problems mit Ausländern. Wenn sie sie nicht nennen, umso mehr.

Am vergangenen Wochenende stellte das führende Hetzblog „Politically Incorrect“ die Meldung auf seine Seite, dass ein Mann in Düsseldorf an einer Straßenbahnhaltestelle fast erschlagen worden wäre. Die Kommentatoren nahmen das so, wie es vermutlich gemeint war: Als Beweis für eine weitere Gewalttat von Ausländern, die nicht als solche benannt werden dürfe, typisch für brutale Übergriffe von Moslems. Als es dann Indizien gab, dass die Täter Deutsche ohne Migrationshintergrund sein könnten, drehten sich die Interpretationen in den Kommentaren dahin, dass das nicht überraschend sei: Ausländer wären viel brutaler vorgegangen.

Der Hass dieser Leute hängt nicht davon ab, ob seriöse Medien den ethnischen Hintergrund der Täter nennen — er hängt, wie man sieht, nicht einmal vom ethnischen Hintergrund der Täter ab. Es wäre falsch und gefährlich, diesen Leuten auch noch soweit entgegenzukommen, dass man wie Pöttker suggeriert, eine Tat lasse sich durch die Herkunft des Täters erklären.

Sondierjournalismus: Lesen in der Kartoffelsuppe

Täusche ich mich oder lässt sich die innenpolitische Nachricht des gestrigen Tages verlustlos auf einen einzigen Satz zusammendampfen, der lautet: „CDU/CSU und SPD haben sich zu ersten Sondierungsgesprächen getroffen?“ Und alles, aber auch wirklich alles andere, das um diese Nachricht herum erzählt wurde, ist Pillepalle?

Aus den Online-Medien von „Süddeutscher Zeitung“ und „Welt“ erfahre ich:

  • Die SPD-Leute sind um 12:47 Uhr vom Jakob-Kaiser-Haus aufgebrochen, tragen jeder eine rote Kladde in der Hand, sagen aber nichts.
  • Die CDU/CSU-Leute sind ein paar Minuten später aufgebrochen, nehmen denselben Weg, aber ein anderes Tor und sagen auch nichts.
  • Angela Merkel winkt einmal.
  • Volker Kauder ruft den vielen Kameraleuten, Fotografen und Reportern zu: „Hallo! Guten Tag!“
  • Merkel und Gabriel sollen vorher mehrmals telefoniert haben.
  • Es gab „heiße“ („Spiegel Online“) Kartoffelsuppe mit Würstchen und Pflaumenkuchen.
  • Horst Seehofer und Olaf Scholz haben miteinander gescherzt.
  • Alle lachten, nur Hannelore Kraft „soll sauertöpfisch geguckt haben“.
  • Laut Andrea Nahles hat es „Konsensuales“ gegeben, aber „strittige Punkte“ seien „identifiziert“ worden.
  • Angela Merkel ist auf Unions-Seite „wie die klare Verhandlungsführerin aufgetreten“.
  • Volker Bouffier und Stanislaw Tillich haben häufiger was gesagt; Horst Seehofer nicht so häufig.
  • Beim Thema Finanzen hat Finanzminister Schäuble was gesagt.
  • Die SPD-Leute haben insgesamt viel gesagt.

Im „heute journal“ kündigt Moderator Christian Sievers den Beitrag zum Thema ohne erkennbare Ironie mit den Worten an:

Die spannende Frage für Deutschland: Was ist am Ende herausgekommen? Die Antwort: Zunächst mal nur ein Datum; man will sich wiedertreffen. Für alles andere muss man, wie Winnie Heescher jetzt, schon ganz genau hinschauen.

Das Ergebnis des ganz genauen Hinschauens, für Deutschland:


Bei CDU/CSU wurden im Fraktionsgebäude die Fahrstühle angehalten, bis die SPD-Leute weg sind. Die ZDF-Reporterin weiß: „Noch gilt, Abstand halten.“


Volker Kauder lässt Gerda Hasselfeld noch bei sich im Fahrstuhl mitfahren. Die ZDF-Reporterin weiß, man will sich: „als Kuscheltruppe verkaufen.“


Die SPD-Leute müssen ein paar Sekunden vor der Tür der Parlamentarischen Gesellschaft warten. „Man steht ein bisschen pikiert vor der Tür.“


Die CDU/CSU-Leute kommen fünf Minuten später.


„Bilder von der Sondierung gibt es keine. Die Speisekarte dringt heraus.“


Hinterher erscheint Andrea Nahles als erste wieder.


Die Generalsekretäre von CDU und CSU kommen erst 45 Minuten später.


Andrea Nahles spricht von einer „konstruktiven Atmosphäre“.


Hermann Gröhe spricht von einer „konstruktiven Atmosphäre“. Die SPD-Reporterin findet: Sie klingen „wie ein altes Ehepaar“.

Stunden zuvor hat das ZDF, mutmaßlich aufgrund der außerordentlichen Brisanz der sich überstürzenden Ereignisse, eine fünfzehnminütige Sondiersondersendung ins Programm genommen. Chefredakteur Peter Frey und die Leiterin des Haupstadtstudios Bettina Schausten fragen den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel: „Was nun?“

Eine erschöpfende Antwort darauf hätte, wie gesagt, gelautet: „Nun treffen wir uns übernächste Woche wieder.“ Spätestens nach 45 Sekunden hätte man die Sendung abbrechen können. Da sagt Gabriel auf die Frage, ob eine große Koalition nach diesem Treffen wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher geworden ist:

Es ist, glaube ich, genauso offen wie vorher.

(Unbezahlbar: das hilflos-bedeutungsschwangere „Offen“, das Schausten daraufhin echot.)

Zum Glück haben Schausten und Frey aber noch ein paar substanzielle Nachfragen auf ihren Karteikarten vor sich stehen, nämlich unter anderem:

  • Fühlten Sie sich irgendwie umworben?
  • Standen die 15 Prozentpunkte irgendwie im Raum, die zwischen Ihnen liegen, zwischen beiden Wahlergebnissen?
  • Da stehen ja auch die Beziehungen von früher im Raum, die da um den Tisch saßen, die kannten sie ja alle. Wie ist das eigentlich, was das Verhältnis zwischen Ihnen und Frau Merkel angeht?
  • Muss man wieder Vertrauen zueinander fassen?
  • Vertreten Sie eigentlich auch die These, dass die Wahlniederlage 2009 der SPD in der Verantwortung der Kanzlerin lag?

Diverse Versuche der Moderatoren, Gabriel dazu zu bringen, Steuererhöhungen zu einer nicht verhandelbaren Voraussetzung für das Eintreten in eine Große Koalition zu erklären, haben den erwartbaren Misserfolg.

Schön war allerdings, wie der SPD-Vorsitzende in dem albernen Satzergänzungsspiel, das aus irgendeiner internen Pflicht in jeder „Was nun“-Sendung gespielt werden muss, den Halbsatz vervollständigte: „Das wichtige Finanzministerium ist für die SPD…“ – „… ein wichtiges Finanzministerium.“

Es wäre ein guter Moment der Selbsterkenntnis für die ZDF-Verantwortlichen gewesen — zu merken, was für einen Unsinn man hier veranstaltet. Stattdessen widmet Bettina Schausten die Sendung „Was nun?“ vollends um in „Wenn dies, was dann?“ und fragt nach dem Mitgliedervotum, das über einen eventuellen Koalitionsvertrag entscheiden soll:

Wenn Sie dann überstimmt würden als Parteivorsitzender, würden Sie dann auch die Konsequenz ziehen und wären Sie dann gescheitert?

Sie fragt den Mann, der gerade fünfzehn Minuten lang nicht sagen wollte, ob man überhaupt der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen näher gekommen ist, ob er zurücktreten wird, wenn diese Koalitionsverhandlungen geführt werden, wenn sie zu einem Abschluss kommen, wenn dann die Mitglieder gegen einen Vereinbarung stimmen, deren Inhalt heute schon deshalb nicht bekannt sein kann, weil die Verhandlungen darüber noch gar nicht offiziell begonnen haben? Könnte nicht das bitte nächste Mal Horst Lichter da sitzen, sich erkundigen, ob es sich bei dem Pflaumenkuchen um einen Hefe- oder einen Quark-Öl-Teig handelte, und kritisch nachfragen, wer wieviele Stücke nahm, obwohl er vorher schon von der Kartoffelsuppe?

Ist das, was da gestern in den Medien stattfand (und eigentlich seit Wochen so ähnlich geht), politischer Journalismus? Oder könnte man’s auch einfach ohne Verlust lassen?

Nächste Woche treffen sich Union und Grüne. Was es wohl gibt?

Wer wegen Blome den „Spiegel“ abbestellt, bekommt ihn umsonst

Gut einhundert Leser haben ihr „Spiegel“-Abo ausdrücklich wegen des Transfers von „Bild“-Mann Nikolaus Blome zum Nachrichtenmagazin gekündigt, die meisten davon langjährige Abonnenten. Der „Spiegel“ hat den meisten von ihnen angeboten, das Heft drei Monate lang kostenlos weiter zu beziehen, damit sie sich überzeugen können, dass sich mit Blome als neuem Mitglied der Chefredaktion und Leiter des Hauptstadtbüros nichts an der journalistischen Haltung des Blattes ändern werde.

Einhundert Abbestellungen sind nach Angaben des „Spiegel“ keine große Zahl: Kontroverse Titelgeschichten würden des öfteren größere Wellen auslösen, und im Vergleich mit den Kündigungen nach der Umstellung auf die neue deutsche Rechtschreibung sei die Zahl „verschwindend gering“.

Andererseits sind das natürlich Faktoren, die für die Leser des „Spiegel“ unmittelbar erkennbar oder sogar unübersehbar sind, während sie die Kontroverse um die Personalie des „Bild“-Mannes nicht unbedingt wahrgenommen haben müssen. Das macht die Zahl von einhundert Kündigungen, bei denen Blome explizit als Grund genannt wurde, dann doch relativ eindrucksvoll.

Dass Verlage versuchen, kündigungswillige Abonnenten mit sogenannten „Halterangeboten“ zu überreden, dem Medium doch noch länger treu zu bleiben, ist nicht ungewöhnlich und offenbar in allen Verlagen übliche Praxis. Sofern die Kunden Gründe mitteilen, versucht der Kundenservice, auf diese Gründe individuell einzugehen und ein passendes Angebot zu machen. Neue Abonnenten zu gewinnen, wäre im Zweifel deutlich teurer.

Diejenigen „Spiegel“-Leser, die sich auf das Angebot einlassen, dreizehn Ausgaben kostenlos geliefert zu bekommen, müssen dann allerdings ausdrücklich erneut kündigen. Sonst werden sie automatisch wieder zahlende Abonnenten — dann eines Nachrichtenmagazins, das maßgeblich von einem herausragenden Vertreter des „Bild“-Verständnisses von Journalismus verantwortet wird.