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Springer und der Minister: Wo „Regierungsbeziehung“ ein schmutziges Wort ist

Wenn man sich „Leiter Regierungsbeziehungen“ nennt, dann ist so ein getwittertes Foto schon ein schöner Arbeitsbeleg:

Absender und rechts im Bild ist Dietrich von Klaeden, der Mann, der bei der Axel Springer AG in der Abteilung Public Affairs dafür zuständig ist, die Kontakte zur Politik zu pflegen. Und das links, seine Trophäe, ist der Bundeswirtschaftsminister und Vize-Kanzler Philipp Rösler (FDP).

Das Foto ist von derselben Dienstreise Röslers, auf der auch die Bilder entstanden, wie der Minister dem „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann um den Hals fiel. Diekmann war zu Studienzwecken ein Dreivierteljahr vor Ort, aber was machte Klaeden in Kalifornien?

Die Antwort ist einfach: Er gehörte zur offiziellen Delegation Röslers.

Das ist erstaunlich. Rösler hatte als Begleitung für die mehrtägige Reise nach San Francisco und Washington „ca. 40 Unternehmensvertreter sogenannter Startup-Unternehmen aus dem Bereich IT und Internet“ gesucht. Die Ausschreibung hatte im Detail formuliert, was unter einem „Startup“ zu verstehen sei — die Axel Springer AG fällt trotz allen Geredes von der angeblich gerade dort herrschenden Gründerzeitstimmung eher nicht darunter. Gefragt waren ausdrücklich Mitreisende von Vorstands-, Geschäftsführer- und Inhaberebene, also niemand aus der dritten Reihe wie Klaeden.

Wie kam der Springer-Mann dann in die Delegation und damit auch in den Genuss eines Sitzes in der Regierungsmaschine? Die Plätze waren eigentlich heiß begehrt. Die Seite deutsche-startups.de berichtete im Vorfeld, die Reise sei „quasi überbucht“ und zitierte Florian Nöll vom Bundesverband Deutsche Startups (BVDS): „Wir gehen aktuell davon aus, dass auf jeden Platz mehr als fünf Bewerber kommen. Das wird eine sehr schwere Entscheidung für das Ministerium.“ Der BVDS organisierte sogar eigens eine eigene Parallelreise, um den Bedarf teilweise zu decken.

Aber für Dietrich von Klaeden, den Regierungsbeauftragten der Axel Springer AG, der als Lobbyist unter anderem viele Male bei der Bundesregierung vorstellig geworden war, um für ein Leistungsschutzrecht für die Verlage zu werben, fand sich ein Platz in der offiziellen Delegation. Warum?

Das Bundeswirtschaftsministerium [BMWi] schreibt mir auf Anfrage:

Der Minister wurde auf seiner Reise von einer Delegation aus deutschen Unternehmen, Pressevertretern, Vertretern des BMWi sowie Abgeordneten, unter anderem auch von Herrn Dietrich von Klaeden, begleitet.

Das ist sicher nur unglücklich formuliert, denn Dietrich von Klaeden ist — anders als sein Bruder Eckart, der Staatsminister im Bundeskanzleramt — kein Abgeordneter. (Außer von Springer, natürlich.) Die Unschärfe ist an dieser Stelle besonders betrüblich, weil meine Frage an das Ministerium ausdrücklich gelautet hatte: „In welcher Funktion war Dietrich von Klaeden von der Axel Springer AG [in der Delegation] mit dabei?“

Immerhin hat mir das Ministerium eine Liste der Unternehmen geschickt, die „zusammen mit dem Minister als Teil der Delegation in die USA gereist sind“. Da stand die Axel Springer AG nicht drauf. Bleibt also noch die Möglichkeit, dass Klaeden als „Pressevertreter“ mitgereist ist, womit aber üblicherweise Berichterstatter gemeint sind und nicht Lobbyisten der Presse. Dass Klaeden sich selbst auf Twitter als „Lawyer and Journalist“ bezeichnet, kann im Ernst nicht mehr sein als eine romantisierte Anspielung auf seine Zeit bei der ARD Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre.

Vielleicht muss man die Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums so verstehen: Rösler nahm in seiner Delegation Unternehmer mit, Pressevertreter, Ministeriumsleute, Abgeordnete — sowie Dietrich von Klaeden in seiner Funktion als Freund des Hauses und Lobbyist der Axel Springer AG, mit der sich der Minister auf Innigste verbunden fühlt.

Mehr von mir über Springers Digital-Inszenierungsstrategie und wie ihr — nicht nur — Jakob Augstein auf den Leim geht, steht in der FAS — und jetzt auch frei auf faz.net.

dpa macht Bock zum unabhängigen Gartenexperten

Am Freitagnachmittag gab die Nachrichtenagentur dpa Entwarnung:

Wachsende Unsicherheit für Autoren, Verlage und Betreiber von Suchmaschinen? Diese Folgen des neuen Leistungsschutzrechts schließt der Urheberrechts-Anwalt Ole Jani aus. Er begrüßt mehr rechtliche Klarheit durch die Novelle.

Der Experte, mit dem dpa „zur juristischen Einschätzung“ des gerade vom Bundestag beschlossenen Gesetzes gesprochen hatte, hatte darüber ausschließlich Positives zu sagen:

Das Gesetz schaffe rechtlich Klarheit, sagte Jani im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Auch die im Gesetz nicht näher definierten „einzelnen Wörter oder kleinste Textausschnitte“, die auch künftig von der Lizenzpflicht ausgenommen sein sollen, seien hinreichend bestimmbar. (…)

„Dass das eine oder andere auch noch ausgelegt werden muss, und notfalls am Ende des Tages auch noch mal durch ein Gericht, das ist nicht etwa ein Sündenfall oder ein Skandal, sondern das liegt in der Natur der Sache“, sagte Jani. (…)

Jani sagte, der Gesetzgeber sei gut beraten gewesen, die Länge der sogenannten „Snippets“ nicht auf eine bestimmte Zeichenzahl zu beschränken, wie in einem Entwurf angedacht. (…)

Jani lobte das Gesetz als Schritt zur Gestaltung der Rechtslage im Internet. Deutschland habe sich aus der Rolle des „retrospektiven Gesetzgebers“ befreit.

Es mag angesichts der von vielen Seiten geäußerten Kritik überraschend wirken, wie uneingeschränkt das Lob von Ole Jani für das Gesetz ausfällt. Es ist aber gar nicht überraschend, wenn man weiß, wer Ole Jani ist.

Ole Jani ist — in den Worten des Anwaltes und SPD-Politikers Jan Mönikes — einer der „Väter des Leistungsschutzrechtes“.

Robin Meyer-Lucht schrieb vor zwei Jahren, Jani gelte als „einer der wichtigsten Berater“ der Bundesjustizministerin zum Thema Urheberrecht. Er sei „parlamentarischer Berater für Urheberrechtsfragen“ der FDP-Bundestagsfraktion.

In der vergangenen Legislaturperiode wurde er auf der Internetseite der FDP- Fraktion als „Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Rechtspolitik im Arbeitskreis IV (Innen und Recht)“ mitsamt einer E-Mail-Adresse @fdp-bundestag.de aufgeführt. Auf den Seiten der Kanzlei CMS Hasche Sigle, für die er arbeitet, gibt er vage an, er sei „seit 2001 parlamentarischer Berater für Urheberrechtspolitik im Deutschen Bundestag“.

Dabei soll sein Einfluss gerade im konkreten Fall sehr handfest gewesen sein: „Ole Jani hat das Leistungsschutzrecht für Presseverlage in den Koalitionsvertrag geschrieben“, sagt ein Beobachter. Außer zur FDP und zur Bundesjustizministerin habe Jani enge Verbindungen zur Axel Springer AG.

Die dpa-Leser und -Kunden ahnen davon nichts. Jani wird als scheinbar unabhängiger Experte den „Kritikern“ des Gesetzes gegenüber gestellt, seine Verbindung zur FDP mit keinem Wort erwähnt.

Ich habe dpa-Chefredakteur Wolfgang Büchner gefragt, ob die Agentur das nicht hätte erwähnen müssen und ob die Verbindung Jani nicht als unabhängigen Experten disqualifiziere. Seine Antwort:

In der dpa-Berichterstattung sind zahlreiche Gegner und Befürworter des LSR ausgiebig zu Wort gekommen.

Aha. Schön. Nur war das gar nicht die Frage.

Nachtrag, 12:15 Uhr. Herr Jani teilt mir mit,

dass ich nicht Berater der FDP-Bundestagsfraktion bin und auch keinen Beratungsauftrag der FDP oder des Bundesjustizministeriums habe. Dass ich mehrere Jahre lang als wissenschaftlicher Mitarbeiter / Referent mich für die FDP-Bundestagsfraktion mit dem Urheberrecht befasst habe, wird Ihnen bekannt sein. Diese Beratungstätigkeit habe ich aber schon vor längerem beendet.

Dreist und dumm: die neue Bildersuche von Google

Zugegeben: Ich hatte nicht damit gerechnet. Ich hatte nicht gedacht, dass die neue Bildersuche von Google tatsächlich genau so funktionieren würde, wie es in der Ankündigung und den ersten aufgeregten Berichten klang. Ich hatte Google vielleicht die Dreistigkeit zugetraut, aber nicht die Dummheit.

Bislang führte ein Klick auf eines der kleinen Vorschaubilder in der Übersicht immer auf die Seite, auf der das Original zu sehen war. Jetzt führt er zu einer Anzeige des Bildes innerhalb der Suche. Der Nutzer muss also die Ergebnisseite gar nicht mehr verlassen, um sich die Bilder in voller Größe anzeigen zu lassen.

Bisher:

Neu:

Man kann mit der Tastatur einfach durch die gefundenen Bilder blättern, ohne Google verlassen zu müssen. Das ist zweifellos sehr praktisch. Google hat die Bildersuche für die Nutzer und für Google optimiert. Die Interessen der Urheber und Rechteinhaber spielten dabei erkennbar keine Rolle.

Wenn Google behauptet, dass die Änderung auch den Seitenbetreibern zugute kommt, ist das offenkundiger Unsinn. Google verweist darauf, dass nun gleich vier Links vom Suchergebnis zur Quellseite führen. In Tests habe sich zudem gezeigt, dass mehr Leute vom Ergebniss zur Quelle klicken. „Wir können erkennen, dass durch das neue Design bei einer typischen Suche durchschnittlich ein höherer Click-Through-Wert erzielt wird als früher“, sagt Google-Sprecher Kay Oberbeck.

Was er dabei ignoriert: Bislang war es in vielen Fällen gar nicht nötig, zur Quelle durchzuklicken, die Seite wurde ohnehin angezeigt, mit all den Informationen oder Anzeigen, die sie im Original umgeben. „Durchklicken“ bedeutet bei der alten Bildersuche bloß, die Seite aus dem Rahmen zu befreien, neben dem rechts noch die Google-Informationen angezeigt wurden. Bei der neuen Bildersuche bedeutet „Durchklicken“, die Originalseite überhaupt zum ersten Mal zu sehen bekommen. Diese beiden Werte miteinander zu vergleichen, ist sinnlos und dient bloß der Propaganda.

Dass Fotografen nach ersten Auswertungen feststellen, dass ihre Seiten von der neuen Bildersuche wesentlich weniger Besucher bekommen, ist absolut plausibel.

Genau genommen kopiert Google übrigens die Bilder nicht, es bindet sie nur von der fremden Seite ein. Auf dieselbe Weise liegt das folgende, mutmaßlich urheberrechtlich geschützte Bild zum Beispiel nicht auf meinem Server, sondern ist einfach nur von der Quelle eingebunden:

Das ist technisch ein Klacks, aber aus guten Gründen verpönt und ändert nach meinem Verständnis auch nichts bei der Beurteilung der Frage, ob das Vorgehen von Google legal und legitim ist.

Der Bundesgerichtshof hat 2010 die alte Bildersuche für rechtmäßig erklärt, musste dafür aber auch schon einige Verrenkungen vornehmen. Die neue Form, die die vollständige Anzeige urheberrechtlich geschützter Werke ermöglicht, hat keinen entsprechenden Schutz verdient.

Vorige Woche wurde noch spekuliert, dass die Bildersuche in Deutschland aufgrund der Rechtslage und der öffentlichen Debatte anders aussehen könnte. Doch über Google.com ist sie längst auch aus Deutschland und auf deutsch in der urheberfeindlichen Form zugänglich.

Mit der Diskussion um ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger hat der Streit um die Google-Bildersuche eigentlich nichts zu tun, denn beim Leistungsschutzrecht geht es ja gerade nicht um die Anzeige ganzer Werke, sondern kleiner und kleinster Ausschnitte daraus. Aber in einem wichtigen Punkt gibt es natürlich doch einen Zusammenhang: Google verhält sich hier in exakt der rücksichtslosen und dreisten Weise, die die Verleger und andere Kritiker dem Konzern sonst (nicht immer zu recht) vorwerfen. Und hier passt sogar die vom Oberverlagslobbyisten Christoph Keese sonst gerne falsch verwendete Metapher vom Lichtschalter: Seiten können nur entscheiden, ob ihre Fotos in der Bildersuche auch im Original angezeigt werden — oder gar nicht.

Diese neue Bildersuche zu einem Zeitpunkt zu starten, zu dem Google so unter kritischer Beobachtung steht, zeugt von einem außerordentlichen Maß an Dummheit.

Die „Lex Google“ wird ohne Google beraten

Am kommenden Mittwoch steht im Rechtsausschuss des deutschen Bundestages das geplante Leistungsschutzrecht für Zeitungs- und Zeitschriftenverleger auf der Tagesordnung. Zu der öffentlichen Anhörung sind neun Sachverständige geladen: Vier Juristen von Universitäten, zwei Anwälte, zwei Verlagsvertreter und ein Journalistenvertreter.

Ein Vertreter von Google ist nicht dabei.

Dabei ist Google der Hauptbetroffene des neuen Gesetzes. Es ist kein Zufall, dass es den Spitznamen „Lex Google“ bekommen hat. Auch die Verlegerverbände machen kein Geheimnis daraus, dass es ihnen mit diesem von ihnen geforderten Gesetz vor allem um den Suchmaschinenkonzern geht. In einer Broschüre pro Leistungsschutzrecht, die sie gerade an die Bundestagsabgeordneten verschickt haben, findet sich die erklärte Absicht, den Marktanteil von Google mithilfe des Gesetzes zu reduzieren.

Es geht um ein Gesetz, das — nüchtern und neutral formuliert — vor allem das rechtliche Verhältnis zwischen Google und den Verlagen neu regeln soll. Und der Bundestagsausschuss, der darüber berät, lädt von den betroffenen Parteien nur eine ein? Beruft als Sachverständige zwei Verlagsvertreter, einen verlegerfreundlichen Journalistenvertreter und niemanden von Google?

Warum?

Ich habe Burkhard Lischka gefragt, den SPD-Obmann im Rechtsausschuss. Sein Sprecher antwortete mir:

Es ist richtig, dass der Regierungsentwurf in erster Linie auf Dienste wie Google News abzielt. Daher sehen wir primär die Bundesregierung in der Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass die Hauptbetroffenen dieser Gesetzgebung Gelegenheit bekommen, im Rahmen der Anhörung zum Gesetzentwurf Stellung zu nehmen. Den Koalitionsfraktionen, die insgesamt fünf Sachverständige benennen können, wäre es möglich gewesen, diesem Umstand Rechnung zu tragen.

Wenn die Bundesregierung (auf Druck der Verleger) ein Gesetz will, das sich vor allem gegen Google richtet, soll die Bundesregierung auch gefälligst Google als Sachverständigen benennen? Das klingt für mich eher nach einer Kindertrotzargumentation, aber gut: Warum also hat zum Beispiel die Union niemanden von Google als Sachverständigen nominiert?

Die Antwort von CDU/CSU-Obmann Thomas Silberhorn lautet,

dass selbstverständlich alle Fraktionen im Deutschen Bundestag jeweils Sachverständige für eine öffentliche Anhörung benennen können. Im Übrigen gab es bereits vielfältig Gelegenheit, um die Stellungnahmen von Google in hinreichender Weise zur Kenntnis zu nehmen. Darüber hinaus wird Herr Silberhorn am kommenden Montag an einem Gesprächstermin mit Kent Walker, Senior Vice President & General Counsel der Google Inc, zum Thema Urheberrecht teilnehmen.

Ich möchte nicht wissen, an wieviel Gesprächsterminen mit Verlegervertretern Herr Silberhorn schon teilgenommen hat, ohne das Gefühl zu bekommen, dass es „bereits vielfältig Gelegenheit gab“, deren Positionen „in hinreichender Weise zur Kenntnis zu nehmen“. Aber deren Positionen kann man anscheinend gar nicht genug zur Kenntnis nehmen. Neben Springer-Außenminister Christoph Keese ist deshalb noch ein zweiter Verlegervertreter als Experte geladen: Holger Paesler, Geschäftsführer der Verlagsgruppe Ebner. Paesler war früher Leiter Medienpolitik beim Zeitungsverlegerverband und bis 2008 Geschäftsführer des Verbandes Bayerischer Zeitungsverleger.

Von Google hingegen ist niemand geladen.

(Um gleich einen möglichen Einwand der Keeses vorwegzunehmen: Auch der Rechtsanwalt Till Kreutzer, der als Sachverständiger geladen ist, spricht vor dem Ausschuss nicht für Google. Kreutzer hat die Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht IGEL ins Leben gerufen, mit der ich offen sympathisiere. IGEL wird von Google finanziell unterstützt, hat aber nach Kreutzers Angaben völlige redaktionelle Freiheit garantiert, was eine Voraussetzung gewesen sei, die Unterstützung anzunehmen.)

Der Suchmaschinenkonzern ist nicht zur Anhörung geladen, obwohl ihn das Gesetz erheblich betrifft. Das macht man eigentlich nur mit bösen Kindern und nicht, wenn man einen Ausgleich zwischen verschiedenen Interessen schaffen will. Aber das entspricht ja vielleicht nicht zufällig der Art, wie die Verleger den Konflikt darstellen, mit Google als Dieb und Räuber.

Ausgewogenheit, wie sie Hubert Burda meint

„Kritisch und ausgewogen“ hätten sich die Journalisten und Redakteure der deutschen Zeitungen und Zeitschriften zum Thema Leistungsschutzrecht geäußert, schrieb Verlegerpräsident Hubert Burda den Bundestagsabgeordneten. Das ist ein guter Anlass, ausnahmsweise in den „Focus“ zu schauen, den er herausgibt.

Auch der hat sich in dieser Woche mit dem Leistungsschutzrecht befasst. Der Artikel trägt die Überschrift: „Bald Fairness im Netz?“ Er ist mit einer Karikatur illustriert, die Google als Spinne in einem Netz zeigt, in dem schon mehrere Fliegen mit Euro-Zeichen und ein Schmetterling mit Dollar-Zeichen festhängen. Die Google-Spinne trägt ein Protestschild mit der Aufschrift „FÜR DIE FREIHEIT IM NETZ!“

„Focus“-Medienredakteur Robert Vernier berichtet unter dieser Zeichnung, dass das geplante Leistungsschutzrecht „ungeachtet der massiven Kampagne des Internet-Riesen Google die erste parlamentarische Hürde“ genommen hätte. Das Gesetz solle Verlage vor dem „unberechtigten und unbezahlten Zugriff“ auf ihre Inhalte schützen, behauptet er und fasst seine Bedeutung so zusammen:

Es hätte Vorbildcharakter für viele Länder, in denen sich Verlage — wie etwa in Frankreich und Brasilien — gegen die ungenierte Selbstbedienung von Google & Co. bei Zeitschriften- und Zeitungsinhalten wehren. (…)

Per Internet-Kampagne und Zeitungsanzeigen schürte der US-Konzern vergangene Woche mit unwahren Behauptungen und bizarren Andeutungen Ängste. Google erklärte die Freiheit des Internets für bedroht und forderte dessen Nutzer auf, Bundestagsabgeordnete mit einer Flut von E-Mails auf Konzernkurs zu zwingen.

Vernier zitiert dann aus der Bundestagsdebatte jeweils mehrere Äußerungen von Max Stadler (FDP) und Ansgar Heveling (CDU). Beide sind Befürworter des neuen Gesetzes.

Argumente gegen das Leistungsschutzrecht aus der Debatte werden im „Focus“ nicht erwähnt. Ein Gegner des Gesetzes kommt im „Focus“ nicht zu Wort. Von der Kritik namhafter Wissenschaftler an dem Gesetz erfährt der „Focus“-Leser nichts.

Diese, äh, nachrichtliche Berichterstattung wird durch einen Kommentar hinten im Heft ergänzt. In der Rubrik „Montag ist Zeugnistag“ gibt „Focus“ Google eine 6.

Journalismus?

Frank Schirrmacher brauchte nur einen einzigen ironischen Satz, um deutlich zu machen, wie wenig erstrebenswert eine Zukunft ist, in der es keine Zeitungsverlage mehr gibt, sondern in der „Konsumhersteller ihre eigenen Nachrichten produzieren“:

Wir freuen uns schon, wenn Apple über die Arbeitsbedingungen in China berichtet oder Coca-Cola über die Segnungen der Globalisierung.

Ja, das ist ein guter Test für die Qualität, für die Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit eines Mediums: Wie es mit Themen umgeht, die es selbst betreffen.

Die deutschen Zeitungen versagen gerade in spektakulärer Weise bei diesem Test. Sie demonstrieren jedem, der es sehen will, dass sie uns im Zweifel nicht zuverlässiger informieren, als es irgendein dahergelaufener amerikanischer Konsumhersteller täte.

Es ist eine bittere Ironie, dass sie diesen Beweis im Kampf für ein Gesetz liefern, dessen Notwendigkeit sie im Kern damit begründen, dass sie als zuverlässige Informanten der Bürger unverzichtbar und unersetzbar sind.

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Am Donnerstag lobte die FAZ in einem Artikel den „virtuosen Eiertanz“, den die „New York Times“ gerade in ihrer Berichterstattung über die Skandale bei der BBC vollbringt. Mark Thompson, der darin verwickelte frühere Generaldirektor der BBC, ist nämlich seit kurzem Vorsitzender der Geschäftsführung der „New York Times“. „Dem amerikanischen Verständnis von journalistischer Objektivität entspricht es“, staunte FAZ-Korrespondent Patrick Bahners, „dass ein Presseorgan eigene Angelegenheiten in gleicher Form darstellt wie die Geschäfte Dritter.“

Meinem Verständnis von journalistischer Objektivität hätte es entsprochen, wenn die deutsche Presse versucht hätte, ihre Leser fair, umfassend und zutreffend über das geplante Leistungsschutzrecht für Verlage zu informieren. Ich hätte es für selbstverständlich gehalten, sich darum zu bemühen, dass die nachrichtliche Berichterstattung in eigener Sache bzw. über einen unmittelbaren Konkurrenten oder Gegner ganz besonders unangreifbar ist.

Auf der Grundlage einer solchen ausgewogenen, sachlichen Darstellung könnten die Redaktionen dann natürlich Kommentare veröffentlichen, in denen sie für die eigene Position werben, die anscheinend mit der ihrer Verleger identisch ist (auch wenn ich mir als Leser vermutlich trotzdem wünschen würde, dass sie ohne den Kniff auskämen, das konkurrierende Unternehmen gleich als einen Agenten Amerikas zu dämonisieren).

Meinem Verständnis von gutem Journalismus hätte es entsprochen, die Gegenseite mindestens so ausführlich zu Wort zu kommen wie die eigene Seite, und zum Beispiel Gastkommentare nicht ausgerechnet von denen schreiben zu lassen, die ohnehin meiner Meinung sind. Das wäre kein Zeichen von Masochismus, sondern von Selbstbewusstsein. Und es würde beim Leser offensiv den möglichen Verdacht ausräumen, dass man ihm in einer solchen Situation abweichende Meinungen oder unliebsame Tatsachen verschweigt, wie man es offenbar von Apple und Coca-Cola erwarten muss.

(Dass das nicht ausschließt, sich kritisch mit Google und seinen höchst beunruhigenden Geschäftspraktiken auseinanderzusetzen, versteht sich von selbst.)

Stattdessen haben sich weite Teile der deutschen Presse dafür entschieden, Propagandaorgane in eigener Sache zu sein. Sie sehen es als ihre Aufgabe, dazu beizutragen, dass sie ihr Leistungsschutzrecht bekommen. Sie sehen es nicht als ihre Aufgabe, die Bürger gut zu informieren.

Nun kann man mir natürlich Naivität vorwerfen, dass ich etwas anderes erwartet hatte. Das ändert aber am Ergebnis nichts: Die deutschen Zeitungen haben genau den Test nicht bestanden, anhand dessen die Untauglichkeit möglicher Ersatz-Verleger wie Apple und Coca-Cola dargestellt werden sollte. Sie haben ihre eigenen Leser verraten, als würden sie die nicht mehr brauchen, wenn sie nur Google besiegen könnten.

Es findet keine kritische Berichterstattung statt über die Verleger-Kampagne und ihre Lobby-Arbeit, über die U-Boote, die in die Debatte geschmuggelt werden, über die würdelose Praxis, dass Chefredakteure zu nickenden Stichwortgebern ihrer eigenen Geschäftsführer werden, über das erbärmliche Agieren des früheren Journalisten Christoph Keese, der in dieser Sache als Sprecher der gesamten deutschen Verlagsbranche auftritt und sich offenbar entschlossen hat, dass die Wahrheit in diesem Kampf nicht sein Verbündeter ist.

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Neulich habe ich die Journalismus-Krisen-Berichterstattung der „Zeit“ kritisiert und als „Wohlfühljournalismus“ bezeichnet. In seiner Erwiderung verteidigte Chefredakteur Giovanni di Lorenzo nicht nur ausdrücklich einen solchen „Wohlfühljournalismus“. Er beschwerte sich zudem:

Man könnte ja auch sagen, dass wir weniger für die ZEIT, sondern für die ganze Branche eine recht ordentliche Titelgeschichte hinbekommen haben.

Ja, das hätte man auch sagen können. Ich wollte das aber nicht sagen, weil das nicht meine Meinung ist. Ich fand, es ist keine recht ordentliche Titelgeschichte geworden.

Bestürzend an di Lorenzos Satz finde ich nicht nur, dass sich ein leitender Journalist so nach Zustimmung sehnt. Bestürzend finde ich vor allem den Versuch einer doppelten Vereinnahmung: Dass die „Zeit“ da etwas für die ganze Branche geleistet hätte. Und dass ich das dann als Angehöriger dieser Branche doch bitte zu schätzen hätte.

Offenkundig ist der „Zeit“-Chefredakteur in der Branche nicht allein mit dem Wunsch, den ich aus seinen Texten herauslese: Dass die Zeitungen und der Journalismus von Kritik möglichst verschont werden sollen. Er suggeriert, dass es etwas Unanständiges und Selbstzerstörerisches ist, wenn ausgerechnet Zeitungs-Mitarbeiter und Journalisten diese Kritik üben.

Dahinter steckt womöglich der Gedanke, dass wir Journalisten einander in diesen schlechten Zeiten gegenseitig schonen müssen. Dass wir zusammenrücken sollen, zusammenhalten, gegen Google, zum Beispiel. Dass die Lage zu schlecht ist, um sich eine kritische Beschäftigung mit sich selbst und eine wahrhaft unabhängige Berichterstattung über die eigenen Themen leisten zu können.

Das Gegenteil ist richtig. Journalismus hat nur dann eine Chance zu überleben, unter welchen Rahmenbedingungen auch immer, wenn die Menschen ihn für unverzichtbar halten. Wenn sie davon überzeugt sind, dass sie ihm trauen können, auch und gerade dann, wenn es um Themen geht, die ihn selbst betreffen.

Der „New York Times“-Leser, der bemerkt, wieviel Mühe sich das Blatt gibt, ihn trotz der Verwicklung des eigenen Chefs zuverlässig über den BBC-Skandal zu berichten, der wird diesem Blatt zutrauen, sich grundsätzlich darum zu bemühen, ihn gut zu informieren. Der ist im Zweifel sogar bereit, für einen solchen Journalismus Geld auszugeben und für seine Existenz zu kämpfen.

Ich finde das naheliegend und keine amerikanische Eigenart. Die deutsche Presse aber scheint gerade zu jeder Unwahrheit bereit, um zu beweisen, wie wahrhaftig ihre Berichterstattung ist. Sie beteuert mit maximaler Einfalt ihre Vielfalt.

Der Kollege Richard Gutjahr bringt es auf die treffende Formel:

Journalismus. War das nicht genau das, was uns von Google unterscheidet?

Ich habe mich selten so unwohl gefühlt, Mitglied dieser Branche zu sein.

FAZ: Was wissen Professoren schon vom Geldverdienen?

Die deutsche Presse setzt ihre Desinformations- und Diffamierungskampagne fort. Im publizistischen Kampf für ihr eigenes Leistungsschutzrecht setzt heute Reinhard Müller auf der Titelseite der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ einen drauf drunter.

Zunächst überrascht er mit der Feststellung, dass Google „kein internationaler Wohlfahrtsverband“ sei, „sondern auch mächtiger Arm der amerikanischen Regierung“. Das war mir tatsächlich neu.

Dann erwähnt Müller immerhin, dass es noch andere Kritiker an dem Gesetzesvorhaben gibt:

Aber sind nicht auch die Jugendorganisationen aller Parteien dagegen? Erklärt uns nicht der öffentlich-rechtliche Rundfunk, die Verlage müssten eben mehr investieren? Weisen nicht Professoren auf das angeblich überholte „Geschäftsmodell Zeitung“ hin? Gewiss: Wer sein Geld nicht selbst verdienen muss oder vom Staat bezahlt wird (also von allen Steuerzahlern unabhängig von seiner Leistung getragen wird), der kann leicht den Marktliberalen spielen. Es kostet ja nichts.

Das ist ja praktisch. Die FAZ muss sich nicht inhaltlich mit der Kritik auseinandersetzen, weil sie eh nur von Schnorrern und Soziale-Hängematten-Bewohnern kommt. Weil in den Jugendorganisationen von CDU/CSU, FDP, SPD, Grünen und Piraten, die gemeinsam vor dem Leistungsschutzrecht warnen, auch Schülerinnen und Schüler sind, die möglicherweise noch keine Zeitung austragen, kann man ihre Äußerungen getrost ignorieren. Und Professoren sollen erst mal schön in der privaten Wirtschaft ihr Geld verdienen, ehe sie uns mit ihrem Expertentum belästigen.

Die FAZ hat — ebenso wie die „Süddeutsche Zeitung“ — ihre Leser bis heute nicht darüber informiert, dass es eine gemeinsame Erklärung namhafter Urheber- und Medienrechtler gibt, in der sie vor „unabsehbaren negativen Folgen für die Volkswirtschaft und die Informationsfreiheit in Deutschland“ warnen, wenn das Leistungsschutzrecht kommt. In dieser Erklärung ist übrigens in keiner Weise von einem angeblich überholten „Geschäftsmodell Zeitung“ die Rede.

Die FAZ verschweigt ihren Lesern relevante Kritik und diffamiert pauschal die Kritiker. Ausgerechnet die FAZ, die bei diesem Thema seit Jahren beweist, dass sie zu einer unabhängigen, ausgewogenen, fairen Berichterstattung nicht willens oder fähig ist, spricht den Professoren ab, vernünftig urteilen zu können, weil sie ja vom Staat bezahlt werden.

Reinhard Müller verantwortet bei der FAZ die Seite „Staat und Recht“, auf der vor drei Jahren Jan Hegemann, ein bezahlter Interessensvertreter von Axel Springer, als scheinbar unabhängiger Experte für das Leistungsschutzrecht werben durfte. An gleicher Stelle erschien in diesem Jahr erneut versteckte Eigenpropaganda: ein weiterer Gastkommentar pro Leistungsschutzrecht von einem vermeintlich unabhängigen Experten, der in Wahrheit ein Verlagsvertreter ist.

Laut Reinhard Müller diskreditiert es Teilnehmer an der Debatte, wenn sie möglicherweise vom Staat (oder von ihren Eltern) bezahlt werden. Es diskreditiert sie nicht, wenn sie von den Verlagen bezahlt werden.

Frederic Schneider hat vor drei Tagen sein FAZ-Abo gekündigt, weil deren einseitige Berichterstattung über Google und das Leistungsschutzrecht „der journalistischen Institution FAZ nicht würdig“ sei. Aber Schneider ist ja bloß Kreisvorsitzender der Jungen Union Main-Taunus. Auf solche Leute, die womöglich nicht einmal ihr eigenes Geld verdienen, können die FAZ und Reinhard Müller gut verzichten.

Zwischenstand im Presse-Limbo zum Leistungschutzrecht

Das Wettrennen um die verlogenste, einseitigste, falscheste und irrste Berichterstattung in der deutschen Presse über das Leistungsschutzrecht ist noch im vollen Gang. Insofern wäre es voreilig, heute schon einen Gewinner küren zu wollen, selbst wenn man sich kaum vorstellen kann, dass die bisherigen Teilnehmer noch zu übertreffen sind.

Bis vorhin zum Beispiel dachte ich, dass der „Mannheimer Morgen“ unmöglich einzuholen sein würde. Der hat einen Kommentar von Rudi Wais veröffentlicht, der auch in „Augsburger Allgemeiner“, „Main Post“, „Straubinger Tagblatt“ und „Landshuter Zeitung“ erschienen ist und mit den Worten beginnt:

Diesen Kommentar gibt es nicht umsonst.

Das ist ein Satz, der auf den ersten Blick nicht sehr spektakulär wirkt, es sei denn, man liest den Kommentar auf den Internetseiten von „Mannheimer Morgen“, „Augsburger Allgemeine“ oder „Main Post“. Dort gibt es ihn umsonst.

Diesen Kommentar gibt es nicht umsonst. Unsere Leser bezahlen am Kiosk oder im Abonnement für ihre Zeitung — und unser Verlag bezahlt den Autor, der diesen Kommentar schreibt, das Papier, auf dem der nachts gedruckt wird, die Druckmaschinen und natürlich auch Fahrer und Zusteller, die die Zeitungen dann in aller Frühe ausliefern. Im Idealfall haben am Ende alle fünf etwas von diesem Kommentar: Leser, Verlag, Journalist, Fahrer und Zusteller. Sie leben mit der Zeitung oder von ihr. Nur Google will nicht bezahlen.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber für mich verlieren diese Sätze ein bisschen ihre Überzeugungskraft dadurch, dass sie alle auf dem ersten Satz aufbauen, der so eindeutig falsch ist.

Wie übrigens auch der nächste:

Der amerikanische Internetriese sammelt Texte ohne Rücksicht auf Urheber- und Verlagsrechte in speziellen Nachrichtenportalen.

Nein. Was Google macht — Texte indizieren und mir kurzen Ausrissen verlinken — verstößt nicht gegen das Urheberrecht. Und wenn die Verlage es trotzdem nicht zulassen wollen, könnten sie es einfach verhindern, sogar ohne darauf verzichten zu müssen, über Google trotzdem gefunden zu werden. Die falsche Behauptung ist Teil der gezielten Desinformation der Leser durch die Verlage, was insofern ironisch ist, weil der Kommentator ein paar Sätze weiter schreibt, dass „unkundige Besucher“ von Google „gezielt desinformiert“ würden.

Der Kommentar endet mit den Worten:

Guter Journalismus kostet Geld — und deshalb darf ihn auch Google nicht umsonst bekommen.

Bevor Sie jetzt ein schlechtes Gewissen bekommen, falls Sie auf den Link geklickt und den Text umsonst gelesen haben: Keine Sorge. Es handelt sich ja nachweislich bei ihm nicht um „Guten Journalismus“.

Dieser Kommentar also, dachte ich, wäre schwer zu unterbieten. Andererseits hat sich die „Sächsische Zeitung“ wirklich alle Mühe gegeben. Die schreibt heute:

Nun ruft uns Google auf, für die Freiheit im Netz zu kämpfen. Auf wessen Kosten der Konzern das tut, ist doch egal, solange er es für unsere Freiheit tut. Dafür darf er auch beliebig viel Wissen über uns sammeln und an ihm beliebige Stellen weiterreichen. Oder beliebig geklaute Inhalte zum eigenen Nutzen verwerten. Ja, Google ist toll und für die Freiheit. Wie gaga — oder eben google — muss man eigentlich sein, um an ein solches Märchen zu glauben?

Als Laie würde ich sagen, dass das justiziabel sein dürfte. Nein, nicht das lustige Wortspiel am Ende, sondern die Unterstellung, dass Google Straftaten begeht und mit „beliebig geklauten Inhalten“ handelt. Aber mal angenommen, der Suchmaschinenkonzern würde dagegen vor Gericht ziehen, dann wär aber was los! Es wäre, jede Wette, für die deutschen Print-Medien und ihre Lobbyisten und Verbündeten ein Angriff auf die Pressefreiheit und der letzte fehlende Beweis, dass Google schlimmer ist als Hitlerkrebs.

Im übrigen ist die „Sächsische Zeitung“ in bester Gesellschaft: Auch der Zeitungsverlegerverband BDZV hat Google neulich mit einem Ladendieb verglichen.

Aber reicht das, um das publizistische Wettrennen in den Kategorien Unverfrorenheit und Wahnwitz zu gewinnen? Oder hat Stephan Richter, Sprecher der Chefredakteure des Schleswigholsteinischen-Zeitungsverlages, bessere Chancen? Er kommentiert unter dem Titel „Freiheit des Ausschlachtens“ und stellt gleich im zweiten Satz fest, dass „jeder halbwegs vernünftige Mensch“ für ein Leistungsschutzrecht sein müsse (das nicht zuletzt von führenden Urheberrechtsexperten, wir erinnern uns, abgelehnt wird).

Richter punktet vor allem damit, dass er es auf kürzestem Raum schafft, jedes einzelne Feld auf der netzpolitischen Bullshit-Bingo-Karte anzukreuzen:

Der parlamentarische Gang des Leistungsschutzrechtes wäre schnell beendet, lebte das Internet nicht von einer Scheinfassade, die die Netzjünger im Schlepptau der Suchmaschine Google glauben retten zu müssen. Die wichtigste Lüge: Im Internet herrscht Freiheit, die durch das Gesetz bedroht wird. Doch wo — bitteschön — ist die Freiheit im Netz? Allein der illegale Datenklau, mit dem täglich Geschäfte gemacht werden, verletzt Persönlichkeitsrechte und ist Bespitzelung. Hinzu kommt die Manipulation — auch bei den Suchmaschinen. Keiner kennt die Algorithmen, nach denen die Treffer bei Google angezeigt werden. Und schließlich ist da noch die Kostenlos-Mentalität, die es Internetanbietern erlaubt, mit dem puren Ausschlachten von Inhalten anderer Geld zu verdienen. Modernes Raubrittertum nennt man dies.

Zu würdigen ist auch die zugehörige Karikatur, die sich, um es positiv zu formulieren, um eine innovative Umsetzung des Themas bemüht und deshalb zeigt, wie Google einen Internetbenutzer dazu zwingt, die harte Nuss Leistungsschutzrecht zu knacken. Man kann es schlecht erklären, vielleicht schauen Sie einfach selbst.

Weitere Kandidaten-Vorschläge werden gern entgegengenommen.

Dann reden wir mal über „Zensur“

Die Präsidenten der deutschen Verlegerverbände haben einen gemeinsamen Brief an die Bundestagsabgeordneten geschickt. Sie beklagen sich darin über die angeblich „irreführenden Aussagen und unbegründeten Behauptungen“, mit denen der Suchmaschinenanbieter Google Stimmung gegen das Leistungsschutzrecht macht. Sie schreiben:

Jeder sollte wissen, Google ist noch zu viel mehr im Stande – ohne sich wie die deutsche Presse der Wahrheit verpflichtet zu fühlen.

Die zweite Hälfte dieses Satzes ist erstaunlich. Die erste aber auch. Was wollen Hubert Burda und Helmut Heinen mit diesem Geraune andeuten? Wovor sollen wir Angst und Panik haben?

Der Text, der gleichzeitig beklagt, dass Google „perfide mit Angst und Panik arbeite“, lässt das bezeichnenderweise offen. Aber einen Hinweis, was gemeint sein könnte, liefert heute das „Handelsblatt“. Es schreibt:

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hatte wegen der Onlinekampagne von Google indirekt zum Boykott des Suchmaschinenbetreibers aufgerufen: „Es gibt noch andere Suchanbieter als Google“, sagte sie dem Handelsblatt.

Google hat offenbar darauf auf seine Weise reagiert. Auffällig war, dass gestern über Stunden die aktuelle Debatte über das Leistungsschutzrecht und den Boykottaufruf gegen Google der Justizministerin über eine Google-Suche nicht zu finden war. Bei Yahoo hingegen gab es bei gleichen Stichworten sofort Treffer zur aktuellen Debatte. Manch einer im Justizministerium sprach darum gestern von „Zensur“.

Darin steckt ein ungeheurer Vorwurf: Google soll Nachrichten, die dem Unternehmen nicht genehm sind, verschwinden lassen. Das wäre in höchstem Maße alarmierend. Falls das „Handelsblatt“ diesen Verdacht belegen können sollte, wäre es erstaunlich, ihn nur eher unauffällig am Ende eines Textes zu bringen, der die unscheinbare Überschrift „RTL fordert klares Bekenntnis zum Urheberrecht“ trägt.

Ein Google-Sprecher wies die „Handelsblatt“-Behauptung auf meine Anfrage zurück: „Ein solcher Vorwurf ist durch nichts begründet und absurd.“

Aber dann reden wir doch mal über „Zensur“. Oder genauer: über das Verschwindenlassen missliebiger Informationen.

Am Dienstagnachmittag hat der geschäftsführende Direktor des Max-Planck-Institutes für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht eine Pressemitteilung verschickt. Sein Institut, die Deutsche Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR) sowie mehrere weitere Wissenschaftler üben in einer Stellungnahme vernichtende Kritik an dem Gesetzentwurf, der heute Nacht in erster Lesung im Bundestag beraten werden soll.

Die führenden deutschen Zeitungen haben ihren Lesern die Existenz dieser Kritik namhafter Fachleute an dem geplanten Gesetz bis heute verschwiegen.

Es ist unwahrscheinlich, dass sie ihnen nicht bekannt ist. Die Nachrichtenagentur dpa hat erstmals gestern Vormittag in einer Meldung darüber berichtet („Wissenschaftler: Leistungsschutzrecht ’nicht durchdacht'“). In mindestens vier weiteren dpa-Meldungen ist die Stellungnahme erwähnt.

Trotzdem steht kein Wort davon in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, in der „Süddeutschen Zeitung“, in der „Welt“, im „Handelsblatt“ — alles Blätter, deren Verlage für ein Leistungsschutzrecht kämpfen und deren Redakteure gestern und heute teilweise wuchtigst Google für seine vermeintliche Desinformation kritisiert haben.

Es scheint nicht nur eine Platzfrage gewesen zu sein. Auch auf den Online-Seiten der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, der „Süddeutschen Zeitung“ und der „Welt“ ist nichts von der Kritik zu lesen. (Nachtrag: Ausnahme sind die automatischen Newsticker, die automatisch alle dpa-Meldungen übernehmen.) Immerhin bildet das „Handelsblatt“ hier eine überraschende positive Ausnahme; auch „Spiegel Online“ hat über die Kritik berichtet.

Aber in den überregionalen Zeitungen ist es, als gäbe es diese Stellungnahme gar nicht. Als wäre die missliebige Information „zensiert“ worden.

Das ist kein Einzelfall.

Als vor gut zwei Jahren in einem außergewöhnlichen Schritt 24 Wirtschaftsverbände unter Federführung des Bundesverbandes der Industrie (BDI) eine „gemeinsame Erklärung“ herausgaben, in der sie ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger „vollständig“ ablehnten, berichteten darüber weder die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ noch die „Süddeutsche Zeitung“ noch die „Welt“.

Die Leser der FAZ erfuhren von der Existenz dieser Kritik nur indirekt zwei Monate später. In einem Interview wies der Verlegerpräsident Hubert Burda die Vorwürfe des BDI zurück — Vorwürfe, über die die FAZ nie berichtet hatte.

So ist das: Was den großen renommierten deutschen Zeitungen bei ihrem Kampf für ein Leistungsschutzrecht im Weg steht, findet in den großen renommierten deutschen Zeitungen im Zweifel nicht statt. Eine unabhängige, von Eigen-Interessen unbeeinflusste Berichterstattung kann man von ihnen nachweislich nicht erwarten. Manch einer irgendwo könnte da schon von „Zensur“ sprechen.

PS: Ich habe heute beim Zeitungsverlegerverband BDZV nachgefragt, wie man denn die furchteinflößende Äußerung zu verstehen hat, dass Google „noch zu viel mehr im Stande“ ist als die aktuelle Kampagne. Die Antwort:

Google hat in Deutschland unbestritten eine marktbeherrschende Stellung. Das versetzt das Unternehmen in die Lage, diese Kampagne im eigenen wirtschaftlichen Interesse massenwirksam zu fahren. Zugleich zeigt Google damit das Instrumentarium vor, das nötig ist, jede wie auch immer geartete Kampagne mit höchster Aufmerksamkeitswirkung durch den digitalen Flaschenhals zu lancieren.
 
Man kann das, sehr geehrter Herr Niggemeier, völlig in Ordnung finden, man kann das, wie die Zeitungs- und Zeitschriftenverleger, aufgrund der Vormachtstellung der Suchmaschine im Internet aber auch für einseitig und deshalb bedenklich halten. Unser Ziel ist es, eine ernsthafte Debatte anzustoßen und die von Google gesetzten Bedingungen nicht einfach nach dem Prinzip „Friss Vogel oder stirb“ zu akzeptieren.

Google-Anzeigen jetzt auch in Print

Der Suchmaschinenkonzern Google unterstützt mit seinem Kampf gegen ein Leistungsschutzrecht die großen Zeitungsverlage finanziell. Er hat heute in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, der „Süddeutschen Zeitung“, in „Welt“, „taz“, „Zeit“, „Berliner Zeitung“, „Tagesspiegel“ sowie in „Bild“ folgende ganzseitige Anzeige geschaltet:

Der Listenpreis für eine solche Anzeige in der FAZ (Seite 5) beträgt 71.810,00 Euro und in der SZ (Seite 9) 75.200,00 Euro. Eine ganze „Bild“-Seite bundesweit zu buchen, kostet laut Anzeigenpreisliste 414.500,00 Euro.

Nachtrag, 13:45 Uhr. Nach Angaben von Google läuft die Kampagne auch in Online-Medien, und zwar:

  • Mobile: Spiegel und Stern
  • Desktop: Spiegel, Stern, Focus, SZ, Handelsblatt, Zeit, WiWo, FTD, FAZ, Neon, Zeitjung, CNN, Berliner Zeitung
  • Soziale Netzwerke und Portale: FB, Jappy, Localisten, Xing, LinkedIn, T-Online, Web.de, freenet, GMX