Phänomenologie: Die Hundepension

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Beim ersten Mal haben sie ihm das Halsband angeknabbert. Beim zweiten Mal komplett durchgebissen. Nach dem dritten Mal fehlte ihm ein Stück Fell am rechten Ohr. Mein Hund muss, mit anderen Worten, eine fantastische Zeit gehabt haben.

Wenn man als Hundebesitzer im Urlaub oder auf Dienstreise ist, wird man besorgt gefragt, wohin man das arme Tier verbracht habe. Das Wort „Hundepension“ als Antwort scheint, den halb vorwurfsvollen, halb mitleidigen Blicken nach zu urteilen, nicht ganz die Assoziationen von aufgeschüttelten Kissen und selbstgebackenen Hundekuchen zu verströmen, die die Betreiber solcher Etablissements sich sicher versprechen.

Dabei ist meine Sorge nicht, dass es meinem Hund da nicht gefällt. Meine Sorge ist, dass es meinem Hund da zu gut gefällt. Er hat dort den ganzen Tag eine Meute von Artgenossen um sich, die er jagen, knuffen oder anbellen kann und die ihm, aus Dank oder als Revanche, ein Ohr abkauen. Zum Vergleich: Sein regulärer Hundealltag besteht darin, mir zuzugucken, wie ich abwechselnd vor einem Computermonitor und einem Fernsehschirm sitze.

Man weiß es natürlich nicht. Man weiß nicht, ob die freundlichen Hundepensionseltern, sobald man vom Hof gefahren ist, nicht den großen Außenbereich ab- und die Tiere in den Keller sperren und nur alle paar Tage mal neues Futter die Treppe herunterwerfen. Vor allem aber weiß man nicht, wie ein Hund auf das Konzept der Hundelandverschickung reagiert. Hunde haben, soweit man weiß, keinen guten inneren Kalender, und selbst wenn sie ein klares Konzept von „Zukunft“ hätten, das über die Erwartung, am Abend wieder gefüttert zu werden, hinausgeht, würde es uns schwer fallen, ihnen die Details zu vermitteln: Herrchen ist jetzt mal für zwei Wochen weg. Entsprechend schlecht sind Hunde im Abschiednehmen, weshalb man sich immer heimlich hinter ihrem Rücken vom Hof der Hundepension schleicht, was das eigentliche Gefühl, dass sie es hier gut haben, durch den Gedanken verdirbt, sie betrogen zu haben.

Beim Abholen dann das umgekehrte Dilemma: Je mehr er sich über das Wiedersehen freut, was ja eigentlich eine schöne Sache ist, desto größer die Sorge, dass er einen vorher schrecklich vermisst hat (oder, wie gesagt, wie im Knast bei Wasser und trocken Futter gehalten wurde). Ungefähr zwei Minuten lang ist mein Hund außer sich vor Freude, mich wieder zu sehen. Schon im Auto auf dem Rückweg, bilde ich mir ein, setzt die Enttäuschung darüber ein, dass das Vierundzwanzig-Stunden-Toben im Rudel nun auch vorbei ist. Wenn er es sich aussuchen könnte, würde ich einfach mit ihm zu den anderen Kläffern ziehen. Aber wir wissen ja: Das Leben ist keine Hundepension.

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