Redaktionell unabhängig

„Eins von diesen Dingen gehört nicht zu den anderen“, sangen wir mit der „Sesamstraße“, und auf der Startseite von stern.de gibt es das Spiel auch:

Zwischen die diversen redaktionellen Angebote der „Stern“-Familie hat sich ein Hinweis auf die neue RTL-Show „6! Setzen“ geschmuggelt. Ohne jeden Umweg führt er direkt auf die Seite zur Sendung auf RTL.de. „Wir“ haben ein Trainingslager eingerichtet? stern.de? Nö: RTL. Ach, da ist ja auch das Logo. Wie praktisch.

Das ist jetzt einerseits nicht so überraschend, denn erstens gehört der „Stern“ ebenso wie RTL zum weiten Universum von Bertelsmann, und zweitens produziert die Firma I&U von Günther Jauch nicht nur die Sendung „Stern TV“, sondern auch „6! Setzen“ — bleibt alles irgendwie in der Familie.

Aber andererseits ist das doch nicht ganz das, was man sich unter der Trennung von Redaktion und Werbung bei Möchtegernqualitätsseiten so vorstellt.

Dabei hat es an Werbung für Jauchs neue Show auf stern.de ohnehin schon nicht gemangelt: In „Stern TV“ hat Jauch gestern fleißig dafür getrommelt, und auf den Seiten von „Stern TV“ auf stern.de lässt sich das in schöner Ausführlichkeit nachlesen — ebenfalls mit dem prominent platzierten Hinweis, dass man sich doch direkt an der Quelle informieren soll: Im „Trainingscamp“ auf rtl.de.

Aus der stern.de-Redaktion ist zu hören, die Anweisung zur ungekennzeichneten Werbung auf der Startseite sei von „ganz oben“ gekommen, wo auch immer das sein mag.

Auf meine Frage, ob stern.de solche Aktionen für alle RTL-Sendungen mache oder nur die von I&U produzierten, antwortete stern.de-Chef Frank Thomsen, es handele sich um eine einmalige Aktion, eine „redaktionelle Kooperation“: Man habe von RTL eine Reihe von Fragen bekommen, aus denen stern.de einen Wissenstest gemacht habe, der bei den Lesern sehr gut angekommen sei. Im Gegenzug habe RTL darum gebeten, einen solchen Hinweis-Kasten zu bekommen, der ins Trainingscamp führt. „Wenn’s Pro Sieben oder das ZDF gewesen wäre“, sagt Thomsen, „hätten wir auch nicht anders entschieden.“

Ich frage mich nur, warum das ZDF dann zum Beispiel für seine Mediathek groß auf den teuren Werbeplätzen von stern.de wirbt, wenn doch redaktionelle Plätze so einfach zu haben sind.

(Genau genommen produziert Jauchs Firma „Stern-TV“ übrigens nicht für RTL, sondern für die Firma dctp, und zwar, wie es in der Zulassung durch die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) heißt, „von RTL rechtlich und redaktionell unabhängig“. Auf diese Weise erfüllt RTL seine Pflicht, Sendezeiten an „unabhängige Dritte“ abzugeben, was die Meinungsvielfalt sichern soll. Ja, genau.)

27 Replies to “Redaktionell unabhängig”

  1. Die meisten Artikel von Herrn Niggemeier finde ich albern und banal. Aber das, was er hier anspricht, halte ich für wirklich wichtig. Das betrifft uns alle und – klingt jetzt pathetisch – die Pressefreiheit in Deutschland.
    Ein guter Beitrag zur demokratischen Wachsamkeit. Davon mehr, dann kann ich dieses Blog als „Watchblog“ im positiven Sinn anerkennen.

  2. Ich glaube, wenn Spiegel und Spiegel TV (auf RTL) einem Musiker der Bei Sony BMG gesignt ist ungewöhnlich viel Raum bzw. Sendezeit gibt, ist das das gleiche Problem. Mehr darüber, einfach auf meinen Namen klicken

  3. Wäre mir jetzt nicht aufgefallen. Schließlich ist der stern nur ne Illustrierte und kein Qualitätsmedium. Da sollte man die Ansprüche nicht so hoch legen.

  4. Ich mag RTL-Bildungssendungen. Bei dem großen RTL-IQ-Test habe ich einen IQ von über 145 erreicht – obwohl ich nebenher noch ein paar andere Sachen erledigt hab.

    Durch einen Test bei Mensa will ich mir meine Erfolgsbilanz jetzt natürlich nicht verderben lassen :-)

  5. Kommentar Nummer 1 wird Bestandteil meiner Seminare in puncto „unqualifizierte Kritik“, „Verallgemeinerung“, „subtile Kränkung“ und „schmutzige Rhetorik“.

  6. Thilo: Also ich finde täglich bessere Beispiele – willst Du das Seminarpublikum nicht mit echten Trollen verschrecken?

  7. Haha – ich hatte die Einleitung nur überflogen und mich dann gefragt, was denn hier so bemerkenswert sei … bis ich dann festgestellt habe, dass, entgegen meiner Vermutung aufgrund der Aufmachung der Website, wir hier gar nicht bei RTL.de sind, sondern bei stern.de!

  8. Es ist wohl Ansichtssache und Standpunkt des jeweiligen Leser, was man in Artikeln einer Vorschau hinein interpretiert, wie etwa geschmuggelte Werbung in redaktionelle Inhalte, was Leser nur erkennen, wenn sie mit dieser Materie vertraut sind.

    Materiefremde Leser wie meiner einer, würde das nicht wirklich auffallen und auch nicht wirklich interessieren. Sie würden sich vielleicht über ganz andere Dinge Fragen stellen, z.B. warum „6! Setzen.„?

    Als ich meiner 10 jährigen Schulpflicht nachging, gab es nur die Noten 1 bis 5.

    1. Frage: Sind die Menschen „blöder“ geworden, dass man die Note 6 einführen musste?
    2. Frage: Wollte man damit nur die Note 1 aufwerten?

    Natürlich soll der negative Sendungstitel „6! Setzen“ erst einmal provozieren, in dem man das eigene Level ganz unten ansetzt um dann in der Sendung zu beweisen, das man ja eigentlich gar nicht so blöd ist und feiert sich dann selbst, mit der gerade noch geschafften „Note 5„.

    Und die Zielgruppe, denen man dieses Sendeformat vorsetzt, schickt man vorab schon mal auf die Weide um sie dann mit „Note 5 – Fragen“ callfoniemäßig gebührenpflichtig abgrasen zu können.

    Seit wann soll sich der TV-Zuschauer über kostenpflichtig gemachten Bandansagen bei irgendwelchen privaten TV-Sender, zu irgendwelchen Sendungen beweisen, nur damit der TV-Sender über so genötigte Anrufe Profit machen kann?

    Am Ende verliert sich der Inhalt der Sendung und es zählt nur die damit gemachte Quote und der Profit und je höher dieser umso dümmer die anrufenden TV-Zuschauer, denen suggeriert wurde, sich über kostenpflichtige Callfonie beweisen zu müssen. Arme TV-Landschaft!

  9. @GlowingHeart: Die Benotungsskala von 1 bis 6 wurde in Deutschland am 09. August 1938 eingeführt. Ob die Menschen vor dieser Zeit weniger „blöd“ waren ist schwer zu sagen, da es damals noch keine Callfonie-Statistiken gab. Wäre aber gut möglich, da große Teile der Intelligenz damals das Land dauerhaft verließen.

  10. Eins rauf mit Mappe, Modran !

    Im Ernst: ich hatte gerade überlegt, wie’s denn in meiner Schulzeit war… und zack! da war die Antwort. Toll.

  11. Kommentar Nummer 7 ist ein gelungenes Beispiel für erfolgreiches Marketing zum Nulltarif. Man nehme ein vielgelesenes Blog, vermeide Kritik am Blogbesitzer – der könnte einen ja vor die Tür setzen – und rempele einen der wenigen kritischen Kommentatoren an.
    Schon springen etliche auf die verlinkte Reklameseite mit dem tollen Seminarangebot. Auch des Kommentators „30 Minuten für gutes Schreiben“ kann man dort über Amazon bestellen.
    Habe ich spontan getan. Hoffentlich lohnt sich die Investition.

  12. Umgekehrt geht’s auch:

    in der Print-Ausgabe des Stern gibt es eine Bestsellerliste (Belletristik, Sachbücher, CDs, DVDs),
    pro Rubrik wird ein Titel etwas ausführlicher abgehandelt oder sollte ich eher schreiben „in die Pfanne gehauen“. Die derbste Kritik wird dabei oft an hauseigenen sprich konzerninternen Produkten geübt. Faszinierend.

  13. „Ich frage mich nur, warum das ZDF dann zum Beispiel für seine Mediathek groß auf den teuren Werbeplätzen von stern.de wirbt, wenn doch redaktionelle Plätze so einfach zu haben sind.“

    Da finde ich die frage viel wichtiger wieso gibt das ZDF geld für werbung aus?
    Die haben über 30 Sender wo sie kostenlos werbung machen können.
    Nämlich alle ör radio und fernsehsender.

  14. ich verstehe nicht wie stern.de und spiegelonline.de,die haben quasi jetzt einen nicht sonderlich gekennzeichneten werbemenüebutton, ihren rest an glaubwürdigkeit selbst verhageln? ich mein so schlau müssen die doch auch sein. ok verstehen tue ich das ganze wiederum, wenn die ihre zielgruppe ändern möchten. vielleicht haben sie erkannt das die fraktion der trottel in diesem land doch die mehrheit bildet und sich dieser markt somit mehr lohnt. das spon immer boulevardlastiger wird, ist ja schon länger thema, da passen solche späße doch wunderbar ins gesamtbild.
    schade.

  15. Kommentar zu „Factually Incorrect“: Ich kannte PI bis gerade nicht und bin fassungslos darüber, was dort veröffentlicht wird. Respekt für diesen Beitrag, Herr Niggemeier. Andere Journalisten sollten sich an so einer Courage ein Beispiel nehmen und viel öfter gegen Publikationen wie PI deutlich Stellung beziehen. Ihr Beitrag fällt auch deswegen auf, weil sie nicht beschimpfen und polemisieren, sondern PI sachlich der Veröffentlichung von Unwahrheiten überführen. So stellt man Publikationen dieser Art am erfolgreichsten bloß.

  16. Ich hätte mal ein echtes Off-Topic (wenn schon denn schon): Weiß jemand, was mit dem Blog Plazeboalarm passiert ist? Erst geschah da ewig nichts mehr, jetzt ist es nichtmal zu erreichen?!

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