Rundfunkgebühren

Gebt’s ihnen! Die Interessen der Privatsender sind nicht unsere: Warum die Rundfunkgebühr für ARD und ZDF erhöht werden muß.

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Die ARD hat etwas Schlimmes gemacht. Sie hat vergangenen Monat ihre Online-Angebote so umsortiert und zusammengefaßt, daß man sie sogar nutzen mag. Wer nach aktuellen Meldungen und Hintergrundinformationen im Internet sucht, wird unter tagesschau.de tatsächlich fündig. „Eine scharfe Attacke auf Angebots- und Meinungsvielfalt im digitalen Bereich“, nennt Spiegel Online das. „Während allerorten Premiuminhalte oder Archivrecherchen kostenpflichtig werden, gibt es bei den öffentlich-rechtlichen Adressen weiterhin alles umsonst.“ Pfui! Ein reichhaltiges Angebot zuverlässiger Informationen im Internet für jeden? Nicht nur für die Reichen, die dafür zahlen können? Was für ein Skandal! Wie kann es die ARD wagen, unsere Rundfunkgebühren einfach für etwas zu nutzen, das für uns alle so nützlich ist?

Die Empörung der Kollegen von Spiegel Online läßt sich noch erklären: Sie konkurrieren mit ihrem Nachrichtenangebot direkt mit dem Internetauftritt der „Tagesschau“. Da kann man das eigene unternehmerische Interesse schon mal mit dem der Leser verwechseln. Das wäre nicht der Erwähnung wert, entspräche es nicht exakt dem Muster, in dem jede Debatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seine Finanzierung geführt wird. Die Prämisse ist immer dieselbe: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse eingedämmt werden, alles andere koste uns nur unnötig Gebühren und die Privatsender Arbeitsplätze; überhaupt sei die natürliche Form des Rundfunkveranstalters die eines privatwirtschaftlichen Unternehmens. Der Diskurs ist so fest in diesen Annahmen verankert, daß es fast tollkühn scheint, sie in Frage zu stellen. Aber ist es nicht viel abwegiger anzunehmen, daß einer Gesellschaft am besten damit gedient ist, wenn sie ihre Information, ihre Unterhaltung, fast ihr ganzes Weltbild von Firmen bekommt, deren einziger Zweck es ist, möglichst viel Geld zu verdienen?

Das Bundesverfassungsgericht ging in seinen Urteilen eher nicht davon aus, daß kommerzielle Anbieter die gleiche Qualität und Bandbreite liefern würden wie öffentlich-rechtliche Programme, und wenn doch, könnten sie es zumindest nicht auf Dauer garantieren. Die Anforderungen an das Programm der Privatsender sind nicht so hoch – das sei zu akzeptieren, entschied das Gericht 1986, solange die Öffentlich-Rechtlichen alles liefern, was eine Gesellschaft, eine Demokratie, eine Kultur an Rundfunk braucht, vom Bildungsfernsehen bis zur Unterhaltungsshow. Für dieses umfassende Angebot erfand das Gericht den Begriff der „Grundversorgung“. Damals war eindeutig, welcher Teil im „dualen Rundfunksystem“ die beste Garantie für ein gutes Programm ist und welcher der Luxus, den sich eine Gesellschaft zusätzlich leisten kann.

Heute hat sich dieses Verständnis umgekehrt: Die Bedeutung des Wortes „Grundversorgung“ ist in der öffentlichen Diskussion geschrumpft vom Anspruch der Komplettversorgung, die auch dann ausreicht, wenn die Privaten ausfallen sollten, zur Mindestversorgung. Man denkt an klassische Konzerte, Schulfernsehen, schwierige Dokumentationen, philosophische Diskussionsrunden und das Wort zum Sonntag, Sachen, die keiner wirklich sieht, aber die es natürlich schon irgendwie geben sollte, Luxus halt, den man den Privatsendern wirklich nicht zumuten kann.

Unter dieser Voraussetzung steht von vornherein fest, wie jede Diskussion um eine Gebührenerhöhung für ARD und ZDF verlaufen wird. Entsprechend wenig Mühe geben sich die beteiligten Politiker und Lobbyisten, wenigstens sprachliche und argumentative Mindeststandards zu erfüllen. Der medienpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion verschickte eine Pressemitteilung, in der das Signalwort „Abzocke“ schon in der Überschrift steht (als entschieden ARD und ZDF selbst über ihre Gebühren) und in der er sich beschwert, daß die Öffentlich-Rechtlichen einen „kräftigen Schluck aus der Gebührenpulle nehmen“ wollen, was gleich mehrere Fragen aufwirft: Wo steht diese Flasche? Wem gehört sie? Wieviel ist noch drin? Und wer trinkt sie aus, wenn ARD und ZDF was drinlassen?

Voller Empörung werden die zehn Prozent Zuschlag zitiert, die ARD und ZDF bei der zuständigen Kommission KEF beantragt haben. Zehn Prozent! Nur gelegentlich steht in den Artikeln, daß die Gebührenperiode vier Jahre dauert, zehn Prozent also nicht einmal zweieinhalb Prozent jährlich entsprechen, was immer noch etwas mehr ist als ein Inflationsausgleich, aber die Massen kaum auf die Barrikaden bringen würde. Natürlich ist es skandalös, wenn ARD und ZDF das Geld dazu verwenden, absurd teuere Preise für WM- oder Bundesliga-Übertragungen zu zahlen. Natürlich ist das beste Argument gegen eine Gebührenerhöhung Johannes B. Kerner, der in einem Interview fragte: „Wissen Sie, wie viel Geld ich verdiene? Es ist unglaublich, wie viel Geld ich mit diesem Image machen kann. Besser geht’s nicht.“ (Der Mann redet von unseren Gebühren.) Natürlich ist der Soap- und Boulevard-Wahn von ARD und ZDF ein Ärgernis. Doch darum geht es nicht. Auch wenn die Forderung von Edmund Stoiber und anderen erfüllt würde, die Gebühren „einzufrieren“, sprich: netto zu senken, müßte kein Beckmann, kein Kerner um sein Auskommen bangen, leider.

Wer fordert, ARD und ZDF de facto weniger Geld zu geben, will ihren Einfluß und ihre Möglichkeiten beschneiden und sie langfristig marginalisieren. Das freut Bertelsmann, die Kirch-Nachfolger und, wenn es ums Internet geht, auch die Verlage. Ob es im Interesse der Gesellschaft und der Zuschauer ist, ist eine andere Frage.

Die Realität als Konkurrent von ARD und ZDF ist manchmal bitter und nicht immer gerecht: Als sie ihren Kinderkanal starteten und dafür beste Kabelplätze bekamen, bedeutete das das Aus für die private Konkurrenz von Nickelodeon, die ein sehenswertes und innovatives Kinderprogramm gemacht hatten. Das wurde, zu Recht, von vielen beklagt. Aber auf einen werbe- und gewaltfreien Kinderkanal würden Millionen Eltern, gerade angesichts der täglich zu betrachtenden Programmalternative namens RTL 2, nicht verzichten wollen.

Die privaten Veranstalter fordern eine Art Chancengleichheit: Weil sie unter den wegbrechenden Werbeerlösen leiden, sollen sich auch ARD und ZDF stärker einschränken. Das Gegenteil ist richtig: Gerade weil die Qualität, die die Privaten liefern, immer von Konjunkturschwankungen abhängen wird, müssen die Öffentlich-Rechtlichen davon frei sein. Damit wir auch in schlechten Zeiten gutes Fernsehen bekommen.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

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