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Milchmädchen im Einsatz gegen ARD und ZDF: Der Unsinn der Steuerzahler-„Studie“

Heute erkläre ich Ihnen, wie ARD und ZDF eine halbe Milliarde Euro jährlich einsparen können. Achtung: Indem sie das Geld einfach nicht ausgeben. Ta-daa!

Und jetzt sagen Sie nicht, das sei eine Rechnung, für die man nicht einmal ein Milchmädchen wecken müsste. Der Steuerzahlerbund, ein natürlicher Gegner des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, hat es mit dieser Rechnung heute in die „Welt“, die „Rheinische Post“, die „FAZ“ und diverse Online-Medien geschafft.

Er hat sie natürlich besser verpackt. Er hat sie als „Sonderinformation 1“ seines „Deutschen Steuerzahlerinstituts“ (DSi) herausgegeben und mit diversen Fußnoten, Quellenangaben und volkswirtschaftlichen Erläuterungen den Eindruck erweckt, es handele sich hier um eine seriöse wissenschaftliche Forschungsarbeit. Die Medien nennen das Papier „Studie“.

Angeblich weist es den öffentlich-rechtlichen Sendern nach, dass sie jährlich 650 Millionen Euro verschwenden.

Der größte Batzen dieses Betrages kommt aus den Sportrechte-Etats der Sender. Die ließen sich, laut der „Studie“, von jährlich 335 Millionen Euro auf 185 Millionen Euro senken. Auf die Zahl von 185 Millionen Euro kommt die „Studie“ nicht durch irgendein akribisches Nachrechnen, sondern durch den „Vorschlag“, es würde doch völlig genügen, wenn ARD und ZDF die Ausgaben für Sportgroßereignisse „generell auf z.B. fünf Prozent des Programmaufwands begrenzen“.

Hätte die „Studie“ ohne weitere Erklärung eine Begrenzung auf „z.B. vier Prozent“ oder „z.B. drei Prozent“ vorgeschlagen, hätten ARD und ZDF nach dieser Logik also noch viel mehr Geld verschwendet.

Darüber hinaus könnten ZDF, arte und Deutschlandradio laut der „Studie“ jährlich 50 Millionen Euro bei den Programmaufwendungen sparen. Diese Zahl ist nicht selbst ausgedacht, sondern stammt aus einer guten Quelle: Dem Bericht der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF). Die habe ein solche Kürzungspotenzial bei den Sendern festgestellt.

Das ist richtig. Und sie hat es nicht nur festgestellt, sondern diese Summe den Sendern auch gleich abgezogen. Die KEF hat die Etats, die sie ZDF, arte und Deutschlandradio bewilligt, für die aktuelle Gebührenperiode bereits um dieses Kürzungspotenzial reduziert. Anders gesagt: Die Sender mussten bzw. müssen dieses Geld ohnehin sparen und können es nicht mehr „verschwenden“. Denselben Logikfehler macht die „Studie“ auch beim von der KEF gekürzten Personalaufwand der Sender.

Ein erheblicher Anteil der 650 Millionen Euro, die ARD und ZDF angeblich verschwenden, ist Geld, das ARD und ZDF gar nicht bekommen: Das DSi schlägt vor, die 14 Landesmedienanstalten zusammenzulegen. Die bekommen jährlich 142 Millionen Euro von den Rundfunkbeiträgen. Was man auf diese Weise sparen könnte? Die „Studie“ weiß es — wie so oft — auch nicht, glaubt aber einfach mal — wie so oft — dem ausgewiesenen Medienexperten Hans-Peter Siebenhaar vom „Handelsblatt“. Weil der einmal von einer Ersparnis „im dreistelligen Millionen Euro-Bereich“ schrieb, zählt die „Studie“ einfach mal grob 100 Millionen auf die Gesamtverschwendungssumme — wohlgemerkt: von ARD und ZDF, die damit nichts zu tun haben.

Wie seriös die „Studie“ ist, zeigt sich auch in den Fußnoten. An einer Stelle heißt es:

Der Vorwurf, Politik und Rundfunk unterlägen gegenseitiger Einflussnahme kommt nicht von ungefähr. (…) Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk spielt gelegentlich sein Machtpotenzial gegenüber der Politik aus. So wurde den Abgeordneten des nordrhein-westfälischen Landtags z.B. gedroht, wenn diese gegen den neuen Rundfunkbeitrag stimmten, würde das im WDR eine negative Berichterstattung zur Folge haben.

Urheber dieser Behauptung ist Christian Nienhaus, der Geschäftsführer der WAZ-Gruppe (heute Funke-Gruppe), der das 2011 in einem FAZ-Interview gesagt hatte. Die Passage sorgte — verständlicherweise — für einigen Wirbel; der WDR drohte Nienhaus mit rechtlichen Schritten. Eine Woche später nahm er seine Äußerungen zurück:

„Ich stelle ausdrücklich klar, das ich mit meiner Äußerung nicht die Behauptung aufstellen wollte, der WDR habe unmittelbar oder mittelbar Abgeordneten im Landtag von Nordrhein-Westfalen in Zusammenhang mit deren Abstimmungsverhalten über die Mediengebühr mit einer negativen Berichterstattung im WDR gedroht“.

Die Verfasser der „Studie“ haben das praktischerweise nicht mitgekriegt, was natürlich auch daran liegen kann, dass sie womöglich eher fachfremd sind. Autoren sind im Papier nicht angegeben, am Ende steht nur: „Bearbeitung: Karolin Herrmann“. Karolin Hermann ist Diplom-Volkswirtin und beim DSi eigentlich zuständig für Haushaltspolitik und Haushaltsrecht.

Als Positionspapier und Sammlung von Argumenten gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der bestehenden Form aus volkswirtschaftlicher Sicht ist die Veröffentlichung natürlich völlig legitim. Es lässt sich aus ihr nur nicht seriös ablesen, wieviel Geld ARD und ZDF jährlich „verschwenden“.

Aber was ist „seriös“ schon für ein Kriterium, wenn es gegen ARD und ZDF geht?

[Offenlegung: Ich habe im Sommer mein Geld hauptsächlich damit verdient, für eine WDR-Sendung zu arbeiten. Persönlich unterstütze ich die Forderungen nach einer Deckelung des Sportrechte-Etats und einer Zusammenlegung der Medienanstalten, aber das ist ja nicht der Punkt.]

Sinn- und Besinnungslosigkeit

Erinnern Sie sich an Christian Wulff? Warum musste der eigentlich nochmal zurücktreten? Ach ja, richtig:

Sein voreiliges Postulat: „Der Islam gehört zu Deutschland“ wurde ihm zum Verhängnis.

Man kann eine Einladung zu einer Diskussionveranstaltung über kritischen Journalismus, die das behauptet, natürlich einfach wegwerfen. Wenn diese Veranstaltung aber von der Staatskanzlei Rheinland Pfalz, der rheinland-pfälzischen Landesmedienanstalt und der Friedrich-Ebert-Stiftung veranstaltet wird und als „Medienpartner“ das ZDF und den SWR hat, kann man sich vorher vielleicht noch einen Moment lang darüber empören.

Es geht um den „MainzerMedienDisput“ (sic), der im Oktober zum 17. Mal stattfindet und von einer unabhängigen Projektgruppe vorbereitet wird. Ihr gehört unter anderem Thomas Leif an, der Chefreporter des SWR, der im vergangenen Jahr als Vorsitzender des Netzwerkes Recherche geschasst wurde.

Die Einladung ist in seinem typischen apokalyptischen Adjektiv- und Wortspielrausch verfasst und könnte in kleinen Dosen vermutlich auch als Mittel gegen niedrigen Blutdruck verschrieben werden. Sie beginnt mit dem stimmungsvollen Satz:

Auf dem 17. MainzerMedienDisput wird darüber gestritten, ob sich die Meinungsmacher im Schatten besinnungsloser Shitstorms und perfider Sozialpornos dem Sog der Unterhaltung in allen Spielarten und Mischformen überhaupt noch entziehen können.

Vermutlich würden die Autoren selbst das Wort „Holocaust“ nicht benutzen, ohne ihm sicherheitshalber noch ein negatives Adjektiv beizustellen. (mehr …)

Shitstorm

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

In der vergangenen Woche sind mehrere erstaunliche Dinge passiert. RTL hat sich für einen Bericht in seinem Knallmagazin „Explosiv“ entschuldigt. „Die Verallgemeinerung und Überzeichnung des Beitrags war ein Fehler“, sagte ein Moderator. „Wenn wir damit Gefühle verletzt haben sollten, entschuldigen wir uns ausdrücklich dafür.“ Die Sätze könnte der Sender natürlich in jeder seiner Magazinsendungen ausstrahlen, ohne dass es unpassend wäre, tut es aber sonst nicht.

Dann schaffte es die für RTL zuständige Niedersächsische Landesmedienanstalt, innerhalb von nur einem Tag festzustellen, dass der Beitrag zwar „ärgerlich, aber keinesfalls rechtswidrig“ war. Normalerweise sind nach diesem Zeitraum bei den deutschen Medienaufsichtsbehörden noch nicht einmal die Leute geweckt, die die Leute wecken sollen, die sich darum kümmern, Leute zu finden, die wissen, wie man an diese Fernsehbeiträge rankommt, über die die Menschen sich beschweren.

Und das alles, weil RTL sich mit den Falschen angelegt hatte. In einem womöglich lustig, ganz sicher aber gehässig und grotesk überheblich gemeinten Bericht über die Spielemesse Gamescom hatte „Explosiv“ Computerspieler als ungeliebte, ungepflegte, übelriechende Sonderlinge dargestellt. Nun ist es aber so, dass solche Jungs die Zeit, die sie beim Duschen einsparen, gerne dafür investieren, etwas zu organisieren, was man im Internet einen gepflegten „Shitstorm“ nennt. Sie sind es ohnehin gewohnt, von den Medien als Quasi-Terroristen in Ausbildung dargestellt zu werden. Echte Empörung mischte sich mit viel Tagesfreizeit, Selbstgerechtigkeit und Unterhaltungswillen, und so wehrten sie sich mit Tausenden Protestschreiben, mit Videos, Blog- und Foreneinträgen, mit dem Hacken von rtl.de, einem Flashmob und der ominösen Drohung weiterer Angriffe und schafften eine Aufmerksamkeit, von der andere Gruppen nur träumen können.

Das ist als Machtdemonstration eindrucksvoll, und so wird es sich der Sender in Zukunft sicher zweimal überlegen, bevor er Gamer bloßstellt und erniedrigt, und das lieber weiter mit wehrloseren Opfern tun.

Medienaufsicht gesucht

Ein Zuschauer hat sich formell über eine Folge der RTL-Show „Schwiegertochter gesucht“ beschwert. Er findet, dass die partnersuchenden Kandidaten in einer Art als Volltrottel präsentiert würden, die nicht mehr akzeptabel sei.

Der Anwalt Udo Vetter dokumentiert in seinem Blog Auszüge der Antwort, die der Zuschauer von der Programmreferentin der zuständigen Niedersächsischen Landesmedienanstalt bekommen hat und die ihn fragen lässt, wie ernst die NLM ihren Job nimmt. (Udo Vetter hat offensichtlich nicht so viel mit Landesmedienanstalten zu tun, sonst würde er sich das längst nicht mehr fragen.)

Die NLM teilte dem Zuschauer mit, sie habe „die Sendung und die von Ihnen angesprochenen Szenen gesichtet und vorab bewertet“ und keinen „Anfangsverdacht für einen Verstoß gegen die Bestimmungen des Staatsvertrages über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien“ feststellen können.

Drei Monate ließ sich die NLM Zeit mit dieser Antwort. Udo Vetter vermutet, dass das womöglich daran lag, dass sie „erkennbar an originellen Formulierungen feilte“. Das kann man ausschließen.

Die originellen Formulierungen stammen aus einem „Welt Online“-Artikel.

 

NLM, 14.12.2010 „Welt Online“, 8.10.2010
Die Sendung „Schwiegertochter gesucht“ steht für Partnervermittlung à la RTL. Partnervermittlung, à la RTL.
Moderatorin Vera Int-Veen versucht hier für allein stehende Männer das große Liebesglück zu finden. Und deren Mütter wünschen sich nicht nur einen glücklich verliebten Sohn, sondern auch, dass dieser endlich zu Hause auszieht. Vera-Int Veen versucht für alleinstehende Männer das große Liebesglück zu finden. Und die Mütter der Jungs wünschen sich nicht nur einen glücklich verliebten Sohn, sondern auch, dass dieser endlich zu Hause auszieht.
Nach drei Staffeln jedoch, so scheint es, ist das Reservoir an vorzeigefähigen Junggesellen, die noch zu Hause wohnen, nahezu erschöpft. Nach drei Staffeln jedoch, so scheint es, ist das Reservoir an vorzeigefähigen Junggesellen, die noch zu Hause bei Mutti wohnen, nahezu erschöpft.
Die auch als die „Mutter Theresa“ apostrophierte Int-Veen muss also in der aktuellen Staffel arg benachteiligte männliche „Restposten“ an die Frau bringen. Die Mutter Teresa unter den privaten TV-Sendern hilft sogar schwer verbeulten Töpfen bei der Suche nach einem passenden Deckel. (…) Das fragen sich besorgte Zuschauer, seit RTL im September wieder neue Restposten auf den Markt gebracht hat, um im Jargon der Branche zu bleiben.
Zum Angebot gehört dabei unter anderem auch der von Ihnen angesprochene schüchterne „Kratzbild-Fan“ Peer, dessen unfreiwillig komische Kuppelmanöver ein Millionenpublikum verfolgte. Am vergangenen Sonntag verfolgten insgesamt 4,84 Millionen Zuschauer die unfreiwillig komischen Kuppelmanöver
In medienrechtlicher Hinsicht ist dabei zu beachten, dass in der Sendung zwar eine gewisse Zurschaustellung von Menschen mit körperlichem und seelischem Handicap nicht von der Hand zu weisen ist, dass aber auf Grund der Dramaturgie und Inszenierung der Sendung keine Lächerlichmachung bzw. Diffamierung der Protagonisten mit denunziatorischer Absicht erkennbar ist. Um seinen überdurchschnittlichen Marktanteil von 20,9 Prozent zu halten, ist dem Sender offenbar beinahe jedes Mittel recht — sogar die Zurschaustellung von Menschen mit körperlichem und seelischem Handicap.
Dass die gezeigten männlichen Kandidaten vielleicht etwas beschränkt oder schüchtern wirken heißt ja nicht, dass sie geistig behindert sind. Sie sind auch nicht etwa entmündigt, sondern es ist davon auszugehen, dass sie sehr genau wissen, was sie tun und dass sie die Show als große (und vielleicht einzige) Chance auf eine Beziehung sehen. RTL-Sprecherin Anke Eickmeyer kann die Empörung nicht nachvollziehen. In einer schriftlichen Antwort auf eine Anfrage von WELT ONLINE heißt es: „Alle Kandidaten wissen sehr genau, was sie da tun und sehen die Show als große Chance auf eine Beziehung.“

Dass diese Männer vielleicht etwas unbeholfen oder schüchtern seien, heiße nicht, dass sie geistig behindert seien.

Das letzte Beispiel ist besonders bemerkenswert, weil die NLM sich hier Argumentation und Formulierung des Senders zu eigen macht, den sie (theoretisch) beaufsichtigt.

Nun wäre es ungerecht, der NLM-Programmreferentin vorzuwerfen, sie habe ihre ganze Antwort bei „Welt Online“ abgeschrieben. Manche Formulierungen scheint sie auch woanders abgeschrieben zu haben:

 

NLM, 14.12.2010 tv blog, 30.3.2010
Es sind Kandidaten mit vielerlei Marotten, die man sich wohl angewöhnt, wenn man es mit „Mutti“ über die übliche Halbwertzeit eines solchen Arrangements hinaus ausgehalten hat. „Schwiegertochter gesucht“ wird auch in der neuen Staffel wieder etliche Junggesellen präsentieren, die es bislang noch der Bequemlichkeit halber in der mütterlichen Wohngemeinschaft weit über die übliche Halbwertzeit eines solchen Arrangements ausgehalten haben. Dazu werden Kandidatinnen für die Jungs gesucht, die sich mit den alteingesessenen Marotten und oftmals überprotektiven Müttern konfrontiert sehen.

Die zuständige Programmreferentin hat Udo Vetter die Veröffentlichung ihrer Antwort untersagt. Ich kann das gut verstehen.

[via Kommentar bei Udo Vetter]

Schlaf- und Skandalbehörden

Ich hätte die „Funkkorrespondenz“ lesen sollen. Oder mir einen Merkzettel machen mit der Warnung an mich selbst: „Wenn du einen Artikel schreibst, der zum Ergebnis kommt, dass die Medienaufsicht in Deutschland womöglich funktioniert, hast du vermutlich nur nicht gründlich genug recherchiert.“

Am Sonntag habe ich für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ eine Bilanz der Gewinnspielsatzung gezogen. Seit eineinhalb Jahren drohen 9Live und den anderen Call-TV-Anbietern Bußgelder, wenn sie gegen die Regeln verstoßen, die ein Mindestmaß von Fairness und Transparenz garantieren sollen. Die Landesmedienanstalten haben seitdem über eine halbe Million Euro Bußgeld verhängt und sind der Meinung, das habe Wirkung gezeigt — obwohl noch kein Sender Geld gezahlt habe. (Tatsächlich haben Kabel 1, Super RTL und Das Vierte schon Bußgelder bezahlt. Davon wusste nur der zuständige Sprecher der baden-württembergischen Medienanstalt LfK, den ich gefragt hatte, angeblich nichts.)

Die aufregendere Geschichte stand zwei Tage zuvor im Branchendienst „Funkkorrespondenz“: Einen Teil dieser Summe werden die Sender nämlich nie zahlen müssen, weil die Landesmedienanstalten Fristen versäumt haben und die Verfahren einstellen mussten, weil es verjährt war. 115.000 Euro hat die Bayerische Landesmedienanstalt BLM auf diese Weise dem Sender 9Live geschenkt — weil die Mitarbeiter in den Osterferien waren. Oder im Deutsch der Beamten:

„Die Verjährung kam dadurch zustande, dass durch ein äußerst bedauerliches Büroversehen während der Urlaubszeit die fünf Fälle in der BLM liegengeblieben sind und es so versäumt wurde, die Bescheide der Staatsanwaltschaft fristgerecht zuzustellen.“

Als Konsequenz aus der Schlamperei sei „umgehend eine doppelte Terminkontrolle eingeführt“ worden, teilte die BLM der „Funkkorrespondenz“ mit, verweigerte aber die Auskunft, ob gegen Mitarbeiter dienstrechtliche Maßnahmen eingeleitet wurden.

Die Landesmedienanstalten werden, was viel zu wenig bekannt ist, zum größten Teil von den Rundfunkgebühren bezahlt: Sie bekommen knapp zwei Prozent davon, weit über 100 Millionen Euro jährlich. Wir, die Gebührenzahler, finanzieren also ein — aufgrund der föderalen Struktur der Medienaufsicht — ohnehin außerordentlich aufwändiges Verfahren, das einem Bußgeldbescheid vorausgeht. Und am Ende ist dieser ganze Aufwand für die Katz, weil die Mitarbeiter der BLM vergessen haben, sich die damit verbundene Frist irgendwohin zu schreiben, und sich in den Osterurlaub verabschiedet haben?

Es ist nicht so, dass es sich um Ausnahmen in einem sonst funktionierenden System handelte. Die „Funkkorrespondenz“ berichtet von zwei weiteren Fällen, in denen durch Schlamperei in der BLM die Verfahren verjährten. Auch bei der Medienanstalt Berlin-Brandenburg MABB musste ein Bußgeldverfahren wegen abgelaufener Fristen eingestellt werden, weil — wie die Behörde mitteilte — „die Weihnachtszeit dazwischen kam“.

Bei den Landesmedienanstalten — und insbesondere den beiden genannten — verbindet sich in einzigartiger Weise der ganze Albtraum einer föderalen Bürokratie mit Inkompetenz und schlichtem Unwillen. Ich bin überzeugt davon, dass die Bayerische Landesmedienanstalt unter Wolf-Dieter Ring (seit 21 Jahren im Amt) kein Interesse daran hat, die von ihr lizensierten (und im Land angesiedelten) Sender wirkungsvoll zu kontrollieren. Und der Aufsichts- und Auskunftswiderwille der MABB unter Hans Hege (seit 19 Jahren im Amt), die theoretisch für Pro Sieben zuständig wäre, ist ein fortdauernder Skandal.

Ich habe vor fünf Jahren zusammen mit Peer Schader für die „Sonntagszeitung“ einen Text über das Elend der Medienaufsicht in Deutschland geschrieben. Dessen Überschrift „Schafft die Landesmedienanstalten ab!“ wurde leider gelegentlich als bloße Polemik missverstanden.

Die geheimnisvolle Fionnghuala

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Seit Anrufsendern, die gutgläubige Zuschauer in die Irre führen, Bußgelder drohen, ist das Geschäft fairer geworden – und schlechter. Dabei hat noch keiner bezahlt.

Heute würde es Schlag auf Schlag gehen. Kein Gerede, keine Verzögerungen, garantiert zwanzig Gewinner in fünfzehn Minuten. Dirk Löbling, der Animateur, der an diesem späten Donnerstagabend Dienst hat bei 9Live, scheint angemessen aufgeregt. So ein „Gewinner-Countdown“, erklärt er, sei „sehr speziell“. Und weil er von der Regie vorgegeben werde, könne man sich darauf verlassen, dass das damit verbundene Versprechen eingehalten werde.

Vierzehneinhalb Minuten später ist ein Gewinner gefunden. Es stehen noch 25 Sekunden auf der Uhr, es fehlen noch 19 Gewinner, und Löbling macht Geräusche und Gesten, die seine Fassungslosigkeit ausdrücken sollen. Wie soll das zu schaffen sein?

Es ging dann doch recht entspannt. Es stellte sich nämlich heraus, dass der Anrufsender bei seinem „Gewinner-Countdown“ nur die Zeit zählt, die er zählt. Bis die nächsten zwanzig Sekunden Spielzeit abgelaufen waren, verging eine Dreiviertelstunde, in der der Moderator sich zeitweise mit einem Menschen in seinem Ohr über die Blumen in der Studiodekoration unterhielt. Nach endlosen Minuten erbarmte er sich, zählte einen Countdown runter, dann lief der „Gewinner-Countdown“ wieder weiter, jemand wurde durchgestellt, nannte einen Beruf, der auf „-er“ endet, und gewann einen zweistelligen Eurobetrag. Es schien, als müsse man sofort anrufen, weil das Spiel sofort vorbei sei. Aber 9Live könnte im Notfall einen solchen „Gewinner-Countdown“ von wenigen Sekunden über Jahre strecken.
Sie machen sich immer noch einen Spaß – und vor allem natürlich: ein Geschäft – daraus, die Zuschauer in die Irre zu führen. Aber die Hoch-Zeiten des Call-TV sind vorbei, im Guten wie im Schlechten. Die Tricks, die 9Live heute einsetzt, sind vergleichsweise harmlos. Aber auch die Erlöse sind nicht mehr, was sie mal waren. Der Marktanteil des Senders liegt bei nur noch 0,1 Prozent – bei jüngeren Zuschauern ist er nicht mehr messbar. Für die Schwestersender Sat.1, Pro Sieben und Kabel 1 produziert 9Live noch Anrufsendungen tief in der Nacht; eine Sendung wie „Quiz Night“ auf Sat.1 läuft regelmäßig vor immerhin ein- bis zweihunderttausend Zuschauern – aber wer weiß, wie viele von denen wach sind.

Auch der Spartenkanal Sport 1 bessert sein Einkommen mit den Telefongebühren dummer Zuschauer auf und lässt werktags nachmittags zum Beispiel weibliche Vornamen mit „A“ am Ende raten (gesucht waren am Freitag: „Notburga, Immacolata, Inmaculada, Fatoumata, Fearchara, Femmechina, Fionnghuala, Flordeliza, Rizalia, Boglarka“). Aber Sender wie Super-RTL, MTV, Viva, Nickelodeon, Tele 5 und Das Vierte haben sich inzwischen von dem zwielichtigen Geschäft verabschiedet; in der Schweiz sorgte ein Gerichtsurteil für das abrupte Ende der Branche.

Warum das Geschäft nicht mehr so läuft? Die einfachste Erklärung ist, dass die Teilnehmer im Laufe der Zeit entweder zu klug oder zu arm geworden sind, um noch mitzumachen. Pro-Sieben-Sat.1 nennt in seinem Geschäftsbericht als Grund für die sinkenden Anruferzahlen und Erlöse „die Einführung einer neuen Gewinnspielsatzung der Landesmedienanstalten“. Neu daran waren weniger die Regeln, die Mindeststandards an Fairness und Transparenz sicherstellen sollen und in ähnlicher Form schon vorher galten; neu war die Möglichkeit, Bußgeld gegen Sender zu verhängen, die sich nicht an sie hielten.

Seit die Satzung vor eineinhalb Jahren in Kraft getreten ist, hat die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) der Medienanstalten 54 Beanstandungen ausgesprochen und Bußgeld in Höhe von 575 500 Euro verhängt, den größten Teil gegen 9Live. Die Mängel sind fast immer dieselben: Es sei unzulässig Zeitdruck aufgebaut, über die Auswahlverfahren und Einwahlchancen in die Irre geführt oder über den Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe getäuscht worden.

Dem 9Live-Animateur Jürgen Milski, der als „Big Brother“-Kandidat und Kumpel des selig vergessenen Ztlatko aufgefallen war, wurde jetzt eine besondere Ehre zuteil: Erstmals sprach die ZAK ein Bußgeld nicht nur gegen den Sender, sondern auch den Moderator persönlich aus. Gesucht waren: „Tiere mit Doppelbedeutung“. Keine einzige der achtzehn 9Live-Lösungen (darunter Holzbohrer, Feuerwalze, Perlhuhn, Rammbock) wurde erraten. Inwiefern es sich zum Beispiel beim Rammbock überhaupt um ein Tier handele, ließ der Sender offen. Milski erweckte dafür wiederholt den Eindruck, es handle sich um ein leichtes Spiel. „Normalerweise halten wir uns an die Geschäftsführung und den Sender, weil es um strukturelle Probleme oder seine Aufsichtspflicht geht“, sagt Axel Dürr, Sprecher der in der ZAK geschäftsführenden baden-württembergischen Landesmedienanstalt LfK. In diesem Fall aber habe es den Eindruck gegeben, dass Milski besonders eigenmächtig die Regeln brach.

Jeder dieser Bußgeldbescheide ist ein kleines Wunder, denn er ist das Ergebnis eines bürokratischen Kraftaktes: Die zuständige Landesmedienanstalt stellt einen Verstoß fest, gibt dem Sender Gelegenheit zur Stellungnahme, wertet sie und gibt den Fall an die Prüfgruppe der ZAK, die ihn an die eigentliche Kommission aus den 14 Direktoren der Medienanstalten weiterleitet, die über den Bußgeldbescheid entscheidet, dessen Ausstellung dann wieder der zuständigen Medienanstalt obliegt. Gegen den Bescheid kann der Sender Beschwerde einlegen, womit sich wiederum die Medienanstalt beschäftigt und dann erneut die ZAK.

Am Ende, wenn die Sender das Bußgeld nicht akzeptieren, geht es vor Gericht. Und weil das dauert und die Sender bislang gegen jede Beanstandung Beschwerde eingelegt haben, ist nach Auskunft von Dürr bislang kein Cent tatsächlich bezahlt worden. Gegen verschiedene Pflichten, die Spiele transparent und fair zu veranstalten, wehrt sich 9Live zudem mit einer Klage und bestreitet die Rechtmäßigkeit der Satzung insgesamt. In einzelnen Punkten gab ihm das Verwaltungsgericht München im vergangenen Jahr Recht, beide Seiten sind in Revision gegangen.

Trotz des langen, schwierigen Prozesses meint Dürr, dass die Satzung und die Bußgelder Wirkung gezeigt hätten. Neben den drohenden Kosten schmerze die Sender vor allem, dass die ZAK ihre Beanstandungen konsequent öffentlich macht. „Es ist immer noch nicht alles Gold, und wir lehnen uns nicht zurück, aber es hat sich einiges getan. Ein Großteil der Beanstandungen ist abgestellt worden.“ Tatsächlich warnt 9Live zum Beispiel regelmäßig, dass die Zuschauer auf ihr „Telefonverhalten“ achten sollen. Es läuft sogar immer wieder der Hinweis durchs Bild, dass die Chance, durchgestellt zu werden, nicht von der Zahl der angeblich offenen „Telefonleitungen“ abhänge – diesen Eindruck haben die Produzenten sonst immer gerne erweckt.

Auch Marc Doehler meint, es gebe „definitiv Fortschritte“. Er verfolgt mit anderen Verrückten seit Jahren die Call-TV-Programme und protokolliert den Ablauf in einem Forum (citv.nl). Es sind ausführliche und erschütternde Dokumente der Täuschungen und Lügen, die wohl einen wesentlichen Beitrag geleistet haben, die schlimmsten Auswüchse abzustellen. Viel weniger Regelverstöße entdeckt Doehler heute im Programm, auch weil nur noch eine Handvoll einfacher Spiele immer wieder wiederholt werde. Teilweise würden die Zuschauer zwar mit ausgeklügelten Tricks noch in die Irre geführt. Aber wer auf die idiotischen Aussagen der Moderatorinnen hereinfalle, die die Aufgabe, eine deutsche Stadt mit A an zweiter Stelle zu finden, als „ziemlich schwer“ bezeichnen, sei schon selbst schuld. Warum er trotzdem noch guckt? „Der Unterhaltungsfaktor ist immer noch groß“, gibt Doehler zu. „Und ehe ich mir ‚Frauentausch‘ ansehe…“

9Live möchte sich zu alldem nicht äußern, weil man „derzeit konstruktive Gespräche mit der ZAK“ führe. Deren Sprecher Dürr bestätigt, dass geredet wird: „Da ist Bewegung drin.“ Im September werde die ZAK eine Bilanz der Gewinnspielsatzung vorlegen, womöglich gäbe es bis dahin auch eine Absprache mit 9Live, die die endlosen Verfahren unnötig mache. Das Ziel beider Seiten sei dasselbe: dass weniger Bußgelder verhängt werden müssen.

Eine andere Auseinandersetzung mit Call-TV-Veranstaltern eskaliert dagegen gerade: Es geht um die Firmen Mass Response und Primavera, die mit besonders dubiosen Methoden unter anderem im Schweizer Fernsehen auffielen. Zu den Unregelmäßigkeiten, die von Beobachtern wie Doehler und der Seite fernsehkritik.tv dokumentiert wurden, gehört, dass Umschläge mit den Lösungen in der Live-Sendung plötzlich verschwanden und an anderer Stelle wieder auftauchten, was den Verdacht von Manipulationen nährte. Die Firmen bestreiten dies und gehen juristisch gegen die Kritiker vor. Einiges deutet darauf hin, dass es in den anstehenden Prozessen endlich nicht mehr um Formalien geht oder sich die Firmen mit einem Verwirrspiel um die Verantwortlichkeiten herausreden können, sondern sich die Gerichte in der Sache mit den Betrugsvorwürfen auseinandersetzen werden. [Nachtrag, 26. September: Bislang sind gerichtliche Verfahren, die von Primavera gegen diese Vorwürfe eingeleitet hat, zu Gunsten der Call-TV-Firma ausgegangen oder noch nicht rechtskräftig beendet.] Als Zeugen sind auch viele Producer und Moderatoren benannt, die die unwahrscheinlich klingenden Erklärungen der Produktionsfirmen plausibel machen sollen.

Der Countdown läuft.

„Lebt er noch?“ (2)

Weiß jemand, wie groß die Redaktionsbüros von „Newstime“ sind und wie lange ich entsprechend bräuchte, um sie hüfthoch vollzukotzen?
(Lukas Heinser, 12. November 2009)

Die Kommission für Zulassung und Aufsicht der Landesmedienanstalten (ZAK) hat einen Beitrag der Nachrichtensendung „Newstime“ beanstandet. ProSieben hatte im November 2009 gezeigt, wie die Frau von Robert Enke an dem Ort eintraf, an dem er sich gerade das Leben genommen hatte. Sicherheitshalber hatte der Sender ihre schwer verständlichen Fragen an die Polizei nach seinem Verbleib sogar noch untertitelt.

Ein ProSieben-Sprecher hatte mir damals gesagt: „Aus Sicht der Nachrichtenredaktion war es angemessen, die Bilder zu zeigen.“ Inzwischen hat sich der Sender für den Beitrag entschuldigt. Nach dem Urteil der ZAK hat er die Persönlichkeitsrechte von Frau Enke verletzt und gegen journalistische Grundsätze verstoßen.

Das Elend der Debatte um ARD und ZDF

Es ist wie ein schlimmer Tinnitus. Ein nerviges Klingeln, das nie wieder aufhört. Seit Monaten läuten Verleger und Privatsender ununterbrochen irgendwelche Alarmglocken. Jeden Tag beschwert sich irgendein Lobbyist wieder lautstark über irgendeine Ungerechtigkeit, beklagt irgendeine Ungeheuerlichkeit, kündigt Eingaben, Klagen, Proteste an. Und jedesmal steht damit alles auf dem Spiel: Die Existenz von tausenden Arbeitsplätzen. Die Zukunft des Journalismus. Die Grundlage unserer Medienordnung. Das Funktionieren der Demokratie.

Wenn morgen die Meldung käme, dass die Verlegerverbände jetzt mit Selbstmordanschlägen drohen, wenn nicht sofort alle tun, was sie sagen — ich wäre nicht überrascht.

Sprachlich sind die Eskalationsmöglichkeiten längst erschöpft. WAZ-Geschäftsführer Christian Nienhaus hat eine Beschlussvorlage des NDR-Rundfunkrates, die dem Angebot tagesschau.de großen Bestands- und Entwicklungsschutz gewähren will, den „größtmöglichen Super-GAU in der deutschen Medienpolitik der vergangenen 20 Jahre“ genannt (und niemand verrät ihm, wofür das „G“ in „GAU“ steht).

Die Logik hat bereits vor einer Weile einen Ausreiseantrag aus der Diskussion gestellt, der offenbar jetzt genehmigt wurde. Der Verlag Gruner+Jahr fordert, den Rundfunkstaatsvertrag zu ändern, weil der NDR die darin nach Ansicht des Verlages enthaltene Beschränkungen nicht versteht. Das ist der eingesprungene Rittberger der Lobbyarbeit: Man behauptet einerseits, dass die gesetzlichen Vorgaben jetzt schon eindeutig sind und der NDR dagegen zweifelsohne verstoßen habe, und andererseits, dass die gesetzlichen Vorgaben verschärft werden müssen, weil sie nicht eindeutig sind, und tut so, als sei das gar kein Widerspruch.

Wenn man aus Verlogenheit Energie machen könnte, ließe sich dank dieser Debatte ein Atomkraftwerk abschalten. Die Verlegerverbände fordern, dass endlich die Politik etwas tun muss. Der oberste Zeitschriftenlobbyist Wolfgang Fürstner hat den niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff gebeten, gegen die „Pläne des NDR“ einzuschreiten. Als aber Wulffs Hamburger Kollege Ole von Beust vorübergehend im Verdacht stand, das Vorgehen des Rundfunkrates gutzuheißen, maßregelte das „Hamburger Abendblatt“ sofort den Politiker, er dürfe sich nicht in ein „laufendes Verfahren“ einmischen.

Nun bin ich kein Experte dafür, was die richtige Strategie ist, um auf Politiker Eindruck zu machen. Immerhin hatten die Verleger mit ihrer Kampagne für ein Leistungsschutzrecht bei der schwarz-gelben Koalition Erfolg, obwohl auch die fast ausschließlich auf die Strategie setzte, möglichst laut und langanhaltend zu brüllen, und bis heute niemand erklären kann, wie genau ein entsprechendes Gesetz aussehen soll und auf welche wundersame Weise es die Verlage retten würde.

Ich frage mich aber, welche Wirkung das ununterbrochene Geheule auf die interessierte Öffentlichkeit hat. Die Verleger schlagen wild um sich wie ein Ertrinkender. Die Botschaft, die sie damit aussenden, lautet: Wir sind nur dann noch in der Lage, genügend Geld zu verdienen, um die Menschen vernünftig zu informieren, wenn alle Rahmenbedingungen zu unseren Gunsten verändert und jeder störende Konkurrent ausgeschaltet wird. Die Geschäftsgrundlage ist offenbar so fragil, dass es schon tödlich sein kann, wenn es einem öffentlich-rechtlichen Anbieter erlaubt wäre, seine Inhalte auf einem beliebten Smartphone in etwas attraktiverer Form als bisher anzubieten. Der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG, Mathias Döpfner, hat (mutmaßlich) allen Ernstes die geplante „Tagesschau“-App für das iPhone mit dem Verlust von „Tausenden Arbeitsplätzen in der Verlagsbranche“ in Verbindung gebracht und ist trotzdem nicht aus dem Land gelacht worden. WAZ-Co-Geschäftsführer Bodo Hombach will in diesem Zusammenhang nun sogar anderen Verlagen das Geschäftsmodell vorschreiben und geißelt eine App der „Financial Times Deutschland“ als Sünde, weil sie nichts kostet. (Vielleicht hat ihm niemand gesagt, dass es sich beim konkreten Angebot nur um die Aufbereitung auch sonst frei verfügbarer Inhalte handelt und nicht etwa um eine Art E-Paper wie bei den kostenpflichtigen Apps von „Bild“, „Welt“ und „Spiegel“.)

Es spricht nicht für den Glauben an die Einzigartigkeit und Hochwertigkeit der eigenen Produkte, wenn Verlagsleute den Eindruck erwecken, die Leser würden im Internet oder auf ihrem Telefon die erstbeste Gelegenheit nutzen, die kostenpflichtige Zeitung nicht mehr zu lesen, weil sie die „Tagesschau“ umsonst kriegen. (Was ja bisher auch schon so war, sich aber in zwei verschiedenen Medien abspielte.) Rührend ist auch, wenn im Kampf gegen den Konzern Google, dem die Verleger die Einnahmen neiden, anklagend Studien zitiert werden, wonach sich ein größerer Teil der „Google News“-Leser damit zufrieden gibt, dort die Schlagzeilen zu lesen, und gar nicht mehr die eigentlichen Artikel der verlinkten Online-Medien anklickt. Mit derart anspruchslosen Lesern werden Qualitätsmedien ohnehin kein Geld verdienen können — im Zweifel sind die auch jetzt schon zufrieden damit, einen flüchtigen Blick auf die Titelseite der Zeitung am Kiosk zu werfen.

Wenn ich das Getöse richtig verstehe, verhält es sich also ungefähr so: Die Verlage müssen von der (ohnehin schon reduzierten) Mehrwertsteuer befreit werden, Google muss verboten oder zur Zahlung von Lizenzgebühren verpflichtet werden, ARD und ZDF müssen das Internet verlassen, das Zitatrecht muss drastisch eingeschränkt, das kostenlose Anbieten von Informationen untersagt und die Gratis-Kultur im Internet insgesamt vernichtet werden — dann, ja dann könnten die Verlage vielleicht, möglicherweise, wenn das Wetter stimmt, in der Lage sein, auch in Zukunft Qualitätsjournalismus anzubieten, und womöglich sogar im Netz. Sonst können sie für nichts garantieren.

Vielleicht merken Print- und Privatfernsehlobbyisten gar nicht, dass sie damit den öffentlich-rechtlichen Sendern eine neue Legitimationsgrundlage schaffen.

Denn wenn das Geschäft mit der Information für private Medien wirklich so schwierig ist, gibt es für den Staat zwei Möglichkeiten, um dafür zu sorgen, dass seine Bürger gut informiert werden. Die eine ist die, alles dafür zu tun, um den Verlagen und Privatsendern das Leben zu erleichtern, in der Hoffnung, aber ohne Gewähr, dass es reicht. Die andere ist die, die öffentlich-rechtlichen Sender zu stärken und ihnen ein Leben in der digitalen Welt zu erlauben.

Man kann nicht oft genug referieren, wie das Bundesverfassungsgericht, das die deutsche Medienlandschaft mit seinen Rundfunkurteilen maßgeblich geprägt hat, den Begriff der „Grundversorgung“ verstand, die ARD und ZDF zu leisten hätten. Er geht davon aus, dass man sich u.a. aufgrund ihrer Werbefinanzierung nicht darauf verlassen könne, dass die Programme der privaten Sender immer hohen Ansprüchen zum Beispiel an Meinungsvielfalt genügen. Man dürfe die öffentlich-rechtlichen Sender deshalb nicht darauf beschränken, die jeweiligen Lücken zu füllen, die private Anbieter aus wirtschaftlichen Gründen hinterlassen, sondern ARD und ZDF müssten all das bieten, was eine Gesellschaft an Information, Bildung, Unterhaltung brauche — und wenn Private es schaffen, das zu ergänzen, ist es schön und wenn nicht, ist es nicht schlimm. (Gegner von ARD und ZDF missverstehen den Begriff gerne als Minimalversorgung, das Schwarzbrot: Dokumentationen, Nachrichten, hochwertige Filme, die keiner guckt. So ist er nicht gemeint.)

Ähnlicher Schindluder wird mit dem Begriff des „Dualen Systems“ getrieben, insbesondere wenn angesichts wegbrechender Werbeerlöse der Privaten und konstanter oder gar steigender Einnahmen der Öffentlich-Rechtlichen beklagt wird, es sei aus dem „Gleichgewicht“ geraten. Aber die Idee dieses Dualen Systems war nicht, dass Öffentlich-Rechtliche und Private gleich stark sein sollen. Die Idee war, die Öffentlich-Rechtlichen so auszustatten, dass sie uns auch dann gutes Fernsehen liefern, wenn die Bedingungen bei den Privaten einmal dafür nicht ausreichen. Zu argumentieren, dass wenn die Privaten leiden, auch ARD und ZDF weniger kriegen sollen, ist bizarr — zeigt aber, wie sehr die Debatte nicht die Interessen der Zuschauer, sondern die der Privatsender im Blick hat.

Nun sind all diese Grundlagen maßgeschneidert für das Medium Fernsehen, dem ein außerordentlicher Einfluss auf die Zuschauer zugeschrieben wurde und dessen Verbreitung exorbitant teuer war, so dass große Macht zwangsläufig in den Händen weniger liegen würde. Man kann mit gutem Grund fragen, ob dieses System angesichts der digitalen Revolution noch zeitgemäß ist. Man könnte zum Beispiel fragen, ob ARD und ZDF im Internet noch benötigt werden, wenn Verlage, Privatsender und andere dort doch täglich beweisen, dass sie hochwertigen, vielfältigen Qualitätsjournalismus anbieten, der trotz seiner Abhängigkeit von Werbung keine Wünsche offen lässt.

Bis zur aktuellen Wirtschafts- und Werbekrise haben Verlage und Privatsender genau diesen Eindruck erweckt, um den Spielraum von ARD und ZDF im Internet gesetzlich so weit wie möglich einzuschränken. Doch nun zeigt sich plötzlich, dass keineswegs klar ist, ob und wie sich guter Journalismus im Internet finanzieren lässt. Damit bekommen die Öffentlich-Rechtlichen eine neue mögliche Legitimation auch für dieses Medium, genau genommen die alte: durch verlässlich und von allen gemeinsam finanzierte Medien eine umfassende Grundversorgung sicherzustellen, die eine rundum gut informierte Gesellschaft ermöglicht, selbst wenn die privaten Anbieter in schlechten Zeiten oder aus grundsätzlichen Problemen das nicht in befriedigendem Maße tun können.

Wohlgemerkt: Es sind die Verlags- und Privatsenderleute selbst, die diesen Eindruck gerade erwecken, dass sie unter den herrschenden Bedingungen nicht für Qualität im Internet bürgen können.

Springer-Chef Döpfner erregt sich darüber, dass die ARD ihre Nachrichten kostenlos iPhone-gerecht anbieten will und damit die Versuche seines Hauses erschwert, Inhalte auf verschiedenen Plattformen nur noch gegen Geld anzubieten. Das ist aus seiner Sicht konsequent. Natürlich wäre es für alle Verlage besser, wenn es niemanden gäbe, der journalistische Inhalte umsonst anböte, und alle Leser also gezwungen wären, dafür zu bezahlen. Ich glaube nur nicht, dass das auch im Interesse der Gesellschaft wäre.

Wolf-Dieter Ring, der Präsident der Bayerischen Landesmedienanstalt, ist natürlich niemand, der im Verdacht steht, das Interesse der Gesellschaft im Blick zu haben. Er spielt schon lange eine lustige Doppelrolle als Aufseher über die Privatsender und ihr Lobbyist. Im vergangenen Herbst rief er die Verlage dazu auf, geschlossen auf Paid-Content-Konzepte zu setzen, und forderte von der Politik, die Öffentlich-Rechtlichen in Zaum zu halten: Kostenlose Angebote wie tagesschau.de unterliefen die möglichen neuen Erlösmodelle der Verlage im Netz.

Warum soll es gesellschaftlich erstrebenswert sein, journalistische Inhalte nur denen zugänglich zu machen, die dafür zahlen können? Inwiefern ist es gut, wenn Menschen ohne Geld schlecht informiert werden? Wäre es nicht gerade dann, wenn die Verlage ihre Online-Angebote kostenpflichtig machen (müssen), erstrebenswert, ein kostenloses, aber dennoch zuverlässiges Angebot zu haben? „Kostenlos“ ist natürlich der falsche Ausdruck, denn ARD und ZDF werden ja von uns bezahlt, aber Leute ohne Einkommen sind von der Gebühr befreit — eine solidarische, soziale Konstruktion, diese Rundfunkgebühr, die zudem dafür sorgt, dass nicht nur das produziert und finanziert wird, was eine Mehrheit sehen will.

Die Konkurrenten der öffentlich-rechtlichen Sender haben durchgesetzt, dass ARD und ZDF viele Inhalte aus dem Netz löschen müssen — und keineswegs nur zweifelhafte Angebote wie Kochrezepte oder Kontaktbörsen. Seitdem sind diverse Leute in den Anstalten mit etwas beschäftigt, das den schönen Namen „Depublizieren“ trägt. Inwiefern dient es dem Gemeinwohl, wenn ARD und ZDF teuer produzierte Inhalte nur für eine begrenzte Zeit (in der Regel sieben Tage) zugänglich machen dürfen? Inwiefern ist es in meinem Interesse, dass Inhalte, die ich mit meinen Gebühren bezahlt habe, mir nur vorübergehend und nicht auf allen Plattformen angeboten werden?

Eine der lächerlichsten Äußerungen im Zusammenhang mit der geplanten iPhone-Anwendung der „Tagesschau“ war die der Springer-Pressesprecherin Edda Fels, die im vergangenen Advent pikiert formulierte: „Wir gingen davon aus, dass die vorhandenen Gebühren schon nicht mehr zur Finanzierung des bestehenden Angebots ausreichen. Deshalb wundern wir uns, dass im Vorfeld der geplanten Gebührenumstellung das Angebot sogar erweitert werden soll.“ Was wäre es für ein Quark, wenn die ARD erst teure Inhalte produzierte und dann an den im Vergleich lächerlich winzigen Kosten sparen würde, um diese Inhalte möglichst vielen Leuten möglichst bequem zugänglich zu machen? Wie sehr muss man die Welt durch eine eigene PR-Brille sehen, um nicht zu merken, dass ein zickiges „Ach dafür ist also noch Geld da?“ völlig an der Realität vorbeigeht?

Neben der iPhone-Anwendung ist ein Interview von tagesschau.de mit Kathrin Passig zum unwahrscheinlichen Symbol für den ungehemmten Expansionsdrang der Öffentlich-Rechtlichen geworden, der uns alle unter sich begraben wird. Das nette Gespräch (als bekennender Passig-Fan bin ich natürlich nicht objektiv) lief nämlich nicht im Fernsehen und bezog sich auch auf kein bestimmtes Programm, sondern war einfach nur informativ, verstieß damit also gegen die nur in bestimmten Fälllen aufgehobene Pflicht von ARD und ZDF, im Internet ausschließlich sendungsbezogene Inhalte zu veröffentlichen. Bei anderen Web-Formaten wie „Deppendorfs Woche“ (auf das ich persönlich gut verzichten könnte, aber das ist ja nicht die Frage) umgeht die ARD diese Vorgabe dadurch, dass sie sie auch in einem ihrer Digital-Kanäle ausstrahlt. Aber, Verzeihung, was ist das alles für ein Irrsinn?

Was den Tinnitus, der über der Diskussion liegt, noch unerträglicher macht, ist die Parteilichkeit der Medien. In vielen Redaktionen scheinen als Journalisten getarnte PR-Leute in eigener Sache zu arbeiten. Bei „Bild“ als Kampagnenorgan blieben natürlich als erstes die Fakten auf der Strecke. Zur Zeit findet sie fast jeden Tag Platz auf ihrer Seite 2 für einen kleinen Bericht, in dem irgendein üblicher Verdächtiger (im Zweifel auch nur der automatische Anrufbeantworter von Jürgen Doetz) sagt, wie schlimm die iPhone-Anwendung ist. Am vergangenen Montag reichte schon die Tatsache, dass, Zitat: „eine FDP-Kommission für Internet und Medien sich am Wochenende einstimmig gegen die Einführung eines Apps ausgesprochen hat“ für eine größere Meldung. Eine FDP-Kommission, holla!

„Spiegel Online“ kämpft ebenfalls an vorderster Front. Dort werden die öffentlich-rechtlichen Internetangebote schon seit Jahren bösartig als „GEZ-Web“ oder „GEZ-Netz“ bezeichnet. Seit Monaten ergänzt „Spiegel Online“ seine Artikel zum Thema mit einer Tabelle über die meistgenutzten deutschen Medienangebote, in denen ARD.de mit 34,5 Mio Visits auf Platz 3 liegt und tagesschau.de mit 20,2 Mio Visits auf Platz 6 — was höchst irreführend ist, weil die tagesschau.de-Visits in den ARD.de-Visits schon enthalten sind. ARD-aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke hat das schon vor über sechs Wochen öffentlich moniert. Irgendwann vergangene Woche muss „Spiegel Online“ die Tabelle endlich korrigiert haben. Klammheimlich, natürlich. Nachtrag/Korrektur: Stimmt gar nicht. Steht immer noch so da.

Leider hat auch die ARD noch nicht verstanden, dass es nicht nur ihre Pflicht ist, in eigener Sache ganz besonders korrekt zu berichten, sondern auch eine Chance darin läge, sich unangreifbar zu machen und von der Pro-Domo-Berichterstattung anderer Medien abzusetzen, wenn sie ihren Kritikern breiten Raum geben würde. Die BBC demonstriert regelmäßig, wie das geht. Über Kritik an der BBC kann man sich zuverlässig im Online-Nachrichtenangebot der BBC informieren. Nicht so in Deutschland. Dass die „Tagesschau“ kürzlich aus Anlass des KEF-Berichtes anstelle eines journalistischen Beitrages einen PR-Bericht in eigener Sache sendete, war ein Skandal und nicht nur frech, sondern dumm.

Denn das muss man von den Öffentlich-Rechtlichen verlangen, wenn sie von uns viele Milliarden Euro jährlich bekommen: Dass sich dieser Vorteil gegenüber der privaten Konkurrenz auch in entsprechender Qualität zeigt — und dazu gehört zu allererst vorbildlicher Journalismus.

Das einzig Gute an der hysterischen Debatte ist, dass sie sich langsam dem Kern der Auseinandersetzung nähert. Früher haben sich die Konkurrenten von ARD und ZDF an irgendwelchen Kochrezept-Seiten und Kontaktbörsen der Öffentlich-Rechtlichen abgearbeitet. Nun lenkt nur noch die scheinheilige Fixierung auf die iPhone-Application davon ab, dass die Verleger auch grundsolide Angebote wie tagesschau.de nicht hinnehmen wollen. „Tagesschau“-Chef Gniffke hat Recht, wenn er schreibt:

Seit 15 Jahren gibt es tagesschau.de, seit vielen Jahren auch mobil. Soll das jetzt zurückgedreht werden? Das wäre der Tod der Tagesschau auf Raten, da muss man kein Medienexperte sein. Dann soll man aber offen sagen: Die Tagesschau soll weg, weil wir sie 60 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik nicht mehr brauchen. Diese Diskussion kann man ehrlich führen. Aber sie hinter einer Diskussion um eine Tagesschau-App zu verstecken, damit habe ich ein Problem.

Kai Biermann hat es bei „Zeit Online“ auf die schlichte, treffende Formel gebracht: Matthias Döpfner will die Öffentlich-Rechtlichen abschaffen.

Ich wünsche mir starke, freie Öffentlich-Rechtliche im Netz. Ich glaube, dass sie der Qualität und der Vielfalt des Online-Journalismus gut tun können. Und ich glaube, anders als offenbar die Verleger selbst, dass gute private journalistische Angebote trotz dieser Konkurrenz bestehen können.

Vor allem aber wünsche ich mir, dass dieser Tinnitus wieder weggeht.

[Offenlegung: Ich arbeite nicht nur für Verlage, sondern gelegentlich auch für ARD und ZDF.]

 

Ich notorischer Urheberrechtsverletzer

YouTube hat meinen Account gelöscht. Damit sind all die schönen Videos, die ich für das Fernsehlexikon hochgeladen habe, verschwunden. Das kam nicht ganz überraschend: Kurz zuvor hatte das Portal zum zweiten Mal ein von mir hochgeladenes Video gelöscht, weil ich damit angeblich möglicherweise gegen das Urheberrecht eines Fernsehunternehmens verstoßen hätte. Wenn das passiert, schickt YouTube eine Mail, in der es unmissverständlich heißt:

Dies ist die zweite Urheberrechtsbeschwerde zulasten deines Kontos. Eine einzige weitere Beschwerde führt zur Kündigung deines Kontos. Wenn du dies vermeiden möchtest, lösche sämtliche Videos, an denen du keine Rechte besitzt, und lade in Zukunft keine Videos mehr hoch, die die Urheberrechte anderer verletzen. Weitere Informationen zu den Urheberrechtsrichtlinien von YouTube findest du in den Tipps zum Urheberrecht.

Ich war also gewarnt. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass der Sender ProSieben (oder genauer: sein Vermarkter Seven One) kurz darauf nach über einem Jahr daran Anstoß nehmen würde, dass ich Ende 2008 einen 24-sekündigen Ausschnitt aus dem damaligen Jahresrückblick von „Switch Reloaded“ bei YouTube hochgeladen hatte. Es handelte sich um eine kurze Szene mit der Parodie, in der Elke Heidenreich Marcel Reich-Ranicki von der Bühne schlägt — mit einem leicht veränderten Exemplar des „Fernsehlexikon“, das ich mit Michael Reufsteck geschrieben habe.

Das ist ein interessanter Fall. Natürlich besitze ich keine Rechte an dieser Szene und darf sie deshalb eigentlich nicht bei irgendwelchen Videoportalen hochladen. Andererseits hatte ich das Video in einen Blogeintrag eingebettet, der sich mit dem Gezeigten beschäftigt, wodurch der Gebrauch durch das Zitatrecht gedeckt wäre. Wiederum andererseits sieht man das aber dem Video selbst nicht an, das ja ausschließlich aus dem Inhalt von ProSieben besteht. (Ob es den Sendern wirklich hilft, wenn sie jeden vermeintlich illegalen 24-Sekunden-Mitschnitt ihrer Programme auf YouTube sperren lassen, ist eine andere Frage, aber die Sender sind gerade so sensationell unentspannt, was ihr Leben in der veränderten digitalen Welt angeht, dass Prinzip im Zweifel immer vor Pragmatismus geht.)

Die beiden ersten Videos hatte RTL sperren lassen. Das erste war die Szene aus dem RTL-Mittagsmischmagazin „Punkt 12“, in der eine Reporterin live vom Amoklauf in Winnenden berichtete („hier blinken die Lichter“, „Chaos vom Feinsten“). Anfang Januar ließ RTL dann das auch das ebenso typische wie unwürdige Ende der letzten „Oliver Geißen“-Talkshow löschen. Mag sein, dass der Ausschnitt mit über dreieinhalb Minuten Länge nicht mehr wirklich als Zitat durchgeht. Aber für mich war das auch ein fernsehhistorisches Dokument — und ich würde wetten, dass RTL auch einen Ausschnitt von dreieinhalb Sekunden Länge nicht hingenommen hätte.

Komisch, davon hört man gar nichts, bei all dem Gejammer der Sender über den massenhaften „Diebstahl“ ihrer Inhalte: dass sie längst sehr effektiv und rücksichtslos jeden fremden Gebrauch ihres Materials auf den Videoplattformen verhindern, auch den legalen.

Für das Fernsehblog der FAZ habe ich vor ein paar Wochen ein Video angefertigt und (auf einem anderen YouTube-Account) hochgeladen, das demonstriert, um welchen winzigen Ausschnitt RTL eine Folge von „Deutschland sucht den Superstar“ für die Nachmittagswiederholung gekürzt hatte. Der Sender hatte behauptet, von den Jugendschützern der Landesmedienanstalten für eine Szene kritisiert worden zu sein, die am Nachmittag gar nicht zu sehen war — eine Lüge. In dem einminütigen Ausschnitt war zu sehen, dass all das, was die KJM gerügt hatte, auch in der kürzeren Version vorkam.

Nun ist es gar nicht leicht, Videos, die in irgendeiner Form Inhalte von „DSDS“ enthalten, überhaupt bei YouTube hochzuladen. Durch eine clevere Technik werden sie sofort als RTL-Inhalte identifiziert. Ich musste ausdrücklich bestätigen, dass und warum ich der Meinung bin, sie trotzdem veröffentlichen zu dürfen, und eine „Erklärung in gutem Glauben“ unterzeichnen. Das tat ich — und trotzdem blieb das Video nicht lange online. YouTube teilte mir nach ein paar Stunden mit, RTL habe mein Video „geprüft“ und seine „Ansprüche auf den gesamten Content oder Teile davon erneut bestätigt“. Mein Video sei „folglich weltweit gesperrt“.

Beim deutschen YouTube-Möchtegern-Konkurrenten Sevenload ist alles noch schlimmer. Hier hatte ich das Video hochgeladen, nachdem YouTube es gelöscht hatte. Hier musste RTL nicht einmal einschreiten — Sevenload sperrte es von sich aus. Bei Sevenload bekam ich auch keinen Hinweis per Mail, sondern musste mich einloggen, um die vage klingende und offenbar hastig formulierte Nachricht zu finden:

Hallo fernsehblog,
dein Bild/Video ‚Jugendschutz bei DSDS‘ wurde gesperrt, weil sie gegen unsere Richtlinien (Nutzungsbedingungen) verstößt. Aus diesem Grund ist diese Datei nur noch für dich sichtbar. Falls es sich um ein Missverständnis handelt oder du fragen hast, kontaktiere bitte unseren Support.
%suporterName [sic!]

Der Support ließ sich nicht überzeugen, dass die Verwendung der nachbearbeiteten RTL-Inhalte durch das Zitatrecht gedeckt sein könnte. Sevenload hat sich auch bei den Videos, mit denen das Forum call-in-tv.net die frappierenden Merkwürdigkeiten in den Abläufen von Call-TV-Sendungen dokumentiert, als dafür untaugliche Plattform erwiesen. Ein bizarrer Versuch von Sevenload vor eineinhalb Jahren, sich unter der Marke „watchblog-tv“ als unwahrscheinlicher Kämpfer für kritischen Medienjournalismus zu etablieren, verendete nach wenigen Tagen, sobald das PR-Geklingel vorbei war.

Video-Portale wie YouTube haben es Unbefugten viel leichter gemacht, das Material der Sender zu verbreiten. Aber sie haben es den Sendern auch viel leichter gemacht, die Verbreitung ihres Materials zu kontrollieren und zu unterbinden. Und es reicht offenbar, dass ein Sender behauptet, dass ein Verstoß gegen das Urheberrecht vorliege, um ein Video sperren zu lassen.

Ich versuche schon seit längerer Zeit, eine allgemeine Aussage von RTL zu bekommen, welchen Bedingungen ein Video genügen müsste, das sich mit dem RTL-Programm auseinandersetzt und den Gegenstand auch dokumentiert, um nach dem Verständnis des Senders zulässig zu sein und nicht von den Videoplattformen gelöscht zu werden. Eine wirkliche Antwort habe ich nie bekommen. Vermutlich hat der Sender gar kein Interesse, sie zu formulieren. Da sitzen irgendwo vermutlich Studenten oder Praktikanten, die routinemäßig die Videoplattformen abgrasen und alles löschen lassen, wo das RTL-Logo in der Ecke klebt. Dass das deutsches Urheberrecht keineswegs jede Verwendung und Weiterverarbeitung von RTL-Inhalten ausschließt, wird dem Sender egal sein. Zum Zitatrecht hat er ohnehin ein gespaltenes Verhältnis.

Wer keine Möglichkeit hat, ein Video auf einem eigenen Server zu veröffentlichen, dem bleibt mit etwas Glück ein Trick: Bei ihren eigenen Plattformen „Clipfish“ (RTL) und „MyVideo“ (ProSieben) nehmen es die Sender nicht so genau mit ihrem Urheberrecht. Es ist natürlich ein bisschen gewöhnungsbedürftig, sich ausgerechnet in die bunte Trashhölle eines Angebotes wie „Clipfish“ zu begeben. Aber das Video von dem RTL-Debakel in Winnenden, das der Sender vergessen machen wollte und überall sonst löschen ließ, lebt dort schon seit einem Dreivierteljahr unbehelligt vor sich hin.

Heuchler auf allen Seiten: Die Hysterie um „Erwachsen auf Probe“

Ist es nicht toll, in einem Land zu leben, in dem es mehr Kinderschutzvereine gibt als Kinder? Und in dem die größte Gefahr, die diesen Kindern droht, die Produktion und Ausstrahlung einer Fernsehsendung ist?

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Man bräuchte längst ein neues Wort, um das zu beschreiben, was um die RTL-Sendung „Erwachsen auf Probe“ tobt, in der vier jugendliche Paare unter Aufsicht und vor Kameras lernen, was es bedeutet, Kinder zu haben. „Hysterie“ war ganz treffend, um die Stimmung vor zehn Tagen zu beschreiben, aber seitdem ist alles viel schlimmer geworden.

60 Verbände haben den Sender Ende vergangener Woche in einer gemeinsamen Erklärung [doc] dazu aufgerufen, die Reality-Reihe nicht auszustrahlen. 60 klingt nach viel, aber das täuscht. Dabei ist zum Beispiel der „Pflege- und Adoptivelternkreis Kreis Wesel“, und da fragt man sich doch sofort, ob es in den Landkreisen Cochem-Zell, Sonneberg, Steinfurt und Alzey-Worms keine Elternkreise gibt, die hätten unterschreiben können. Oder warum von der Arbeiterwohlfahrt nur der Bezirksverband Hannover unterschrieben hat, obwohl die Organisation noch 28 weitere Landes- und Bezirksverbände hat. Und ob es nicht noch mehr obskure Organisationen wie „TQL – Total Quality Life“ gibt, die ihr Eingetragenes-Warenzeichen-Zeichen mit unter die Erklärung gepackt hätten.

Nein, da geht noch was. Bestimmt kommt morgen eine Erklärung, die 6000 Verbände unterschrieben haben, und natürlich wird das den Agenturen wieder Anlass sein für eine Meldung.

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All diese Verbände (darunter zu meinem persönlichen Entsetzen auch die Deutsche Pfadfinderschaft Sankt Georg) haben eine Erklärung unterschrieben, die davon ausgeht, dass in der Sendung „Eltern ihre Kinder für mehrere Tage in einem kameraüberwachten Haus an Jugendliche abgeben“. Keiner dieser ach-so-besorgten Verbände hat zur Kenntnis genommen, dass RTL das inzwischen bestreitet. Der Sender behauptet, die Eltern seien „die ganze Zeit bei ihren Kindern dabei“ gewesen, „oft nur wenige Meter von ihren Kindern entfernt“ und „mitunter direkt hinter dem Kameramann“. Katrin B., eine der Mütter, sagt, ihr Sohn sei „nie über mehrere Stunden alleine bei den Probeeltern“ gewesen und habe jede Nacht bei ihr geschlafen.

Die Erklärung der Dutzenden Vereine geht von einer falschen oder wenigstens unbewiesenen Annahme aus. Ob man, wenn man die Situation korrekt dargestellt hätte, wohl mehr oder weniger Unterzeichner bekommen hätte?

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Das Deutsche Jugend-Institut (DJI) hat die Erklärung nicht unterzeichnet, brauchte das aber vielleicht auch nicht, weil es seinen Beitrag zur Eskalation des Irrsinns auch so schon geleistet hat. Christian Lüders, Leiter der Abteilung Jugend und Jugendhilfe, brachte die Möglichkeit ins Gespräch, dass man den Eltern, die an der Sendung teilnahmen, eventuell die Kinder wegnehmen müsse. Wenn man bedenkt, dass der der brisanteste Vorwurf gegenüber der Sendung lautet, dass bei Kleinkindern, die vorübergehend von ihren vertrauten Bezugspersonen getrennt werden, irreparable Bindungsprobleme entstehen können, ist der Vorstoß des DJI von betörender Konsequenz: Warum Kinder nur ein paar Stunden von ihren vertrauten Bezugspersonen trennen, wenn man es gleich für Jahre tun und den Schaden maximieren kann?

Auch die Erklärung der 60 Verbände fordert die zuständigen Jugendämter auf, mit den beteiligten Eltern zu sprechen und „notfalls einzuschreiten“. Wie muss man sich einen solchen Notfall vorstellen? Die Sendung wurde im vergangenen Jahr produziert, alle irreparablen Schäden sind längst irreparabel. Aber da die Verbände davon sprechen, dass die Kleinkinder „prostituiert“ wurden, gehen sie vermutlich davon aus, dass die Eltern ohnehin nur darauf warten, dass ihr Nachwuchs endlich alt genug ist, um auf den Strich geschickt zu werden. Das könnten die Jugendämter natürlich „notfalls“ noch verhindern.

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Ist es nicht bemerkenswert, in welchem Maß diese vielen sozialen Organisationen bereit sind, im angeblichen Kampf für die Rechte der Kinder die der Eltern zu missachten? Ohne Hemmungen werden diese Paare als gewissenlose, geldgierige Monster dargestellt. Natürlich ist es richtig, Kinder notfalls auch vor ihren Eltern zu schützen, aber woher nehmen die krakeelenden Kinderschützer die Gewissheit, dass dies so ein Fall ist? Die Eltern des damals zehn Monate alten Lasse erzählen, wenn man sie fragt, dass ihr Sohn viel Spaß an dem Experiment hatte. Er sei ein aufgeschlossenes, neugieriges Kind, das nie gefremdelt habe, sagt die Mutter, und mit dem Tonmann habe er sich besonders gut verstanden.

Angesichts der ersten Folgen, die RTL der Presse vorführte, spricht nichts dafür, dass die Teilnahme an der Sendung Ausdruck dafür ist, dass die Eltern asozial sind, dass ihnen Mutter- und Vaterinstinkte fehlen, dass sie bereit sind, ihre Kinder für ein paar Euro Gefahren für Leib und Seele aussetzen.

Man kann ja die Position vertreten, dass der Einsatz der kleinen Kinder überhaupt oder im konkreten Fall unnötig, unanständig oder unzulässig ist, und dafür lassen sich auch gute Argumente vorbingen. Aber wer hier von Kindesmissbrauch oder Kindesmisshandlung spricht, verharmlost Kindesmissbrauch und Kindesmisshandlung.

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Angeblich können nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen schon durch eine relativ kurze Trennung von der Mutter Gehirnschäden entstehen. Bedeutet das, dass Amokläufe in Zukunft nicht mehr reflexartig durch den Gebrauch von „Killerspielen“ erklärt werden, sondern dadurch, dass die Mutter eines Amokläufers einmal drei Tage krank war und ihn als Kleinkind für mehrere Stunden in die Obhut fremder Pflegeeltern geben musste? Was glauben all die Kinderschützer denn, unter welchen Bedingungen Kinder in Deutschland und anderswo aufwachsen, wenn das Fernsehen nicht dabei ist? Wie unzulänglich die Bedinungen sind, wie viele Fehler Eltern machen, obwohl sie überzeugt sind, im besten Sinne für ihr Kind zu handeln?

Letzte Woche war ich bei einem Imbiss und ein Vater kam mit seiner vielleicht zweijährigen Tochter. Er setzte sie neben ein paar andere Gäste an den Tisch und bat sie dann, kurz auf das Kind aufzupassen, während er nochmal losging, die Getränke zu holen. Hätte ich die Polizei rufen müssen?

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Fast noch schlimmer als die Hysterie ist die Heuchelei. Als die Debatte um „Erwachsen auf Probe“ zu entgleiten begann, erklärte RTL plötzlich, mit dem Programm einen Beitrag zu einem akuten gesellschaftlichen Problem zu leisten und behauptete, um auf Nummer sicher zu gehen, dass die Zahl der Teenager-Schwangerschaften in Deutschland steige – in Wahrheit geht sie deutlich zurück. Genauso heuchlerisch ist es aber, wenn Familienministerin Ursula von der Leyen die Berechtigung eines solchen Formates mit dem Hinweis ablehnt, in Deutschland sei die Zahl der Teenager-Schwangerschaften „sehr niedrig“. Immerhin bekommen jährlich noch fast 6000 Mädchen und minderjährige Frauen ein Kind. Und über 5000 Minderjährige lassen ihr Kind abtreiben. Das hat schon eine soziale Relevanz, auf die sich ein Sender, der sich des Themas annimmt, berufen darf.

Man muss RTL ja nicht abnehmen, das Programm aus Verantwortungsgefühl für die Gesellschaft zu machen. Aber genau so kurzsichtig wäre es, jeder Sendung eine positive Absicht schon deshalb abzusprechen, weil sie von einem Privatsender ausgestrahlt wird, der naturgemäß Fernsehen macht, um damit Geld zu verdienen.

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In die Irre läuft auch der Vorwurf, man dürfe so eine Sendung nicht als Unterhaltung inszenieren. Auch Sendungen wie „Die Super-Nanny“ und „Raus aus den Schulden“ folgen den Inszenierungs-Regeln des Reality-Genres. Die sind natürlich nicht unproblematisch und dürfen und müssen diskutiert werden. Aber sie diskreditieren auch nicht von vornherein den Versuch, gesellschaftlich relevante Themen aufzubereiten, und sie verhindern nicht automatisch eine positive, pädagogische Wirkung.

Gerade und vermutlich nur durch die Inszenierung als spannende Unterhaltung hat „Erwachsen auf Probe“ die Chance, Jugendliche zu erreichen, die sich eine seriöse Dokumentation über das Problem von Teenagerschwangerschaften nicht ansehen würden. Und bei aller Schlichtheit der Dramaturgie ist die Botschaft der Serie durchaus differenziert: Wir sehen, dass der gute Wille, sich um ein Kind zu kümmern, und die Begeisterung für das kleine Wesen, das vor einem liegt, nicht reicht. Dass schon ein Besuch im Supermarkt mit einem Kleinkind eine gewaltige Überforderung sein kann. Wir sehen, wie junge Menschen an den einfachsten Aufgaben scheitern. Und wie sie, andererseits, mit diesen Aufgaben wachsen. Es gibt Szenen von erschütternder Überforderung und rührendem Engagement.

Die Reihe vermittelt keineswegs die Botschaft, dass es okay ist, Kinder einfach abzugeben wie eine Sache. Wenn sie eine Botschaft hat, dann die, dass Kinder etwas Besonderes sind, eine Bereicherung, die aber auch extrem hohe Anforderungen an (junge) Eltern stellt. Nach den Folgen zu urteilen, die RTL vorab der Presse gezeigt hat, ist die Sendung keine Warnung davor, Kinder zu bekommen, aber eine Mahnung, die damit verbundene Verantwortung nicht zu unterschätzen.

Und es stimmt schon, dass die Fernsehmacher die Jugendlichen gelegentlich bloß stellen, sich über sie lustig machen und ihre gezielt herbeigeführte Überforderung ausschlachten. Aber verglichen mit vielen anderen Reality-Formaten gehen sie dabei behutsam mit ihren Protagonisten um und zeigen ein differenziertes Bild, nicht nur Karikaturen.

Es ist keineswegs abwegig, dass die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen in ihrer Prüfung der Sendung zu dem Urteil kam: „Die Teilnehmer werden nicht verächtlich gemacht oder zu bloßen Objekten voyeuristischer Begierden der Zuschauer herabgewürdigt. (…) Darstellungsform und -inhalt der vorliegenden Sendungen fördern keineswegs eine die Menschenwürde negierende Einstellung, im Gegenteil: Dass es sich bei Babys und Kleinkindern nicht um süße Objekte, sondern um Persönlichkeiten mit nicht nur physischen, sondern auch kommunikativen und sozialen Bedürfnissen handelt, wird sehr deutlich vermittelt – und damit werden auch verzerrte Vorstellungen bei den Teenagern zurechtgerückt.“

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Die Debatte um „Erwachsen auf Probe“ hat nun auch die Landesmedienanstalten in ihrem Büroschlaf gestört und dazu gebracht, eine Pressemitteilung herauszugeben, in der im Zusammenhang mit ihrer Arbeit sogar das Wort „prompt“ vorkommt. Ein „Eilprüfverfahren“ werde die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) durchführen: Drei Mitglieder würden sich die erste Folge am Tag nach der Sendung anschauen und „vor allem auf einen möglichen Verstoß gegen die Menschenwürde und eine die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen beeinträchtigende Wirkung hin untersuchen“.

Stolz weist KJM-Chef Wolf-Dieter Ring darauf hin, dass das kein Ausnahmefall sei und auch keine Reaktion auf die Debatte, sondern die Jugendschützer ganz alleine recherchierten, welche möglicherweise problematischen Sendungen die Sender planten.

Der Aktionismus ist rührend, aber vermutlich kontraproduktiv. Die ersten Doppelfolge stellt nämlich erst einmal die Teilnehmer und das Experiment selbst vor; die eigentliche Baby-Betreuung scheint erst in der nächsten Folge zu sehen zu sein, die in der nächsten Woche läuft.

Auch deshalb könnte die erhitzte Debatte bei all den Zuschauern, die morgen einschalten und sich werweißwas erwarten, eine merkwürdige Enttäuschung produzieren – oder Unverständnis über die Skandalisierung im Vorfeld.

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Die meisten lautstarken Pressemitteilungen irgendwelcher Vereine lassen keinen Zweifel daran, dass ihnen an einer ehrlichen Debatte über die Chancen und Risiken der Sendung nicht gelegen ist. Das haben sie mit RTL gemein. Dem Sender gelingt es nicht einmal, die Illusion einer Gesprächsbereitschaft aufrecht zu erhalten. Er erklärte in einer Mitteilung, „alle Aspekte und Argumente“, die bei einem Pressegespräch mit den Kritikern ausgetauscht wurden, seien „nochmals in die interne Prüfung der bereits fertig gestellten achtteiligen Sendereihe“ eingeflossen. Dabei hatte RTL-Generalsekretär Thomas Kreyes in Vertretung von Geschäftsführerin Anke Schäferkordt jenes Pressegespräch mit der Aussage eröffnet: „Wir stehen ausdrücklich zu dem Format.“ Die Sendung stand für RTL nie zur Disposition, so wie für die organisierten Kinderschützer deren Ablehnung nie zur Disposition stand.

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Manche halten die Aufregung um „Erwachsen auf Probe“ für den Anfang einer überfälligen Debatte über die Werte und Grenzen des Fernsehens heute. Aber dafür müsste man schon das taube Festhalten an der eigenen Position bei kontinuierlicher Steigerung der Lautstärke mit einer solchen Debatte verwechseln.

Die Diskussion, ob eine solche Sendung ausgestrahlt werden darf oder verboten werden muss, verhindert die Frage, in welcher Form sich das Fernsehen brisanten Themen und der Lebenswirklichkeit widmen sollte und wie es seiner Verantwortung gegenüber den Protagonisten gerecht wird. Das wären Fragen, die nicht nur angesichts der Explosion von billigsten und höchst zweifelhaften Reality-Formaten im Tagesprogramm der Sender notwendig und brisant wären.

Von dem Geschrei über die Produktion von „Erwachsen auf Probe“ bleibt, nüchtern betrachtet, vor allem eine sehr berechtigte Forderung: die Mitwirkung von Kindern bei Reality-Formaten zu regeln. Bislang gibt es nur Vorschriften für Dreharbeiten mit Kindern als Schauspielern. Sinnvoll wäre zum Beispiel die Pflicht, dass ein fachkundiger Betreuer vor Ort ist, der ausschließlich den Interessen der Kinder verpflichtet ist und nicht denen der Produktion. Eine solche, vom Jugendamt vermittelte Aufsicht könnte auch dann einschreiten, wenn die Eltern der Protagonisten sich vielleicht nicht trauen. Und er könnte, wenn – wie im Fall von „Erwachsen auf Probe“ – umstritten ist, welche Bedingungen tatsächlich vor Ort herrschten, für Klarheit sorgen.

Könnten wir bitte darüber reden, wie wir das organisieren?

Ah, können wir nicht.

Die Agenturen melden, dass das ultrakonservative „Deutsche Familiennetzwerk“ beim Kölner Verwaltungsgericht eine einstweilige Verfügung beantragt hat, um die Ausstrahlung zu verbieten, weil „bereits schwangere Mädchen im Teenageralter“ durch die Sendung „ermuntert und geradezu aufgefordert werden könnten, die Schwangerschaft abzubrechen oder ihr Kind abzutreiben“. Lassen Sie alle Hoffnung fahren.f