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Wer gibt noch was auf PageImpressions?

Im Zusammenhang mit dem absurden Wettrennen der Online-Medien um die höchsten Klickzahlen, das sie mit immer groteskeren Klickstrecken und Klickspielen bestreiten, taucht immer wieder die Frage auf, wer denn überhaupt so doof ist, der bei diesen Medien offenkundig sinnlos gewordenen Einheit „PageImpression“ (PI) überhaupt noch irgendeine Bedeutung als Erfolgsmesser beizumessen.

Nun, zum Beispiel die Kollegen von der Werbe-Fachzeitschrift „Horizont“:

Und die Kollegen von „Deutschlands Medien-Portal“ „Meedia“:

Und die Kollegen von der Werbe-Fachzeitschrift „werben & verkaufen“:

Und die Kollegen vom Medien-Fachdienst „kress“ natürlich:

Journalisten also. Journalisten sind so doof.

Nachtrag, 20:50 Uhr (auf besonderen Wunsch und weil man den ersten Absatz womöglich missverstehen kann): Es geht mir mit diesem Eintrag ausschließlich darum, zu sagen, dass Journalisten mitschuld daran sind, wenn die gesamte Branche an einer Währung festhält, die nicht mehr taugt und die schädlich ist für Journalismus und Journalisten.

Wozu noch Journalismus?

Falls Sie sich fragen, was das für ein merkwürdiger Text ist, der von mir am Sonntag auf sueddeutsche.de erschienen ist, und vor allem: Warum der so kryptisch anfängt —

Es fehlt der erste Satz. Irgendwie ist der erste Satz verloren gegangen. Auf den sich die nächsten zehn Sätze bezogen, die nun da frierend ohne Anschluss herumstehen. Der erste Satz lautete:

Und dann war da plötzlich ein Medium, mit dem man alles machen konnte.

Der Text ist Teil einer Reihe von Gastbeiträgen, die der Online-Ableger der „Süddeutschen Zeitung“ gerade unter dem Titel „Wozu noch Journalismus?“ veröffentlicht. Vor ein paar Tagen formulierte der Zeitschriftenmann Manfred Bissinger („Stern“, „Natur“, „Merian“, „Die Woche“) dort u.a.:

Wie erfolgreicher Journalismus immer besser werden kann, führt seit Monaten die „Seite 3“ der Süddeutschen Zeitung vor, die dank des Engagements ihrer Redakteure und Reporter von Woche zu Woche neuen Höhepunkten entgegeneilt. Sie liefert zudem den Beweis, dass Print dem Internet immer überlegen sein wird.

Er demonstriert damit unfreiwillig, auf welchem Niveau diese Debatte immer noch geführt wird. Er versucht nicht einmal, seine Aussage zu begründen. Es übersteigt einfach das Vorstellungsvermögen des alten Print-Mannes, dass Dinge einmal anders sein könnten, als sie heute sind, und deshalb schließt er es für alle Zeiten aus. Es ist schon richtig, dass das Internet im Augenblick die Strukturen, die hinter der Qualität einer „Seite 3“ in der SZ stehen, noch nicht finanziert. Aber richtig ist auch, dass Print diese Strukturen jetzt schon kaum noch oder nicht mehr finanziert. Oder was meint Bissinger? Und benutzt er Telefon und E-Mail, obwohl doch handgeschriebene Briefe, transportiert per Post (obwohl sie sich, leider, nicht mehr auf die bewährte Qualität der Kutsche verlässt), der Elektronik immer überlegen… Ich schweife ab.

Hier ist jedenfalls das unredigierte (und deshalb womöglich Tippfehler, aber immerhin auch den ersten Satz enthaltende) Manuskript meines Textes für die Reihe von sueddeutsche.de:

Wozu noch Journalismus?

Und dann war da plötzlich ein Medium, mit dem man alles machen konnte.

Journalisten, die ein langes Interview geführt hatten, für das in der Zeitung nicht genügend Platz war, konnten es trotzdem in ganzer Länge veröffentlichen. Kritiker konnten ihrem Publikum zeigen, worüber sie schrieben: die Kunst, das Bauwerk, den Film, mit beliebig vielen Fotos oder bewegten Bildern. Meldungen konnten sich auf die Neuigkeiten des Tages beschränken und für diejenigen, die die Vorgeschichte nicht mitbekommen hatten, einen Link auf die entsprechende Meldung vom Vortag setzen. Kommentatoren konnten eine echte öffentliche Debatte führen und auf widersprechende Meinungen in anderen Medien verweisen, und die Leser konnten sich daran beteiligen und untereinander und mit den Autoren diskutieren. Nachrichten konnten das Publikum sofort erreichen, egal wann sie passierten. Fehler konnten an Ort und Stelle korrigiert werden. Rechercheure konnten dem interessierten Publikum die brisanten Dokumente, die sie aufgetan hatten, zeigen. Aufklärer konnten ihre Argumente mit Quellen untermauern, von deren Aussagekraft sich die Leser ein eigenes Bild machen konnten.

Die aufwändig produzierten Inhalte von gestern verstaubten nicht mehr in irgendwelchen Archiven, sondern blieben zugänglich. Und sie mussten nicht erst teuer und zeitraubend auf Papier gedruckt und durch das ganze Land verschickt werden, um zu den Lesern zu kommen.

Eigentlich müssten La-Ola-Wellen von Journalisten durch das Land schwappen, vor lauter Begeisterung darüber, wie das Internet ihre Arbeit erleichtert und verbessert und ihre Möglichkeiten potenziert hat. Das Gegenteil ist der Fall. Die Online-Welten werden abgetan und belächelt, als Heimat für Betrüger und Perverse denunziert, die digitalen Vorreiter als „Internet-Apologeten“ verspottet. Jedes Indiz dafür, dass die junge Internet-Welt noch nicht mithalten kann mit den über viele Jahrzehnte, Jahrhunderte etablierten Formen der Produktion und Finanzierung von Journalismus, wird als Scheinbeleg für die vermeintlich immanente Überlegenheit der Wissensvermittlung auf Papier gefeiert.

Dem Internet wird das egal sein. Es ist nicht auf gute Presse angewiesen. Seine technischen Vorteile sind für die meisten Menschen, die jungen zumal, so offenkundig, dass sie auch nicht darauf hereinfallen, dass in der Rhetorik der Papierjournalistenlobby das Internet synonym ist mit marodierenden Kinderschänderbanden, der Kiosk hingegen anscheinend nur edle Hochglanzzeitschriften feinster Recherchekunst anbietet.

Ein Problem wird die Internetfeindlichkeit der klassischen Medien und Journalisten nur – für die klassischen Medien und Journalisten.

Ist es nicht erstaunlich, in welch geringem Maße Journalisten Gebrauch machen von den Möglichkeiten des neuen Mediums? Es gibt in Deutschland wenig, das man wirklich als „Online-Journalismus“ bezeichnen könnte. Was es stattdessen im Überflluss gibt: Übernahmen aus Printmedien, ergänzt durch Bildergalerien, hinter denen erkennbar weniger ein publizistisches Interesse steht als der Versuch, möglichst viele Klicks zu generieren. Automatisch oder halbautomatisch übernommene Agenturmeldungen, illustriert mit dem erstbesten Symbolfoto aus dem Archiv. Und hastig ab- und zusammengeschriebene Textchen mit Klatsch und Tratsch.

Das ist natürlich eine Frage der fehlenden Etats. Aber es spricht auch für ein erhebliches Misstrauen gegenüber den neuen Formen und Möglichkeiten – und den ungewohnten Regeln, die im Internet gelten. Schon das Verlinken auf andere Seiten, eine der Ur-Funktionen des Netzes, scheint bei den deutschen Online-Medien auf erhebliche innere Widerstände zu stoßen; nur allmählich setzt sich die Praxis durch.

Als Erklärung für das, gelinde gesagt: zurückhaltende Engagement deutscher Medien im Netz müssen immer wieder die mangelnden Refinanzierungsmöglichkeiten herhalten. Natürlich ist das nicht falsch. Natürlich kann man verstehen, dass ein Verlag zögert, bevor er es riskiert, ein noch halbwegs funktionierendes Erlösmodell möglicherweise durch ein Angebot zu kannibalisieren, bei dem die Werbeerlöse zur Zeit ungleich niedriger und die Vertriebserlöse Fehlanzeige sind. Aber das Risiko einer scheinbaren Risiko-Vermeidungsstrategie dürfte noch größer sein. Wer sein Online-Angebot auf ein Minimum reduziert, um die Menschen zu zwingen, das Print-Produkt zu kaufen, läuft Gefahr, für eine ganze Generation gar nicht mehr präsent zu sein. Der „Stern“ etwa konzentriert sich im Internet im Wesentlichen darauf, Agenturmeldungen hübsch aufzubereiten und mit einzelnen Kolumnen anzureichern. Die einbrechenden Auflagenzahlen des gedruckten „Stern“ deuten eher nicht darauf hin, dass das die Menschen dazu bringt, massenhaft an den Kiosk zu gehen. Und junge Leute, die das Heft selbst womöglich nie in der Hand hatten, kämen angesichts des real existierenden stern.de vermutlich nicht auf die Idee, dass sich hinter der Muttermarke ein traditionsreiches Angebot mit großen Reportagen und üppigen Fotos verbirgt.

Nach der aktuell unter Verlegern vorherrschenden Interpretation schützt der „Stern“ seine Einnahmen dadurch, dass er seine exklusiven Inhalte nicht online verschenkt. Stattdessen verschenkt der „Stern“ aber so die Möglichkeit, sich neue Leser zu erschließen, die das spezielle journalistische Angebot von „Stern“ womöglich zu schätzen wüssten  – was jedenfalls wahrscheinlicher ist als beim Agentureinerlei auf stern.de. Wer glaubt, dass er im Internet nur zweite Wahl anbieten muss, darf sich nicht wundern, wenn das Image seiner Marke leidet.

Die Aussage, dass sich Qualitäts-Journalismus im Internet nicht refinanzieren lässt, wird von den Print-Lobbyisten so oft wiederholt, als handele es sich um ein Naturgesetz. Dabei handelt es sich bislang nur um eine Momentaufnahme in einem Medium, das gerade erst zum Massenmedium geworden ist und sich immer noch rasant verändert. Dabei spricht wenig dafür, dass die Art, wie wir heute Nachrichten und Hintergründe im Internet lesen, in immer neuen Varianten des „Spiegel Online“-Musters, von Dauer sein wird.

Es hat einerseits etwas Beunruhigendes, wie übersteigert die Hoffnungen und Erwartungen sind, die sich mit der Ankündigung eines neuen Apple-Computers in Form eine Tabletts verbinden. Andererseits zeigt dieses Beispiel, wie sehr diese Technologien und dieser Markt sich gerade noch entwickeln und was für Möglichkeiten zur journalistischen Darstellung sie noch versprichen, von denen wir heute nur träumen.

Es gibt Prototypen dafür, wie sich Zeitschrifteninhalte auf solche und ähnliche Geräte bringen lassen, die auf brilliante Weise die Opulenz und Haptik von Magazinen in die digitale Welt übertragen und clever mit den Möglichkeiten des Netzes kombinieren. Vielleicht werden die Menschen bereit sein, für solche Angebote in Zukunft zu zahlen. Vielleicht reicht es auch schon, wenn Markenartikler die Präsentationsformen in solchen Angeboten attraktiv genug finden. Sicher ist nur: Das Festhalten an Papier wird in Zukunft für die wenigsten ein Geschäftsmodell sein.

Auch das muss man festhalten: Es mag sein, dass in Zukunft weniger Journalisten gebraucht werden. Jedenfalls nicht die Heerscharen, deren Arbeit vor allem daraus besteht, Agenturmeldungen ins eigene Redaktionssystem zu pflegen und das noch einmal aufzuschreiben, was überall anders schon steht. Der Online-Journalismus wirkt manchmal wie eine reine Vervielfältigungs-Maschine von Inhalten. Das war der Print-Journalismus in vielen Bereichen auch schon, aber den Lesern der „Emder Zeitung“ fiel natürlich nicht auf, wenn in der „Braunschweiger Zeitung“ dieselben Meldungen standen.

Die publizistische Chance und die ökonomische Pflicht wird für die meisten professionellen Medien darin bestehen, eigene Inhalte zu recherchieren und zu produzieren, sich zu spezialisieren und im Dialog mit den Lesern eine eigene Kompetenz aufzubauen und zu pflegen. Viel zu sehr sind die Medienunternehmen im Netz noch damit beschäftigt, besinnungslos Reichweite zu generieren, indem sie alles anbieten und einen bizarren Leser-Sammel-Wettbewerb veranstalten. Matt Kelly, der Digital-Chef des britischen Verlages Trinity Mirror, hat es treffend formuliert: „Die Suche nach einer Fantastillion ‚Unique Users‘ – von woher auch immer und mit egal wie wenig Aufmerksamkeit -, ist schuld daran, dass viele unserer Zeitungsableger der großen Markenkraft und des Wertes und Charakters beraubt wurden, die das, was wir machen, eigentlich von all den Aggregatoren und billigen, wertlosen Nachrichtenseiten da draußen unterscheiden. Solange wir nicht in den sauren Apfel beißen und uns aus diesem wahnsinnigen Nutzerwettrennen verabschieden und uns stattdessen darauf konzentrieren, engagierte, loyale Leserschaften zu bilden, werden wir weiter zusehen müssen, wie der Wert unserer Inhalte online abnimmt. Wir müssen sofort damit anfangen, das, was wir online produzieren, wieder mit einem Gefühl für Werthaftigkeit und Besonderheit zu füllen.“

Hierzulande ist man von diesem Gedanken noch weiter entfernt als in Großbritannien – gegen die Fixierung auf „Page Impressions“, die zu den unseligen Klickstrecken geführt hat und von der man sich allmählich löst, ist der „Unique User“ als Messgröße schon ein großer Fortschritt.

„Wozu noch Journalismus?“ – das ist nicht der Achselzucker eines Twitterers und Facebook-Abhängigen. „Wozu noch Journalismus?“ ist die Frage, die sich Journalisten und Verleger im Internet wieder stellen müssen, um sich auf die Grundlagen zu besinnen. Warum machen wir das hier eigentlich? Was wollen wir? Möglichst viele Leute mit irgendwas erreichen? Möglichst viel Geld mit irgendwas verdienen?

Oder haben wir etwas zu sagen?

An der Notwendigkeit von Journalismus hat sich nichts geändert. Geändert hat sich nur, dass er nicht mehr in einer Welt des Informationsmangels, sondern des Informationsüberflusses stattfindet. Die Aufgabe des Journalisten inmitten des Durcheinanders lässt sich ganz einfach beschreiben: das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen und das Richtige vom Falschen. Das Wie hat sich geändert, nicht das Wozu.

Nicht gebraucht wird nur schlechter Journalismus. Aber das war schon immer so. Es fiel früher nur nicht so auf.

Nachtrag, 10.35 Uhr. Die Kollegen von sueddeutsche.de haben den ersten Satz wiedergefunden.

Und es reimt sich nicht mal!

Das Lästige an Klickstrecken, so schön sie zum Hochtreiben der „Page Impressions“ sind, ist für die Online-Medien ja, dass sie für sie immer noch irgendeine Form von Inhalt produzieren müssen, durch den die Menschen sich klicken müssen.

Geht aber auch ohne, wie die „Hamburger Morgenpost“ jetzt beweist. Sie veranstaltet auf ihren Internetseiten ein „Gewinnspiel“, das im Kern daraus besteht, ihr 13 Klicks zu schenken und einen Lösungssatz zu „sammeln“. Bei jedem Klick auf „zum nächsten Wort“ wird eine andere Seite aus dem, *hust*, journalistischen Angebot der „Mopo“ aufgerufen, weshalb die Abrufe in der Statistik der IVW als redaktionelle Abrufe und nicht unter „Spiele“ ausgewiesen werden:

Screenshot: mopo.deScreenshot: mopo.deScreenshot: mopo.deScreenshot: mopo.deScreenshot: mopo.deScreenshot: mopo.deScreenshot: mopo.deScreenshot: mopo.deScreenshot: mopo.deScreenshot: mopo.deScreenshot: mopo.deScreenshot: mopo.deScreenshot: mopo.de

(Vermutlich schenkt man der „Mopo“ übrigens durch die Teilnahme nicht nur die Inflation der „Page Impressions“, sondern auch eine E-Mail-Adresse zum teuren Weiterverkauf an Leute, die Geschäfte mit solchen Daten betreiben. Es fehlt nämlich auf der Seite jeder Hinweis, was das Blättchen mit den eingegebenen Adressen anstellen darf und was nicht.)

Bitte hier klicken!

Sollen wir die schönsten Zahlen zwischen 1 und 10 000 bringen? Oder hundert Bauchnabel? Wie der Online-Journalismus seine Autorität verspielt.

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Das erste Opfer des modernen deutschen Online-Journalismus ist die Tabelle. Sicher, das schien mal eine praktische Erfindung der Menschheit zu sein: die Möglichkeit, Informationen in Zeilen und Spalten anzuordnen, so dass man sie auf einen Blick erfassen und gut vergleichen konnte. Aber für die Online-Optimierer von heute ist schon die Formulierung „auf einen Blick“ ein klarer Hinweis, dass da etwas verschenkt wird. Klicks.

Und so sitzen in den Redaktionsräumen der großen Online-Medien jeden Tag Menschen und machen aus Tabellen Bildergalerien, notfalls auch ganz ohne Bilder. Bei „Welt Online“ sind sie besonders fleißig. In einem Artikel über angebliche „Koks-Hochburgen“ haben sie eine Übersicht gebaut, wie sich die Rückstände der Droge in den Flüssen verschiedener Städte in den vergangenen Jahren entwickelt haben. Obwohl, „Übersicht“ trifft es nicht: Auf jeder Seite steht nur eine Stadt. Die nächste Stadt erscheint nicht darunter, sondern auf der nächsten Seite. Wer versucht, hier die verschiedenen Werte miteinander zu vergleichen, wird nicht glücklich werden — aber die Vermarkter von „Welt Online“ glücklich machen: Mindestens 27 Klicks produziert er, wenn er dumm, gelangweilt oder interessiert genug ist, sich durch die ganzen Zahlen zu klicken.

Und es braucht nicht einmal eine richtige Tabelle für diese Art der Inflation. Eine bloße Liste tut es auch. Aktuell etwa die „Liste der 100 gefährlichsten Internetseiten“. „Welt Online“ hat jede Adresse, ohne jegliche weitere Information, auf eine eigene Seite geschrieben. Hundert Seiten, hundert Klicks. Man kann die „Liste“ deshalb auch nicht ausdrucken, um sie sich, was nützlich wäre, neben den Computer zu legen — es wäre ein hundertseitiges Buch mit viel Raum für Notizen.

Die Informationen sind, wie in Hunderten, wenn nicht Tausenden ähnlichen Fällen auf ähnlichen Seiten, nicht als Service aufgemacht, sondern im Gegenteil: so, dass es möglichst beschwerlich ist, an sie heranzukommen. Entsprechend laut ist das Murren in den Kommentaren unter dem Artikel. Reihenweise beschweren sich Leser, dass die (ohnehin zweifelhaften und von einer „Fachzeitschrift“ namens „Computer-Bild“ abgeschriebenen) Angaben nicht als Tabelle präsentiert wurden. Einer gratuliert zur „schwachsinnigsten Galerie des Jahres“ und regt an, als Nächstes in dieser Form „die 500 schönsten Zahlen bis 10.000“ zu präsentieren.

Die Kritik verhallt ohne Antwort. Entweder weil die Online-Leute längst verinnerlicht haben, dass sie nicht für die Leser arbeiten. Oder weil sie schon diskutieren, ob die „2192“ oder „2193“ schöner ist und man nicht besser gleich die 10 000 schönsten Zahlen bis 10 000 präsentieren sollte.

„Welt Online“ ist damit nicht allein. Aber „Welt Online“ hat Monate rasanten Wachstums hinter sich und gilt im Augenblick mit seinen Besucher- und Klickzahlen als einer der erfolgreichsten Ableger klassischer Medien. Offiziell wird das mit der „Online First“-Strategie erklärt, wonach auch Zeitungsinhalte sofort, noch vor der Belichtung, im Internet veröffentlicht werden. Doch abgesehen davon, dass die „Welt“ diese Strategie keineswegs so konsequent betreibt, wie sie behauptet, ist die Erklärung abwegig. „Welt Online“ besticht nicht durch Qualität, sondern pure Masse.

Zu den Spezialitäten gehört eine 333-teilige Bildergalerie mit wahllos aus Frauenzeitschriften und anderen dubiosen Quellen zusammengetragenen „Fakten über Sex“ sowie die vielfältige, nein: vielfache Möglichkeit, Prominente anhand ihrer Körperteile zu erkennen: „Welt Online“ zeigt erst nur das Ohr, dann den ganzen Promi, und wer sich durch Dutzende Fotos geklickt hat, kann das ganze Spiel in weiteren Bilderquizgalerien mit dem Po, den Augen, dem Busen, den Lippen, den Tätowierungen wiederholen.

Ein zentrales Argument, das immer wieder gegen eine starke Online-Präsenz von ARD und ZDF angeführt wird, besagt, dass es im Internet einen hervorragend funktionierenden publizistischen Wettbewerb gebe, der ganz ohne Öffentlich-Rechtliche genügend Qualität hervorbringe. Richtig ist, dass sich auf den Seiten deutscher Online-Medien viele kluge Kommentare, sorgfältige Recherchen, aufwendige Reportagen finden. Aber der größte Teil von ihnen stammt aus deren gedruckten Ausgaben. Natürlich ist nichts dagegen zu sagen, diese Inhalte auch online zu publizieren, im Gegenteil. Nur werden diese teuren Elemente des Journalismus nicht von den immer noch mageren Online-Erlösen bezahlt, sondern den Anzeigen und Vertriebseinnahmen der traditionellen Medien.

Weite Teile dessen, was uns wie Vielfalt und Qualität im deutschen Online-Journalismus vorkommt, sind eigentlich nur eine Zweitverwertung — und de facto durch die Zeitungen quersubventioniert. Was für online produziert und tatsächlich von den Online-Erlösen bezahlt wird, ist dagegen oft von ernüchternder bis erschütternder Qualität: unredigierte Texte von Nachrichtenagenturen; eine willenlose Aus- und Verwertung all dessen, was die internationalen Boulevardmedien täglich so an Halb-, Falsch- und Nichtmeldungen produzieren; eilig zusammengestrickte Artikel von Menschen, die sich nicht unbedingt auskennen. Zu den beliebten billigen Genres gehört auch die Fernsehkritik — bei „Welt Online“ zum Beispiel werden tagtäglich irgendwelche Sendungen vom Vortag nacherzählt, gelegentlich auf einem sprachlichen Niveau, das viele Schülerzeitungen beschämen würde.

Jenseits von „Spiegel Online“, das immerhin bewiesen hat, dass es möglich ist, ein ordentliches Boulevardmagazin mit großem Erfolg im Internet zu etablieren, gibt es in Deutschland praktisch noch kein funktionierendes Geschäftsmodell für Qualitätsjournalismus im Internet. Und der vermeintliche publizistische Wettbewerb, der hier stattfindet, ist in weiten Teilen nur ein verzweifeltes Wettrennen darum, mit irgendwelchen Mitteln die meisten Menschen auf die Seite zu bekommen und dort wiederum mit irgendwelchen Mitteln die meisten Klicks produzieren zu lassen, die dann als „Page Impressions“ der Werbewirtschaft verkauft werden — und den Fachmedien, die auf dieser Grundlage vermeintlich erfolgreiche und vermeintlich weniger erfolgreiche Online-Angebote unterscheiden.

Guter Journalismus ist leider nicht unbedingt die beste Möglichkeit, dieses Wettrennen kurzfristig für sich zu entscheiden. Das Verhältnis von Aufwand zu Klicks ist wesentlich besser, wenn man auf Bildergalerien, Spiele oder Rätsel setzt. Die bis mindestens nächstes Jahr noch geltenden Regeln der Auflagenkontrolle IVW, die online eine entscheidende Währung darstellt, lässt es zum Beispiel zu, ein Kreuzworträtsel online so zu programmieren, dass jeder eingegebene Buchstabe als ein Seitenabruf gewertet wird. Und die so generierten Klicks müssen nicht einmal unbedingt separat in der Rubrik „Spiele“ ausgewertet werden, sondern können unter bestimmten Bedingungen als redaktionelle Inhalte im Bereich „Entertainment“ gewertet werden.

Noch gravierender als das Ausweichen der Online-Medien auf nicht journalistische Inhalte ist aber, wie der Quotendruck in Verbindung mit mageren Einnahmen die journalistischen Inhalte selbst verändert. Er führt zu Formen, die man als das Gegenteil von Journalismus sehen kann. Eine klassische Aufgabe des Journalisten scheint dabei fast völlig zu verschwinden: die der Auswahl der Nachrichten. Die wäre angesichts der Informationsflut im Internet eigentlich von ganz besonderer Bedeutung. Aber jede zweifelhafte, unwichtige, abseitige Meldung, die ein Online-Medium nicht bringt, bedeutet zunächst einmal: weniger Klicks. Deshalb steht ungefähr bei allen alles. Das Filtern irrelevanter Informationen als journalistische Dienstleistung verschwindet weitgehend.

Besonders dramatisch ist das im Umgang mit Fotos zu beobachten. Während die Redaktionen früher ein besonders geeignetes Bild auswählten, um eine Nachricht zu bebildern, ist die Regel im Internet, zu jeder Meldung einfach all das auszukippen, was die Agenturen irgendwann im weiteren Sinne zu dem Thema geliefert haben. Im kopflosen Versuch, den Lesern alles zu bieten, bietet man ihnen nichts — jedenfalls nicht mehr, als eine Bildersuche bei Google auch ergeben würde. Der Wert eines Fotos ist in den Online-Medien dramatisch gesunken. Weil sich gezeigt hat, dass Artikel mit Fotos häufiger angeklickt werden als Artikel ohne Fotos, gilt oft die Regel, dass jeder Artikel ein Foto haben muss. Und wenn es kein geeignetes gibt, nimmt die Redaktion ein ungeeignetes, irgendein Symbolfoto oder ein Bild, das das Redaktionssystem automatisch auswirft. Was das dem Leser dann tatsächlich bringt, ist nicht einmal zweitrangig.

Ein besonders anschauliches Beispiel, wie die Art des Wettbewerbs im Internet den Journalismus verändert, war die Online-Berichterstattung der „Rheinischen Post“ nach dem Tod des Düsseldorfer Bürgermeisters Joachim Erwin im Mai. Es ist nicht so, dass es den Verantwortlichen an Ehrgeiz gefehlt hätte. Aber es war kein Ehrgeiz, den klügsten Nachruf oder die bewegendste Reportage von seiner Beerdigung zu bringen. Es war der Ehrgeiz, so viel billigen Content aus seinem Tod zu pressen wie möglich. Das hatte nicht nur zur Folge, dass Zitate aus der Trauerfeier in einzelne Sätze zerlegt und teils mehrfach auf Klickgalerien verteilt wurden und dass gefühlt jeder Einwohner der Stadt bei „RP Online“ kondolierte. Es führte auch dazu, dass beinahe jedes Blatt Laub, das über den Friedhof wehte, mit einem eigenen Kurzfilm gewürdigt wurde — gedreht in der Qualität von Tante Erikas Urlaubsfilmen, damals, als sie gerade die neue Videokamera geschenkt bekommen hatte, eine schlechte noch dazu. Die Berichterstattung von „RP Online“ setzte Maßstäbe, was den Verzicht auf Professionalität und journalistische Qualität angeht — aber auch die Masse. Die Zahl der Page Impressions stieg im Mai um über 26 Prozent, und Geschäftsführer Oliver Eckert phantasierte: „Das überdurchschnittliche Wachstum ist Folge unserer Investitionen in die redaktionelle Qualität.“

Zu den Praktiken von „RP Online“ gehört übrigens auch, Agenturmeldungen als Eigenberichte umzudeklarieren — oder aus einer einzigen Agenturmeldung eine „Bilderstrecke“ zu machen, in dem jeder Satz eine neue Seite bekommt und auf der ersten ein Foto steht. Wie lange solche Techniken tatsächlich erfolgversprechend sind, ist schwer zu sagen. Bislang, berichten Online-Verantwortliche, sei von einer Bildergalerienmüdigkeit nichts zu spüren. Und die Frage ist, ob junge Leute, die mit dieser Art von Nicht-Journalismus aufwachsen, je etwas anderes von einem Medium erwarten werden.

Aber der Nutzer selbst steht bei den Strategien der Online-Medien teilweise gar nicht mehr im Mittelpunkt. „Welt Online“ gilt auch deshalb als so erfolgreich, weil die Artikel darauf optimiert wurden, von Google bevorzugt ausgegeben zu werden. Als Hans-Jürgen Jakobs, der Chefredakteur von sueddeutsche.de, darauf vor kurzem hinwies und „eine Konvention über statthafte und unstatthafte Maßnahmen“ dieser Art forderte, legten viele das nur als Gejammer von jemandem aus, der diesen Teil des Geschäftes einfach selbst nicht gut genug beherrscht. Richtig ist aber, dass eine Debatte notwendig ist, wie es den Journalismus verändert, wenn zum Beispiel Überschriften nicht mehr für den Leser, sondern die Suchmaschine optimiert werden.

Es ist eine Zeit des Umbruchs, und wie gefährlich diese Phase ist, kann man an den Horrormeldungen aus den Vereinigten Staaten ablesen: Allein vorletzte Woche wurden dort in der Zeitungsbranche tausend Stellen abgebaut, viele Zeitungen kämpfen ums Überleben. Das zentrale Problem ist, dass die Zuwächse der Verlage im Internet nicht ausreichen, die Verluste im Stammgeschäft auszugleichen. Eine ähnliche Entwicklung droht auch in Deutschland. Und ohne die hochwertigen Inhalte, die durch die gedruckten Zeitungen finanziert werden, könnte die deutsche Online-Medien-Welt schnell sehr trostlos und karg aussehen. Vermutlich sind die Klickmaschinen und Journalismusattrappen, die dort entstehen, auch Verzweiflungstaten, um möglichst schnell eine Größe zu erreichen, die das Überleben in einer ungewissen Zukunft sichert. Vielleicht hat dann die Online-Seite, die am schnellsten und wahllosesten die Agenturmeldungen veröffentlicht und sie mit den großbusigsten Bildergalerien anreichert, gute Überlebenschancen. Und vielleicht erkennen einige Verlage sogar dauerhaft, dass man mit anderen Dingen als Journalismus besser Geld verdient.

Eine Demokratie braucht aber Journalismus. Und bei allen Wirren und Dramen des gegenwärtigen Umbruchs werden langfristig auch diejenigen Medien beste Voraussetzungen für die Zukunft haben, die spürbar davon getrieben sind, ihre Leser über das, was wichtig ist, gut zu informieren. Und die deshalb für ihre Leser nicht beliebig sind, sondern unentbehrlich — egal ob auf Papier oder online.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Zeit Online sucht neuen Chef

Heute mal was anderes. Ich spiel‘ Branchendienst.

Gero von Randow ist nur noch kommissarischer Chefredakteur von Zeit Online — bis ein Nachfolger gefunden ist. Von Frühjahr 2008 an soll er als Reporter für Politik und Wissenschaft für die gedruckte Wochenzeitung und ihren Internet-Ableger schreiben. Randows Schwerpunkt wird der Bereich Sicherheitspolitik sein.

Auf diesen Abschied vom Chefsessel hätten sich der Verlag und Randow „in Abstimmung“ mit der „Zeit“-Chefredaktion „verständigt“, heißt es. Geschäftsführung und Chefredaktion suchten nun gemeinsam einen Nachfolger.

„Wir sind noch in einem Stadium, in dem wir nicht wissen, welche Richtung die ideale ist“, hatte „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo im Februar 2006, ein halbes Jahr nach dem Amtsantritt Randows im „kress-Report“ gesagt. Trotz eines Relaunches wirkt der Auftritt auch heute nicht, als ob sich daran viel geändert hätte. Auch das Publikumsinteresse an Zeit.de ist ernüchternd: Seit einigen Monaten ist sowohl die Zahl der Page Impressions als auch die der Besuche rückläufig.

Vermutlich werden Bewerber für den Job der „Zeit“ aber auch nicht die Bude einrennen — jedenfalls nicht die, die gelesen haben, was di Lorenzo vor vier Wochen im „Focus“ gesagt hat:

Ich habe gewisse Zweifel, ob Online ein primär journalistisches Medium ist. Es gibt eine Reihe von Anzeichen dafür, dass die Wachstumsraten von journalistischen Online-Angeboten recht überschaubar geworden sind. Vielleicht wird das Internet von den Menschen so genutzt, wie ich es nutze: als Kommunikationshilfe und kostenlose Serviceeinrichtung, zu der auch aktuelle Nachrichten gehören. Eine Strategie, die allein auf die Reproduktion von Printinhalten setzte, führt dazu, dass immer mehr Substanz aus den Printredaktionen gezuzelt wird. Und die Leser kommen auf den Trichter, dass unsere kostbaren und kostspieligen journalistischen Inhalte kostenlos zu haben sind.

Aha, sagen Sie nun, na und? Geht Randow, weil er keine Lust mehr aufs Organisieren und den Kampf gegen die Print-Bollwerker im Haus hat? Oder isser geflogen, wegen Erfolglosigkeit? Oder war es ganz anders? Muss uns das überhaupt interessieren? Schaffen wir mit so einem Nischenthema womöglich nichtmal eine dreistellige Kommentarzahl oder braucht es nur einen, der die passende Koranstelle herbeizitiert? Und was hat Joschka Fischer mit dem Ganzen zu tun?

Ich muss Sie enttäuschen: Ich kann’s Ihnen nicht sagen.

Personalwechsel, die Fahrausweise bitte!

Als Gast in unserem Aufbaukurs „Metaphern für Fortgeschrittene“ begrüßen wir heute Siegfried Weischenberg, Professor für Journalistik an der Universität Hamburg, zum Thema Nicht alles, was ich nicht verstehe, ist ein Bahnhof:

Im Netz tobt dabei schon der neue Kampf um Reichweiten bzw. „Zugriffe“. Mittendrin die selbstbewusste Gruppe der Blogger, die eine emotionale Diskussion über „Visits“ und „Page Impressions“ führt — angefeuert übrigens von Journalisten, die vorsichtshalber schon umgesattelt haben, um auf dem Zug mitzufahren, der im Internet unterwegs ist. Der Bahnhof, den er ansteuert, heißt freilich nach wie vor „Medien“.

(Nur fürs Protokoll: Ich jedenfalls habe nicht vorsichtshalber schon aufs Internet umgesattelt, sondern in den vergangenen Jahren die erstaunlichen neuen Möglichkeiten entdeckt, die mir das Internet zum Publizieren und Kommunizieren bietet — nicht zuletzt jene, Menschen kontinuierlich über die Arbeitsweise der „Bild“-Zeitung aufzuklären, damit mehrere zehntausend Leser täglich zu erreichen und davon sogar leben zu können. Ich kann mein Glück immer noch kaum fassen.)

(Entschuldigung, Peter, ich hab’s wieder nicht geschafft.)

Neues von deutschen Klickproduzenten

stern.de, das Online-Angebot des „Stern“, das das Ziel, so erfolgreich zu werden wie der „Spiegel“, mit dem Ehrgeiz getauscht hat, so trashig zu werden wie „RP-Online“, hat aus der britischen Boulevardzeitung „The Sun“ die Geschichte über den Briten abgeschrieben, der meint, Atlantis entdeckt zu haben — bei Google Earth seien die Spuren westlich von den Kanaren als Relief auf dem Meeresboden zu erkennen. (Die Sache hat sich inzwischen aufgeklärt.)

Für ein Angebot mit dem Anspruch von stern.de ist das natürlich nur ein Thema, wenn man eine mindestens sechsteilige Bilderstrecke daraus machen kann. Ist in dem Fall aber leicht:






Nachtrag, 17:05 Uhr. Ralf Klassen, der Vizechef von stern.de, antwortet in den Kommentaren.

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Dann schalten wir doch gleich weiter zum schon erwähnten Online-Auftritt der „Rheinischen Post“. Seit sich die Sängerin Rihanna und ihr Freund vor knapp zwei Wochen gestritten und er sie geschlagen haben soll, steht das „R“ in RP-Online für „Rihanna“. Gesicherte Fakten sind zwar dürr, aber zum Glück meldet sich jeden Tag irgendein anonymer Bekannter von einem der Beteiligten zu Wort und anscheinend klicken die Menschen das Thema wie blöd, so dass RP-Online tut, was RP-Online halt tut (und schon bei Salma Hayek letztens so gut funktioniert hat):








· · ·

Beim Kölner „Express“ hat man unterdessen etwas anderes Feines entwickelt, um die Page-Impressions künstlich in die Höhe zu treiben: Das Klickstrecken-Interview bzw. die Interview-Klickstrecke. Sieht dann zum Beispiel im Ansatz so aus:

Geht aber auch mit Uli Hoeneß:

Die Leute von express.de haben das übrigens so geschickt konstruiert, dass man am Ende der Interviews vorne wieder rauskommt, so dass man sich leicht versehentlich zweimal durchklickt, bevor einem eine gewisse Redundanz auffällt.

[mit Dank an Kaspar Klippgen, Jan Miebach und Paul Neuhaus]

Die Adventsklickmaschine von jetzt.de

Sie scheint täglich größer zu werden, die Panik der Medien, aus ihren Internetangeboten womöglich nicht auch den allerletzten Klick herausgepresst zu haben. Bei jetzt.de, dem Online-Jugendableger der „Süddeutschen Zeitung“, treibt die Verzweiflung gerade besondere Blüten. Gestern fand jedes Mitglied auf seiner persönlichen „jetzt-Page“, die ein Gästebuch enthält und verschiedene Möglichkeiten, sich anderen vorzustellen, plötzlich ein großes Bild wieder:

Es handelt sich, wie die Redaktion mitteilte, um einen „besonderen Adventskalender“: Um die Türen zu öffnen und zum Beispiel einen Fisch durch die Winterlandschaft springen zu lassen, muss man jetzt.de viele Klicks schenken. Das passiert mithilfe des „jetzt.de-Weihnachtsspiels“, das Besucher von sueddeutsche.de (und dieses Blogs) schon unter den Namen „Klick it like Beckham“ kennen.

Zur Lösung sind mehrere Dutzend Klicks nötig, die von sueddeutsche.de sämtlich als „PageImpressions“ an die zentrale Zählstelle der IVW geschickt und dann von Medienjournalisten und anderen Ahnungslosen gerne mit Ausweisen redaktionellen Erfolgs verwechselt werden.

Die Begeisterung bei der sogenannten „Community“ über das Geschenk hält sich bislang in Grenzen: Viele Kommentatoren bitten um die Möglichkeit, die vorweihnachtliche Klickmaschine wenigstens auf ihrer jetzt.de-Page ausblenden zu können. Ihre Beschwerden verhallen bislang ohne Reaktion.

[mit Dank an Christoph Lauer!]

Nachtrag, 17:45 Uhr. Um 15:55 Uhr reagierte jetzt.de-Mitarbeiter Nico Wilfer in den Kommentaren:

Wir bringen sehr bald für Nichtsammler die Möglichkeit, den Adventskalender aus der jetztpage zu entfernen. Bitte entschuldigt, dass wir das nicht schon zum Start angeboten haben.

Turi Frutti bei Bild.de

Vielleicht sind Sie auch über den Artikel von Peter Heinlein gestolpert, den Medienexperten der „Bild“-Zeitung, der heute in seiner Bild.de-Kolumne meldet:

Nackte Haut sorgt für Klick-Rekord im Internetangebot der Süddeutschen Zeitung gemacht. Als der Medienbeobachter Peter Turi in seinem Blog darauf hinwies, dass die SZ in einer Klickgalerie zeige, wie unterschiedlich ausgezogen sich die Titeldamen der internatonalen Ausgaben des Playboy präsentieren, war die dazu veröffentlichte Internetadresse prompt der meistgeklickte Link des Tages.

Und für den Fall, dass Sie sich nicht nur gefragt haben: „Liest das denn keiner nochmal, bevor das veröffentlicht wird?“ (nein), sondern auch: „Hä?“, will ich gerne versuchen zu erklären, was Peter Heinlein damit sagen wollte — oder genauer: Was er hätte sagen sollen, wenn er es denn verstanden hätte.

Am 31. März 2007 veröffentlichte sueddeutsche.de eine klickgeile Bilderstrecke mit „Playboy“-Titelbildern.

Nicht einmal eineinhalb Jahre später, genauer: am vergangenen Freitag, wurde sie von der Medienlinkliste turi2.de entdeckt, die auf sie mit dem Satz verwies:

Nackte Fakten, knallhart recherchiert — so muss Qualitätsjournalismus im Netz aussehen: Die „Süddeutsche“ zeigt in einer Nannen-Preis-verdächtigen Klickgalerie, wie unterschiedlich ausgezogen sich die Titelgirls des „Playboy“ weltweit präsentieren.

Der Link war an diesem Tag nach Angaben von turi2 der meistgeklickte auf turi2.de. Das entspricht erfahrungsgemäß ungefähr einer niedrigen dreistelligen Zahl. Die PageImpressions von sueddeutsche.de explodierten also in der Folge um schätzungsweise 0,03 Promille.

Ja, das ist die ganze Geschichte. Und wenn Sie in ihr einen „Klickrekord im Internet-Angebot der Süddeutschen Zeitung“ vermissen, liegt das nicht an mir.

[Disclosure: Bild.de ist „Premium-Werbepartner“ von turi2.de]

Nachtrag: Bild.de hat die Rekord-Meldung gelöscht.

Klickdoping mit 16 Buchstaben

Ja, das wirkt sehr unspektakulär, das „gute alte Kreuzworträtsel“, das „Welt Online“ seinen Lesern täglich neu präsentiert. Der Clou ist unsichtbar: Das Spiel ist so programmiert, dass jeder einzelne Buchstabe, den ein Leser hier einträgt, als ein Seitenaufruf zählt. Eine einzelne Kniegeige verbessert die Bilanz von „Welt Online“ um fünf PageImpressions; wer das Rätsel komplett löst, produziert über 100 PageImpressions mindestens.

Das ist eine stattliche Zahl verglichen mit den Klicks, die sich durch einzelne Artikel oder sogar Bildergalerien produzieren lassen — vom minimalen Aufwand ganz zu schweigen. Und deshalb ist der Trick auch keine exklusive Erfindung von „Welt Online“. Der Online-Auftritt der „Süddeutschen Zeitung“ hat sein Sudoku genauso produziert: Jede einzelne Zahl, die in das Gitter eingetragen wird, wird als kompletter Seitenaufruf der IVW übermittelt, deren Werte die Standardwährung im Online-Werbegeschäft sind.

Dasselbe gilt für dieses Sudoku der „Zeit“:

Das Puzzle „Klick it like Beckham“, das sueddeutsche.de in immer neuen Varianten auflegt, ist sogar so programmiert, dass jeder Spielzug gleich zwei Klicks produziert:

Mit allen Mitteln versuchen die Online-Medien die Zahl ihrer PageImpressions künstlich in die Höhe zu treiben, denn diese Zahl wird gerne fälschlicherweise für eine Messgröße für Erfolg und gar Qualität gehalten. Die Vermarkter werben mit ihr, Medienjournalisten erstellen Rankings und küren Sieger und Verlierer.

Das künstliche Aufblähen dieser Zahlen durch entsprechend programmierte Rätsel und Spiele widerspricht dabei nach Ansicht der IVW nicht einmal ihren Regeln. Danach gilt als PageImpression zwar nur, wenn durch die Aktion eines Nutzers (also einen Klick oder eine Eingabe) „eine wesentliche Veränderung des Seiteninhaltes“ bewirkt wird. Aber wenn da in einem Kreuzworträtsel nicht mehr „CELL“, sondern „CELLO“ steht, sieht die IVW darin schon eine „wesentliche Veränderung des Seiteninhaltes“.

Und man kann sich nicht einmal darauf verlassen, dass die auf diese Weise massenhaft produzierten PageImpressions in der IVW-Statistik unter „Spiele“ ausgewiesen werden. Die Medien dürfen sie auch als „redaktionellen Content“ deklarieren, in der Rubrik „Entertainment & Lifestyle“, als handele es sich um journalistische Inhalte. Das Sudoku von „Zeit Online“ zum Beispiel lässt auf diese Weise das redaktionelle Angebot attraktiver erscheinen als es ist.

Hans-Jürgen Jakobs, Chefredakteur von sueddeutsche.de, mag darin kein Problem sehen: „Wie Sie wissen, bieten viele Zeitungen und Zeitschriften auf Papier Rätsel- und Sudoku-Ecken an, weil sie zurecht davon ausgehen, hier auf Publikumsinteresse zu stoßen. Sollen wir solche Formen ignorieren? Geht es nicht immer daran, eine Mischung anzubieten — aus Information, Investigation, Bildung und auch Unterhaltung?“

Per E-Mail teilte er mit mit: „Seien Sie versichert, dass wir uns — so wie die FAZ — ganz nach den Vorgaben der IVW richten.“ Nun ja: Die IVW hat angekündigt, eine frühere Version von „Kick it like Beckham“ kritisch zu überprüfen. Es handelte sich um eine Art Puzzle, das selbst dann eine PageImpression zählte, wenn das Puzzlestück, das der Leser einzusetzen versuchte, nicht passte und zurück an seinen alten Platz schnappte. Das entspricht womöglich nicht einmal nach Ansicht der IVW einer „wesentlichen Änderung“.

Auf meine Frage, ob er sich vorstellen kann, auf solches Klickdoping zu verzichten, wenn sich andere Verlage auch dazu verpflichten — analog seiner Forderung nach gemeinsamen Beschränkungen der Suchmaschinen-Manipulation — antworte Jakobs klar mit Nein: „Spiele habe ich nicht gemeint.“

In der Pressestelle der Axel-Springer-AG stellt man sich dumm, was die Problematik dieser Art von Klickdoping angeht, und erklärt, mein Anliegen „verwundere“ die Kollegen von „Welt Online“. Verlagssprecher Dirk Meyer-Bosse fügt hinzu: „Wir bewegen uns mit all unseren Angeboten auf WELT ONLINE, also auch mit Online-Spielen, voll und ganz im Rahmen der Richtlinien der IVW, mit der wir auch im engen Austausch stehen“.

Was Meyer-Bosse nicht sagt: Dieser „enge Austausch“ kann auch darin bestehen, dass die IVW die Zählung beanstandet. Neulich stellte sich heraus, dass „Welt Online“ die Klicks, die das Kreuzworträtsel generierte, als Zugriffe auf „Nachrichten“ auswies. Sicher waren die Kollegen von „Welt Online“ verwundert, als das herauskam.

Der Sprecher deutet aber zumindest begrenzte Aussagekraft der IVW-Zahlen an, indem er sagt, für „Welt Online“ sei „die wichtigste Zählgröße die AGOF“, eine repräsentative Studie, die aus verschiedenen Erfassungsmethoden die Reichweite der Online-Medien berechnet. (Das hindert Springer natürlich nicht, mit den durch groteske Klickstrecken und eben Kreuzworträtsel aufgepumpten PageImpressions regelmäßig zu prahlen.)

Im vertraulichen Gespräch räumen Verantwortliche von Online-Medien durchaus ein, dass das IVW-Verfahren Unsinn ist und die Zahlen nur noch wenig Aussagekraft haben. Auch bei der IVW sieht man die Notwendigkeit zur Reform. „Alle sind sich darüber im Klaren, dass wir daran gehen müssen“, sagt Online-Bereichsleiter Jörg Bungartz, der von einer „sich verschärfenden Problematik“ spricht. Als Beispiel nennt er auch Videos, die so programmiert sind, dass es schon als PageImpression gewertet wird, wenn der Zuschauer zwischendurch bloß die Pausetaste drückt. Immer wieder stelle sich die Frage: „Ist es das, was wir zählen wollen?“ Die IVW wolle aber nicht voreilig die Definitionen ändern, um einzelne Lücken zu schließen, sondern arbeite an einer zukunftssicheren Reform. Die ist für nächstes Jahr geplant.

Die Zeit, bis es soweit ist, können Sie ja nutzen, um bei faz.net ihr Gehirn zu trainieren, zum Beispiel mit dem Silbenrätsel. Und ärgern Sie nicht, wenn Sie Fehler machen. Jeder einzelne Klick, sogar ein falscher, zählt als PageImpression und poliert die Online-Bilanz von faz.net auf. Das ist doch auch was.