Schlagwort: 9Live

Lesestunde mit Max Schradin

Es gab Anfang des Jahres schon einmal einen Versuch der Kontaktaufnahme. Nachdem ich einen Artikel über die Praktiken von 9Live und seinen Nachahmern in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ geschrieben hatte, erhielt ich folgende Mail, abgeschickt nachts um 2.50 Uhr:

Sehr geehrter herr Niggemeier,

mein Name ist Max Schradin, bin Moderator bei Neun Live und Sat 1 und würde mich sehr gerne mal mit Ihnen über den Artikel in der Sonntagsausgabe unterhalten.

Beste Grüsse

max Schradin

PS: Über eine Antwort von Ihnen mit Telefonnummer würde ich mich sehr freuen.

Lustige Idee natürlich, nicht die eigene Nummer mitzuschicken, sondern die des gewünschten Gesprächspartners zu verlangen. (Andererseits ist seine Nummer ja bekannt; es ist halt nur so schwer, durchzukommen.) Ich antwortete ihm trotzdem mit meiner Nummer. Ich habe nichts mehr von ihm gehört.

Seit dem vergangenen Sonntag klappt das besser mit der Kommunikation. Schradin las meine Kolumne, die ich über ihn geschrieben hatte, live auf 9Live vor:

(Für alle, die keine Lust haben, zum Vergleich mitzulesen: Den Halbsatz „während die Regie keinen der vielen Anrufer ins Studio durchstellt“ hat er sicherheitshalber weglassen. Und meine Formulierung „die Zuschauer zu teuren Anrufen zu verführen“ hat er um das Wort „teuren“ gekürzt. Sicher ist sicher.)

[natürlich via call-in-tv.de]

Max Schradin

Ich weiß nicht, welche Drogen Max Schradin nimmt. Ich weiß nicht einmal, ob er Drogen nimmt. Vor allem weiß ich nicht, was mir lieber wäre. Das ist ja auch kein angenehmer Gedanke: dass es möglicherweise Menschen gibt, die ganz nüchtern und ohne künstliche Nachhilfe schon in diesem Maß Selbstüberschätzung, Unbeherrschtheit und Wahnsinn ausstrahlen.

Schradin ist 29 Jahre jung, nennt sich „TV-Moderator“ und ist von den beunruhigenden Gestalten, die auf 9Live, ProSieben und Sat.1 versuchen, die Zuschauer zu teuren Anrufen zu verführen, eine der beunruhigendsten. In seinen mehrstündigen Live-Auftritten wirkt er wie eine Mischung aus Klaus Kinski und einem amerikanischen Fernsehprediger – mit dem Unterschied, dass Fernsehprediger über vermeintliche Wunderheilungen in Extase geraten und bei Schradin dafür schon das Einblenden oder Ablaufen eines Countdowns genügt. „Jäääätz“, brüllt er dann, tobt, klagt und scheint mit bizarr großen Gesten demonstrieren zu wollen, dass er den Fortgeschrittenen-Kurs „Teufelsaustreibungsrituale im Alltag“ erfolgreich absolviert hat.

Wenn er nicht gerade die Zuschauer beschimpft, dass sie nicht anrufen (während die Regie keinen der vielen Anrufer ins Studio durchstellt), beschimpft er die Konkurrenz oder die Mitglieder eines kritischen Forums, die er „Hochverräter“ und „Waisenzigeuner“ nennt und ihnen live im Fernsehen zuruft: „Ihr kleinen Petzliesen habt keinen Pimmelwutz.“ Wenn man ganz großes Pech hat, erzählt er einem auch von seinem „Durchfall“: „Ich hab Stuhl, liebe Fernsehzuschauer, man nennt’s auch Spritzwurst, das ist ganz eklig, wenn’s in die Schüssel knallt da.“ Als das ARD-Magazin „Plusminus“ diese Woche weitere Belege für die dubiosen Machenschaften von 9Live, den „zentralen Interaktionsdienstleister“ für ProSiebenSat.1, brachte, reagierte Schradin mit einer wütenden Tirade gegen die ARD und ihre „dummen“ Zuschauer. Und weil 9Live in dem Beitrag erneut vorgeworfen wurde, die Zuschauer unzulässig zum wiederholten Anrufen aufzurufen, rief Schradin die Zuschauer auf: „Von mir aus können Sie auch solange [die Telefonnummer] tippen, bis die Finger bluten.“ Bei Schradin von „Hybris“ zu sprechen, wäre Schönfärberei.

Über sich selbst sagt Schradin auf seiner Homepage, er sei „ein Typ, der sich schwer abstempeln lässt“. Als „Lebensziele“ gibt er „Gesundheit und Zufriedenheit“ an. Wollen wir hoffen, dass er sie irgendwann erreicht.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Ex-9Live-Mitarbeiter packen aus

Das ARD-Wirtschaftsmagazin „Plusminus“ hat zwei ehemalige 9Live-Mitarbeiter aufgetan, die über ihre Arbeit beim „Vorreiter für transparentes, chancengleiches und faires Call TV“ gesprochen haben.

Beide sprachen über die offensichtliche Praktik der Call-TV-Sender, nicht den Zufall entscheiden zu lassen, wann ein Kandidat durchgestellt wird, sondern das willkürlich selbst zu bestimen:

Plusminus: Wenn ich bei Neun Live anrufe während eines Hot Button-Spiels. Wovon hängt es denn ab, wann der Hot Button zuschlägt?

Ehemaliger Moderator: Vom Redakteur selber. Der Redakteur selber entscheidet, wann der Hot Button zuschlägt. Wenn der Redakteur der Meinung ist auf Grund der gegebenen Umstände, das passt jetzt, das ist okay jetzt, jetzt kann ich einen reinlassen, dann entscheidet der Redakteur und lässt einen Anrufer durchstellen.

Ehemalige Redakteurin: Wenn man als Anfängerredakteur da oben sitzt und man möchte spontan, weil gerade so viele Leute anrufen jemanden vom Call Center durchstellen lassen, dann steht immer ein erfahrener Redakteur hinter einem und sagt: „Bist du blöd. Mach das nicht. Lass die kommen. So lange wie das steigt, jeden mitnehmen.“ Das heißt: Alle, die gerade anrufen, betrügt man um ihr Glück, und erst wenn sie das Interesse verlieren, schaltet man einen rein.

Die ehemalige 9Live-Frau behauptet, es gebe auch andere Formen von Betrug:

Ehemalige Redakteurin: Fingierte Anrufe wurden schon mal eingesetzt, wenn so gar keiner angerufen hat und man wirklich ein paar Minuten mit einem leeren Peak da saß, dann wurde der Hot Button einfach per Sound eingespielt und der Moderator hat dann gesagt: Ups, da hat wohl wieder jemand aufgelegt. In Wirklichkeit hat aber niemand angerufen.

Plusminus: Und das haben Sie auch so gemacht?

Ehemalige Redakteurin: Ja, das habe ich auch gemacht.

Dank an Marc Doehler!

Warum tut denn keiner was? (2)

Die rheinland-pfälzische Landesmedienanstalt LMK hat am Montag zwei Ausgaben der von 9Live für Sat.1 produzierten Abzock-Sendung „Quiz Night“ beanstandet. In einer sei ein nicht vorhandener Zeitdruck aufgebaut worden, bei einer anderen fehlten die passenden Teilnahmebedingungen. Beide Sendungen liefen vor rund einem halben Jahr.

Es handelt sich also um eine schnelle Entscheidung.

Die Beanstandung ist begrüßenswert, zeigt aber auch die Hilflosigkeit der Landesmedienanstalten. Gegenüber der Nachrichtenagentur dpa sagte der LMK-Chefjustiziar Rolf Platho, materielle Folgen für den Sender hätten die Beanstandungen nicht. „Aber der Druck wird größer nach dem Motto: Da muss sich was ändern.“

Es ist ein sehr, sehr immaterieller Druck. Im Fall der Schleichwerbung in der Sat.1-Ostersendung „Jetzt geht’s um die Eier!“, die die LMK in derselben Sitzung bestätigte, hat die LMK längst ein Bußgeldverfahren eingeleitet. Bei Verstößen gegen die Regeln der Landesmedienanstalten für die teuren Anrufsendungen, droht den Sendern nichts dergleichen. Denn dabei handelt es sich nicht um eine Ordnungswidrigkeit im Sinne des Rundfunkstaatsvertrages.

Dabei ist die entsprechende Liste durchaus eindrucksvoll. Einem Sender, der es zum Beispiel wagt, die Ausstrahlung eines Gottesdienstes durch Werbung zu unterbrechen, droht nach dem Rundfunkstaatsvertrag eine Geldbuße von bis zu 500.000 Euro. Einem Sender, der die Zuschauer systematisch und dauerhaft über Gewinnmöglichkeiten bei kostenpflichtigen Anrufsendungen täuscht, droht nach dem Rundfunkstaatsvertrag — keine Geldbuße.

Das zu ändern, wäre Aufgabe der Bundesländer. Sie müssten bei der nächsten Novellierung des Rundfunkstaatsvertrages entsprechende Verstöße in den Katalog der Ordnungswidrigkeiten aufnehmen. Die Beanstandung wäre dann zwar immer noch Sache der teils unwilligen, teils unfähigen Landesmedienanstalten. Aber immerhin stünden ihnen dann überhaupt wirkungsvolle Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung.

Es wäre an der Zeit.

9Live hat Zuschauerschutz schon aktiviert

Aus Gründen der „Fairness“ und zum „Schutze“ des Verbrauchers hat die ProSiebenSat.1 Media AG bekanntlich vorgeschlagen, dass in den Call-in-Shows zukünftig nur noch nach Begriffen gesucht werden darf, die mindestens 100 Treffer bei Google haben.

Heute hat der ProSiebenSat.1-Sender 9Live einmal anschaulich gemacht, wie wirkungslos eine solche Vorschrift wäre.

Bei den üblichen Wortfindungsspielen gab 9Live diesmal vorher an, wie oft der gesuchte Begriff bei Google vorkommt. Gefragt ist zum Beispiel ein Wort mit der Endung „-haus“, das „mehr als 500.000 Einträge bei Google“ hat. Entsprechend leicht ist die Lösung: Schulhaus.

Das nächste Rätsel scheint noch leichter zu sein. Gesucht ist ein Wort, das auf „-tag“ endet und sogar auf „mehr als 1.000.000 Einträge“ kommt.

Anrufer versuchen es mit Namenstag, Todestag, Schultag, Vatertag… alles falsch. Auf die richtige Lösung kommt keiner, obwohl der Moderator kurz vor Schluss noch sagt: „Diesen Tag kennen alle, jung und alt“ und auf die Tafel neben den verdeckten Begriff „*EINFACH*“ geschrieben hat. Erst nach Stunden, einer Unterbrechung und einem Moderatorenwechsel wird das Spiel aufgelöst. Der gesuchte Tag ist:

WEBTAG.

Ja.

Was für eine abwegige Idee, mit diesen Leuten über Transparenz, Fairness und Verbraucherschutz diskutieren zu wollen.

Quelle: call-in-tv.de, mit Dank an Marc für die Screenshots!

Nachtrag. Und hier der Verlauf zum Selberschauen und Staunen, auch für die Landesmedienanstalten, falls noch welche wach sein sollten:

Wie 9Live sich die Zukunft vorstellt

9Live will die Regeln verschärfen lassen, die für Call-TV-Programme wie 9Live gelten. Das entbehrt nicht einer gewissen Komik, denn schon an der Entwicklung der bisher geltenden Regeln der Landesmedienanstalten war 9Live maßgeblich beteiligt, und nicht einmal die hält der Sender ein.

Dennoch hat die 9Live-Besitzerin ProSiebenSat.1 vor der anstehenden Diskussionsrunde mit den Aufsichtsbehörden eine „Initiative Call-TV“ ins Leben gerufen und einen „Maßnahmenkatalog“ vorgeschlagen. Einzelne Formulierungen darin scheinen einer fremden Parallelwelt zu entstammen:

Das Konzept einer Call-In Sendung birgt immer das Risiko, dass Aussagen des Moderators durch den Zuschauer subjektiv gewertet werden bzw. aufgrund der Call-TV-typischen Dramaturgie missverstanden werden.

Es ist aber auch ein Kreuz mit den Zuschauern. Wenn der 9Live-Moderator sagt: „Das sind die letzten Sekunden“, werten sie das einfach subjektiv als Aussage: „Das sind die letzten Sekunden“. Wenn er ihnen zuruft, sie müssten sofort anrufen, interpretieren sie das als Aufforderung, sofort anzurufen. Oder missverstehen einen eingeblendeten Countdown als Countdown.

Gut, mit diesem „Risiko“ muss 9Live leben. Call-TV-Veranstalter haben’s auch nicht leicht.

Dennoch enthält das Papier auch konkrete Vorschläge. So sollen die Veranstalter von Call-in-Sendungen der jeweils zuständigen Landesmedienanstalt monatlich Protokolle über alle Telefonverbindungen, Gewinner und ausgezahlten Gewinne vorlegen. Das ist theoretisch sicher eine gute Idee. Praktisch stelle ich mir das allerdings so vor, dass die Mitarbeiter der Landesmedienanstalten die Protokolle in Empfang nehmen und sich danach wieder hinlegen ihren anderen wichtigen Aufgaben widmen.

Allerdings könnte man dann in Zukunft bei der Bayerischen Landesmedienanstalt nachfragen, wie viele Gewinner es bei 9Live tatsächlich gibt. Geschäftsführer Marcus Wolters sprach im vergangenen September von 60.000 Gewinnern im Jahr, gegenüber der FAZ nannte er jetzt die Zahl von 10.000 im Monat. Wie wahrscheinlich ist es, dass sich die Zahl der 9Live-Gewinner in einem halben Jahr verdoppelt hat?

Überhaupt: 9Live macht täglich ungefähr 14 Stunden Live-Call-in-Shows. 10.000 Gewinner im Monat bedeuten 24 Gewinner pro Stunde. Das heißt: Etwa alle zwei Minuten müsste jemand etwas gewinnen. Angesichts der endlosen Zeit, die in vielen 9Live-Sendungen vergeht, bis überhaupt jemand ins Studio gestellt wird, halte ich diese Zahl für sehr unrealistisch.

9Live schlägt weiter vor, dass eine einmal ausgelobte feste Gewinnsumme im Laufe eines Rätsels nicht reduziert werden darf, wie es der 9Live-Konkurrent CallActive in seinen Sendungen auf Nick, Comedy Central und MTV gerne macht: Gelockt wird mit hohen Gewinnsummen. Durchgestellt wird ein Anrufer in aller Regel aber erst, nachdem sie wieder gesenkt wurden. Solches Geschäftsgebaren hält selbst 9Live (zu recht) für unseriös.

Bei den beliebten Wortfindungsspielen (an der Tafel stehen verdeckt mehrere Tiere mit „S“, die der Zuschauer erraten soll), schlägt 9Live vor, dass „nur Begriffe verwendet werden dürfen, die am Tage der Rätselerstellung mindestens 100 Mal in der Internet-Suchmaschine ‚Google‘ dokumentiert sind“. Auch das klingt gut, würde aber zum Beispiel nicht verhindern, dass 9Live auch in Zukunft wieder als (angeblich leichtes) Tier mit „S“ den Stirnlappenbasilisk suchen wird. Der sympathische Leguan kommt auf über 40.000 Google-Treffer.

Wie sehr sich 9Live auch für die Zukunft das Recht vorbehalten will, die Zuschauer an zentraler Stelle in die Irre zu führen, zeigen einige „Formulierungsvorschläge“ zur „Verbesserung der Kommunikation“. 9Live schlägt für die Moderation unter anderem folgenden Satz vor:

„Ob ein Rätsel schwer oder leicht ist, entscheiden Sie!“

Das wäre sogar ein Rückschritt gegenüber der bestehenden (von 9Live natürlich gern ignorierten) Regel, die lautet:

Dem Zuschauer sind bei allen Spielen in angemessenem Umfang Hinweise zum Schwierigkeitsgrad und zur Lösungslogik zu erteilen.

Bemerkenswert ist in dem „Maßnahmenkatalog“ allerdings ein Punkt, den das 9Live-Papier „Maßnahmen zur Verbesserung der Chancengleichheit“ nennt. Darin heißt es:

(…) die Zuschauer [müssen] jederzeit die Chance haben, die von den Moderatoren entsprechend ausgelobten Preise zu gewinnen. (…)

Jeder Veranstalter hat sicherzustellen, dass über ein technisches System (…) der Auswahlmechanismus derart konzipiert wird, dass jederzeit die Chance besteht, ausgewählt zu werden.

Das wäre allerdings tatsächlich revolutionär. Bislang beschränkt sich der Zufallsmechanismus bei den meisten Spielen auf 9Live, Nick, MTV, DSF und den anderen darauf, dass aus den Anrufern, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Leitung sind, zufällig einer ausgewählt wird. Der Zeitpunkt selbst ist aber nicht zufällig, sondern wird vom Redakteur bestimmt. Wenn über Stunden niemand ins Studio gestellt wird, wie es immer wieder vorkommt, liegt das also nicht am Zufall. Das heißt: Wer in dieser Zeit anruft, hat (ohne dass er es weiß) effektiv keine Chance zu gewinnen.

Wenn die Landesmedienanstalten 9Live in diesem Punkt beim Wort nähmen und es schafften, die Einhaltung zu überprüfen und Verstöße zu bestrafen (das sind viele Wenns!), dann wäre tatsächlich viel gewonnen. Dann könnte es zum Beispiel passieren, dass der große Hauptgewinn, den 9Live bislang fast immer erst nach Stunden des künstlichen Verzögerns und Einnahmen-Generierens ausgibt, schon in den ersten Minuten einer Sendung rausgeht.

Und Call-TV wäre plötzlich fast so fair wie ein Glücksspiel.

Dokumentation: Maßnahmenkatalog der „‚Call-TV‘-Initiative“ der ProSiebenSat.1 Media AG.

Die deutschen Anrufsender und das Gesetz

In Großbritannien und den Niederlanden wird aus unterschiedlichen Gründen gegen die Veranstalter von kostenpflichtigen Gewinnspielen und Abstimmungen im Fernsehen vorgegangen. In Großbritannien wegen Betrugs. In den Niederlanden, weil es sich möglicherweise um unerlaubtes Glücksspiel handelt.

Und in Deutschland? Müsste man gegen die Sendergruppen von ProSiebenSat.1 und MTV sowie das DSF eigentlich aus beiden Gründen vorgehen.

Betrug?

Sämtliche Veranstalter ignorieren die Empfehlungen der Landesmedienanstalten und informieren konsequent falsch über Spieldauer, Spielchancen, Spielmodus, Schwierigkeitsgrad, Lösungsweg und (im Fall von Viva/Nick/Comedy Central) sogar die Gewinnsumme. Vor allem in den Sendungen, die von der Firma Callactive für die MTV-Sender produziert werden, wird aber noch mit ganz anderen Tricks gearbeitet.

Ein Beispiel: Die Sendung „Quiz Zone“ ist täglich am späteren Abend mehrere Stunden lang auf dem Kindersender (!) Nick zu sehen. Sie läuft fast jeden Tag nach dem gleichen Schema ab. Am Anfang werden ein paar kleine Gewinne ausgespielt. Dann beginnt ein Spiel, in dem es scheinbar viel Geld zu gewinnen gibt (zum Beispiel „50 Geldpakete“ oder mehrere tausend Euro). In diesem Spiel gibt es in aller Regel bis eine Minute vor Ende der Sendung keinen Gewinner. Es werden Leitungen geöffnet und geschlossen, Countdowns gezählt, falsche Endzeiten der Sendung angegeben, die Gewinnsummen vervielfacht und wieder reduziert, Spiele ungelöst abgebrochen, aber einen Gewinner gibt es bis unmittelbar vor Ende der Sendung nicht. Und das, obwohl in der „Quiz Zone“ auch vorher immer wieder angebliche Anrufer ins Studio gestellt werden. Diese angeblichen Anrufer geben aber entweder falsche Antworten, brabbeln unverständliches Zeug oder legen einfach wieder auf.

Dieser Spielablauf ist im Prinzip jeden Abend gleich. Wenn deutlich vor Ende der Sendung bei hohem Gewinnversprechen jemand ins Studio gestellt wird, kann man sicher sein, dass er die Antwort nicht weiß. Ein Gewinner wird erst unmittelbar vor Ende der Sendung, dann meist bei deutlich reduzierter Gewinnsumme, durchgestellt.

Man kann sich in den entsprechenden Foren von call-in-tv.de Dutzende von protokollierten „Quiz Zone“-Sendungsverläufen durchlesen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Sendungsverläufe zufällig ergeben, liegt ungefähr bei null. Die einzig plausible Erklärung für die Art, wie die Sendung „Quiz Zone“ Abend für Abend verläuft, ist die, dass die frühen Falschanrufer und Aufleger keine echten Anrufer sind, sondern von Callactive gefaked werden, um dem Zuschauer vorzutäuschen, er habe eine Chance, schon vor Ende der Sendung durchzukommen.

Um es deutlich zu sagen: Ich kann nicht beweisen, dass Mitarbeiter der Firma selbst bei „Quiz Zone“ anrufen und gezielt durchgestellt werden, um falsche Antworten zu geben, und die Zuschauer so — zusätzlich zu der Vielzahl von falschen oder irreführenden Einblendungen und Moderatoren-Aussagen — betrogen werden. Ich habe keine Aussage von einem Aussteiger aus der Szene und auch kein internes Callactive-Papier vorliegen. Ich habe nur die bloße Anschauung als Indiz, aber das ist sehr überzeugend. Sagen wir so: Wenn ein Poker-Spieler jeden Abend den gleichen „Royal Flush“ hinblättert, nehme ich bis zum Beweis des Gegenteils an, dass seine Karten gezinkt sind.

(Callactive ist übrigens eine Tochter von „Wer wird Millionär“-Produzent Endemol. Eine andere Tochter von Endemol ist maßgeblich in den britischen Betrugsskandal verwickelt. Die Welt ist klein.)

Verbotenes Glücksspiel?

Nach Paragraph 284 StGB wird bestraft, wer ohne behördliche Erlaubnis öffentlich ein Glücksspiel veranstaltet. Erlaubt sind dagegen zum einen Geschicklichkeitsspiele, bei denen die Teilnehmer bestimmte Fähigkeiten oder Kenntnisse unter Beweis stellen müssen, um zu gewinnen, und zum anderen Preisausschreiben oder Gewinnspiele, bei denen Teilnehmer keinen erheblichen Einsatz erbringen müssen.

Geht es bei den 9Live-Spielen um Wissen, Fähigkeiten oder Geschick? Teilweise ja — wenn die Aufgabe etwa lautet, sieben Tiere zu nennen, deren dritter Buchstabe ein „U“ ist. (Wobei die eigentliche Aufgabe häufig darin besteht, die überhaupt geltenden Regeln zu erraten, was wiederum nichts mit Geschick zu tun hat.) Der Bundesgerichtshof urteilte allerdings:

Ein Glücksspiel liegt auch dann vor, wenn der Spielerfolg nicht allein vom Zufall abhängt, dem Zufallselement aber ein Übergewicht zukommt.

Bei den Telefon-Gewinnspielen von 9live und anderen entscheidet der Zufall darüber, ob man überhaupt ins Studio durchgestellt und am eigentlichen Gewinnspiel teilnehmen darf. Experten wie die Rechtsanwälte Manfred Hecker und Markus Ruttig folgern daraus, dass solche Spiele in jedem Fall als Glücksspiele einzuordnen seien — selbst wenn das „nachgelagerte Spiel“ tatsächlich eine besonderes Geschick erfordert.

Bleibt die Frage, ob der Einsatz, den der Spieler zur Teilnahme leisten muss, „erheblich“ ist. Es ist kein Zufall, dass ein Anruf bei den Abzocksendern meist 50 Cent kostet. Das entspricht ungefähr den Kosten einer Postkarte und gilt damit nach der üblichen Rechtsprechung als „unerheblich“. Durch die Einführung einer solchen „Geringfügigkeitsgrenze“ haben die Gerichte vor Jahrzehnten verhindert, dass durch das Verbot des Glücksspiels gleichzeitig auch Kreuzworträtsel oder Preisausschreiben verboten wurden. An die Wiederholtaste beim Telefon, die interaktiven Medien, das erheblich höhere Suchtpotential eines Live-Anruf-Quiz und die Möglichkeit, dass der Veranstalter an den erheblichen Einnahmen aus den Telefongebühren beteiligt werden könnte, hatte zu der Zeit, aus der diese Rechtsprechung stammt, noch niemand gedacht.

Ist der Einsatz bei 9Live & Co. also „erheblich“? Wenn man den einzelnen Anruf zu 50 Cent betrachtet: natürlich nicht. Andererseits ist die gesamte Sendekonzeption offensichtlich auf eine wiederholte Teilnahme und dadurch de-facto eine Erhöhung des Einsatzes angelegt. Rechtsanwalt Hecker meint deshalb, man müsse den Gesamteinsatz eines Teilnehmers für ein Spiel berücksichtigen. Dann wäre der Einsatz alles andere als „geringwertig“. (Zum Beispiel wurde eine Rentnerin 2005 zur Zahlung von 23.087,10 Euro verurteilt, weil sie in 44 Tagen insgesamt 47.024 mal bei 9Live angerufen hat, ähnliche Fälle sind immer wieder in 9Live-Sendungen zu hören.)

Würde man immer nur den Einzeleinsatz betrachten, müsste es konsequenterweise auch zulässig sein, so Hecker, „ohne Erlaubnis in der Öffentlichkeit einen Rouletttisch aufzustellen, an dem nur mit Jetons zu 50 Cent gespielt werden kann und jeder Mitspieler bei jedem einzelnen Lauf nur einen Jeton legen darf.“

Die meisten Gerichte haben sich dieser realistischen Bewertung der Höhe des Einsatzes jedoch noch nicht angeschlossen. Immerhin hat aber sogar das Oberlandesgericht München in seinem Urteil, in dem es die 9Live-Spiele für grundsätzlich zulässig erklärte, einschränkend hinzugefügt:

3. Eine Wettbewerbswidrigkeit ist nur dort gegeben, wo ein Moderator vortäuscht, dass keine Teilnehmer anrufen würden, obwohl dies nicht zutrefft, um Personen zur Teilnahme zu bewegen. (…)

5. Die Unerheblichkeit [des Einsatzes] kann (…) dann überschritten werden, wenn der Teilnehmer zu mehrmaligen Anrufen aufgefordert und motiviert wird.

Komisch. Wann immer ich eine Sendung von 9Live oder Callactive einschalte, muss ich nicht lange warten, bis der Moderator vortäuscht, dass keine Teilnehmer anrufen würden, oder die Zuschauer motiviert, mehrmals anzurufen.

2000 Tage Zuschauerbetrug

„Bei 9Live sind die Spiele transparent, fair und verständlich.“
(Running-Gag des Senders.)

9Live feiert heute eine Art Geburtstag. Und ich möchte gratulieren mit einem weiteren E-Mail-Wechsel mit der Pressestelle des Senders:

Liebe Frau …,

diesmal versuche ich es mit einer einzigen Frage:

Sie schreiben, 9Live sei „bei der Formulierung und Ausgestaltung der Gewinnspiel-Regeln der Landesmedienanstalten maßgeblich beteiligt“
gewesen. In diesen Regeln heißt es: „Der Aufbau von nicht vorhandenem Zeitdruck ist unzulässig.“ Wann immer ich 9Live einschalte, erweckt der Moderator gerade den Eindruck, das Spiel sei sofort zu Ende, die Sendezeit sei abgelaufen, man müsse sofort anrufen etc. In fast allen Fällen stimmen diese Aussagen nicht. Meine Frage lautet deshalb: Inwiefern hält sich 9Live an die von 9Live maßgeblich mitformulierte und ausgestaltete Regel, dass der Aufbau von nicht vorhandenem Zeitdruck unzulässig sei?

Darauf 9Live:

Lieber Herr Niggemeier,

hier meine Antwort auf Ihre Frage:

Wir können nicht ohne zufriedene Zuschauer seit über fünf Jahren erfolgreiches und unterhaltsames Call-TV betreiben. Dazu gehört auch Raum für redaktionelle Gestaltung von Live-Shows im Rahmen der Regeln für TV-Gewinnspiele.

Nun wieder ich:

Liebe Frau …,

dann lassen Sie es mich einfacher formulieren: Baut 9Live nicht vorhanden Zeitdruck auf?

Und 9Live:

Lieber Herr Niggemeiner,

nein, wir veranstalten täglich 14 Stunden Live-Programm, in das wir die verschiedensten Unterhaltungs-Elemente einbauen.

Gut, dann haben wir das geklärt.