Schlagwort: Adolf-Grimme-Preis

Grimme-Kandidaten gucken (2)

Wer sehen will, was wir vor zwei, drei Wochen in der Grimme-Jury in Marl gesehen haben: Das ZDF zeigt heute Abend „Das Geld anderer Leute“ aus der feinen Krimireihe „Unter Verdacht“. Die Geschichte hat ein paar logische Löcher, aber es ist gute Unterhaltung — und vor allem ein großes Vergnügen, Senta Berger und Rudolf Krause zuzusehen.

Unter Verdacht, heute, 20.15 Uhr, ZDF.

Grimme-Kandidaten gucken

Wer sehen will, was wir vergangene Woche in der Grimme-Jury in Marl gesehen haben: Das ZDF zeigt heute abend „Eine Stadt wird erpresst“, einen ungewöhnlichen Polizeithriller von Dominik Graf. Der Film war zwar nicht mein persönlicher Favorit auf einen Grimme-Preis (ob er einen bekommen wird, ist noch geheim), aber spanned, ungewöhnlich und vor allem mit dem gewagten Bruch in der Mitte, wenn Tempo und Genre wechseln, sehenswert. Und Uwe Kockisch ist wunderbar.

Eine Stadt wird erpresst, heute, 20.15 Uhr, ZDF.

Marlzeit (5)

So. Feierabend. Jetzt aber wirklich.

Auf dem Rückweg von Marl habe ich im Zug die ganze Zeit geschlafen, und als ich in Berlin aufstand, hatte ich das Gefühl, dass mich alle Mitreisenden im näheren Umkreis mit dieser Mischung aus Mitleid und Belustigung, Neugier und Genervtheit ansehen, ganz so also, als hätte ich über Stunden sehr peinlich geschnarcht, was leider nicht unwahrscheinlich ist.

Jedenfalls findet diese dramatische Artikelserie heute ihren Abschluss und Höhepunkt, indem ich Ihnen mitteilen kann: Wir haben fünf Grimme-Preisträger gefunden, die am 4. April im Stadttheater Marl ausgezeichnet werden. Ihre Namen wird das Institut irgendwann in den nächsten Wochen bei einer Presse-Konferenz bekannt geben, genau wie die der Jurys für Information/Kultur und Unterhaltung, und bis dahin darf keiner was sagen.

Wir haben am Ende wirklich noch gebettelt, ob es nicht doch eine Möglichkeit gäbe, wenigstens sechs Preise zu vergeben, wenn schon nicht die neun oder zehn, die wir eigentlich gebraucht hätten. Zwischenzeitlich gab es bei einer der vielen Abstimmungen sogar einen Gleichstand, ausgerechnet zwischen dem fünften und sechsten Platz, und als sei das alles nicht nervenaufreibend genug gewesen, stellte sich heraus, dass ein Juror das ganze Abstimmungsprinzip nicht verstanden und sich, nun ja: verwählt hatte. Aber ich fürchte, der Versuch, darüber zu schreiben, ohne die konkreten Sendungen zu nennen und die Debatten, die sich an ihnen entzündeten, wäre noch uninteressanter als die Berichte der letzten Tage.

Es ist vorbei, das Ergebnis steht fest, es ist, glaube ich, eine ordentliche Mischung aus Favoriten und Überraschungen, großem und kleinem Fernsehen (und vor allem großem kleinen), und eine frühlingshafte Sonne tauchte die glückliche kleine Stadt Marl zum Abschied in ein warmes Licht.

Marlzeit (4)

So. Feierabend.

Jetzt geht das Feilschen los. Wir haben alle Sendungen gesehen (die Jurys für Information/Kultur und Unterhaltung sind schon ganz fertig), morgen Vormittag wird noch einmal ausführlich diskutiert und dann abstimmt, wer einen Adolf-Grimme-Preis 2008 in der Kategorie Fiktion gewinnt. Fünf können wir vergeben, aber ernsthafte Kandidaten gibt es ungefähr doppelt so viele.

Das ist nicht die Regel. Die Grimme-Verantwortlichen müssen ja jedes Jahr für die Presse Sätze sagen wie: „Es war ein besonders hochwertiges Fernsehjahr“, was sich nicht immer wirklich belegen lässt. Aber das vergangene Jahr scheint, was Fernsehfilme angeht, wirklich ein gutes gewesen zu sein. Ich kann mich an Jahre erinnern, in denen wir augenrollend, stirnrunzelnd und händeübermkopfzusammenschlagend vor vielen der nominierten Beiträge saßen und uns uns nach der Hälfte der Zeit ernsthaft fragten, ob wir überhaupt genug Preiswürdiges sehen würden. Dieses Jahr ist anders. Ich glaube, den meisten Juroren geht es wie mir, und sie haben mindestens sieben, acht Filme gesehen, denen sie dringend gerne einen Preis geben würden.

Es gibt ein oder zwei Favoriten, bei denen es sehr wahrscheinlich ist, dass sie durchkommen. Aber dahinter eine große, breite Gruppe von schönen Filmen mit vielen Fans. Und da geht das Geschacher los. Juroren stehen in kleinen Grüppchen zusammen und diskutieren, welche „Pakete“ man schnüren könnte, aus Sendungen, die als Preisträger ein gutes Gesamtbild ergäben. Beim Bier oder Rotwein wird diskutiert, was für Kriterien uns beeinflussen sollten: Soll ein Film, der viele begeistert hat, einen Preis bekommen, obwohl er schon viele andere Preise bekommen hat? Oder schon vor Jahren im Kino lief? Wäre es doof, wenn am Ende ein einzelner Sender vier unserer fünf Preise bekäme? Sollten wir es vermeiden, dass mehr als ein Film ausgezeichnet wird, in dem es um die DDR geht? Müsste unbedingt eine Serie ausgezeichnet werden?

Im Grunde sind viele Argumente, die an so einem Abend im Restaurant des Parkhotels Marl ausgetauscht werden, leicht durchschaubare Taktik: Wer einen Favoriten hat, der kein Krimi ist, findet natürlich schnell Argumente gegen ein übermäßiges Auszeichnen von Krimis. Und wer, um es ein bisschen konkreter zu machen, „Eine Stadt wird erpresst“ von Dominik Graf nicht besonders mag, weist natürlich darauf hin, dass Dominik Graf schon soundso viele Grimme-Preise gewonnen hat und ob man nicht mal jemand anderes… Gelegentlich gibt es offenbar sogar Verabredungsversuche im Sinne von: Stimmst du für meinen Favoriten, stimm ich für deinen.

Aber die ganze Taktiererei hat Grenzen, und das liegt unter anderem an einem ausgeklügelten, komplizierten Abstimmverfahren. (Interessiert Sie das wirklich? Also gut.)

Zunächst wird ein Stimmungsbild erstellt, indem jeder Jurore jedem Nominierten zwischen 0 und 10 Punkten gibt. Das hilft, um zu sehen, welche Kandidaten deutlich unterdurchschnittlich abschneiden; die werden dann aus der Diskussion genommen. Als nächstes erstellt jeder Juror in einer weiteren geheimen Wahl aus den verbliebenen Kandidaten eine eigene Rangliste vom besten zum schlechtesten Film. Auch daraus wird ein Durchschnitt gebildet. Diese Liste wird dann von vorne nach hinten durchgegangen und abgestimmt, ob die Sendung einen Grimme-Preis bekommen soll. (Und zwischendurch natürlich immer wieder diskutiert und gekämpft.) Sobald alle Preise vergeben sind, endet das Spiel. Klingt unnötig komplex, hat sich aber bewährt, weil es einerseits berücksichtigt, wenn einzelne Juroren ein Programm besonders herausragend finden, andererseits aber auch immer eine absolute Mehrheit der Juroren voraussetzt.

Wenn Sie jetzt das Gefühl haben: Ui, das scheint ja eine furchtbar staatstragende Angelegenheit zu sein, dann haben Sie nicht unrecht. Eine Woche lang tun alle Beteiligten so, als sei nicht nur das Fernsehen die wichtigste Sache der Welt, sondern als hänge die Welt auch davon ab, wer diesen Preis bekommt. Das nimmt manchmal beunruhigende Ausmaße an: In einem Jahr soll es sogar zu Tränen und Abreisedrohungen über die Frage gekommen sein, welche Sendung nicht nur einen normalen Grimme-Preis, sondern einen „mit Gold“ bekommt. (Inzwischen ist diese Unterscheidung abgeschafft, vermutlich nicht einmal wegen der Tränen damals.)

Dieser Aufwand und dieses Gefühl, etwas wirklich Bedeutendes zu entscheiden, mag manchmal von außen merkwürdig und sogar arrogant wirken. Aber mir gefällt diese Ernsthaftigkeit, insbesondere weil sie dem Medium Fernsehen inzwischen so selten entgegengebracht wird, sowohl von Machern als auch Kritikern. Und der Grimme-Preis scheint einer zu sein, der immer noch dafür geschätzt wird. Am Dienstagabend, beim „Bergfest“, zu dem traditionell alle Nominierten eingeladen werden, war das wieder zu spüren, welcher Respekt dieser Auszeichnung immer noch entgegengebracht wird, welche Bedeutung sie hat, für die Kreativen und in den Sendern. Das liegt, glaube ich, unter anderem daran, dass sie diesen etwas absurden Aufwand betreibt. Und daran, dass sie, anders als der „Deutsche Fernsehpreis“, zu Recht nicht im Verdacht steht, sich von Kriterien leiten zu lassen wie dem Proporz der ausgezeichneten Sender oder den Wünschen des Programms, das die Verleihung überträgt.

Übrigens: Ein feiner nominierter Fernsehfilm ist bis Mittwoch in Berlin im Kino zu sehen: „Der letzte macht das Licht aus“, eine Komödie um arbeitslose deutsche Bauarbeiter, die sich darauf vorbereiten, nach Norwegen zu gehen, wo es Arbeit für sie gibt. Es ist ein zauberhafter, unterhaltsamer, wunderbar beobachteter kleiner Film des Regisseurs und Autors Clemens Schönborn, ein bisschen in der Tradition britischer Arbeiterkomödien, den das ZDF nach Mitternacht versteckt hat, obwohl er im besten Sinne massentauglich ist. Er läuft im Moviemento und im Central am Hackeschen Markt, und ob er einen Grimme-Preis bekommen wird, kann ich nicht sagen. Aber dass sich ein Besuch im Kino lohnt.

Marlzeit (2)

So. Feierabend.

Fast vierzehneinhalb Stunden haben wir heute mit der Jury getagt, Fernsehen geguckt und diskutiert, und die Frage ist natürlich berechtigt, ob der sechste oder siebte Film, den man am Tag sieht, die gleiche Chance hat wie die anderen, einen Grimme-Preis zu gewinnen.

Ehrlich gesagt: Man weiß es nicht, weshalb die Reihenfolge vorher ausgelost wird. Aber es ist ganz bestimmt nicht so, dass ein Film, der nach dem Abendessen kommt, schon verloren hätte. Gerade Komödien zum Beispiel kommen dann besonders gut an, wenn alle von der geballten Ladung Sozialdramen erschöpft sind; aber auch einem herausragenden Drama kann es gelingen, dass plötzlich alle aufhören, mit dem Papier zu rascheln und den Stühlen zu rücken, und nur noch gebannt auf die Fernseher schauen.

Heute war zum Beispiel ein Tag, an dem mich persönlich gerade die letzten beiden Filme besonders begeistert haben. Einer davon hieß „Eine andere Liga“, und war eigentlich nicht dafür prädestiniert, mich vom Stuhl zu reißen: Weder Fußballfilme noch Brustkrebsdramen sind meine Lieblingsgenres, aber diese Tragikomödie von Buket Alakus, die beides ist und so viel mehr, ist so grandios geschrieben, gespielt und inszeniert, mit einer solchen Leichtigkeit und Tiefe, dass sie mich gleichermaßen bewegt und amüsiert hat wie kaum ein Fernsehfilm in der letzten Zeit.

In den Kommentaren brachte jemand den Gedanken auf, ähnlich wie in „Supersize Me“ aus der Jurysitzung einen Selbstversuch zu machen, wie es einen verändert, wenn man so viele Stunden lang Fernsehen guckt. Der Vergleich mit dem Mc-Donald’s-Fress-Experiment ist leider in anderer Hinsicht außerordentlich passend. Ich schätze, dass kaum ein Jurymitglied aus Marl mit weniger als zwei Kilo Zusatzgewicht zurückkehrt. Morgens stehen schon Joghurts und Obst für uns bereit, gegen 11 Uhr kommen leckere belegte Brötchen, nachmittags Berge von Kuchen, abends gibt es ein komplettes Abendessen mit Nachtisch, dann Alkohol in verschiedenen Formen und diverse Snacks. Gut, theoretisch kann man natürlich auch 12, 13, 14 Stunden lang vor dem Fernseher sitzen und Wasser trinken, Weintrauben essen und am Filzstift kauen, aber mir ist das noch nie gelungen. (Wobei es bei mir eine komplizierte Relation gibt, wonach der Kalorienkonsum sich umgekehrt proportional zur Qualität des zu sichtenden Programms verhält und proportional zur Häufigkeit, mit der ich eine Sendung schon gesehen habe.)

Dass ich heute über die Trostlosigkeit von Marl schreiben würde, wie gestern angekündigt, war natürlich nur ein Witz. Das mache ich erst morgen.

Marlzeit (1)

So. Feierabend.

Seit Samstag tagen in Marl die Jurys für den 44. Adolf-Grimme-Fernsehpreis, und eigentlich hatte ich vor, täglich über die Arbeit in der Jury „Fiktion“ zu bloggen, in der ich in diesem Jahr bin (natürlich ohne konkrete Ergebnisse zu verraten). Ich weiß nur kaum, wann ich das schaffen soll. Heute waren wir um 22.50 Uhr fertig, morgen geht’s um 9 Uhr wieder los, und so ähnlich geht das bis Donnerstagmittag, also erwarten Sie bitte nicht zu viel Reflektionstiefe.

Eine der Besonderheiten bei Grimmes ist, dass man sich alle nominierten Sendungen gemeinsam ansieht, und zwar ganz. (Nur bei Serien und Mehrteilern gibt es Sonderregelungen.) Insgesamt 25 Sendungen sind in der Kategorie „Fiktion“ in diesem Jahr nominiert, das allein macht rund 40 Stunden reine Fernsehzeit, dazu kommen noch Diskussionen und Abstimmungen. (Bevor jemand fragt: Geld gibt es dafür ungefähr nicht.)

Zwei der 25 Nominierungen in der Kategorie „Fiktion“ haben wir uns selbst eingebrockt, das liegt an einer weiteren Besonderheit Grimmes: Über die Nominierungen entscheiden zwar eigentlich spezielle Kommissionen, die mehrmals im Jahr tagen. Wir als Jury haben aber die Möglichkeit, bis zu drei Produktionen nachzunominieren. Das ist nicht so abwegig, wie es wirkt, schließlich sollen wir ja entscheiden, was die Sendungen des abgelaufenen Fernsehjahres waren, „welche die spezifischen Möglichkeiten des Mediums Fernsehen auf hervorragende Weise nutzen und nach Form und Inhalt Vorbild für die Fernsehpraxis sein können“, und deshalb die Möglichkeit haben, Sendungen, die unserer Ansicht nach unbedingt dazu gehören, ins Rennen zu schicken, auch wenn die Nominierungskommissionen sie übersehen hatten oder schlicht anderer Meinung waren.

Deshalb begann der erste Tag (nach Begrüßungen und diversen Formalien) damit, über die Nachnominierungen zu entscheiden. Fünf Kandidaten gab es, von denen jeweils mindestens zehn Minuten angesehen werden mussten, dann gab es Probleme mit dem Ton, Probleme mit dem Beta-Abspielgerät, Plädoyers Pro und Contra, Diskussionen und mehrere Abstimmungen, und danach machte sich bei mir schon eine gewisse, viel zu frühe Müdigkeit breit.

Verraten darf ich hoffentlich, dass es zwei Kandidaten bei uns als Nachrücker geschafft haben; welche das waren, wird das Grimme-Institut vermutlich in den nächsten Tagen der Weltöffentlichkeit mitteilen.

Drei Filme gab es dann heute noch zu „sichten“, wie das hier heißt, und im Vergleich zur Jury „Information“, die mehrere Tage die geballte Ladung Dokumentationen und Reportagen über Kriege, Krankheiten und Katastrophen sehen darf, mischt sich bei uns immerhin das Genre des sozial relevanten Krimis (ein Genre, in dem Deutschland Weltspitze ist, und ich meine das nicht ironisch) mit der ein oder andere Komödie und Beziehungsgeschichte. Heute saßen wir mit 13 Juroren im abgedunkelten Raum vor vier Fernsehern, um uns „Duell in der Nacht“ mir Iris Berben, „Rose“ mit Corinna Harfouch und die (noch geheime) erste Nachnominierung anzusehen. Morgen stehen nicht weniger als sieben 90-Minüter auf dem Programm, davon zwei nach dem Abendessen.

Ich darf hier natürlich noch nicht vorwegnehmen, wie die Diskussionen gelaufen sind, aber ich fand „Rose“ ganz außerordentlich zauberhaft. Das ist auch das Schöne für mich, in dieser Jury zu sein: Mein Fernsehalltag, sowohl privat als auch als Kritiker, besteht eher aus dem, was man so Trash nennt oder Alltagsfernsehen. Viele Serien, Shows, Unterhaltung. In Marl sehe ich einmal im Jahr die geballte Ladung gutes Fernsehen, große Filme, wunderbare Schauspieler, Geschichten mit Qualität. (Und danach ist auch erstmal für ein Jahr wieder gut — nein, Quatsch.)

Ein bisschen gefehlt hat mir in diesem Jahr die Begrüßung durch die Marler Bürgermeisterin, die irgendwie verhindert war. Das Grimme-Institut ist total wichtig für diesen Ort, und ein bisschen tragisch ist, dass die klassische Grimme-Preis-Reportage und der typische Bericht aus der Jury-Sitzung selten darauf verzichtet, ausführlich zu beschreiben, was für eine trostlose Stadt das ist. Einmal hat ein Stadtoberhaupt bei der Begrüßung die Journalisten sogar gebeten, ob man auf diesen Teil nicht mal verzichten könnte, schon wegen der mangelnden Originalität. Tja.

Lesen Sie morgen im zweiten Teil: So trostlos ist Marl.