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Wider den Fluch der Durchhörbarkeit

Anders als ihre Kollegen vom Fernsehen bekommen Radiomacher (zum Glück) keine Kurve, die ihnen exakt zeigt, an welcher Stelle im Programm das Publikum am Tag zuvor zu- oder weggeschaltet hat. Aber es wäre interessant zu wissen, was heute Mittag um 12.13 Uhr mit den Hörerzahlen von You FM, der Jugendwelle des Hessischen Rundfunks, passiert ist. Im flauschigen Tagesprogramm zwischen Green Day und T.I. feat. Justin Timberlake verstieß der Sender nämlich gegen das erste Gebot modernen Radiomachens: die Durchhörbarkeit.

Es lief die erste Folge von „All Inclusive“, einer 30-teiligen Mystery-Serie. Es geht um vier Freunde, die ihren Urlaub in der Dominikanischen Republik verbringen. Das Grauen beginnt, als plötzlich eine von ihnen unter verstörenden Umständen stirbt.

Das Hörspiel steht offenbar in der Tradition des Films „Blair Witch Project“ und erzählt seine Geschichte teils nicht-linear in vielen kurzen Audiofetzen — und mit Cliffhanger am Ende jeder Folge. Es ist ein Experiment, ob man ein Hörspiel im Erzählstil von „Lost“ ins Tagesprogramm eines populären Radiosenders bringen kann.

Es sind zweieinhalb Minuten Irritation in einem Umfeld, das sonst peinlich genau darauf achtet, nicht zu irritieren. Mit etwas Pech ist es auch das, was die Radioleute einen „Abschaltimpuls“ nennen — das Elend vieler moderner Hörfunkwellen lässt sich nicht zuletzt dadurch erklären, dass sie seit vielen Jahren daraufhin optimiert werden, solche Abschaltimpulse zu vermeiden, anstatt sich darüber Gedanken zu machen, was ein Einschaltimpuls sein kann.

„All Inclusive“ wird sicher einen Teil der Hörer zum reflexartigen Umschalten bringen. Ein Erfolg wäre es dann, wenn für einen anderen Teil der Hörer ein Grund zum Einschalten oder zum Abonnieren des Podcasts ist und dazu beiträgt, den Sender unverwechselbar zu machen. Wenn es, kurz gesagt: Fans produziert.

Ich kann schlecht beurteilen, wie die Zielgruppe auf eine solche Störung reagiert und ob sie bereit ist, sich auf ein sechs Wochen laufendes, 30-teiliges Hörspiel-Abenteuer von jeweils zweieinhalb Minute einzulassen. Aber so etwas auszuprobieren, steht öffentlich-rechtlichen Sendern gut an — und die Produktion der Berliner Firma „Raumstation“ kann sich, nach den ersten beiden Folgen zu urteilen, hören lassen.

Folge 1: [audio:http://www.stefan-niggemeier.de/blog/wp-content/allinclusive3.mp3]

Folge 2: [audio:http://www.stefan-niggemeier.de/blog/wp-content/allinclusive4.mp3]

„All Inclusive“ läuft werktags um kurz nach 12 und kurz nach 18 Uhr auf You FM und um 18.15 Uhr auf Das Ding. Fritz wird die Serie vom Herbst an ausstrahlen.