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Anneliese Rothenberger

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Ich wußte gar nicht, dass Anneliese Rothenberger noch lebt. Aber in dieser Woche saß sie bei Reinhold Beckmann, und quicklebendig ist gar kein Ausdruck. Beckmanns Redaktion hat anscheinend lange, lange gebraucht, sie zu überreden. Und als er sie nun fragte: „Warum haben sie sich so rar gemacht?“ antwortete sie: „Ganz einfach. Weil ich ja nicht mehr aktiv bin im Beruf.“

Was für ein Unsinn. Und was für eine wunderbare Haltung.

Gelohnt hat sich ihr Besuch schon für die Erkenntnis, daß es anscheinend ein Substantiv zu „flapsig“ gibt: „Unmöglicher Flaps“ sei das gewesen, erzählte die Rothenberger, die freche Art, mit der ihr späterer Mann sie zuerst angemacht habe. Und das Risiko, die Lulu zu spielen, beschrieb sie mit den Worten: „Das hätte auch schwer in den Eimer gehen können.“

Fein und vornehm wirkte sie noch immer, aber zugleich hatte sie eine vergnügte Lockerheit, die unvorstellbar schien, wenn man sich an ihre parfümierten, föngefestigten, festgetackerten Auftritte in ihrer Fernsehshow „Anneliese Rothenberger gibt sich die Ehre“ erinnerte. Weil mit Beckmann offenbar abgesprochen war, daß sie auch von ihrer Krankheit erzählen soll, wegen der sie sich aus der Öffentlichkeit zurückzog, kam es gleich am Anfang zu dem schönen Dialog: „Die Stimme ist noch da?“ – „Ja! Von einer Darmoperation verliert man ja nicht die Stimme.“ Entspannt, zurückhaltend aber unverhohlen stolz erzählte sie von ihrem Auftritt an der Metropolitan Opera: „Es war ein ganz großer Erfolg. Das darf ich sagen.“ Die „New York Times“ hätte ja ein Bild auf der Titelzeile gehabt und den Satz: „She was great“, und Frau Rothenberger strahlte, als sei das gestern gewesen. Einen Besuch bei Ruth und Willy Brandt faßte sie so zusammen: „Sie war entzückend. Er war muffelig. Wahrscheinlich hat er gewußt, daß ich seine Partei nicht wähle.“ Und Yoga? Yoga mache sie nicht mehr. „Yoga soll man morgens um sieben machen, und da schlaf ich noch, das ist gesünder.“

Nicht mal der schreckliche Beckmann, der ihren Satz „Die Kindheit wollen wir bitte vergessen, das war nicht schön“ als Aufforderung nahm, mehr über die Gefühle in ihrer Kindheit zu reden, konnte den wunderbaren Glanz dieser Frau überschatten. Sandra Maischberger und er scheinen ohnehin entdeckt zu haben, wie angenehm es ist, alte Menschen in die Talkshow einladen, Menschen, die etwas zu erzählen haben, die konkret werden anstatt vage zu bleiben und gelassen sind, aber nicht gleichgültig. Man kann das natürlich als Eingeständnis sehen, daß junge Leute ohnehin nicht zugucken. Und sie tun das tatsächlich nur in verschwindender Zahl. Aber das ist ihr Verlust.