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Ein lebenslanger Makel: Warum Springer Kachelmann 635.000 Euro zahlen soll

Bei „Bild“ verstehen sie nicht, wie sie vom Landgericht Köln dazu verurteilt werden konnten, Jörg Kachelmann mehrere Hunderttausend Euro Geldentschädigung zu zahlen. „Gibt nun mal Urteile, die man nicht versteht“, twitterte die stellvertretende Chefredakteurin Tanit Koch. Und: „Ganz im Ernst: Wenn ich das erklären könnte, müßten wir ja nicht in Berufung.“ Lustig.

Vielleicht hat sie nur die Pressemitteilung ihres Verlages gelesen, nach deren Lektüre man tatsächlich nicht verstehen kann, warum das Gericht Kachelmann eine Rekordsumme zugesprochen hat. Vielleicht hätten ihr ein paar Stellen aus der Urteilsbegründung beim Verstehen geholfen. Diese zum Beispiel:

[…] Der Kläger [Kachelmann] wurde durch die Berichterstattung der Beklagten [„Bild“] als gewaltaffiner und frauenverachtender Serientäter charakterisiert, der aus eigensüchtigen Motiven nicht nur mehrere Partnerinnen gleichzeitig gehabt, sondern diese auch systematisch zur Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse belogen haben soll. Dass eine den Kläger derart abqualifizierende Berichterstattung nicht nur eine erhebliche Prangerwirkung entfaltet und zu einer sozialen Isolation führt, sondern den Kläger zudem mit einem Makel belegt, den er trotz des Freispruchs sein Leben lang mit sich führen wird, bedarf sicherlich keiner weiteren Erörterung.

Tatsächlich stellte das Gericht fest, dass es keine konkreten Anhaltspunkte fand, dass „Bild“ „hinsichtlich der rechtswidrigen Persönlichkeitsrechtsverletzungen vorsätzlich und mit Schädigungsabsicht gehandelt hätte“. Ihr könne „nur der Vorwurf gemacht werden, auf einem außerordentlich schwierigen Gebiet der Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen die rechtliche Grenzziehung fahrlässig verfehlt zu haben“. Diese Zitate finden sich in der Pressemitteilung von Springer.

Allerdings belegt das Gericht äußerst detailliert, wie „Bild“ diese Grenze wieder und wieder und wieder und wieder verfehlte. Es spricht von einer „wiederholten und hartnäckigen Verletzung der Privatsphäre des Klägers“. Insgesamt 18 Mal sei Kachelmann von der „Bild“-Berichterstattung „schwerwiegend in seiner Privat- bzw. Intimsphäre verletzt“ worden. Dadurch, dass „Bild“ Kachelmanns private Kommunikation veröffentlichte, ohne dass es einen Zusammenhang zu dem Verfahren gegen ihn gab. Dadurch, dass „Bild“ „detailreich über seine vermeintlichen sexuellen Beziehungen mit diversen Frauen“ berichtete. Dadurch, dass „Bild“ „mehrfach und entgegen der Unschuldsvermutung über vermeintliche weitere sexuelle Übergriffe“ berichtete, „obschon lediglich die Aussage des vermeintlichen Opfers als vermeintliche Beweistatsache vorlag“. Und dadurch, dass „Bild“ „unter hartnäckiger Verletzung der Privatsphäre des Klägers mehrfach Fotos [veröffentlichte], die ihn als Häftling in der JVA und im Hof der Kanzlei seiner Verteidigerin zeigten, ohne dass er die Möglichkeit gehabt hätte, dieser – mitunter heimlichen – Nachstellung zu entkommen“.

Es geht, wie man an dieser Aufzählung erahnt, in diesem Prozess nur am Rande um knifflige Grenzfälle bei der Berichterstattung über ein Strafverfahren, bei dem ein Prominenter einer Vergewaltigung angeklagt wird. Um Fragen wie die, ob das, was vor Gericht verhandelt wird, in jedem Fall auch öffentlich berichtet werden darf.

Ausschlaggebend für die hohe Geldentschädigung waren viele Fälle klarer, schwerer Persönlichkeitsrechtsverletzungen. Die „Bild“-Leute nahmen – wie andere Medien und insbesondere die des Burda-Verlages auch – den strafrechtlichen Vorwurf als Vorwand, alle möglichen, dafür irrelevanten Details und Behauptungen über das Privat- und Intimleben von Kachelmann öffentlich zu machen. Dass schon die Berichterstattung über Kachelmanns Festnahme, die Anschuldigungen und den Prozess sein Image nachhaltig schädigten, ist sicher richtig. Aber hier geht es um Berichte, die sich in keiner Weise mit einem irgendwie gearteten Informationsinteresse der Öffentlichkeit rechtfertigen lassen – und schon gar nicht mit der Unschuldsvermutung vertragen.

Bleiben wir noch einmal kurz bei den Fotos, die „Bild“ heimlich von Kachelmann beim Hofgang im Gefängnis aufnahm und veröffentlichte. Und staunen, wie die Rechtsabteilung von „Bild“ sie laut Gericht rechtfertigt:

Hinsichtlich der Fotos des Klägers in der JVA sei sich der Kläger der Beobachtung durch Fotografen bewusst gewesen und habe es billigend in Kauf genommen, dass er während des Hofgangs fotografiert worden sei. Ferner zeigten die Fotos den Kläger im Innenhof der JVA, der vom öffentlichen Straßenraum aus einsehbar sei. Zudem habe die Beklagte in Ausübung ihrer „Wachhundfunktion“ aus Anlass einer jeweils neuen Entwicklung im Ermittlungs- und Strafverfahren gegen den Kläger aufgrund eines aktuellen Berichterstattungsinteresses berichtet, so dass die Darstellung der Fotos im Zusammenhang mit dem Strafprozess gegen den Kläger, insbesondere der Untersuchungshaft in der JVA, seinem Umgang mit der wiedergewonnenen Freiheit nach Aufhebung des Haftbefehls und der Gewährung eines Prozessurlaubs in Kanada, stünde.

Das Gericht sieht darin hingegen einen Eingriff „in den Kernbereich der Privatsphäre“:

Denn der Kläger befand sich in einer Situation, in der er nicht erwarten musste, von der Presse behelligt zu werden, wobei dies vorliegend umso mehr gilt, als sich der Kläger in der betroffenen Situation nicht in einem öffentlich zugänglichen Verkehrsraum bewegte. Ein besonderes Gewicht kommt auch der Tatsache zu, dass die Beklagte die Bilder heimlich, d.h. ohne Kenntnis des Klägers und unter Ausnutzung von technischen Mitteln aufnahm.“

Die „Bild“-Zeitung habe die Fotos allein zur Befriedigung der Neugier der Öffentlichkeit veröffentlicht, obwohl sie hätte erkennen können, dass sie dadurch

den Kläger gegenüber der Öffentlichkeit als Häftling in einer Situation vorführte, in der er der Verfolgung durch die Fotografen – selbst wenn er sie wahrgenommen hätte – nur unter Aufgabe des täglichen Hofgangs hätte entkommen können, ihr mithin ausgeliefert war.

„Bild“ veröffentlichte auch rechtswidrig Textnachrichten, die Kachelmann der zeitweise bekannten Popsängerin Indira Weis schrieb (Überschrift: „Er schickte ihr 50 heiße Flirt-SMS“). Das Gericht nennt die Weitergabe und wörtliche Veröffentlichung mit allen Einzelheiten des Ausdrucks mehr als eine „bloße Indiskretion“, nämlich „eine komplexe Preisgabe der Person des Klägers an die Öffentlichkeit.“ Der „Bild“-Zeitung sei insofern

eine rücksichtslose Verfügung über die Person des Klägers vorzuwerfen. Denn der Beklagten war schon aufgrund der Umstände – der Kläger befand sich in Untersuchungshaft, das Ermittlungsverfahren dauerte an – bewusst, dass dieser keine Einwilligung zur wörtlichen Veröffentlichung der betreffenden SMS-Nachrichten erteilen würde.

„Bild“ verbreitete mehrmals Vorwürfe von anderen angeblichen Affären Kachelmanns, wonach er zum Beispiel ihnen gegenüber gewalttätig geworden sei – auch dann, wenn jeder Beweis für die Richtigkeit dieser ihn stigmatisierenden Behauptungen fehlte:

Basiert […] der Vorwurf einzig auf einer Anzeige/Aussage einer Person, gehört es zu der journalistischen Pflicht eines Presseorgans auch, die Glaubhaftigkeit derselben zu hinterfragen. Dies ist hier offenkundig nicht geschehen, obschon der Beklagten diese Pflicht hätte bekannt sein müssen. […]

Im Ergebnis bleibt der den Kläger stigmatisierende Verdacht, eine weitere Frau misshandelt zu haben, stehen, ohne dass seitens der Beklagten ausgewogen berichtet worden wäre.

„Bild“ veröffentlichte Auszüge aus privaten Emails, die „keinen über die allgemeine charakterliche Abqualifizierung des Klägers hinausgehenden Bezug zu der ihm vorgeworfenen konkreten Tat, seinen vermeintlichen Motiven, anderen angeblichen Tatvoraussetzungen oder der Bewertung seiner Schuld“ herstellten. Das Gericht schreibt:

Vor diesem Hintergrund läuft der Kläger aber Gefahr, ungeachtet der rehabilitierenden Wirkung eines Freispruches von dem Vorwurf der schweren Vergewaltigung und gefährlichen Körperverletzung in den Augen einer breiten Öffentlichkeit weiterhin mit dem Makel eines charakterlich defizitären, lügnerischen und perfiden Verhaltens gegenüber Frauen gebrandmarkt zu sein, ohne dass ein über die Befriedigung der bloßen Neugier hinausreichendes Informationsinteresse erkennbar wäre.

Das Gericht räumt ein, dass das Berichterstattungsinteresse über das Strafverfahren aufgrund der Prominenz Kachelmanns und der Schwere des Vorwurfs immens gewesen sei.

Gleichwohl rechtfertigt dieses außergewöhnlich große Informationsinteresse der Öffentlichkeit […] nicht jedwede Berichterstattung, da gerade bei der Berichterstattung über das Bestehen eines Verdachts der Begehung einer Straftat durch die Medien besondere Gefahren für den jeweils Betroffenen bestehen. Denn Verdächtigungen, Gerüchte und insbesondere Berichterstattungen durch die Medien werden oft für wahr genommen, ihre später erwiesene Haltlosigkeit beseitigt den einmal entstandenen Mangel kaum und Korrekturen finden selten die gleiche Aufmerksamkeit wie die Bezichtigung, insbesondere wenn es später zu einem Freispruch unter dem Gesichtspunkt in dubio pro reo kommt. Deswegen gebietet die bis zur rechtskräftigen Verurteilung zu Gunsten des Angeklagten sprechende Unschuldsvermutung eine entsprechende Pflicht der Medien, die Stichhaltigkeit der ihr zugeleiteten Informationen unter Berücksichtigung der den Verdächtigen bei identifizierender Berichterstattung drohenden Nachteile gewissenhaft nachzugehen, und eine entsprechende Zurückhaltung, gegebenenfalls einhergehend mit einer Beschränkung auf eine ausgewogene Berichterstattung.

Die Entschädigung, die Kachelmann zugesprochen wurde, soll zum einen den ihm entstandenen (immateriellen) Schaden wieder gutmachen, andererseits aber auch abschrecken – das Gericht spricht von „Kompensationszweck“ und „Präventionsgedanken“: Durch die Höhe der Geldentschädigung solle „Bild“ „verdeutlicht werden, in Zukunft bei der Berichterstattung über vergleichbare Geschehnisse eine größere Sorgfalt und Zurückhaltung an den Tag zu legen“.

Der entstandene Schaden für Kachelmann sei aber auch immens und anhaltend:

Zum anderen ist zu beachten, dass der Kläger zumindest auch durch die seine Intim- und Privatsphäre verletzende sowie in weiten Teilen reißerische Berichterstattung der Beklagten nicht nur während des Zeitraums derselben, sondern auch in Zukunft als frauenverachtender und gewaltbereiter Wiederholungstäter stigmatisiert wurde bzw. bleiben wird, wodurch sowohl sein berufliches Wirken als auch sein Privatleben massiv beeinträchtigt wurden bzw. bleiben werden.

Die „Bild“-Zeitung hingegen meinte laut Gericht, dass „sämtliche zum Beleg einer angeblich systematischen Verletzung seiner Privatsphäre genannten Berichterstattungen harmlos seien“. Auch hätte sie ihn nicht diffamiert, „da jeweils die Auseinandersetzung in der Sache im Vordergrund gestanden habe“. Und weiter:

Jedenfalls habe der Kläger sich durch den persönlichen Rundumschlag gegen Justiz, die Presse, das vermeintliche Opfer und die Frauenwelt in seinem Buch selbst hinreichend Genugtuung verschafft und Details zu seinem Intim- und Sexualleben preisgegeben. Es gebe deshalb keinerlei Grund, ihm zusätzlich nun auch noch eine Geldentschädigung in Millionenhöhe zuzusprechen.

In Millionenhöhe nicht, entschied das Kölner Landgericht. Aber in Höhe von 635.000 Euro.

Ehemaliger „Bild“-Mann beklagt, dass die Rechten nicht besser gegen Flüchtlinge vorgehen

Was macht eigentlich der frühere „Bild“-Mann Nicolaus Fest?

Auch der ist wütend auf die Rechtsradikalen in Heidenau. Weil die durch ihr Vorgehen die „richtige Sache“ beschädigten:

Wie immer die gleichen unerfreulichen, dämlichen Protagonisten, und immer wieder der Rückgriff auf Hitlergruß, SS-Zeichen und Nazi-Gesänge. Nichts beschädigt die richtige Sache nachhaltiger als das Engagement des braunen Gesindels.

Fest führt nicht konkret aus, was genau die „richtige Sache“ in diesem Zusammenhang ist: Die erfolgreiche Abschreckung und Vertreibung aller Flüchtlinge? Die klare Ansage an die Politik, dass das deutsche Volk nicht gewillt ist, weitere Menschen aus dem Ausland aufzunehmen? Das Stoppen der Zuwanderung?

Aber seine Satzfolge muss man wohl so verstehen, dass Fest die Ziele der rechtsradikalen Gröler und Randalierer teilt. Nur ihre Methoden lehnt er ab. Nicht zuletzt, weil sie kontraproduktiv seien.

Die Nazis, so verstehe ich ihn, sollten andere für die richtige Sache kämpfen lassen. Menschen, die weniger hässlich sind, weniger ordinär und weniger dumm. Menschen wie Nicolaus Fest.

Fest ist der Sohn des Historikers und früheren FAZ-Herausgebers Joachim Fest. Er war mehrere Jahre in leitenden Positionen bei „Bild“ und „Bild am Sonntag“ und einer der engsten persönlichen Berater des Chefredakteurs Kai Diekmann. Vor gut einem Jahr sprach er in der „Bild am Sonntag“ in einem Kommentar Moslems grundsätzlich ab, sich in die deutsche Gesellschaft integrieren zu können. Davon distanzierte sich Diekmann und, mit etwas Verzögerung, „Bild am Sonntag“-Chefredakteurin Marion Horn. Wenige Monate später verließ Fest den Springer-Verlag, „freiwillig“.

Vermutlich muss man es sich so vorstellen, dass Fest sich in der „Bild“-Zeitung immer zurückhalten musste. Dass sie einfach, so unwahrscheinlich das klingt, zu seriös, zu verdruckst, zu „politisch korrekt“ für ihn war. Nun schreibt er seine Texte mutmaßlich ungebremst in sein Blog. Man kann sie aber immer wieder auch im islamfeindlichen Hass- und Hetzblog „Politically Incorrect“ lesen.

Fest ist enttäuscht von den Protesten und Ausschreitungen in Heidenau. Er beklagt konkret ihre „Einfallslosigkeit“: „Ein paar Kleinstdemonstrationen vor Flüchtlingsheimen, mal mehr gewalttätig, mal weniger“, das sei kontraproduktiv und „medial unsinnig“ – das könnte man doch wirklich besser machen. Er hat konkrete Vorschläge:

Schon zehn Lastwagenfahrer, die sich per Schritttempo an verschiedenen Zugangsstraßen zu einer Spontandemo zusammenschließen, könnten jede Landeshauptstadt, das Kamener Kreuz oder den Berliner Ring stilllegen. Auch der Zugang zu den Regierungsmaschinen in Tegel oder Schönefeld wäre leicht zu blockieren, wie auch der Frankfurter Flughafen. Zudem böten Lastwagen oder die Anhänger von Traktoren genügend Fläche, um den Protest zu plakatieren. Schließlich läge in solchen Aktionen auch ein passendes Gleichnis: Die Zuwanderung als wirtschaftliche und zivilisatorische Rückführung Deutschlands in die Schrittgeschwindigkeit, welche die GRÜNEN seit Jahren propagieren… Die mediale Aufmerksamkeit wäre in jedem Fall um ein Vielfaches höher als bei den trostlosen Kundgebungen vor einem der afrikanischen Brückenköpfe irgendwo in der Provinz.

Flüchtlingsunterkünfte wie in Heidenau – Fest nennt sie „afrikanische Brückenköpfe“.

Die Frage, wie er „das Problem des Flüchtlingsstroms lösen“ würde, beantwortete Nicolaus Fest schon vor ein paar Monaten so:

Arabisch, eben wie Saudi-Arabien, Katar oder die Vereinigten Arabischen Emirate es tun, oder auch fast alle Länder außerhalb Europas: Abschotten, Grenzen dichtmachen, allenfalls einzelne Personen aufnehmen.

Mit der „Einwanderung von Menschen aus afrikanischen oder muslimischen Kulturkreisen“ finde nämlich auch ein „irreparabler Kulturbruch“ statt:

Welches Kind von Einwanderern kennt die alten deutschen Lieder, die Heiligen in der Kirche, die Märchen von Grimm, Andersen, Hauff? In 50 Jahren wird Eichendorf so vergessen sein wie Jean Paul, wie Dürer oder Heckel, Schubert oder Brahms.

In 50 Jahren? Ein „f“ von Eichendorff ist sogar jetzt schon vergessen!

(Und nehmen wir zugunsten von Fest einmal an, dass er mit den „alten deutschen Liedern“ nur sowas wie „Im Frühtau zu Berge“ oder „Der Mond ist aufgegangen“ meint.)

Womöglich jedenfalls ist Fest an dieser Stelle aufgefallen, dass die Antwort auf seine rhetorische Frage kaum anders ausfiele, wenn er sie nicht auf Kinder von Einwanderern, sondern von Einheimischen bezogen hätte. Das ließ ihn aber nicht innehalten, sondern erst recht ausholen, und so fuhr er fort:

Doch warum sie auch erinnern, wenn schon den Deutschen ihr Eigenes so gleichgültig ist?

Im Grunde erleben wir auch hier seit Jahren täglich die Kultursprengungen von Palmyra. Nur heißen sie hier Rechtschreibreform, Einheitsschule, Bologna oder frühkindliche Sexualerziehung. Und die Täter sitzen in der Schulbürokratie und bei der GEW.

Er hat die Umstellung auf fünfstellige Postleitzahlen vergessen.

Aber, immerhin, das muss ihm erstmal einer nachmachen: Islamisierung, Rechtschreibreform und frühkindliche Sexualerziehung in einer gemeinsamen Mini-Kultur-Apokalypsen-Prophezeihung unterzubringen. Und sie, damit die Sache richtig Schwung kriegt, mit der mutwilligen Zerstörung antiker Kulturgüter wie in Palmyra durch den „Islamischen Staat“ gleichzusetzen.

Das eigentlich Apokalyptische an der Gegenwart ist für Fest, dass keine rechte Weltuntergangsstimmung aufkommen mag. „Insgesamt erstaunlich“, sei es,
„wie gelassen die Mehrheit der Deutschen in der so genannten ‚Flüchtlingsfrage‘ den zehntausendfachen Rechtsbruch, die Okkupation von Schulhallen und Städten wie auch die offene Ausplünderung hinnimmt.“ Seine Sprache lässt erahnen, wie sehr ihn die angebliche Gelassenheit stört: Die Wörter, die er wählt, lesen sich gezielte Öltropfen, die er versuchsweise in Glutnester träufelt. Okkupation, Ausplünderung, zehntausendfacher Rechtsbruch. „Klartext“ hätte er das früher bei „Bild“ genannt.

Der langjährige „Bild“-Mann Nicolaus Fest hat eigene Vorschläge entwickelt, wie die deutsche Politik mit der „‚Flüchtlings‘-Frage“, wie er sie mit spitzen Fingern nennt, umgehen müsste. Genüsslich formuliert er aus, dass bei seiner Strategie, Asylsuchende abzulehnen, „wenn zu vermuten ist, dass sie keine Affinität zu demokratisch-westlichen Werten haben“, automatisch „alle Muslime außen vor“ wären (außer die Aleviten).

Es ärgert ihn, dass Muslime wie Franck Ribéry einfach in aller Öffentlichkeit vor einem Fußballspiel beten und damit „offen einen Glauben zelebrieren, der bekanntermaßen Glaubensfreiheit wie die Gleichberechtigung der Geschlechter verneint, Demokratie ablehnt und Homosexuelle wie Apostaten mit dem Tod verfolgt“.

Das bringt Fest auf den Gedanken, was denn los wäre, wenn ein Fußballer „vor jedem Spiel den Hitlergruß“ machte, „wenn auch in veränderter, vom Strafgesetzbuch nicht erfasster Weise“ und auf Nachfrage antworten würde, er verachte die Grausamkeiten des Nationalsozialismus, glaube aber an seine Reformierbarkeit.

Daran muss er denken, wenn er Franck Ribéry auf dem Fußballplatz beten sieht, und er fragt sich, warum offenbar „niemand“ (außer ihm) darin ein Problem sieht und der DFB und die Vereine nichts dagegen tun.

Es geht ihm erkennbar darum, aus der schwierigen Auseinandersetzung mit dem Islam eine einfache, ganz persönliche mit jedem einzelnen Moslem zu machen. Es geht ihm darum, diese Menschen, wenn man sie schon nicht mehr aus dem Land kriegt, auszugrenzen.

Er gefällt sich in der Rolle desjenigen, der den vermeintlichen Konsens sprengt; der Dinge sagt, die andere erschrocken einatmen lassen. Lustvoll lässt er seiner Menschenfeindlichkeit freien Lauf und schreibt:

„Wenn die Flüchtlinge schon hier sind, muss man sie auch gut behandeln.“ Einer der unhinterfragbaren Glaubenssätze der herrschenden Trivialcaritas. Wer es dennoch tut, kann jede Party sprengen. Tatsache ist: Fast 100 Prozent der hiesigen Asylbewerber und Wirtschaftsflüchtlinge melden sich unter klarem Verstoß gegen Dublin III. Richtig müsste es daher heißen: „Wenn die Einbrecher schon im Haus sind, sollte man ihnen auch Geld, Schmuck und ein Bett anbieten.“

Er formuliert diese Sätze, nur zur Erinnerung, in einem Klima, in dem es fast jeden Tag Übergriffe auf vorhandene oder geplante Flüchtlingsunterkünfte gibt. Er schreibt, als wolle er mal ein bisschen Zunder in die Bude bringen, dabei brennt die lichterloh.

Es ist ja richtig, dass wir die Statements der schlimmsten und dümmsten Hetzer auf Facebook sammeln und uns an ihren Rechtschreibfehlern ergötzen, aber was machen wir mit jemandem wie Nicolaus Fest? Wie setzen wir uns mit diesen Leuten auseinander? Reicht es, angestrengt angeekelt wegzuschauen?

Gut, immerhin hat er die Bühne der „Bild“-Zeitung nicht mehr, seit er im Oktober vergangenen Jahres den Springer-Verlag „auf eigenen Wunsch“ verließ. „BamS“-Chefin Marion Horn dankte ihm damals „für seine hervorragende journalistische Arbeit“. Der Verlag betonte, Fest bleibe „dem Haus verbunden“.

· · ·

In Dürrenmatts Max Frischs „Biedermann und die Brandstifter“ gibt es die Figur eines Akademikers, eines Dr. Phil, der mit den Brandstiftern gemeinsame Sache macht, und am Ende, als der Himmel schon brennt, eine Erklärung abgibt:

DR. PHIL: Ich kann nicht länger schweigen.

Er nimmt ein Schriftstück aus der Brusttasche und verliest.

„Der Unterzeichnete, selber zutiefst erschüttert von den Ereignissen, die zur Zeit im Gang sind und die auch von unsrem Standpunkt aus, wie mir scheint, nur als verbrecherisch bezeichnet werden könne, gibt die folgende Erklärung zuhanden der Öffentlichkeit:—“

Viele Sirenen heulen, er verliest einen ausführlichen Text, wovon man aber kein Wort versteht, man hört Hundegebell, Sturmglocken, Schreie, Sirenen in der Ferne, das Prasseln von Feuer in der Nähe; dann tritt er zu Biedermann und überreicht ihm das Schriftstück.

Ich distanziere mich—

BIEDERMANN: Und?

DR. PHIL: Ich habe gesagt, was ich zu sagen habe.

Er nimmt seine Brille ab und klappt sie zusammen.

Sehen Sie, Herr Biedermann, ich war ein Weltverbesserer, ein ernster und ehrlicher, ich habe alles gewußt, was sie auf dem Dachboden machten, alles, nur das eine nicht: Die machen es aus purer Lust!

Aber „Biedermann und die Brandstifter“, das kennt ja heute wegen der ganzen täglichen Kultursprengungen auch keiner mehr.

Google bekommt Vorzugsbehandlung von Axel Springer

Der Axel-Springer-Konzern diskriminiert kleinere Suchmaschinen und Aggregatoren. Das Unternehmen hat heute verkündet, Google die Erlaubnis gegeben zu haben, Ausschnitte aus den Inhalten sämtlicher Internetangebote des Unternehmens kostenlos in den Suchergebnissen anzuzeigen. Diese sogenannte „Gratis-Lizenz“ betrifft aber, wie mir der Verlag auf Anfrage mitteilte, ausschließlich Google. Andere, kleinere Anbieter müssen nach wie vor eine in der Regel kostenpflichtige Lizenz erwerben, wenn sie kurze „Snippets“ mit Textausschnitten anzeigen wollen, oder riskieren eine juristische Auseinandersetzung mit Springer oder der von Springer dominierten Verwertungsgesellschaft VG Media.

Anderen Anbietern erteile Springer keine kostenlose Lizenz, weil sie „keine marktbeherrschende Stellung haben“, erklärte eine Verlagssprecherin. „Aufgrund des geringen Marktanteils anderer sind wir nicht gezwungen, auch dort so vorzugehen.“

Ursprünglich hatten eine Reihe von Verlagen der Leistungsschutzrecht-Allianz für die Anzeige der „Snippets“ von Google Geld gefordert. Google reagierte darauf mit der Ankündigung, in den Ergebnislisten von solchen Angeboten nur noch die Überschrift zu zeigen, was auch nach dem neuen Presse-Leistungsschutzrecht unzweifelhaft kostenlos zulässig ist. Die meisten Verlage ruderten daraufhin zurück und erklärten, vorerst auf ihren vermeintlichen Anspruch auf Bezahlung zu verzichten.

Nur Springer gab für einen Teil seiner Online-Angebote zunächst keine solche Verzichtserklärung ab. In der Folge brach die Zahl der Zugriffe auf diese Seiten nach Angaben von Springer über die Google-Suche um 40 Prozent ein. Auf Dauer hätte das jährliche Umsatzeinbußen in Millionhöhe pro Marke bedeutet.

Nun darf Google diese kostenlose Leistung, die für die Springer-Angebote extrem wertvoll ist, wieder erbringen. Springer verzichtet also darauf, Geld von einem Unternehmen dafür zu verlangen, dass es ihm einen wesentlichen Teil seines Umsatzes beschert.

Der Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner kommentierte das in einer Telefonkonferenz, die aus seinem Paralleluniversum übertragen wurde, mit den Worten:

„Das ist vielleicht der erfolgreichste Misserfolg, den wir je hatten. So traurig es ist, aber wir wissen jetzt sehr präzise, wie massiv die Folgen der Diskriminierung sind, wie sich die Marktmacht von Google tatsächlich auswirkt und wie Google jeden bestraft, der ein Recht wahrnimmt, das der Deutsche Bundestag ihm eingeräumt hat.

Der Deutsche Bundestag hat den Verlagen tatsächlich das Recht eingeräumt, für kleinere Textausschnitte von Suchmaschinen Geld zu verlangen. Es hat nach allgemeiner Rechtsauffassung Suchmaschinen aber nicht dazu verpflichtet, diese Textausschnitte auch anzuzeigen, wenn sie kostenpflichtig sind.

Dadurch dass Springer und andere Verlage ausschließlich Google eine Gratis-Lizenz erteilt haben, werden andere Suchmaschinen und Aggregatoren benachteiligt. Sie müssten aufgrund dieser Diskriminierung entweder Geld an die Verlage zahlen oder, anders als Google, darauf verzichten, das Angebot deutscher Verleger-Medien ohne Einschränkungen in ihren Suchergebnissen anzuzeigen. Der Axel-Springer-Konzern trägt somit seinen Teil dazu bei, die Marktmacht von Google, die er beklagt, weiter zu vergrößern.

Nachtrag, 9. November. Christoph Keese, Außenminister bei Springer und der wichtigste Vater des Leistungsschutzrechtes, erwidert in seinem Blog:

(…) Die VG Media kann den kleineren Suchmaschinen gar keine Gratislizenzen einräumen, denn sie ist gesetzlich dazu verpflichtet, den genehmigten Tarif durchzusetzen. Nach dem Tarif — aber nur nach ihm! — muss sie alle Marktteilnehmer gleich behandeln. Es besteht Kontrahierungspflicht.

Die Gratislizenz an Google wurde jedoch gegen den Willen der VG Media und der Verlage erteilt — wegen des missbräuchlichen Drucks des Marktbeherrschers. Sie ist das Ergebnis einer Nötigung.

Kleinere Suchmaschinen sind aber keine Marktbeherrscher. Folglich können sie Verlage und VG Media nicht nötigen. Ohne Nötigung aber darf die VG Media nur auf Basis des staatlich genehmigten Tarifs gleichbehandeln. Mithin ist eine Gratislizenz an die kleineren Suchmaschinen nicht möglich. (…)

… bis der erste ernstzunehmende Politiker die Zerschlagung Googles fordert

Mittwoch, 16. April. Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender von Axel Springer, schreibt in der „FAZ“ an den Verwaltungsratsvorsitzenden von Google, Eric Schmidt:

Ein anderer Weg wäre die freiwillige Selbstbeschränkung des Siegers. Ist es wirklich klug, zu warten, bis der erste ernstzunehmende Politiker die Zerschlagung Googles fordert?

Donnerstag, 17. April. Rainer Brüderle, der frühere Bundeswirtschaftsminister (FDP), fordert im „Handelsblatt“:

Zerschlagt Google!

Na, da scheint Google ja noch ein bisschen Zeit zu haben.

Wo die Lokalzeitung gar nicht mehr sterben kann

Einer der erstaunlichsten Sätze zum Quasi-Abschied der Axel Springer AG aus dem Zeitungs- und Zeitschriftengeschäft steht auf den Seiten des unaussprechlichen „Think Tanks zur Medienkritik“ namens „Vocer“. Janko Tietz schreibt dort, der Verkauf der diversen Print-Produkte werde sich für Springer rächen. Es sei nämlich ein Irrglaube, dass das Geschäft mit gedruckten Medien tot sei. Dann folgt der Satz:

Auch in zwanzig Jahren werden die Menschen noch Zeitung lesen, werden sich in ihren Regionalausgaben informieren, welcher Eckladen schließt, wie die Öffnungszeiten des Freibades sind, welcher Künstler in der Stadt auftritt.

Wer behauptet zu wissen, wie die Menschen in zwanzig Jahren Medien nutzen werden, muss ziemlich bekloppt oder größenwahnsinnig sein. Aber ich halte den Satz nicht nur als Prognose für die Zukunft gewagt, sondern auch als Beschreibung der Gegenwart.

Ich lebe in Friedrichshain, einem Berliner Ortsteil mit 120.000 Einwohnern. Es gibt für diese Menschen de facto keinen Lokaljournalismus.

„Berliner Morgenpost“, „Berliner Zeitung“, „Tagesspiegel“ und „taz“, „B.Z.“ und „Berliner Kurier“, sie alle haben zwar den Anspruch, über das zu berichten, was in Berlin passiert. Aber das ist in aller Regel Regionalberichterstattung: Es geht politisch um den Regierenden Bürgermeister, den Senat und das Abgeordnetenhaus, inhaltlich um Themen wie den Schloss-Neubau, den neuen Flughafen, die BVG. Was in den einzelnen Bezirken passiert, Gebieten mit mehr Einwohnern als die meisten Großstädte, kommt hier nur in kurzen Notizen oder zufälligen Schlaglichtern vor. Von meinem persönlichen Kiez mit den gefühlt stündlich wechselnden Eckläden ganz zu schweigen.

Reden wir nicht von Eckläden und Freibädern. Reden wir von einer gewaltigen Brachfläche, deren Bebauung den zukünftigen Charakter der Gegend, in der ich lebe, entscheidend beeinflussen wird. Es handelt sich um den Block 74, das sogenannte Freudenberg-Areal, benannt nach der Firma, die hier bis vor wenigen Jahren angesiedelt war. Das Gelände ist 26.000 Quadratmeter groß, nun sollen hier 550 Wohnungen entstehen. So will es der Investor; einer Gruppe von Anwohnern ist das viel zu viel.

Es gibt heftige Diskussionen, lautstarke Bürgerversammlungen, überzeugende und weniger überzeugende Versuche, die Anwohner in die Planungen einzubeziehen, Kompromissvorschläge.

Was es nicht gibt: eine kontinuierliche Berichterstattung über all das in der Zeitung.

Im Januar war ich bei einer Versammlung in der Aula der Grundschule. Die über 200 Anwohner fanden kaum alle Platz. Sie stritten mit dem Investor und dem Bezirksbürgermeister, forderten größere Grünflächen und mehr erschwingliche Wohnungen, ließen sich die aktuellen Pläne und die echten oder vermeintlichen Zugeständnisse erklären.

Nur die „taz“ berichtete zwei Tage später über die Veranstaltung, in einem ausführlichen und grundsätzlichen Bericht. Im Mai gab es, ebenfalls in der „taz“, einen Artikel über die weiteren Entwicklungen. Die anderen Tageszeitungen haben in diesem Jahr noch nicht über dieses für Friedrichshain entscheidende Bauprojekt und die Diskussionen darum berichtet.

Womöglich werden sie das irgendwann wieder tun. Der „Tagesspiegel“ zum Beispiel hatte Ende vergangenen Jahres einen größeren Artikel. Aber ist das die Idee einer Lokalzeitung, dass ich sie Tag für Tag kaufen soll, in der Hoffnung, dass irgendwann, vielleicht nach Wochen, etwas Relevantes aus meiner Umgebung darin steht?

Ich weiß nicht, wie typisch Berlin ist. Aber ich möchte behaupten, dass in dieser Stadt auch heute schon die Menschen nicht Zeitung lesen, um sich zu informieren, welcher Eckladen schließt, schon deshalb, weil ihre Zeitung sie nicht darüber informiert, welcher Eckladen schließt.

Zu einem gewissen Anteil haben diese Aufgabe immerhin noch die Anzeigenblätter „Berliner Woche“ (Springer) und „Berliner Abendblatt“ (Dumont Schauberg) übernommen. Aber die Redaktion des „Berliner Abendblattes“ wurde im vergangenen Jahr komplett entlassen, und ich bin mir nicht sicher, ob Janko Tietz mit seinem Postulat vom dauerhaften Bestand des gedruckten Lokaljournalismus ausgerechnet auf das berufen wollte, was kostenlose Anzeigenblätter darunter verstehen.

Und sollte die Zukunft der Tageszeitung wirklich davon abhängen, dass es auf Dauer genug Menschen gibt, die die Öffnungszeiten des Freibades oder die Auftrittsdaten von Künstlern zuhause auf Papier nachlesen wollen? — Informationen, für die es, egal ob sie nun umständlich gedruckt und durchs Land gekarrt werden oder nicht, jedenfalls keine Journalisten braucht, um sie zusammenzutragen.

Den beiden Berliner Stadtmagazinen „Tip“ und „Zitty“ geht es übrigens miserabel. Der Berliner Verlag hat den „Tip“ gerade an eine kleine Servicejournalismus-Agentur verkauft.

Ich wünschte mir, es gäbe dort, wo ich lebe, einen Lokaljournalismus, der diesen Namen verdient. Vielleicht wird irgendwann jemand kommen, der es versucht. Mein Tipp wäre aber eher, dass es ein Online-Projekt wird, ähnlich wie es die „Prenzlauer Berg Nachrichten“ versuchen.

Der Gedanke, dass Zeitungen schon deshalb nicht sterben werden, weil in ihnen steht, was mich angeht, weil es in meiner Nachbarschaft passiert, erscheint jedenfalls aus der Perspektive eines Bewohners von Berlin-Friedrichshain doppelt weltfremd.

In Berlin wurden 2010 pro 100 Einwohner 26 Zeitungen verkauft. Zwei Jahre später waren es noch 23,3. Wenn es eine Hoffnung für lokale Tageszeitungen gibt — hier lebt sie nicht.

Paid Content: Was würden Sie für eine gute Umetikettiermaschine zahlen?

Es ist ein großer gemeinsamer Mustopf, aus dem die Axel Springer AG ihre zahlreichen Medien mit Inhalten befüllt. Weil der Leser aber immer noch fremdelt mit dem Absender „Gemeinsamer Inhalte-Mustopf der Axel Springer AG“, ist daran eine Umetikettier-Maschine angeschlossen, die den identischen Inhalten unterschiedliche Quellen gibt, je nachdem, auf welchen Plattformen sie ausgespielt werden.

Das scheint automatisch zu passieren und geht nicht immer gut, wie bei diesem Artikel über die Chancen von kostenpflichtigem Journalismus im Netz.

Auf welt.de heißt es darin:

Auf abendblatt.de:

Und auf morgenpost.de natürlich:

(Korrekt ist die „Welt“-Version.)

Es hat eine schöne Ironie, dass dieser schiefgegangene Versuch, denselben Inhalt verschiedenen Marken von Online-Medien zuzuordnen, einen Artikel betrifft, in dem es um die Bedeutung von Marken von Online-Medien geht. Die Axel Springer AG meint offenbar, dass ein großräumiges Copy & Paste, ergänzt durch ein gezieltes Suchen & Ersetzen nicht schadet.

Überhaupt ein interessanter Artikel. Er trägt die Überschrift:

Leser akzeptieren journalistische Abos im Netz

Zeitungsverlage in den USA haben es vor gemacht [sic], in Deutschland folgt die Axel Springer AG mit Bezahlmodellen. Eine Studie zeigt, dass Digital-Abos die Umsonstkultur schneller verdrängen als gedacht.

In der wiederum umverpackten Version für die gedruckte „Welt am Sonntag“ heißt es bündiger:

Qualität darf auch kosten

Digital-Abos verdrängen die Umsonstkultur im Internet schneller als gedacht

Den Beweis für diese Behauptungen bleiben die Artikel schuldig. Er findet sich auch nicht in der Studie des „Reuters Institute for the Study of Journalism“, auf die sie sich beziehen.

Die „Welt am Sonntag“, morgenpost.de, welt.de und abendblatt.de schreiben unter Bezug auf die Untersuchung:

Demnach haben sich speziell junge und internetaffine Nutzer mittlerweile daran gewöhnt, dass Qualitätsinhalte im Netz nicht kostenlos verfügbar sind.

In einer repräsentativen Umfrage in neun verschiedenen Ländern antworteten neun Prozent der Nutzer, dass sie für Nachrichteninhalte im Netz bezahlen. Eine Minderheit zwar, doch eine rasch wachsende: Vor einem Jahr waren nur vier Prozent bereit zu zahlen.

(Kleiner faktischer Fehler: Das sind die Zahlen für Großbritannien.)

Und unter den netzaffinen 25- bis 34-Jährigen hat bereits ein Fünftel der Befragten für digitale Nachrichten bezahlt.

„Digitale Abonnements sind inzwischen keine Neuheit mehr, sondern werden als Teil des digitalen Lebens akzeptiert“, kommentiert Studienautor Nic Newman.

Jaaa, das ist nicht ganz, was Nic Newman sagt. Tatsächlich sagt er:

„Pay-walls“ and apps are no longer regarded as novelties, but are now increasingly part of everyday life for many of those wanting to access news.

Der Autor hat den bei Springer ungeliebten Begriff „Paywall“ (oder Bezahlschranke) einfach mal durch „Digitale Abonnements“ übersetzt und aus der Formulierung, dass solche Bezahlschranken für viele Nachrichtennutzer zunehmend Realität sind, gefolgert, dass sie sie auch „akzeptieren“.

Tatsächlich beschreibt die Studie einen deutlichen Wandel in der Haltung der Internetnutzer. Aber die Ergebnisse kann man auch durchaus ernüchternd finden. So sagen elf Prozent der Deutschen, dass sie im vergangenen Jahr mal für digitale Nachrichteninhalte gezahlt haben. (Die Mehrheit davon übrigens in Form von Einmalzahlungen, nicht als Abonnements, wie die Springer-Medien suggerieren.) Aber nur neun Prozent der befragten Deutschen sagen, dass sie zwar noch nicht gezahlt haben, es sich aber zukünftig vorstellen können.

Vielleicht ist es angesichts dessen doch noch ein bisschen zu früh, zu titeln: „Leser akzeptieren journalistische Abos im Netz“ — jedenfalls wenn man davon ausgeht, dass so ein Artikel die Realität widerspiegeln soll und nicht den Wunsch des Unternehmens, in dessen Medien er steht.

Dafür spricht auch sonst wenig. Später heißt es in dem Stück nämlich noch:

Abomodelle, das belegt die Reuters-Studie ebenfalls, funktionieren, weil die Leser angesichts der Nachrichtenflut im Netz Orientierung und Qualität suchen. Drei Viertel der Befragten gaben an, dass sie ihre Nachrichtenquellen bewusst aussuchen. Die Medienmarken der großen Qualitätszeitungen gewinnen angesichts der Flut der Quellen im Netz an Wert, da ihre Leser ihnen vertrauen.

Der letzte Satz, mit dem sich die „Welt“ (bzw. je nachdem die „Morgenpost“, das „Abendblatt“, die „Welt am Sonntag“) scheinbar ihre Zuverlässigkeit und Zukunftstauglichkeit bestätigt, stammt nicht aus der Studie. Dort heißt es deutlich ambivalenter:

Clearly news brands still matter but a strong name and long heritage is no longer enough. Our data show that there still is a yearning — in an ocean of content — for trusted news across a range of subject areas, but newer brands like Yahoo and the Huffington Post are also proving they can fill that role alongside a raft of specialist providers, blogs, and social media too.

Sagen wir so: Ich bin mir nicht sicher, ob es für Springer eine gute Nachricht ist, wenn die Leser angesichts der Nachrichtenflut im Netz verstärkt nach Qualität suchen.

Ein Kartell nutzt seine Macht: Wie die Verlage für das Leistungsschutzrecht kämpfen

Es ist kein Spaß, sich mit dem Kartell aller großen Häuser anzulegen. Wer will Springer, Burda, „Süddeutsche“, „FAZ“, DuMont und die „WAZ“-Gruppe gegen sich haben? Natürlich sagen Mathias Döpfner, Frank Schirrmacher oder Hubert Burda ihren Redakteuren nicht, was sie schreiben sollen. Das wissen die schon von allein.

(Jakob Augstein)

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Morgen Demnächst will das Bundeskabinett über ein Presse-Leistungsschutzrecht entscheiden. Wenn man den Verlagen glaubt — wozu kein Anlass besteht — geht es um nichts weniger als um Leben und Tod der freien Presse in Deutschland.

Seit gut dreieinhalb Jahren kämpfen die Verlage öffentlich für ein solches Recht, mit dem die geschäftliche Nutzung ihrer frei zugänglichen Inhalte im Internet lizenzpflichtig gemacht werden soll. Ursprünglich sollte schon das Lesen von Online-Medien auf geschäftlichen Computern Geld kosten; inzwischen ist nur noch eine Lex Google übrig geblieben, die Suchmaschinen dafür zahlen lassen will, dass sie kurze Anrisse aus Verlagstexten zeigen, um Nutzer zu deren Seiten zu leiten.

Es sieht im Moment nicht so aus, als ob die Geschichte, wie die Verlage die Bundesregierung dazu brachten, ihre Rechte und potentiell ihre Einnahmen durch ein neues Gesetz deutlich auszuweiten, am Ende aus Verlagssicht eine Erfolgsgeschichte sein wird. Sie ist trotzdem ein Lehrstück: Dafür, wie die führenden deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenverlage ein politisches Klima herstellten, in dem ein solches Gesetz notwendig erschien, und wie sie ihre publizistische Macht dazu benutzten, ihre politische Lobbyarbeit zu unterstützen. (mehr …)

Der Bereich „TV- und Videoproduktionen“ bei Axel Springer präsentiert erste Ergebnisse seiner Arbeit

Es waren große Aufgaben, die Claus Strunz vor einem Jahr übertragen wurden. Nach zweieinhalb Jahren hatte ihn die Axel-Springer-AG als Chefredakteur des „Hamburger Abendblattes“ abgelöst und ihm einen eigenen Bereich zum Leiten geschaffen, in dem seine andauernden Erfolge nicht soviel Schaden anrichten konnten. Strunz übernahm, wie die Pressestelle des Konzerns bekannt gab, die Leitung des Bereiches „TV- und Videoproduktionen“ bei Axel Springer:

Kernaufgaben seiner neuen Funktion sind konzernübergreifend die Entwicklung und Umsetzung von TV- und Videoproduktionen für alle digitalen Plattformen der Medienmarken von Axel Springer. Er berichtet direkt an den Vorstandsvorsitzenden.

Große Sache. Die Zukunft, keine Frage.

Der Branchendienst „Kontakter“ berichtete in der vergangenen Woche, dass Geschäftsführer Strunz „nach einer fast einjährigen Zeit der Findungsphase erstmals Ergebnisse präsentieren kann“. Das erste sichtbare Resultat seiner Pionier-Arbeit ist die Puppenshow „Jessis EM-Club“. Sie ist seit zwei Wochen exklusiv auf „Welt Online“ zu sehen (sowie auf Bild.de mit dem Hinweis „exklusiv auf ‚Welt Online'“).

Und wir blenden uns direkt in die zwölfte Folge der elfteiligen Reihe. Der Titel: „So witzelt Poldi über die Italiener“.


Lukas Podolski: Ey, Alessandro, ey, jetzt kommt einer. Was ist ein Italiener ohne Arme und Beine?
Alessandro del Piero: Weiß ich nicht.
Podolski: Taubstumm.
Del Piero: Warum wollen nach einem Länderspiel immer alle das Trikot von Mario Gomez haben?
Podolski: Ah, kein Plan.
Del Piero: Es ist das einzige, das nicht verschwitzt ist.
Podolski: Del Piero, pass auf. Was ist der Grund dafür, dass die Italiener immer so klein sind?
Del Piero: Warum?
Podolski: Ihre Mütter sagen, dass sie arbeiten müssen, wenn sie mal groß sind.

Del Piero: Geht Jogi Löw zum Arzt. „Herr Doktor, niemand beachtet mich so richtig.“ Sagt der Arzt: „Nächste, bitte.“
Podolski: Pass auf, ey, Balotelli humpelt vom Platz. Fragt der Trainer besorgt: „Ist die Verletzung schlimm?“ Sagt Baotelli, ey: „Nein, nein, Trainer, meine Wade ist nur eingeschlafen.“
Del Piero: Was macht Bastian Schweinsteiger wenn er die Champions League gewonnen hat?
Podolski: Keine Ahnung, ey.
Del Piero: Er macht die Playstation aus.

Podolski: Ich hab auch noch einen, ey. Was sagt der italienische Kammerjäger, wenn er alle Küchenschaben erledigt hat? „Ey, ischabe fertig.“
Del Piero: Was ist der Unterschied zwischen Mesut Özil und einem Lama?
Podolski: Ah, keine Ahnung.
Del Piero: Na, das Lama ist treffsicherer.
(Gelächter, Applaus.)
Podolski: Alles voll witzig, ne?
Del Piero: Ja.
Podolski: Ja, voll witzig.
(Gelächter, Applaus, Abspann.)

(Man muss es eigentlich im Original gesehen haben, aber gleichzeitig möchte ich vor dem Ansehen warnen.)

Es handelt sich um eine Gemeinschaftsarbeit des Geschäftsbereiches TV- und Videoproduktion der Axel-Springer-AG mit der Sportredaktion der WELT-Gruppe und TV Berlin. Menschen, die schon mal eine Handpuppe gebaut oder gespielt oder gesehen haben, waren offenbar nicht beteiligt.

Laut „Kontakter“ „werkelt“ Strunz noch an anderen Sendungen, Quiz- und Doku-Soap-Formaten, die es aber „bislang nicht zur Marktreife geschafft haben“.

Verlegerkampf für eine PC-Presse-Gebühr

Ich wüsste gerne, ob irgendwo in dem Springer-Lobbyisten Christoph Keese noch Reste von dem früheren Journalisten Christoph Keese stecken. Und ob der gelegentlich leise wimmert.

Gestern zum Beispiel, als Keese auf der Veranstaltung „Wer verdient mit welchem Recht?“ in Hamburg eine besonders originelle (und mir neue) Begründung nannte, warum ein Leistungsschutzrecht für Verleger auch im Interesse der Urheber sei: Weil die Verleger, wenn sie erst einmal ein eigenes Recht hätten, aufhören könnten, den Autoren ihre Rechte wegzunehmen.

Man muss dazu wissen, dass die deutschen Verlage seit Jahren versuchen, die Presselandschaft zu einem urheberrechtsfreien Raum für Journalisten zu machen. Die Autoren sollen möglichst sämtliche Rechte an ihren Texten an die Verlage abtreten, und zwar gerne kostenlos, rückwirkend und für alle Zeit. Die Verlage überschreiten dabei mit einer Regelmäßigkeit und Konsequenz das Gesetz, dass man fast von krimineller Energie sprechen möchte, wären die ehrwürdigen und demokratietragenden Verlage nicht über jeden solchen Verdacht erhaben.

Erst in dieser Woche untersagte das Hamburger Landgericht einstweilig eine entsprechende Vereinbarung, die der Verlag der „Zeit“ seinen Mitarbeitern diktieren wollte. Zuvor hatten sich schon der Bauer-Verlag, die Axel Springer AG und der Verlag des „Nordkurier“ mit Versuchen, die Journalisten in ähnlicher Form zu enteignen, vor Gericht blutige Nasen geholt.

Aber Christoph Keese sagt, eigentlich wollten die Verlage gar nicht die ganzen Rechte der Journalisten. Im Gegenteil: Eigentlich seien sie gegen Total-Buy-Out-Verträge. Wenn sie gesetzlich ein eigenes Recht hätten, eben das Leistungsschutzrecht, könnten sie sofort damit aufhören, den Journalisten ihre Urheberrechte wegzunehmen.

Das ist angesichts der Rechtsverletzungen, die die Verlage bei ihren Versuchen, sich auf Kosten der Journalisten zu bereichern, offenkundig begangen haben (die Urteile sind noch nicht rechtskräftig), natürlich eine besonders perfide Aussage. Und andererseits ist sie nicht ganz falsch. Durch ein Leistungsschutzrecht würde die rechtliche Position der Verlage nämlich nicht nur gegenüber vermeintlichen Bösewichten wie Google oder der mythischen Masse von Content-Dieben gestärkt, sondern auch gegenüber den Autoren. Die könnten einen Artikel dann nicht mehr einfach so zweitverwerten, weil das mit dem Leistungsschutzrecht des ersten Abnehmers kollidieren würde.

Keese, Außenminister bei Springer und die treibende Kraft auch hinter der traurigen „Hamburger Erklärung“ aus dem vergangenen Jahr, ist von außerordentlicher Geschmeidigkeit, wenn er auf dem Podium für die Sache der Verlage wirbt. Er redet mich als Mitdiskutant ebenso wie irgendwelche Fragesteller aus dem Publikum mit „mein Lieber“ an und hat extra das Urheberrechtsgesetz als dickes, 411-seitiges Buch mitgebracht — mutmaßlich um seinen Argumenten Gewicht zu geben.

Nur konkret mag er nicht werden, zum Beispiel, was die konkrete Frage der Snippets angeht, der Textausschnitte, die Suchmaschinen wie Google in ihren Trefferlisten anzeigen. Das Zitatrecht, beteuert Keese, solle vom gewünschten neuen Leistungsschutzrecht unberührt bleiben; man werde also auch in Zukunft kurze Textstellen aus den Verlagsveröffentlichungen ohne Genehmigung und kostenlos übernehmen dürfen, um sie zu bewerten, einzuordnen, in einen Kontext zu stellen: Der „Perlentaucher“ etwa könne weitermachen wie bisher.

Und was ist mit Google? Keese sieht einen Unterschied zwischen den Texten, die in der Web-Suche von Google angezeigt werden und einen quasi zufälligen Ausschnitt rund um das gesuchte Wort anzeigen, und den Textanfängen, die in der News-Suche von Google auftauchen. Das erste hält er für unproblematischer als das zweite, weil in den so zitierten Vorspännen nach Angaben von Keese oft viel redaktionelle Arbeit stecke, von der Google profitiere. Ob das bedeutet, dass Google bei einem Presse-Leistungsschutzrecht für die Ausschnitte und Verlinkungen in der News-Suche (mit der sie den Zeitungsseiten im Netz viele Leser verschaffen) eine Genehmigung brauchen und zahlen müssen, konnte ich Keeses Ausführungen nicht entnehmen.

Man kann es nicht oft genug sagen: Die Probleme, unter denen Zeitungen und Zeitschriften gerade leiden, haben nichts mit dem Fehlen eines Leistungsschutzrechtes der Verlage zu tun. Auch Google ist nicht Schuld daran. Die Verlage leiden im Print unter rückläufigen Leserzahlen und vor allem einbrechenden Werbeeinnahmen. Und sie leiden online darunter, dass die Werbeerlöse so viel niedriger sind. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es plötzlich sehr viel mehr Werbeflächen und -möglichkeiten gibt, und dass es für die Industrie oft viel attraktiver ist, zielgerichtet auf den Ergebnisseiten bestimmter (Google-)Suchen zu werben, als neben irgendeinem noch so gut geschriebenen oder viel geklickten Artikel, der von Leuten gelesen wird, deren Interessen man nicht kennt.

Die Forderung nach einem Leistungsschutzrecht ist nur der leicht durchschaubare Versuch, sich subventionieren zu lassen. Deshalb tun sich Leute wie Keese auch so schwer, die juristischen Details und Notwendigkeiten eines solchen Gesetzes zu erörtern. Ihnen ist völlig egal, was in diesem Gesetz steht, solange es nur sein Ziel erreicht: Das Überleben der Verlage zu sichern. Denn die Verlage sind — nach Ansicht der Verlage — die einzigen Garanten dafür, dass die Bevölkerung gut informiert wird. So lange es ihnen gut geht (wohlgemerkt: den Verlagen; das Wohlergehen der Journalisten ist optional), ist das Funktionieren der Demokratie gesichert.

Nun ist es nicht so, dass es der Axel Springer AG schlecht ginge. Der Google-Vertreter auf dem Podium, der Jurist Arnd Haller, zitierte genussvoll aus einer Pressemitteilung des Verlages, in der ihr Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner sagt:

„Axel Springer hat einen neuen Rekord für das Ergebnis eines ersten Quartals erreicht und die Prognose für das Gesamtjahr angehoben – das beweist: Die Transformation in die digitale Welt bietet für ein Inhalte-Unternehmen viel mehr Chancen als Risiken, und die sehr hohen Gewinnmargen der Zeitungen und Zeitschriften zeigen: Der Abgesang auf das Print-Geschäft ist falsch.“

Keese erklärte, dass es nicht der Journalismus sei, mit dem man das Geld im Netz verdiene, sondern Firmen wie idealo.de oder Zanox. Und andere, vor allem regionale Verlage seien nicht so schlau gewesen, sich rechtzeitig an solchen Unternehmen zu beteiligen, um den Journalismus querfinanzieren zu können. Springer kämpft hier also offenbar, wie der Rechtsanwalt und Urheberrechtsexperte Till Kreutzer süffisant feststellte, gar nicht für sich selbst, sondern ganz uneigennützig für das Wohlergehen seiner kleineren, erfolgloseren Mitbewerber.

Und wer soll dafür zahlen, dass die Verlage überleben können? Nicht nur Google, sondern vor allem die Allgemeinheit. Die Verleger wünschen sich ein Leistungsschutzrecht, das den gewerblichen Abruf von kostenlos im Intenet verfügbaren Zeitungsartikeln vergütungspflichtig macht. Anscheinend bestellen gerade Firmenkunden in größerer Zahl Zeitungs- und Zeitschriften-Abonnements ab, weil die Inhalte ja kostenlos im Netz verfügbar sind.

Was für eine geniale Idee: Die Zeitungsverleger stellen ihre Produkte freiwillig kostenlos ins Netz, weil sie nicht glauben, dass die Leser bereit sind, dafür Geld zu zahlen, kassieren sie aber über den Umweg eines Leistungsschutzrechtes dann trotzdem dafür ab.

Bei einer früheren Veranstaltung nannte Keese das Beispiel eines Bank-Mitarbeiters, der sich auf frei zugänglichen Online-Seiten von Zeitungen auf einen Kunden vorbereitet. Dafür müsste er in Zukunft eine Vergütung an eine Verwertungsgesellschaft zahlen, die die Einnahmen dann an die Verlage (und zu einem noch mit den Gewerkschaften zu verhandelnden Teil an die Urheber) ausschüttet. Aber nicht nur Bank-Mitarbeiter nutzen Inhalte von Online-Medien gewerblich; fast jeder Berufstätige tut es, auch freie Journalisten müssten natürlich zahlen. De facto würde mit dem Leistungsschutzrecht eine Presse- oder Verlags-Subventions-Gebühr auf die zig Millionen Dienst-Computer in Deutschland eingeführt.

Hab ich gerade schon wieder „Subvention“ geschrieben? Nein, „Subvention“ ist das ganz falsche Wort, sagt Springer-Lobbyist Christoph Keese; Subventionen wollen die Verlage nicht, Subventionen sind Geld vom Staat. Aber hier kommt das Geld ja von den Bürgern. Der Staat soll nur die Rechtsgrundlage dafür schaffen.

Die Methode Diekmann

„Was sagen Sie zu Katharina Blum“, fragt eine Frau aus dem Publikum spitz, als hätte Heinrich Böll seine Erzählung über eine fiktive große deutsche Boulevardzeitung, die mit ihrer Berichterstattung eine Frau zur Mörderin werden lässt, gerade erst veröffentlicht. Kai Diekmann, Chef der realen großen deutschen Boulevardzeitung, im blauen samtartigen Anzug mit rosa Hemd ohne Krawatte, ist nicht beeindruckt. „Ich weiß nicht, wann Sie das Buch zum letzten Mal gelesen haben“, fragt er in die Runde einflussreicher Hamburger Kaufleute, denen er gerade den „Erfolg der Marke BILD“ erklärt hat. „Ich habe es vor zwei Jahren getan.“ Und er müsse sagen: Immerhin habe Katharina Blum ja einen Terroristen versteckt! „Ich kann bis heute nicht verstehen, was falsch daran sein soll, dass man sich mit einer solchen Figur publizistisch beschäftigt.“ Er halte die geschilderten journalistischen Methoden für „völlig zulässig“.

Die Antwort ist typisch für Kai Diekmann: Sie ist nicht grüblerisch und defensiv, sondern selbstbewusst und angriffslustig, überraschend, unterhaltsam und beim Publikum erfolgreich.

Und falsch. Denn der Mann, den Katharina Blum versteckt, ist kein Terrorist. Er wird nur verdächtigt, einer zu sein. Für alle, die den Unterschied nicht verstehen, hat Böll in einem Nachwort später hinzugefügt: „Es gibt in dieser Erzählung keinen einzigen Terroristen.“ Was es allerdings gibt, in seiner Erzählung, ist ein Reporter, der Tatsachen erfindet und verdreht, der lügt und verleumdet, der der Blum vorschlägt, „dass wir jetzt erst einmal bumsen“, und ihre Mutter sehenden Auges in den Tod treibt.

Vermutlich sollte man Kai Diekmann also in seinem eigenen Interesse nicht glauben, wenn er sagt, dass er an diesen, nun ja: fiktiven Recherchemethoden nichts auszusetzen habe. Sicher hat er das nur gesagt, weil es in diesem Moment die eindrucksvollste Antwort war. Da unterscheidet sich der Chefredakteur nicht von seiner Zeitung, die auch die Wahrheit im Zweifelsfall so optimiert, dass sie kurzfristig besonders eindrucksvoll wirkt.

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Die Episode ist aus dem Jahr 2006. Sie stammt aus einem längeren Text über Kai Diekmann, den ich im Auftrag des „SZ-Magazins“ geschrieben habe, das ihn dann aber nicht drucken wollte.

Heute kommt mir das unveröffentlichte Stück von damals merkwürdig aktuell vor. Denn die Methode des „Bild“-Chefredakteurs, die ich darin zu beschreiben versuche, hat er in den vergangenen 99 Tagen in seinem Blog, das er am Mittwoch wieder abschalten will, auf die Spitze getrieben.

Damals fragte ich mich, ob das vielleicht eine Berufskrankheit ist: Vielleicht lässt einen die Macht, die man als „Bild“-Chef täglich erlebt und demonstriert, größenwahnsinnig werden. Vielleicht verliert man im täglichen Spiel mit Halb- und Viertelwahrheiten irgendwann den Überblick. Vielleicht muss der Chefredakteur einer Zeitung, die einen Politiker angreift, weil er angeblich „Geld mit ‚tabulosen Girls‘ macht“, und auf derselben Seite eine dreistellige Zahl von Anzeigen von tabulosen Girls druckt, zu einem gewissen Grad schizophren werden. Kai Diekmann sagt, „nur Moralisten können gute Journalisten sein“.

Heute würde ich Diekmanns Schizophrenie nicht mehr als „Berufskrankheit“ bezeichnen. Sie ist sein Erfolgsrezept.

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Screenshot: kaidiekmann.de

Im Journalismus gilt im Zweifelsfall die alte Kobold-Regel: Was sich reimt, ist gut. Und weil Kai Diekmann seine Kritik an der „Süddeutschen Zeitung“ und der Jury des „Medium Magazin“ in seinem Blog in Form einer Büttenrede vortrug, ging eine kleine La-Ola-Welle durch die Fachpresse. Faziniert dokumentierten „Meedia“, „Turi2“, „DWDL“, und „w&v“ die Rede im Wortlaut, und keiner fragte, ob das überhaupt stimmt, was er sich da zusammenreimt.

Es ging um die Frage, auf wessen Konto die wichtigere Enthüllung über den Einsatz der Bundeswehr gegen die von den Taliban entführten Tanklastzüge in Kundus ging: „Bild“ oder die „Süddeutsche Zeitung“. Das ist eine Frage, die außerhalb der kleinen Journalistenwelt nur wenige interessiert. Aber Kai Diekmann hätte gerne, dass sein Blatt neuerdings als Ort für investigative Recherche respektiert wird. Dabei geht es nicht nur um die Auszeichnung „Journalist des Jahres“ des „Medium Magazins“, sondern auch um den „Henri-Nannen-Preis“, den der „Stern“ und Gruner+Jahr im Mai wieder vergeben — und nach Möglichkeit nicht an „Bild“ vergeben möchten. Hinter den Kulissen geht es da wohl schon rund.

Jedenfalls beschloss das „Medium Magazin“, in Sachen Kundus einen „Sonderpreis für politische Berichterstattung“ zu vergeben. An Stefan Kornelius, weil er in der „Süddeutschen Zeitung“ am 12. Dezember 2009 entscheidende Details des „Schlüsseldokuments in der Aufklärung des Bombardement-Befehls in Kundus/Afghanistan“ öffentlich gemacht habe: dass der Angriff laut dem geheimen Bericht von ISAF-Kommandeur Stanley McChrystal nicht den Fahrzeugen galt, sondern den Menschen.

Diekmann kotzte. Seiner Meinung nach hätte die „Bild“-Zeitung diesen Preis verdient, weil sie (als Teil einer PR-Kampagne für den neuen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg) zwei Wochen zuvor Details aus einem anderen Bericht öffentlich gemacht hatte, die zu mehreren prominenten Rücktritten führten. „Bild“ enthüllte auf der Grundlage eines Feldjägerberichtes, dass Oberst Georg Klein vor dem Befehl zum Angriff zivile Opfer nicht ausschließen konnte und Informationen über solche Opfer frühzeitig vorlagen.

Nun kann man darüber streiten, welche der beiden Zeitungen damit den größeren, den wichtigeren Beitrag zur Aufklärung über den konkreten Angriff und die Natur des Bundeswehr-Einsatzes insgesamt geleistet hat. Unbestreitbar ist allerdings, dass das, was Kornelius in der SZ berichtete, eine Neuigkeit war, die er aus „Bild“ schon deshalb nicht abschreiben konnte, weil sie nicht in „Bild“ stand.

Genau diese Lüge aber verbreitet Diekmann in seiner Büttenrede:

Denn die Recherche war echt schwer.
Zum Kiosk hin in München-Mitte
„Einmal die Bild — doch heimlich, bitte“ (…)

So wurde aus der Bild-Geschichte,
Gewinn für Münchner Leichtgewichte.
Doch trotz der Kränze, Freudenmärsche
Ein Makel haftet der Recherche:
Denn für die Infos floss a Geld
An irgendeinen Kiosk-Held.
Denn für die Bild, da muss man blechen
Will man kopieren, kostets Zechen.

Dass das eine Verleumdung ist, hat aber keinen interessiert. Viel wichtiger ist doch: Geil. Der Diekmann. Reimt. Höhö.

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Als Kai Diekmann mit dem Bloggen begann, habe ich mich gefragt, was wohl der Auslöser für ihn war, plötzlich zum Selbstdarsteller zu werden. In den Jahren zuvor hatte er sich nicht in die Öffentlichkeit gedrängt, im Gegenteil. Er ist nicht durch die Talkshows getingelt, ging nur einmal in eine Gesprächssendung des SWR, deren Moderatorin Birgitta Weber sich gleich mehrere Schichten Samthandschuhe übereinander angezogen hatte. Er mied Auftritte, bei denen mit allzu kritischen Fragen zu rechnen war. Nach einer Podiumsdiskussion beim ökumenischen Kirchentag 2003, bei der das Publikum nicht auf seiner Seite war, soll er diese Entscheidung gefällt und gesagt haben: „Wenn ich da keine Chance habe, mache ich das nicht mehr.“

Die Konfrontation meidet er nach wie vor. Alle Anfragen, öffentlich mit jemandem von BILDblog zu diskutieren, lehnt er immer noch ab. Aber mit einem Mal tourt er durch die Medien, wird scheinbar zum Showmann, den man fast mit seinem langjährigen Freund Dieter Bohlen verwechseln könnte. Was ist da passiert?

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Womöglich nicht viel. Vielleicht ist es gar nicht erstaunlich, dass Diekmann plötzlich eine Unterhaltungsoffensive als Kommunikationsstrategie für sich entdeckte. Vielleicht ist das Erstaunliche, dass er so lange dafür gebraucht hat.

In gewisser Weise hat sich mit dem Diekblog ein Kreis geschlossen. Als wir vor fünfeinhalb Jahren mit BILDblog anfingen, wehrten wir uns vor allem gegen die weit verbreitete Haltung, die „Bild“-Zeitung als „lustiges Quatschblatt“ zu lesen; zu sagen: Hey, das ist doch lustig, ist doch egal, ob das stimmt, geile Überschrift jedenfalls. Man amüsierte sich auf einer ironischen Metaebene mit „Bild“ und übersah dabei die Folgen ihrer journalistischen Fehler, die ethischen Abgründe und die Opfer, die „Bild“ produzierte.

Genau diese Haltung hat sich Diekmann mit seinem Blog wieder zunutze gemacht. Er hat gemerkt, dass es eine viel bessere Möglichkeit gibt, sich kritischen Nachfragen zu entziehen, als sich hinter der Schweigemauer der Springer-Pressestelle zu verstecken: nämlich die Journalisten durch Unterhaltsamkeit und Unberechenbarkeit von den Inhalten abzulenken.

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Diekmann beherrscht eine Art Zaubertrick. Sein Standard-Vortrag, mit dem er vor drei Jahren vor ihm gewogeneren Zuschauern auftrat, war in weiten Teilen ein Appell zur Selbstkritik. Er sagte darin Sätze wie: „Beim Boulevard ist Haltung und der Mut, Fehler einzugestehen, besonders wichtig.“ Er zählte dann viele, viele Fehler auf. Kein einziger war von ihm.

Und wer nicht genau aufgepasst hat, ging mit dem Gefühl nach Hause, dass dieser Diekmann ein wirklich vorbildlich selbstkritischer Journalist ist, ohne dass er es tatsächlich sein musste.

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Ich habe bis heute nicht verstanden, warum so viele Kollegen meinen, Diekmanns Blog sei „selbstironisch“. Ja, gelegentlich demonstriert er eine gutgelaunte Distanz zu sich selbst, und manchmal karikiert er auch die Karikatur, die seine Kritiker von ihm zeichnen. Aber das waren nur Spurenelemente und Ablenkungen in einem Blog, das im Wesentlichen dazu diente, mit seinen Gegnern abzurechnen. Man muss schon sehr geblendet sein von der bunten, fröhlichen, spielerischen Oberfläche des Ganzen (und dem unbestreitbaren Charme seines Namensgebers), um hinter der Fassade einen lockeren Spaßmacher zu sehen und nicht einen rachsüchtigen Mann mit Macht, der mindestens fünfstellige Rechtskosten in Kauf nimmt und nehmen kann, um seine Gegner anzugreifen.

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So funktioniert Journalismus heute, und natürlich nicht nur in diesem Fall: Politik wird von den Massenmedien vor allem als Sympathie- und Schönheits-Wettbewerb wahrgenommen und inszeniert (die Überhöhung Guttenbergs ist gutes Beispiel). Ganz ähnlich reduzieren die klassischen Medien die Auseinandersetzungen, die Diekmann in seinem Blog angezettelt hat, auf Boxkämpfe, bei denen sie ihre Aufgabe darin sehen, die Treffer zu zählen und Haltungsnoten zu verteilen. Als Diekmann sich an der „taz“ abarbeitete, war er von einer virtuellen Traube von Schaulustigen umringt, die ihn anfeuerten, während er einen Treffer nach dem anderen landete, und sein Gegner orientierungslos vor sich hintaumelte und sich noch nicht einmal über die Kampfregeln im Klaren war. Nun war die Art, wie sich die „taz“ von Diekmann vorführen ließ (und vor allem den Fehler machte, sich überhaupt auf seine Art von „Spiel“ einzulassen), sicher keine Glanzstunde für die alternative Tageszeitung. Aber es war auch ein ungleicher Kampf: Auf der einen Seite eine Vielzahl von Idealisten, die Überzeugungen haben und in aufreibenden Debatten dafür kämpfen, das Richtige zu tun. Auf der anderen Seite die selbstgeschaffene Kunstfigur eines Chefredakteurs, der keine Skrupel hat und keine Werte kennt; der heute das Gegenteil von dem tun kann, was er gestern gefordert hat; der keinen Ruf zu verlieren hat.

Wer in diesem Kampf besser aussehen würde, war von vornherein klar.

Oder die Auseinandersetzung mit dem Berliner Rechtsanwalt Johannes Eisenberg. Natürlich kann man interessiert das juristisch-publizistische Ping-Pong-Spiel verfolgen und sich, wenn man will, darüber amüsieren, wie Diekmann Eisenberg immer wieder mit dem Stinkefinger provoziert. Aber man kann doch darüber nicht vergessen, was den Kern des Verhältnisses ausmacht: Eisenberg ist deshalb Diekmanns Gegner, weil er regelmäßig erfolgreich Menschen vertritt, die Opfer der Methoden der „Bild“-Zeitung wurden. Und weil er Diekmann bei dessen Versuch, die „taz“ wegen einer Satire zu einem Schmerzensgeld zu verurteilen, eine empfindliche Teil-Niederlage zugefügt hat. Das versucht „Bild“ dem Rechtsanwalt seit Jahren heimzuzahlen.

Dieser Hintergrund spielt aber gar keine Rolle mehr bei der Kommentierung des von Diekmann angezettelten Kampfes, als dessen Sieger er ohnehin feststeht. Wenn er juristisch verliert, gewinnt er, dass er sich als Opfer inszenieren kann.

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Man muss Diekmann dazu gratulieren, wie erfolgreich seine Strategie war und wie sehr ihm die unterhaltungssüchtigen Journalisten auf den Leim gegangen sind. Er steht nun sogar tatsächlich als Kämpfer für das unbedingte Recht auf Satire da, was sehr abwegig ist, nicht nur, weil er selbst noch vor wenigen Monaten einen Volontär teuer abmahnen ließ, der in harmlos-satirischer Form sein Foto verwendete, um als „DerChefred“ zu twittern.

Das Spiel ist fast erschütternd leicht: Diekmann muss nur plötzlich nach Jahren des Schweigens einen winzigen Bruchteil seiner Fehler zugeben, um für seine Offenheit gefeiert und mit dem Rest nicht mehr behelligt zu werden. Natürlich ist es eine tolle Idee, wenn sich Diekmann eine Mini-Kamera auf die Brille montieren lässt und seinen Arbeistag filmt und veröffentlicht. Und er muss nicht einmal die Stelle herausschneiden, in der man sieht, wie eine Schlagzeile formuliert wird, von der der Chef selbst annimmt, dass sie falsch ist. Der Aufmerksamkeitswert der Kamera-Aktion an sich ist viel größer ist als das, was man dadurch tatsächlich erfährt.

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Vor drei Jahren schrieb ich: Der ganze Größenwahn der „Bild“-Leute, sich alles erlauben zu können, verbindet sich mit einem Minderwertigkeitskomplex, von niemandem wirklich gemocht oder geschätzt zu werden. Fragt man Leute, die ihn ein bisschen kennen, was Diekmann eigentlich antreibt, ob er Macht will, die Welt verändern, berühmt werden, sagen einige auch: Er will geliebt werden. Er kann sich mit den ganzen Wichtigen schmücken, die mit ihm reden, aber wie viele davon tun es wirklich freiwillig und gerne? Natürlich kann ein „Bild“-Chef eigentlich nicht geliebt werden. Natürlich weiß Diekmann das auch. Aber das Wissen genügt halt nicht immer.

Das war der Stand damals. Mit dem Bloggen hat er sich einen Traum erfüllt. Jetzt wird er ein bisschen geliebt und musste dafür nicht einmal ein besserer Mensch werden.