Springer-Blätter fälschen und unterdrücken Nachrichten. Das war das schlichte Urteil von Kai Hermann, als er im Frühling 1968 für die „Zeit“ untersuchte, wie „Bild“, „B.Z.“ und die anderen Zeitungen aus dem Hause Axel Springer über die Demonstrationen nach dem Attentat auf Rudi Dutschke berichteten.
Springer forderte daraufhin von der „Zeit“ eine Unterlassungserklärung. Die Wochenzeitung sollte sich verpflichten, nicht mehr zu behaupten:
- Die Berliner Springer-Zeitungen verfälschen die Wahrheit.
- Die Redakteure der meisten Springer-Blätter konnten das Fälschen nicht lassen.
- In den Berliner Springer-Zeitungen wurden Nachrichten unterdrückt.
Weil die „Zeit“ aber, wie der „Spiegel“ am 13. Mai 1968 gut gelaunt berichtete, gerne bereit war, „mit einer Fülle von Belegen“ diese Behauptungen nachzuweisen, sorgten sich die Rechtsvertreter Springers, dass das selbst beantragte Verfahren zum Springer-Tribunal würde. Plötzlich versuchten die Anwälte, das Thema von der Springer-Berichterstattung auf die Berichterstattung der Berliner Springer-Blätter zu Ostern zu reduzieren. Und Otto Köhler schrieb im „Spiegel“:
Doch auch die verzweifelte Selbstbeschränkung nützte dem Verlagshaus Springer nichts. Denn selbst die Beweismittel, die [Springers Anwalt] Arning dafür anbot, daß die Springer-Zeitungen wenigstens zu Ostern nicht gefälscht hätten, erschienen dem Gericht zu dürftig.
Ein Beispiel: Kai Hermann hatte es als „Falschmeldung“ bezeichnet, daß „Bild“ als einzige Zeitung der Bundesrepublik einen Gladbecker Möbelhausbrand mit der Suggestivschlagzeile „Ist das Demonstration? Ist das Diskussion? Möbelhaus in Brand gesteckt“ oppositionellen Studenten zur Last legte.
Um zu beweisen, daß „Bild“ hier nicht gefälscht habe, legte Arning dem Gericht eine dpa-Meldung vor. Doch der Hinweis auf studentische Beteiligung lautete: „Möglicherweise in Zusammenhang mit den Demonstrationen der letzten Tage steht ein Großbrand am Ostersonntag.“ Das reichte, um mit „Bild“-Balken-Zeilen in der ganzen Bundesrepublik Demonstranten zu Möbelhausanzündern zu machen.
Das Gericht gab der „Zeit“ weitgehend Recht und entschied, dass man einstweilig behaupten dürfe, dass die Berliner Springer-Blätter die Wahrheit verfälschen und ihre Redakteure das Fälschen nicht lassen können. Die „Zeit“ hätte allerdings nicht behaupten dürfen, dass „in Berliner Springer-Zeitungen Nachrichten von Übergriffen und Brutalitäten auf seiten der Polizei konsequent unterdrückt werden“. Denn wie der „Spiegel“ süffisant hinzufügte:
Konsequent nicht. Da auch Springer-Redakteure Menschen sind, geht ihnen solch eine Nachricht manchmal durch.
Was für Zeiten das waren! Was für Zeiten das waren, kann man wunderbarerweise jetzt selbst nachlesen; geschildert nicht nur aus dem Rückblick der Historiker, sondern aus Zeugnissen der damaligen Gegenwart: In den „Spiegel“-Artikeln von damals, die mit dem ganzen Archiv seit kurzem kostenlos zugänglich sind.
Kaum eine Woche verging im Jahr 1968, in der sich der „Spiegel“ nicht an Axel Springer und seinem Imperium abarbeitete. Manchmal genügte es, einfach unkommentiert ein Gerichtsurteil abzudrucken, wie die bemerkenswerte Entscheidung des Amtsgerichtes Esslingen, das es am 22. Oktober 1968 ablehnte, ein Hauptverfahren wegen Nötigung gegen einen Anti-Springer-Demonstranten zu eröffnen. Der 25-Jährige hatte vor der Ausfahrt eines Esslinger Verlages geparkt, um die Auslieferung der „Bild-Zeitung“ verzögern zu helfen. Und das Gericht argumentierte:
(…) Der Verleger Axel Cäsar Springer beherrscht einen Großteil des deutschen Zeitungsmarktes. Diese Machtstellung wird bei der öffentlichen Meinungsbildung wie auch im wirtschaftlichen Leben rigoros ausgenutzt … Die Springer-Zeitungen sind außerdem Musterbeispiele publizistischer Verantwortungslosigkeit. Es wird nicht objektiv berichtet — viele Richter wissen das aufgrund der falschen Gerichtsberichte über eigene Verhandlungen (auch in Esslingen sind konkrete Fälle bekannt) –, sondern aus Stimmungsmache, oder um einen Knüller zu haben, die Wahrheit gebogen, ja, es wird effektiv gelogen.
So wird im nichtpolitischen Sektor wahrheitswidriger, gefühlsbetonter Klatsch gemacht; im politischen Sektor, wo nicht so leicht zwischen Wahrheit und Unwahrheit unterschieden werden kann, wird zumindest die Kritik eliminiert und nur eine bestimmte Meinung gemacht. Was dies bei der Verbreitung insbesondere der „Bild-Zeitung“ bei der einfacheren Bevölkerung bedeutet, bedarf keiner Erörterung.
(…) Auch die politisch engagierten Studenten erkannten die Gefahr für unsere Demokratie durch die Konzentration und die Gleichschaltung der Presse und vertraten mehrfach diese Meinung, speziell im Hinblick auf die Springer-Presse.
Diese unbequemen Studenten wurden hierauf von der Springer-Presse in einen Topf geworfen mit Gammlern und Halbstarken und als Radaubrüder qualifiziert … Die politischen Ansichten dieser Studenten mögen radikal, ja revolutionär sein; in einer freiheitlichen Demokratie sollte eine freie Presse aber objektiver darüber berichten. Wenn „Bild“ am 7. 2. 1968 schreibt: „Man darf über das, was zur Zeit geschieht, nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Und man darf auch nicht die ganze Dreckarbeit der Polizei und ihren Wasserwerfern überlassen“, so ist dies nicht eine demokratische Auseinandersetzung mit einem Andersdenkenden, sondern üble Stimmungsmache und Aufhetzung zu Gewalttaten (§ 130 StGB!).
Vor diesem Hintergrund ist die Meinung, der Mordanschlag auf Rudi Dutschke sei ein mittelbarer Erfolg der durch die Springer-Presse gegen die radikalen Studenten aufgewiegelten und manipulierten Öffentlichkeit, zumindest verständlich. (…)
Auf fast zwei Seiten dokumentierte der „Spiegel“ nach den Oster-Unruhen überwiegend kritische Stimmen über Springer — darunter dieses wunderbare Zitat aus der „Bayerischen Staatszeitung“ vom 19. April 1968:
Zahlreiche Analysen des Inhalts der „Bild-Zeitung“ haben den Nachweis erbracht, daß dieses Blatt seit Jahren immer wieder seine Leser einseitig, lückenhaft und unsachlich informiert … Sie scheut nicht davor zurück, die Wahrheit zu verfälschen, wenn mit der Unwahrheit Ressentiments aufgerührt werden konnten. Die „Bild-Zeitung“ spiegelt sehr deutlich wider, wie Zeitfragen von einem Teil unserer Gesellschaft, und zwar von den intellektuell wenig Geschulten, von einseitig Orientierten und halb Informierten erörtert werden. Dieses Gespräch ist durchsetzt mit Halbwahrheiten, Neid, Haß und Vorurteilen, mit Dummheit, Spießbürgertum und Desinteresse.
Schon mit der ersten Ausgabe des Jahres 1968 hatte der „Spiegel“ eine achtteilige Serie über Axel Springer begonnen („Ich werde Deutschland wiedervereinigen, ob Sie es glauben oder nicht“). Darin unter anderem auch ein „Psychogramm Axel Springers“ von Wilhelm Backhaus, der pikanterweise jahrelang als Kolumnist für Springer schrieb und die Bedeutung von „Bild“ so zusammenfasste:
In Deutschland hingegen sind seit dem Kriege gerade Minderwertigkeitsgefühle und Ressentiments verlegerisch zu nutzen, und das gelang Springer mit dem kongenialen Chefredakteur von „Bild“, Peter Boenisch, noch auf eine besondere, viel gefährlichere Weise. Sie erreichten es, daß sich der Konsument von „Bild“ nicht mehr mit dem Lesen begnügt; er wird aktiviert, man animiert ihn zur Zuschrift, man redet ihm ein, daß seine Stimme Volkes Stimme sei, daß Deutschland durch seinen Mund spricht.
So ist das Millionenheer der „Bild“-Leser bewußt zu einer politischen Macht aufgebaut worden, die ebenso bewußt gelenkt wie ausgespielt werden kann. Ihr Gewicht ist längst viel zu groß, als daß irgendein Politiker es noch wagt, sich ihr entgegenzustellen. Daß dies keine bloß konstruierten Spekulationen sind, hat Springer selbst durch die wiederholte Behauptung bestätigt, er und seine Politik erhielten ihren Auftrag, ihre Legitimation durch die tägliche Millionenzahl seiner Zeitungskäufer und -leser.
Am 22. Januar beschrieb der „Spiegel“ das Verhältnis zwischen Axel Springer und dem „Bild“-Chefredakteur Peter Boenisch:
(…) „Bild“-Boenisch weiß, was der „Bild“-Verleger wünscht — edel sein oberhalb der Rentabilitätsgrenze.
Um dieses respektablen Ziels willen wird täglich der eklige „Bild“-Brei aus Blut, Tränen und Hormonen angerührt und an Millionen Leser verfüttert. Es Boenisch vorzuhalten, hieße einem Marinaden-Händler den Matjes-Geruch ankreiden. Eine Zeitung, die täglich von fünf Millionen Deutschen gekauft werden soll, muß widerwärtig sein. (…)
Selbst die „Spiegel“-Leserbriefe jener Zeit sind lesenwert:
Als Zeitungs- und Zeitschriftenhändler, der sich gegen die einseitige, uniformierte Meinungsmache der Springer-Presseerzeugnisse zur Wehr setzte und in Leserbriefen (auch im SPIEGEL, wie extra vom Chefjustitiar erwähnt wurde) seiner Meinung Ausdruck gab, wurde mir von einem zum anderen Tag die Belieferung aller im Springer-Verlag erscheinenden Zeitungen und Zeitschriften gesperrt; „damit wurde meine Existenzgrundlage vernichtet.
Ich begrüße daher die SPIEGEL-Serie über diesen Mammutkonzern, der nicht diskutieren will, sondern jeden, der sich die veröffentlichte Meinung dieser Blätter nicht aufzwingen läßt und widerspricht, unter Druck setzt. Ich hoffe, daß dieser Presse-Allmacht recht bald die Flügel beschnitten werden, damit unsere Demokratie lebendig bleibt und nicht im Sumpf diktatorischer Gleichmacherei zur Farce wird.
Mellendorf (Nieders.) HERMANN PIEPER
Gebt Springer auch den Rest der Presse, dann hält die Wahrheit ganz die Fresse!
Berlin ALEX ARMBRÜSTER
Stärkt Axel Springer, bekämpft alle Pinscher!
Eschborn (Hessen) WILHELM HÖRNICKE
Und genüsslich zitierte das Nachrichtenmagazin, was Axel Springer über den „Spiegel“ sagte – natürlich nicht dem „Spiegel“ direkt, sondern in einem Fernsehgespräch:
In der Sendung „Dialog“ des Zweiten Deutschen Fernsehens fragte Klaus Harpprecht am vergangenen Donnerstag Axel Springer, was er von der Kritik an seinem Konzern halte:
SPRINGER: Ich würde sagen, die Angriffe im SPIEGEL und „Stern“, die berühren mich wenig, fast gar nicht. Ich will hier etwas verraten: Ich lese die auch nicht. Es ist der Ratschlag eines guten Freundes, sie nicht zu lesen. Ich lasse sie lesen. Das, was dort an perfiden Dingen, unwahren Dingen über mich gesagt worden ist und über unser Haus gesagt worden ist, da haben mich die juristischen Berater meines Hauses belehrt, daß man heutzutage da nicht einschreiten kann. Wir haben es also auch gelassen.
Wenn man all das heute liest, fällt auf, mit wieviel Leidenschaft und teilweise offensichtlicher Lust sich der „Spiegel“ in die Auseinandersetzung mit Springer stürzte — natürlich auch selbst nicht frei von Ideologie, aber in beeindruckender Breite und Tiefe, mit vielen Dokumentationen und offenkundig getragen von dem Gefühl der großen Bedeutung dieses Themas.
Die Bedienung des neuen „Spiegel“-Wissensportals ist noch ein ziemlicher Alptraum. Aber die Schätze, die sich darin finden, lohnen das mühsame Graben. Und weil sich alle Artikel unmittelbar verlinken lassen und ohne Registrierung gelesen werden können, wird das Archiv allmählich von Google entdeckt werden, und bei irgendwelchen Suchen wird man ganz selbstverständlich auf „Spiegel“-Artikel aus vergangenen Jahrzehnten stoßen. Das ist, nicht nur wenn es um die 68er geht: revolutionär.