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Die eigenen schärfsten Kritiker: Wie die BBC mit ihren Skandalen umgeht

Wenn bei der BBC etwas schiefläuft, setzt ein bemerkenswerter Reflex ein. Brutal schonungslos berichtet sie über ihre eigenen Fehler und gibt ihren Kritikern breiten Raum. Das hat fast etwas Masochistisches, ganz sicher jedenfalls etwas Kathartisches: als solle die Schmach — soweit möglich — dadurch wettgemacht werden, dass sie in brutaler und journalistisch vorbildlichster Offenheit aufgearbeitet wird.

Es ist eine Art Überkompensation im Dienst der eigenen Glaubwürdigkeit: Niemand soll der BBC vorwerfen können, dass sie mit sich selbst weniger hart ins Gericht geht als mit anderen.

Das Ergebnis ist im Sinne des Publikums: Die BBC ist ein guter Ort, sich über Vorwürfe über die BBC zu informieren. Ich kenne keine andere journalistische Institution, für die das in diesem Maße gilt.

Am vergangenen Freitag musste sich „Newsnight“, das wichtige werktägliche Nachrichtenmagazin der BBC, entschuldigen. Die Sendung hatte einen hochrangigen Politiker fälschlicherweise in Verbindung mit einem Kindermissbrauchsfall gebracht. Erst vor wenigen Wochen war bekannt geworden, dass „Newsnight“ im vergangenen Jahr eine Bericht über die Vorwürfe gegen den legendären BBC-Moderator Jimmy Savile aus dubiosen Gründen nicht ausgestrahlt hatte.

Die „Newsnight“-Sendung vom Freitag hätte einen Platz in den Wörterbüchern verdient, unter cringeworthy. Es ist gleichzeitig schwer anzusehen und unmöglich wegzusehen. Ich bin mir nicht sicher, ob der Moderator sich hinterher etwas angetan hat.

Oder anderen.

Und hier kann, nein: muss man das Radio-Interview hören, das BBC-Star-Moderator John Humphrys am Samstagmorgen in der „Today“-Sendung auf Radio 4 mit dem Generaldirektor der BBC, George Entwistle, führte, der vor der Sendung offenbar noch glaubte, seinen Job behalten zu können.

Das schmutzige Geheimnis der Eurovision

„Eurovision’s Dirty Secret“ heißt die Sendung, die das BBC-Magazin „Panorama“ gestern ausgestrahlt hat. Sie kommt ein bisschen breitbeinig daher, zeichnet aber ein sehr beklemmendes Bild des Landes, in dem am kommenden Samstag das Finale des Grand-Prix stattfindet.

Mit sichtlicher Freude entzaubert Reporter Paul Kenyon die Haltung der Europäische Rundfunkunion EBU, die den ESC veranstaltet und in der u.a. ARD und ZDF Mitglieder sind. Er schafft es, die Generaldirektorin Ingrid Deltenre gleich zu mehreren erstaunlichen Aussagen zu bringen.

Sie vergleicht die in vielfacher Hinsicht ungesetzlichen Zwangsvertreibungen in Baku mit Ärger über Umsiedlungen vor den Olympischen Spielen in London. Sie bestätigt, dass die aserbaidschanische Regierung versucht, den ESC zu politisieren. Sie räumt ein, dass es anrüchtig ist, dass als Pausenact ausgerechnet der Schwiegersohn des aserbaidschanischen Präsidenten auftreten wird (die Präsidentengattin leitet das Organisationskommittee dieses unpolitischen Events). Und Sie sagt mit, wie ich fast annehmen muss, versehentlicher Offenheit, dass Aserbaidschan das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht respektiert, obwohl gerade das für die EBU doch absolut essentiell ist.

(Der Teil ab 0:23 in den folgenden Ausschnitten bezieht sich auf die Wahl von Präsidentenschwiegersohn Emin als Interval Act.)


 
Die ganze Sendung ist bei der BBC leider nur von Großbritannien aus anzusehen. Nachtrag: Gibt’s aber auch auf YouTube.

Der „Tagesspiegel“ im Kampf gegen Factual Correctness

Was bisher geschah: Am Mittwoch behauptet der „Tagesspiegel“ in einem Artikel, die BBC habe die Bezeichnungen „vor / nach Christus“ in Zeitangaben aus übertriebener Political Correctness abgeschafft. Richtig ist, dass die Religionsseiten des Online-Angebotes der BBC auf diese Begriffe verzichten. Eine allgemeine Vorgabe gibt es laut BBC aber nicht. Nachdem ich im BILDblog den „Tagesspiegel“-Artikel als „Urbane Legende von der Political Correctness“ kritisiert habe, antwortet nun der „Tagesspiegel“-Autor auf tagesspiegel.de.

Schon der Vorspann ist falsch. Da steht:

Der Journalist Stefan Niggemeier wirft in seinem „Bildblog“ dem Tagesspiegel vor, falsch über den Verzicht der BBC auf die zeitliche Einordnung „vor Christus“/“nach Christus“ berichtet zu haben. Unser Korrespondent Matthias Thibaut nimmt Stellung.

Es gibt aber gar keinen Verzicht der BBC auf die zeitliche Einordnung „vor Christus“ / „nach Christus“.

Danach wird es nicht besser. Matthias Thibaut nimmt in seiner Erwiderung nichts zurück. Er korrigiert keinen seiner Fehler. Er „erinnert“ stattdessen daran, dass er in seinem „Tagesspiegel“-Bericht über die angeblich zum Orwellschen Ministerium der Wahrheit verkommende BBC ausdrücklich die „Daily Mail“ als Quelle der Berichte genannt habe.

Immerhin, soll das wohl heißen, hat er sich die Fehler nicht selbst ausgedacht. Er hat sie sich aber zu eigen gemacht.

Aber, schreibt Thibaut, er habe doch den von ihm zitierten Behauptungen der „Daily Mail“ folgende Sätze hinzugefügt:

Die BBC selbst betont, es gebe keinen Erlass von oben — jede Redaktion könne selbst entscheiden.

Aber Mitarbeiter wurden nachdrücklich daran erinnert, was für ein multiethnisches Publikum angemessener sei.

Er meint wohl, mit dem Alibisatz mit der BBC-Stellungnahme seiner journalistischen Sorgfaltspflicht genüge getan zu haben. Für die unmittelbar folgende Behauptung, die sie entwertet, nennt er keine Quelle.

Mit keinem Wort geht Thibaut darauf ein, dass auch die Geschichte falsch ist, die er ebenfalls aus dem Lügenblatt „Daily Mail“ abgeschrieben hat, „dass in einigen Gemeinden Weihnachten bereits durch das Kunstwort ‚winterval‘ (Winterfestival) ersetzt wurde, um Nichtchristen nicht zu verletzen“. Und er nimmt auch nicht seine falsche Behauptung zurück, dass „die BBC eine Nachrichtensprecherin abmahnte, die an einer Halskette ein Kreuz trug“. Stattdessen schreibt er: „Ich habe die schöne Fiona Bruce, die ich sehr bewundere, schon lange nicht mehr mit Kreuz gesehen“, als beweise das irgendetwas, außer dass Thibaut den Grundkurs „Weniger offensichtlich erbärmlich argumentieren“ geschwänzt hat.

In einem Punkt hat Thibaut Recht: Selbstverständlich ist mein BILDblog-Eintrag kein „Ausbund an objektiver Berichterstattung“. Er ist polemisch, was daran liegt, dass ich wütend bin. Weil sich seit Jahren immer dasselbe Muster wiederholt: Winzigkeiten, Halbwahrheiten und Komplettlügen werden zu Scheinbelegen dafür gemacht, dass Verfechter der Political Correctness dabei seien, das Abendland zu vernichten, indem sie im angeblichen Kulturkampf gegen den Islam Selbstmord aus Angst vor dem Tode begingen.

Kein Anlass ist dafür zu klein (und zu falsch), keine Überinterpretation zu groß. Die „Daily Mail“, die der Londoner Korrespondent des „Tagesspiegel“ offenbar mit Billigung seiner Redaktion als eine seriöse Quelle behandelt, hat aufgrund der BBC-Zeitenwendenbenamsungs-Sache einen Artikel veröffentlicht, der die vermeintliche Umbenennung in einen Kontext von Herbert Marcuse bis zur RAF stellt und in ihr Teil eines „marxistischen Plans“ sieht, „die Zivilisation von innen zu zerstören“.

Ich bin wütend, weil es mich fassungslos macht, wie die Lügen der „Daily Mail“ und ähnlicher Hassprediger immer wieder um die Welt gehen und unausrottbar werden, wie die Mär vom angeblich christliche Traditionen verdrängenden „Winterval“. Man sollte denken, dass Journalismus eine Barriere bei der Verbreitung dieser Urban Legends darstellt; stattdessen werden sie von Journalisten wie Thibaut begeistert weitergetragen.

Thibaut spricht von den „Diktaten der politischen Korrektheit“ und merkt nicht die Ironie. Tatsächlich verzichtet die BBC ja gerade auf das Diktat einer Formulierung. Sie stellt, im Gegenteil, ihren Redaktionen frei, welche Begriffe sie verwenden wollen — diejenigen, die sich explizit auf Christi Geburt beziehen, oder neutralere. Was die BBC hier predigt, ist die Freiheit der Wahl. Ist es nicht erstaunlich, dass ausgerechnet die Kämpfer gegen die „Diktate der politischen Korrektheit“ diese Freiheit nicht aushalten? Diejenigen, die gegen die BBC wettern und fordern, sie müsse immer und jedesmal Christus‘ Namen gebrauchen, sind es, die einen bestimmten Sprachgebrauch diktieren wollen.

Thibaut schreibt:

(…) ich halte es wirklich nur für eine Frage der Zeit, bis als Beispiel erfolgreicher Integration eine muslimische Nachrichtensprecherin im britischen TV mit Kopftuch auftreten wird — so wie seinerzeit der erste schwarze Nachrichtensprecher Trevor McDonald in England eine Barriere durchbrach.

Ich weiß nicht, ob er bedauert, dass Schwarze in Großbritannien Nachrichten lesen dürfen. Die Aussicht auf eine Nachrichtensprecherin mit Kopftuch jedenfalls hatte er in seinem ursprünglichen Artikel noch als düstere Vision „zynischer Kritiker“ dargestellt.

Nun sagt Thibaut, er würde muslimischen Frauen das Moderieren mit dem Kopftuch gerne erlauben, wenn sie eine Gegenbedingung erfüllen:

Wenn wir, als Gegenleistung für diesen Integrationsakt, in der BBC und anderswo, dann wieder, so wie die längst selbstverständlichen Witze und Lästerungen über Jesus und die Bibel, in der BBC auch wieder Späße oder gar Kritik über Mohammed und den Koran hören dürften, hätte ich persönlich nicht einmal etwas dagegen.

Immerhin kann man dem „Tagesspiegel“ also keine fehlende Toleranz vorwerfen: Er beschäftigt sogar Korrespondenten, die keine freundschaftlichen Beziehungen zur deutschen Sprache unterhalten — Verzeihung, ich bin immer noch und schon wieder wütend.

Für Thibaut hat Freiheit offenbar nichts mit unveräußerlichen Menschenrechten zu tun. Sie werden nur gegen Pfand ausgeliehen.

Wir können uns gern darauf einigen, dass meine Kritik an Thibaut und seinem „Tagesspiegel“-Bericht polemisch, unsachlich und nicht objektiv ist. Auf der anderen Seite: Seine Behauptungen sind falsch. Er weigert sich, sie zu korrigieren.

Übrigens: Die Erklärung im Religions-Ressort der BBC-Webseite, es verzichte auf die Verwendung der Begriffe „vor / nach Christus“, steht da seit mindestens vier Jahren.

Flausch am Sonntag (26)

„Mongrels“ funktioniert nach dem Prinzip: Wenn man schon eine Puppenserie für Erwachsene macht, sollte man auch das meiste draus machen und keine Rücksicht auf Tabus oder irgendwelche Grenzen des guten Geschmacks nehmen. So gesehen ist die Serie mit ihren Witzen über Anne Frank, Serienkiller und tote Showmaster natürlich außerordentlich pubertär. Aber sie ist auch klug, anspielungsreich, originell, witzig und ambitioniert. Ich habe jede Folge mit offenem Mund angesehen. Und dann noch einmal.

„Mongrels“ spielt im Londoner East End, hinter einem Pub. Die Haupt-Protagonisten sind zwei Füchse, eine Katze und eine Taube, die sich hier herumtreiben, sowie die eitle Hündin des Besitzers. Zu den cleveren Ideen gehört es, die Tiere nicht nur, wie üblich, zu vermenschlichen, sondern umgekehrt auch immer wieder auf ihre tierischen Reflexe zu reduzieren.

Hinzu kommt der reizvolle Kontrast zwischen den niedlichen Figuren und den obszönen Situationen und drastischen Geschichten. Die Macher sind zum Beispiel auf eine beunruhigende Art besessen vom Thema Tod. Ich glaube, es gibt keine Folge, in der nicht ein gerade gestorbenes Lebewesen, sei es Tier oder Mensch, von anderen Mitwirkenden aufgefressen wird. Es geht um Terroranschläge, Sex mit Minderjährigen (Katzen), Tollwut, Kastration, Kannibalismus, versehentlichen Lesbianismus, die Existenz von Gott, Facebook-Blind-Dates und die Frage der Möglichkeit der Liebe zwischen einem Fuchs und einem Huhn.

In jeder Folge gibt es einen Musical-Song — dieser hier handelt in anschaulichen Worten von Hühnerfeindlichkeit:

„Mongrels“ ist voller popkultureller und selbstreferentieller Anspielungen, gespielt von fantastisch lebendigen Figuren. In dieser Woche lief vor dem überschaubaren Publikum des Digitalsenders BBC 3 die achte und vorerst letzte Folge. Ich sehne mich jetzt schon nach einer Fortsetzung. Am Montag erscheint die DVD.

Flausch am Sonntag (9)

Zwanzig Jahre ist es her, dass der große Douglas Adams sich mit dem Zoologen und Fotografen Mark Carwardine auf den Weg machte, die letzten Tiere ihrer Art zu besuchen. Aus ihrer Reise zum Aye-Aye, dem Weißen Rhinozeros, dem Yangtse-Delfin und anderen entstanden eine BBC-Radioserie und eines meines Lieblingsbücher.

Während Adams unterwegs war, hütete der von mir sehr verehrte Stephen Fry sein Haus in England. Und sah jetzt nach, was aus den aussterbenden Tierarten geworden ist, die Adams ge- und besucht hatte — wieder mit Carwardine, diesmal aber für eine sechsteilige Fernsehreihe, die gerade in der BBC gelaufen ist.

Es fehlt etwas der besondere Humor des Schriftstellers, der Fjordland in Neuseeland (eine magische Gegend, die ich vor einigen Jahren kennenlernen durfte) zum Beispiel so beschrieb:

„Würde man ganz Norwegen nehmen, es ein bißchen durchkauen und alle Elche und Rentiere rausschütteln, es dann zehntausend Meilen weit um die Welt schleudern und mit Vögeln auffüllen, wäre das Zeitverschwendung, weil es so aussieht, als hätte das schon jemand getan.“

Aber es ist Fernsehen vom Feinsten: unterhaltsam und lehrreich, aufwändig und herzerwärmend, und das hier ist die Szene, in der Sirocco, ein von Hand aufgezogener Kakapo (der auch eine eigene Facebook-Seite hat und twittert), dem Fotografen seine Zuneigung zeigt:

(Eine Szene mit einem dieser fantastischen Kiwis gibt es auch, aber die wirkt doch ein bisschen unfreundlich dem eigentlich gerade Mittagsschlaf haltenden Tier gegenüber, obwohl das natürlich alles für einen guten Zweck ist, irgendwie.)

Charlie Brooker über Winnenden-TV

Gerade erst gesehen, dass sich auch der britische Fernsehkritiker Charlie Brooker in seiner BBC-Show „Newswipe“ der Berichterstattung über den Amoklauf von Winnenden vorgenommen hat.

Er zeigt unter anderem ein Interview mit dem Psychologen und Kriminologen Park Dietz, in dem der erzählt:

Seit 20 Jahren habe ich zu CNN und den anderen Medien immer wieder gesagt: Wenn ihr nicht dazu beitragen wollt, dass es weiterer Massenmorde gibt, fangt Eure Geschichten nicht mit dem Geheul der Sirenen an, zeigt keine Fotos des Mörders, macht daraus keine 24-Stunden-Live-Berichterstattung, vermeidet es soweit wie möglich, mit der Zahl der Toten aufzumachen, stellt den Mörder nicht als eine Art Anti-Helden dar, macht stattdessen aus der Berichterstattung eine lokale Geschichte für die betroffenen Gemeinden und macht den Fall so langweilig wie möglich für alle anderen Märkte. Denn jedesmal, wenn wir ausufernde, intensive Berichterstattung über einen Massenmord haben, erwarten wir ein oder zwei Nachahmungstäter innerhalb einer Woche.

So, wie Brooker die Sätze geschnitten hat, werden sie allerdings ungleich eindrucksvoller:

Ist es nicht erstaunlich, wie ein ganzer Berufsstand es kollektiv und grenzüberschreitend abzulehnen scheint, Verantwortung für die Folgen seiner Arbeit zu übernehmen?

[via Mind Hacks]

Auch Fernsehshow-Anrufer haben Rechte – in Großbritannien

Die Briten haben eine erfrischend eindeutige Haltung zu Fernseh- und Radiosendungen, in denen das Publikum dazu aufgefordert wird, die ein oder andere kostenpflichtige Telefonnummer anzurufen: Wenn der Zuschauer Geld ausgibt, muss er auch etwas dafür bekommen. Eine tatsächliche Chance auf einen Gewinn, zum Beispiel. Oder die Möglichkeit, eine Wahl mit einer abgegebenen Stimme tatsächlich zu beeinflussen.

Es war keine böse Absicht, dass die BBC am vergangenen Wochenende gegen diese Regel verstieß und wieder einmal den Volkszorn provozierte. Es war reine Dusseligkeit. Und das ausgerechnet bei der seit Monaten unter größter Anteilnahme der Nation laufenden Show „Strictly Come Dancing“, die auf deutsch in Deutschland „Let’s Dance“ heißt und in der Prominente um die Wette tanzen. Heute Abend ist das große Finale – es werden weit über zehn Millionen Zuschauer erwartet.

Eigentlich hätte im Halbfinale am vergangenen Samstag eines von drei verbliebenen Paaren ausscheiden sollen. Die Wertungen von vier Juroren einerseits und die Abstimmung des Publikums andererseits bestimmen jeweils zur Hälfte die Platzierung der Kandidaten. Die beiden schlechteren Paare müssen in ein Duell, in dem dann die Jury alleine entscheidet.

Es ergab sich aber, dass die Jury zufällig zwei Paare punktgleich auf den ersten Platz gesetzt hatte. Das drittplatzierte Paar hatte aufgrund des Punktesystems keine Chance mehr, den ersten Platz zu erreichen und so vor dem entscheidenden Duell gerettet zu werden – ganz egal, wie das Publikum abgestimmt hätte. Entgegen der ununterbrochenen Aufrufe, für das eigene Lieblingspaar zu stimmen und es so vor dem Duell zu bewahren, war jede Stimme für die Drittplatzierten verschenkt.

Leider fiel das den Verantwortlichen erst auf, als die Abstimmung längst lief. Und leider gab es keine Regel, was in einem solchen Fall zu tun sei. Und so beschloss die BBC, die Abstimmung nach einer Stunde „einzufrieren“ und alle drei Paare ins Finale kommen zu lassen. Die bereits abgegebenen Stimmen sollen dann dort gelten.

Ein Anruf in der Sendung kostet nur vergleichsweise lächerliche 15 Pence (16 Cent), aber das Ausmaß an Empörung und Schiebung-Rufen war dennoch gewaltig. Es legte sich erst dann ein wenig, als die BBC öffentlich erklärte, all die Anrufer, die wirklich unglücklich seien über den veränderten Ablauf, könnten ihr Geld zurück bekommen – zunächst hatte die BBC genau das abgelehnt. Aber bei kostenpflichtigen Telefonspielen sind die Briten besonders sensibilisiert, seit herauskam, dass nicht nur Sender und Sendungen nach dem Vorbild von 9Live die Zuschauer in die Irre führten, sondern die Anrufer auch in großen Shows und sogar Benefiz-Galas getäuscht wurden. Die Aufsichtsbehörde Ofcom griff mit Strafen in Höhe von mehreren Millionen Euro durch. Noch in dieser Woche verhängte sie eine Geldbuße von rund 100.000 Euro, weil vorher aufgezeichnete Radiosendungen der BBC so taten, als könne man live anrufen.

Eine funktionierende Medienaufsicht aber ist in Deutschland ähnlich unvorstellbar wie die Art, in der sich ein BBC-Verantwortlicher in den BBC-Nachrichten unangenehme Fragen vom Moderator nach dem peinlichen Chaos bei „Strictly Come Dancing“ gefallen lassen musste (Video). Vor allem aber fehlt bei uns fast jedes Gefühl, dass mit dem Geld, das die Fernsehsender durch die teuren Anrufe einnehmen, eine Verpflichtung verbunden ist.

Als im vergangenen Jahr der Kandidat Max Buskohl die RTL-Casting-Show „Deutschland sucht den Superstar“ außer der Reihe verließ, behaupteten er und sein Vater hinterher, der Sender habe ihn überredet, nicht sofort zu gehen, sondern erst nach der nächsten Entscheidungsshow. So konnte RTL am Samstag durch die Telefonanrufe der Zuschauer noch Einnahmen in schätzungsweise sechsstelliger Höhe generieren – bevor am Sonntag klar wurde, dass all diese Anrufe bedeutungslos waren, weil Buskohl ging und deshalb der vom Publikum herausgewählte Kandidat bleiben durfte. Die zuständige Landesmedienanstalt sah sich nicht veranlasst, bei RTL überhaupt nachzufragen, was denn da los war, ein öffentlicher Aufschrei über den Betrug an den Zuschauern blieb aus. Vermutlich hätte man das Gelächter der RTL-Verantwortlichen durch die halbe Republik gehört, wenn einer der Anrufer versucht hätte, sein Geld zurück zu bekommen.

Apocalypse Then

In Großbritannien ist in der vergangenen Woche der Text veröffentlicht worden, der in den siebziger Jahren im Radio im Fall eines Atombombenanschlags auf das Land durchgegeben werden sollte [pdf]. Er beginnt mit den Sätzen:

This is the Wartime Broadcasting Service. This country has been attacked with nuclear weapons. Communications have been severely disrupted, and the number of casualties and the extent of the damage are not yet known. We shall bring you further information as soon as possible. Meanwhile, stay tuned to this wavelength, stay calm and stay in your own homes.

Und endet mit den Sätzen:

We shall repeat this broadcast in two hours‘ time. Stay tuned to this wavelength, but switch your radios off now to save your batteries until we come on the air again. That is the end of this broadcast.

Zwischendurch wird den Briten erklärt, dass sie kein Wasser verschwenden sollen und sich frische Nahrungsmittel nicht so lange halten wie Essen in Dosen, weshalb sie zuerst gegessen werden sollten. Vor allem aber:

Remember there is nothing to be gained by trying to get away.

Faszinierend ist auch, dass die Regierung sich sehr darum sorgte, dass die Bevölkerung das fatale Gefühl bekommen könnte, die nationale Institution, die BBC, sei ausgelöscht worden. Nur eine vertraute BBC-Nachrichtenstimme könne die Menschen beruhigen, schrieb 1974 der damalige Kommunikationsminister. Das Problem war nur, dass der einzige BBC-Sprecher, der nach Sicherheitsmaßstäben als zuverlässig genug eingestuft wurde, relativ unbekannt war — die Starmoderatoren der damaligen Zeit hatten nicht die nötige Freigabe der Behörden bekommen.

Wer letztlich ausgewählt wurde, ist unbekannt — aber laut „Independent“ ist die Aufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit tatsächlich produziert worden.

Die Grafik, mit der die BBC die Meldung über die apokalyptische Ansage illustriert, ist aber vermutlich eher nur ein Symbolfoto:

Kurz verlinkt (20)

„Zeit Wissen“: Wie die „Gesellschaft für Rationelle Psychologie“ mit pseudowissenschaftlichen Studien Scheinnachrichten produziert, die die deutschen Medien begeistert verbreiten.

· · ·

„The Conspiracy Files: 9/11 – The Third Tower“: packende einstündige BBC-Dokumentation, die versucht, die vielen Merkwürdigkeiten rund um den Einsturz von Tower 7 des World Trade Center, zu erklären. (Mehr dazu, auch über die scheinbare eigene Verwicklung der BBC in den Fall, im Editors-Blog der BBC: „Controversy and Conspiracies II“, „Controversy & Conspiracies III“, Impossible Conspiracies“.)

Stephen Frys Plädoyer für die BBC

ARD und ZDF sind nicht die einzigen Sender, die sich kniffligen Fragen stellen müssen nach dem Selbstverständnis öffentlich-rechtlichen und gebührenfinanzierten Rundfunks in der neuen Medienwelt. Die BBC ist in einer ähnlichen Situation — die britische Medienaufsicht Ofcom untersucht gerade, in welcher Form Public Service Broadcasting (PSB) in Zukunft organisiert und finanziert werden kann und soll.

Als Beitrag zur öffentlichen Debatte hat die BBC eine Vorlesungsreihe ins Leben gerufen. Zum Auftakt sprach die Fernsehlegende Sir David Attenborough, am vergangenen Woche der große Stephen Fry.

Sein 40-minütiger Vortrag ist außerordentlich sehenswert — nicht nur, weil ungefähr alles, was Fry macht, klug und unterhaltsam und außerordentlich sehenswert ist.

Manche seiner Gedanken sind vielleicht nur vor dem besonderen Hintergrund der (von mir heißgeliebten) britischen Kultur verständlich. Etwa wenn er über den Wert von Comedy für die Gesellschaft spricht:

Comedy had been my rock and roll as a child and now I was allowed to do it for a living. There is an argument that comedy is a greater public service than any other genre of art or culture: it heals divisions, it is a balm for hurt minds, it binds social wounds, exposes real truths about how life is really led. Comedy connects. The history of BBC comedy in particular is almost a register of character types, a social history of the country. Hancock, Steptoe, Mainwaring, Alf Garnett, Basil Fawlty, Baldrick, Victor Meldrew, Alan Partridge, Ali G, David Brent, the matchlessly great General Melchett — it is much harder to list character types from serious drama who have so penetrated the consciousness of the nation and so closely defined the aspirations and failures of successive generations. A public service broadcasting without comedy is in danger of being regarded as no more than a dumping ground for worthiness. Seriousness is no more a guarantee of truth, insight, authenticity or probity than humour is a guarantee of superficiality and stupidity. Angels can fly because they take themselves lightly.

Aber Frys Vortrag hat auch für die deutsche Debatte Relevanz.

Nun sind ARD und ZDF nicht ganz vergleichbar mit der BBC. Sie ist einerseits in einem viel stärkeren Maße eine nationale Institution Großbritanniens, die eine gemeinsame kulturelle Identität stiftet, und strahlt andererseits aufgrund der englischen Sprache (und der britischen Geschichte) viel mehr in die Welt aus. Die Kreativität dieser Organisation in den vergangenen Jahrzehnten ist einzigartig.

Aber eine Kernfrage der aktuellen Debatte ist dieselbe: Wollen uns wir in Zeiten, da es keine Knappheit mehr an Frequenzen und Kanälen mehr gibt, noch einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk leisten, der alles produziert: banale Unterhaltung ebenso wie seriöse Informationen, Gameshows ebenso wie Auslands-Reportagen? Ist es richtig, dass die BBC auch die englischen Versionen von „Let’s Dance“ und „Big Boss“ zeigt? Oder sollte sich die Gebührenfinanzierung beschränken auf jene Programme, die der Markt nicht hervorbringt? Es geht, anders gesagt, um den in Deutschland systematisch missverstandenen Begriff der „Grundversorgung“. Gemeint hat das Bundesverfassungsgericht, das ihn geprägt hat, damit alles: Das komplette Fernsehprogramm, das die Menschen sehen wollen und sollen, quer über alle Genres und Ansprüche. Benutzt wird er meist im Sinne einer Mindestversorgung: nur die Programme, die das Privatfernsehen nicht zeigt, weil sie zu teuer sind oder zu wenige Zuschauer haben, die aber irgendwie hochwertig oder wichtig oder wenigstens erwünscht sind.

Stephen Frys Antwort ist eindeutig:

(…) Even the most immoderately free market media analyst or commentator I have heard or read would concede that there is a need for good impartial news coverage; that a nation deserves access to programmes that reveal truths about themselves and the world. But mostly they would argue too that if that is what the BBC is to provide, it can be slimmed down, the corporation can lose the need to make its Doctor Who and Strictly Come Dancing, its populist forays can be taken care of by ITV, whose audience share would concomitantly rise, narrowing its dreaded gap, while money would be freed from retrenching the BBC’s ambitions in the digital world, in film‐making, in popular TV, in sporting occasions, money that could create better PSB programming and allow Channel 4 access to money that would spare us more The Boy Whose Testicles Play The Harpsichord. (…)

But what would that BBC then be? Who would watch it? How could an audience be brought to a channel that showed nothing but worthy programming, no matter how excellently produced? Isn’t the whole point of the BBC as a major channel, a real player in TV production across the spectrum of genres and demographics, isn’t the whole point of that BBC its ability to draw audiences into PSB programming by virtue of their loyalty and trust in a brand that provides entertainment, pure and simple? (…) In a sense the nature of the BBC as it is, ‚gives permission‘ to all kinds of people to watch
programmes they otherwise might not. What is the alternative, a ghettoised, balkanised electronic bookshop of the home, no stations, no network, just a narrowcast provider spitting out content on channels that fulfil some ghastly and wholly insulting demographic profile: soccer mum, trailer trash, teenager, gay, black music lover, Essex girl, sports fan, bored housewife, all watching programmes made specifically for them with ads targeting them. Is that what we mean by inclusivity? Is that what we mean by plurality? God help us, I do hope not. (…)

Do we have to make a distinction [between entertainment and public service broadcasting]? That’s the point surely. (…) I have to be personal again. I wanted to make a pair of films about bipolar disorder, did I have to believe that I was making a public service series? Could I not believe as I did, that I was making two television programmes that I hoped as many people as possible might watch, just as I would hope if I was making a drama or a comedy? Yes, those couple of films on manic depression may well have fulfilled a public service, one that could be uniquely followed up via the BBC’s resources on radio, on websites and on help‐lines, but the gratifying large audience that tuned in, did they do so because it was public service broadcasting? How insulting to everyone concerned is that? (…)

You know when you visit another country and you see that it spends more money on flowers for its roundabouts than we do, and you think … coo, why don’t we do that? How pretty. How pleasing. What a difference it makes. To spend money for the public good in a way that enriches, gives pleasure, improves the quality of life, that is something. That is a real achievement. It’s only flowers in a roundabout, but how wonderful. Well, we have the equivalent of flowers in the roundabout times a million: the BBC enriches the country in ways we will only discover when it has gone and it is too late to build it up again. We actually can afford the BBC, because we can’t afford not to.

Stephen Frys Vortrag: als Video, als Audio, als Transkript.