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Vorauseilende Selbstverstümmelung

Es scheint, als hätten alle Proteste von Betroffenen und Experten nichts genützt: Wenn sich die Intendanten von ARD und ZDF am morgigen Dienstag mit Vertretern der Zeitungsverlage treffen, sind sie bereit, einen wesentlichen Teil der öffentlich-rechtlichen Online-Angebote aufzugeben — im Tausch gegen einen medienpolitischen Burgfrieden.

Seit Wochen arbeiten Spitzenvertreter der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger BDZV an einer „gemeinsamen Erklärung“. Die Entwürfe sehen unter anderem eine Aufteilung des deutschen Online-Journalismus vor: ARD und ZDF sollen sich in ihren Internet-Auftritten auf Audio- und Videoinhalte konzentrieren. Im Gegenzug würden sich die Online-Ableger der Zeitungen im Wesentlichen auf Texte und Fotos beschränken.

Eine gemeinsame Arbeitsgruppe soll gebildet werden, die exemplarisch Online-Angebote der Beteiligten durchgeht. Dabei sollen auch Kooperationsmöglichkeiten und gegenseitige Verlinkungen geprüft werden.

Sowohl die Redakteursausschüsse von ARD und ZDF als auch die Internetverantwortlichen der ARD in der Redaktionskonferenz Online (RKO) haben die Intendanten eindringlich vor den Folgen einer solchen „Erklärung“ gewarnt. Der Entwurf könne zu „weitreichenden negativen Auswirkungen und Eingriffen in den Bestand und die Entwicklungen der Telemedien der ARD“ führen, schrieb die RKO. „Für die aktuelle Berichterstattung jedes Onlineangebots sind Schlagzeilen, Kurztexte und Langfassungen im Verbund mit Fotos eine notwendige Grundlage, sowohl im Hinblick auf die Quellenlage, als auch auf das Nutzungsverhalten.“ Die „publizistische Relevanz“ der öffentlich-rechtlichen Online-Angebote würde geschwächt und damit die öffentlich-rechtlichen Sender insgesamt.

ARD-Sprecher taten das nach außen mit der Behauptung ab, die Kritiker protestierten auf der Grundlage einer „älteren Version“. Doch auch die aktuelle Fassung, die erst eine Woche alt ist, unterscheidet sich davon nicht grundsätzlich.

Die Federführung bei den Verhandlungen mit den Verlegern hat die WDR-Intendantin und amtierende ARD-Vorsitzende Monika Piel. Außer ihr sind die Intendanten Ulrich Wilhelm (BR) und Lutz Marmor (NDR) beteiligt — nicht aber der für Online in der ARD zuständige SWR-Intendant Peter Boudgoust.

Nach der internen und externen Kritik haben die ARD-Intendanten auf ihrer Sitzung am 6./7. Februar in Erfurt offenbar kontrovers über das Vorgehen beraten. Doch die Appeasement-Fraktion um Monika Piel konnte sich durchsetzen: Die Änderungen, die nachträglich am Entwurf vorgenommen wurden, sind eher kosmetischer Natur. So bleibt es dabei, dass eigenständige Texte in den Online-Angeboten von ARD und ZDF als Ausnahme festgeschrieben werden. Neu hinzugekommen ist in diesem Zusammenhang nur der Hinweis darauf, dass im Sinne eines barrierefreien Zugangs auch Texte erforderlich sein könnten. Umgekehrt sollen auch die Zeitungsangebote im Netz aus Gründen der Barrierefreiheit eigenständige Video- und Audio-Inhalte veröffentlichen dürfen.

Nichts von alldem ergibt Sinn.

Unklar ist schon einmal, warum ARD und ZDF überhaupt mit den Verlegern über ein solches Kompromisspapier verhandeln. Im Streit um die Tablet-Version von tagesschau.de, gegen die mehrere Verlage geklagt haben, hatte der Richter zwar angeregt, dass beide Seiten miteinander reden. Aber erstens geht es in den Gesprächen, die nun geführt werden, gar nicht um die „Tagesschau“-App, sondern ein viel fundamentaleres Abstecken der Grenzen öffentlich-rechtlicher Online-Angebote. Und zweitens spricht wenig dafür, dass die ARD diesen Rechtsstreit am Ende verloren und deshalb ein Interesse daran hätte, den Verlegerforderungen vorsorglich weit entgegen zu kommen.

Erklären lässt sich die als Kompromiss verkleidete Kapitulation von ARD und ZDF nur durch das unbedingte Bedürfnis einiger ihrer Vertreter, in den zu erwartenden Auseinandersetzungen um ihre zukünftige Legitimation Ruhe an dieser Front zu haben. Dafür steht der BR-Intendant Wilhelm, der erst vor gut einem Jahr aus der Bundesregierung in dieses Amt wechselte. Und dafür steht in ganz besonderem Maße Monika Piel.

Sie hatte bereits unmittelbar nach ihrem Amtsantritt als ARD-Vorsitzende mit der Bereitschaft zur öffentlich-rechtlichen Selbstaufgabe kokettiert und Sätze gesagt wie: „Wenn der Verlegerverband die Apps kostenpflichtig macht, dann werde ich mich auch vehement dafür einsetzten, dass unsere öffentlich-rechtlichen Apps kostenpflichtig sind.“

Auch die geplante „gemeinsame Erklärung“ muss man als Teil einer Appeasement-Taktik verstehen. In einer solchen Erklärung liege eine „medienpolitische Chance“, mit der „uns wichtige Spielräume erhalten werden könnten“, schrieb Piel vor drei Wochen in einer internen Mail. Darin interpretierte sie die Gespräche mit den Verlegern ausdrücklich auch vor dem Hintergrund der „Debatte um die Perspektiven des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und des Dualen Systems (Stichwort AG Beitragsstabilität)“. In der genannten AG, die von der sächsischen Staatskanzlei initiiert wurde, beraten die Bundesländer, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk eingeschränkt werden kann.

Piel will deshalb wenigstens Ruhe an der Front mit den Verlegern, die behaupten, die nicht kostenpflichtigen und texthaltigen Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verhinderten, dass sie im Internet Geld verdienen können. Piel spricht davon, dass Verleger und öffentlich-rechtlicher Rundfunk eine „Verantwortungsgemeinschaft“ bildeten.

Der Preis, den die Intendanten von ARD und ZDF bereit sind, für diesen Frieden zu zahlen, ist gewaltig. Fassungs- und verständnislos verfolgen viele, die in der ARD für Online-Angebote zuständig sind, wie dabei bisher selbstverständliche Positionen über Bord geworfen werfen.

Die Entwürfe der „gemeinsamen Erklärung“ sind geprägt von einer Vorstellung des Internets als einer Maschine, die einfach Radio und Fernsehen abspielt oder Zeitungsinhalte veröffentlicht. Der Gedanke eines eigenständigen Mediums, das all diese Formen miteinander verknüpft, ist den öffentlicih-rechtlichen Verhandlungsführern offensichtlich fremd.

Das deutet nicht nur auf eine grundsätzliche und ganz praktische Realitätsferne hin, sondern führt auch dazu, dass sich die „gemeinsame Erklärung“ implizit die Interpretationen der Verleger zu eigen macht. Die unterstellen nämlich, dass ein Internetangebot, das in relevantem Maße auf Texte setzt, „presseähnlich“ und deshalb den Öffentlich-Rechtlichen verboten sei. Dabei ist der Einsatz von Text als Mittel, um Nutzer schnell zu informieren, um Überblicke zu schaffen und multimediale Inhalte sinnvoll miteinander zu verknüpfen, schlicht das Wesen eines modernen Online-Journalismus — und nicht Ausdruck von Presseähnlichkeit.

Dadurch, dass die Intendanten von ARD und ZDF den Verlegern anbieten, auf eigenständige Textberichterstattung fast völlig zu verzichten, machen sie sich deren Anmaßung zu eigen, Online-Texte für „Presse“ zu halten.

In einer extremeren Form suggerieren die Verleger sogar, dass all das, was Zeitungen im Internet machen, automatisch „presseähnlich“ sei. Wenn etwa die „Tagesschau“-App, so die Argumentation, aussehe wie die „Welt“-App, dann könne sie nicht erlaubt sei. Selbst auf dieses Spiel lassen sich die Öffentlich-Rechtlichen in dem Entwurf der „gemeinsamen Erklärung“ noch ein: Die Online-Angebote von ARD und ZDF sollten so geordnet und gestaltet werden, heißt es darin, dass sie anders aussehen als die Online-Angebote der Zeitungen.

Die einen machen Online-Fernsehen, die anderen machen Online-Zeitungen: So einfach verläuft die Waffenstillstandslinie in der Welt der Intendanten. Das wäre an sich schon verrückt genug. Es wird noch verrückter dadurch, dass Piel und ZDF-Intendant Markus Schächter sich gerade erst in einer multipel verunglückten Presseerklärung der „Deutschen Content Allianz“ sogar namentlich zu den letzten Verteidigern der Medien-„Konvergenz“ erklärt haben.

Diese Art der Aufteilung des deutschen Online-Journalismus hat aber noch ein anderes Problem. Doch dass einem aus Gebühren finanzierten Angebot Grenzen gesetzt werden dürfen, wo auch immer sie liegen, steht außer Frage. Warum aber sollten sich privatwirtschaftlich finanzierte Medien einschränken müssen? Warum sollte eine regionale Tageszeitung im Internet nicht ein Webradio veranstalten und täglich drei, dreißig oder dreihundert Videos veröffentlichen, wenn sie das will und es sich rentiert?

Die Kompromiss-Simulation im Entwurf der „gemeinsamen Erklärung“ — wir verzichten auf Text, ihr auf Audio und Video — suggeriert eine grundsätzliche Symmetrie zwischen gebührenfinanzierten und kommerziellen Angeboten, die in keiner Weise besteht. Übrigens sitzen nur Vertreter von Zeitungsverlagen am Verhandlungstisch (Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner Korrektur: FAZ-Geschäftsführer Roland Gerschermann, WAZ-Geschäftsführer Christian Nienhaus und BDZV-Präsident Helmut Heinen). Angebote wie „Spiegel Online“ mit starkem Video-Schwerpunkt wären also ohnehin nicht eingebunden.

Wenn die „gemeinsame Erklärung“ tatsächlich verabschiedet wird, sind zwei Szenarien denkbar. Entweder ARD und ZDF nehmen die Selbstverpflichtung sehr ernst. Dann würden sie massiv in die redaktionelle Arbeit ihrer Internet-Auftritte eingreifen müssen und ihren Online-Journalismus amputieren. Oder sie behandeln die — juristisch nicht bindende — Erklärung als reines Lippenbekenntnis, ein folgenloses Papier zur Ruhigstellung der Verleger. Dann würde der Konflikt in einigen Jahren umso heftiger aufbrechen, weil die Gegner von ARD und ZDF ihre Online-Auftritte nicht nur an umstrittenen Definitionen, sondern an den eigenen Selbstverpflichtungen messen könnten.

In jedem Fall wären ARD und ZDF geschwächt. Weshalb die Kritiker im Haus die zentrale Frage stellen: Warum bringt man sich überhaupt mit solchen Verhandlungen und einem solchen Papier in eine solche Situation?