Schlagwort: Berlinale

Charlotte Roche

Ich verlange wirklich nicht viel vom Fernsehen. Ich wünsche mir, dass da was passiert, nicht alles eingeschweißt und abgepackt ist und normiert, poliert, pasteurisiert vom Formatfließband kommt. Und ich wünsche mir, dass ich mich beruhigt vor dem Fernseher zurücklehnen kann, ohne Sorge, dass irgendetwas furchtbar Peinliches passieren könnte, bei dem mein Körper so damit beschäftigt ist, die Fußnägel aufzurollen, dass es mir unmöglich ist, rechtzeitig wegzuschalten.

Okay, vielleicht verlange ich doch zu viel vom Fernsehen. Umso beglückender ist es, wenn es dann doch jemand schafft, mein Bedürfnis nach Sicherheit und meine Sehnsucht nach Anarchie gleichzeitig zu bedienen. Keiner schafft das so gut wie Charlotte Roche.

Als sie in dieser Woche die Eröffnungsgala der Berlinale moderierte, kiekste sie vor Freude über das prominent besetzte Publikum. Sie machte sogar einen kleinen Hüpfer, als die Berlinale offiziell eröffnet war. Sie warf in die Begrüßung der Honoratioren Sätze wie: „Nice jacket!“. Sie bemerkte, dass Klaus Wowereit auf ihre Frage, was er den Besuchern denn in Berlin empfehle, nur „Shopping“ eingefallen war, und fragte forsch nach: „Sie, als Kultursenator, vielleicht ’ne kulturelle Idee noch?“ Und als er abging, rief sie ihm hinterher: „The mayor of Berlin, Ladies and Gentlemen. He even looks good from behind.“

Aber das Sensationelle an Charlotte Roche ist, dass sie es nicht nur schafft, das Korsett einer solchen Veranstaltung zu sprengen, sondern auch, es, wo nötig, zusammenzuhalten. Wenn Dieter Kosslick gerade ansetzt, sich um Kopf und Kragen zu reden und den internationalen Mitgliedern von Joy Denalanes Band zu sagen: „Liebe Ausländer, lasst uns mit den Deutschen nicht allein“, unterbricht sie ihn schnell und unauffällig. Jemanden, der so leblos ist wie der Kulturstaatsminister Bernd Neumann, sollte man überhaupt nur noch mit ihr auftreten lassen (wenn man ihn schon auftreten lassen muss): Lustvoll schubste sie ihn immer wieder mit kleinen Provokationen an den Abgrund, um ihn (und die Show und die Zuschauer) in letzter Sekunde von dort wieder wegzureißen und aufzufangen.

Die Art, wie sie dem Jury-Präsidenten Paul Schrader, der angeblich seinen Zettel verloren hatte, die deutschen Eröffnungsworte kurzerhand ins Ohr vorsagte, müsste man ins Lehrbuch für Moderatoren aufnehmen. Andererseits würde es auch dann vermutlich kein anderer so charmant und leichtfüßig, präzise und locker machen wie sie.

Warum nochmal lässt man Charlotte Roche nicht öfter im Fernsehen machen, was sie will?

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung