Schlagwort: Bernd Neumann

Falsche Freunde

Es ist, um das gleich zuzugeben und nicht koketter zu wirken als unvermeidlich, natürlich schmeichelhaft, bei der Geburtstagsfeier einer Journalisten-Akademie zu sein und gleich von zwei Rednern als positives Beispiel erwähnt zu werden. Und selbst wenn einer der beiden Bernd Neumann ist, freut man sich für einen Moment, dass man da wohl etwas richtig gemacht hat, bevor man sich fragt, was man da wohl falsch gemacht hat.

Aber vor allem fühle ich mich missbraucht. Weil hinter dem Lob in Wahrheit keine Anerkennung für meine Arbeit steckt, sondern die Absicht, viele andere zu diskreditieren.

Der Kulturstaatsminister Bernd Neumann sagte:

Wo Informationen endlos vervielfältigt und uneingeschränkt verfügbar sind, wird die Frage immer drängender, auf welche Informationen es ankommt und welches Wissen man für seine Lebensorientierung tatsächlich benötigt. Apologeten der reinen Netzwelt haben auf diese Frage eine systemimmanente Antwort. Unabhängige Blogger und kollektive Schwarmintelligenz sollen professionellen Journalismus zumindest zu weiten Teilen ersetzen. Daran dürften allerdings doch erhebliche Zweifel anzubringen sein.

Der altruistisch souveräne Blogger ist und bleibt – zumindest noch – eine singuläre Erscheinung. Ein Wassertropfen im Ozean des Netzes. Die Intelligenz der vielen mag zwar manches Interessante und Wichtige hervorbringen; ein stets verlässlicher Gradmesser für Relevanz und Validität von Informationen und Bewertungen ist sie aber nach den bisherigen Erkenntnissen zweifellos nicht. (…)

Im soeben veröffentlichten Gutachten von Christoph Neuberger und Frank Lobigs über „Die Bedeutung des Internets im Rahmen der Vielfaltssicherung“ heißt er hierzu kurz und bündig: „Trotz der positiven Selbsteinschätzung der Blogger dürfte die publizistische Leistungsfähigkeit partizipativer Angebote eher gering sein.“ Natürlich gibt es auch bemerkenswerte Ausnahmen. Der heute hier anwesende und mit vielen Auszeichnungen bedachte Stefan Niggemeier gehört dazu. Als profilierter Medienkritiker hat er es mit seinem Blog geschafft, nicht nur die Fachwelt, sondern auch eine Vielzahl von anderen Nutzern anzusprechen. Aber er ist ja auch gelernter Printmedienjournalist. Die Ausbildung zum Printjournalisten ist für mich immer noch so etwas wie die hohe Schule des Journalismus.

Neumann lobt mich als Ausnahme, um die Regel der fehlenden „Leistungsfähigkeit“ von Blogs zu bestätigen, und schafft es sogar, in dem Erfolg dieses Online-Angebotes einen Beweis für die Überlegenheit von Print-Journalismus zu sehen. Was für ein Unsinn, was für ein vergiftetes Lob. Ich habe nicht Print-Journalismus gelernt, sondern Journalismus. Was soll das überhaupt sein, „Print-Journalismus“? Und was würde eine Ausbildung zum „Onlinejournalisten“, falls es das gibt, minderwertig machen? Dass die Texte nicht auf Papier gedruckt werden? Dass der Autor in viel stärkerem Maße erfährt, welche Resonanz seine Texte haben? Oder doch nur, dass seine Artikel nicht von Kulturstaatsministern gelesen werden, weil für die, natürlich, nur zählt, was in der Zeitung steht?

Ich kann nicht glauben, dass man das im Jahr 2010 immer noch hinschreiben muss: Der Print-Journalismus ist dem Online-Journalismus nur insofern überlegen, als der Print-Journalismus jahrzehntelang ein lukratives Geschäftsmodell hatte, das dafür sorgte, dass Redaktionen gut ausgestattet wurden und sich relative hohe Standards entwickeln konnten. Dass auf sueddeutsche.de oder „Welt Online“ Artikel stehen, die es nie in die gedruckte „Süddeutsche Zeitung“ oder „Welt“ schaffen würden, hat nichts mit dem Medium an sich zu tun, sondern allein damit, wie es die Verlage behandeln. Online, glauben sie, muss es nicht so gut sein, weil online ja auch nicht so viel Geld verdient wird. Das „weil“ in diesem Satz ist sinnlos, aber Realität.

Der andere Redner, der mich am Montag bei der Feier zum 40. Geburtstag der „Akademie für Publizistik“ in Hamburg erwähnte, war der scheidende Chefredakteur der „Süddeutschen Zeitung“, Hans Werner Kilz. Er sagte:

Mir geht die Verzagtheit der Journalisten, wenn sie über ihre eigene Zukunft reden, ziemlich auf den Geist. Journalisten reden sehr gerne über ihre eigene Befindlichkeit, sie teilen leichter aus, als sie einstecken, und obwohl sie ständig Ratschläge geben, wie in notleidenden Branchen umstrukturiert und dezentralisiert werden muss, fühlen sich Journalisten, wenn es um sie selber geht, von allem bedroht, was nach Veränderung aussieht, sei es das Internet, ein Newsroom, das iPad oder Free Content. (…)

Bei einigen Blogger-Auftritten – Stefan Niggemeier, ich meine natürlich nicht Sie, Sie schätze ich – aber bei einigen Blogger-Auftritten mitteilsamer Kollegen habe ich das Gefühl, dass es der Therapeut war, der empfohlen hat, via Bildschirm-Präsenz das verkümmerte Ego zu stärken, und was medizinisch geboten sein mag, muss uns journalistisch noch lange nicht weiterbringen. Nein, ich glaube, das Netz wird die klassische Zeitung nicht killen.

Auch Kilz benutzte mich, um umso ungenierter auf andere Blogger einzuprügeln – und wenn ich nicht da gewesen wäre, hätte er vermutlich den Einschub weggelassen und das Bloggen insgesamt als rein therapeutische Beschäftigung für Menschen mit gestörtem Selbstwertgefühl dargestellt, sicher unter dem zustimmenden Nicken von Herrn Neumann. Was für eine Anmaßung.

Ich hatte leider keine Gelegenheit, Kilz hinterher zu fragen, wie viele Blogs (außer angeblich meinem) er kennt, ob er, um nur die bekanntesten zu nennen, die klugen Einwürfe von Udo Vetter liest, die manchmal anstrengenden, gewollt gegen den Strich gebürsteten, aber oft lesenswerten politischen Analysen des „Spiegelfechters“, die beißenden Pharma-Kritiken von „Stationäre Aufnahme“, die Enthüllungen von „Carta“ oder „Netzpolitik“ oder auch nur eines der vielen Blogs, die sich mit den neuen Medien und wie sie unser Leben verändern beschäftigen.

Kilz sagte:

Die Zeitung bleibt die Zeitung, und die Zeitung im Netz ist keine Ergänzung, kein Abfallprodukt und kein Resteverwerter. Es ist ein separates Geschäft und eine völlig eigene Form von Nachrichtenjournalismus. Die Zeitungen haben sich über Jahrzehnte ihre Authentizität erworben, ihren Ruf und ihre Attraktivität. (…)

Die Zeitungen im Netz müssen erst noch lernen, auf eigenen Füßen zustehen, sich die Marke und dazu das Geld verdienen. Die Websites leben bis jetzt weitgehend von den Zeitungsredaktionen, von Auslandsreportern, von unseren Autoren aus der Wissenschaft und aus dem Feuilleton und von investigativ arbeitenden Reportern. 85 Prozent aller Nachrichten, die ins Netz kommen, gehen auf Recherchen von Zeitungsjournalisten zurück. Man muss sich also nicht also als Nostalgiker verhöhnen lassen, wenn man versucht, wie ich hier, die klassische Tageszeitung zu verteidigen. Selbst wenn die Online-Angebote genug Geld einbringen würden, um alles allein produzieren und auch senden zu können, ist doch eines klar: Der Nachrichtenjournalismus im Netz wird nie so in die Tiefe gehen oder den investigativen Journalismus gar ersetzen zu können.

Und Äpfel werden nie Birnen sein.

Man möchte über solche Beiträge ja schon gar nicht mehr diskutieren, aber da ist tatsächlich ein hoch angesehener, führender Journalist dieses Landes, der auch im Jahr 2010 nicht merkt, dass ihm in seinem Vergleich die Kategorien verrutscht sind. Hätte Kilz gesagt: „Comics im Netz werden nie Romane in Buchform ersetzen können“, wäre er ausgelacht worden. Aber wenn es ums Internet geht, lässt man den Leuten das durchgehen, dass sie das Medium mit dem Genre verwechseln.

Eines ist, um die Formulierung von Kilz aufzugreifen, eben nicht klar: Warum Journalismus in digitaler Form nicht genauso, nein: viel mehr in die Tiefe gehen können soll wie auf Papier gedruckt. Und warum investigative Recherchen eine Domäne des Print-Journalismus bleiben soll. Richtig ist: Bislang ermöglicht das Geschäftsmodell der Zeitungen lange, gründliche Recherchen. Richtig ist aber auch: Dieses Geschäftsmodell ist akut bedroht, weil die Menschen und die Werbung ins Internet gehen.

Und wir können doch nach all den Jahren der fruchtlosen Diskussion nicht immer noch suggerieren, dass Qualitätsjournalismus und Onlinejournalismus Gegensätze sind oder wenigstens – jenseits der real existierenden Angebote wie sueddeutsche.de – sein müssten. Ich fürchte, Kilz hat keine Ahnung, wie sehr er mit seiner Rede junge Leute frustiert, die sagen: Ich will gar keinen Print-Journalismus machen oder Online-Journalismus. Ich will guten Journalismus machen, egal in welcher Mediengattung oder genau in der, die für ein Thema, eine bestimmte Aufbereitung besonders geeignet ist.

Noch einmal Kilz:

Der Qualitätsjournalismus ist nicht nur im Niedergang begriffen, sagt der britische Reporter und Buchautor Nick Davies, er liegt bereits in den letzten Zügen. Das mag in England, auch in Amerika so sein. Es wäre schlimm, wenn es in Deutschland auch so wäre. Ist es aber nicht.

Ich kann jedem nur dringend Nick Davies‘ Buch „Flat Earth News“ empfehlen. Anders als Kilz hatte beim Lesen ich nicht das Gefühl: Zum Glück ist das bei uns noch nicht so weit, mit dem Churnalism, mit dem Abbau von Kompetenzen in den Redaktionen, mit dem blinden Vertrauen auf Nachrichtenagenturen, mit Boulevardmedien als Leitmedien, mit dem zunehmenden Ungleichgewicht zwischen PR, Lobbyisten und gezielten Manipulatoren auf der einen Seite und Journalisten auf der anderen. Ich hatte beim Lesen im Gegenteil das Gefühl: Bei uns ist es ganz genauso. Und einen winzigen Teil der Abgründe dokumentieren wir jeden Tag auf BILDblog.

Ich habe eine Bitte, liebe Kulturstaatsminister, Chefredakteure und Apologeten der reinen Print-Welt. Wenn Ihr die neuen Publikationsformen im Internet verächtlich macht, die Qualität von Journalismus an dem Medium messt, in dem er stattfindet und die ewige Überlegenheit von Papier beschwört, könntet Ihr darauf verzichten, mich zu erwähnen und zu einer Ausnahme der Regel und damit einer Art paradoxem Kronzeugen für Eure Thesen zu stilisieren? Vielen Dank!