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BGH erklärt Markwort die Pressefreiheit

Das Urteil ist ein Sieg für die Meinungsfreiheit und den kritischen Journalismus und eine Niederlage für die Hamburger Pressekammern und den „Focus“-Chef Helmut Markwort: Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied Ende vergangenen Jahres, dass Marktwort es hinnehmen muss, dass die „Saarbrücker Zeitung“ vor zwei Jahren ein Interview mit Roger Willemsen veröffentlicht hat, in dem er Markwort eine Reihe von Verfälschungen und Fehlern vorwirft. Jetzt hat er die lesenswerte Urteilsbegründung veröffentlicht.

Willemsen hatte im September 2007 im Interview gesagt:

„Unser Verhältnis zur Welt wird zunehmend ironischer und uneigentlicher. Es ist nicht mehr wichtig, ob der Talkshow-Gast ein Problem hat oder es nur fingiert. Als ich anfing, Talkshows zu machen, war das noch der Sündenfall. Einer wie Tom Kummer, der Interviews fingiert und jetzt seine Autobiografie geschrieben hat, löste eine Erosion im Mediengeschäft aus. Heute wird offen gelogen. (…)

Als Chefaufklärer in Sachen Tom gerierte sich damals Helmut Markwort. Bei meinen Recherchen erwies sich der Bock allerdings als Gärtner. Aus der ‚Focus‘-Liste der hundert besten Ärzte war einer schon lange tot und ein anderer saß im Knast, weil er seine Patienten mit Überdosen von Medikamenten versehen hatte. Das ‚Focus‘-Interview, das Markwort mit Ernst Jünger geführt haben will, war schon zwei Jahre zuvor in der ‚Bunten‘ erschienen. Außerdem haben wir ein verfälschtes Mitterand-Interview aufgedeckt.“

Die „Saarbrücker Zeitung“ hatte das Interview unter der Überschrift „Heute wird offen gelogen“ veröffentlicht. Markwort wollte diese Formulierung sowie den Satz „Das ‚Focus‘-Interview, das Markwort mit Ernst Jünger geführt haben will, war schon zwei Jahre zuvor in der Bunten erschienen“ verbieten lassen. Er habe niemals behauptet, persönlich mit Jünger gesprochen zu haben.

Die Klage Markworts hatte für Aufsehen gesorgt, weil sie sich gegen die „Saarbrücker Zeitung“ richtete: Das Blatt habe sich die Aussagen Willemsens zu eigen gemacht. Die Hamburger Pressekammern gaben Markwort in den ersten beiden Instanzen Recht. Viele Kritiker fürchteten damals, dass das Urteil dazu führen könnte, dass Journalisten im Zweifel für jede Aussage eines Interviewpartners haftbar gemacht werden könnten.

Der BGH widersprach Markwort und den berüchtigten Hamburger Kammern nun gleich doppelt: Erstens habe die Zeitung sich Willemsens Aussagen nicht zu eigen gemacht und hafte nicht für sie. Und zweitens sei das, was Willemsen gesagt hat (Überraschung!): die Wahrheit.

Einige Auszüge aus der Begründung des BGH:

Durch die Veröffentlichung des Interviews ist die [„Saarbrücker Zeitung“] ersichtlich als bloße Vermittlerin der Äußerungen aufgetreten. Bereits aus der Form der Darstellung ergibt sich für den Leser, dass es sich um die Wiedergabe eines Interviews handelt. Darauf wird auch in der zweiten Überschrift des Artikels hingewiesen. Die Gliederung in Frage und Antwort unter Voranstellung des Namens und die danach folgende Wiedergabe der Antworten machen dies offenkundig. Der Fragesteller hat auch [Markwort] nicht von sich aus zum Thema des Interviews gemacht. (…) Die [„Saarbrücker Zeitung“] hat mithin die in den Antworten enthaltenen Aussagen nicht als eigene verbreitet. (…)

[Die Presse ist] zwar grundsätzlich in weiterem Umfang als Private gehalten, Nachrichten und Behauptungen vor ihrer Weitergabe auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Daraus folgt indes nicht, dass der Presse solche Sorgfaltspflichten uneingeschränkt abverlangt werden dürfen. Vielmehr sind die Fachgerichte gehalten, auch bei der Bemessung der Sorgfaltspflichten, die der Presse bei Verbreitung einer fremden Äußerung abzuverlangen sind, die Wahrheitspflicht nicht zu überspannen, um den von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG [„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten“] geschützten freien Kommunikationsprozess nicht einzuschnüren. (…)

Die Aussage „Heute wird offen gelogen“ (…) bezieht sich nicht auf den Kläger persönlich, sondern auf Beiträge in dem in der Verantwortung des Klägers liegenden Magazins „Focus“. Mit der Äußerung zieht Roger Willemsen ein Resümee aus den von ihm im Interview geschilderten Missständen in der Medienwelt. So kritisiert er, dass einst fingierte Probleme von Talkshowgästen als „Sündenfall“ gegolten, dann aber die erfundenen Interviews des Journalisten Tom Kummer zu einer „Erosion“ geführt hätten. Die Sinndeutung, die Beklagte behaupte, [Markwort] oder alle im Interview erwähnten Personen würden „offen lügen“, liegt danach auch unter Berücksichtigung der Platzierung des Satzes als Überschrift des abgedruckten Artikels fern. (…)

Kern der Äußerung [Willemsens über das Ernst-Jünger-Interview] ist nicht der Vorwurf, es handle sich um ein vom Kläger frei erfundenes persönlich geführtes Interview, sondern, dass ein bereits zwei Jahre zuvor in der Zeitschrift „Bunte“ abgedrucktes Interview erneut als aktuelles eigenes Interview im Nachrichtenmagazin „Focus“ veröffentlicht worden sei. Diese Aussage erweist sich bei der gebotenen Textanalyse als wahr. (…) Roger Willemsen prangert in dem abgedruckten Interview Lügen der Medien an. Er weist darauf hin, dass der Kläger zwar als „Chefaufklärer“ gegen den Journalisten Tom Kummer aufgetreten sei, Beiträge in dem in der Verantwortung des Klägers liegenden Magazin „Focus“ aber ebenfalls Unwahrheiten enthalten hätten und nennt drei Beispiele dafür. Für diese Vorkommnisse war der Kläger als Chefredakteur des Magazins „Focus“ unabhängig von der umfassenden eigenen Kenntnis der Umstände persönlich verantwortlich. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die Äußerung von Roger Willemsen, „Das ‚Focus‘-Interview, das Markwort mit Ernst Jünger geführt haben will, …“, nicht dahin zu verstehen, dass behauptet wird, der Kläger habe vorgegeben, selbst Ernst Jünger interviewt zu haben. Dadurch dass der Name des Klägers in diesem Zusammenhang fällt, soll vielmehr die Wirkung des übrigen Textes verstärkt werden, indem „Markwort“ als Synonym für das Magazin „Focus“ verwendet wird. (…) Mithin zielt die Äußerung nicht auf die journalistische Einzelleistung, also wer konkret das Jünger-Interview geführt hat, sondern auf die journalistische Gesamtverantwortung, die der Kläger als Chefredakteur für die jeweilige Ausgabe des „Focus“ innehatte. (…)

Auf Seiten der [„Saarbrücker Zeitung“] ist das Interesse der Öffentlichkeit an der Wahrheit und Seriosität von Veröffentlichungen in den Medien und der Aufdeckung von unwahrer Berichterstattung zu berücksichtigen. Zum meinungsbildenden Kommunikationsprozess zählt nicht nur die Veröffentlichung der eigenen Meinung, sondern auch die Information über fremde Äußerungen in der aktuellen Auseinandersetzung um eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage. Eine solche Information liegt hier vor. Die Äußerungen sind Teil der von Roger Willemsen in seinem Bühnenprogramm geübten allgemeinen Medienkritik. Wollte man Äußerungen der vorliegenden Art unterbinden, wäre jede öffentliche Diskussion über Themen, die die Allgemeinheit interessieren, in einer Weise erschwert, die mit dem Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG unvereinbar wäre.

Ist das ganz erstaunlich?

Ich meine nicht nur, dass der alte „Focus“-Mann, der nächste Woche in Berlin für sein „Lebenswerk“ den Ehrenpreis des „Medium Magazins“ bekommt, es nicht aushält, dass ein prominenter Kritiker immer wieder den Finger in alte Wunden legt (obwohl es längst neue gäbe!), und dass Markwort es in seiner Rachsucht sogar in Kauf nimmt, dass die Pressefreiheit Schaden nimmt.

Ich meine vor allem, dass man in Deutschland bis vor den Bundesgerichtshof ziehen muss, um von Selbstverständlichkeiten zu profitieren wie der, dass bei der rechtlichen Beurteilung einer Äußerung ihr Kontext zu berücksichtigen ist. Und auf Richter zu stoßen, die bei der Abwägung einen Gedanken daran verschwenden, dass es Folgen hat für die Demokratie eines Landes, für die Diskussionskultur, für den Journalismus, wenn jede kritische Meinungsäußerung, jeder Bericht über einen Misstand kaum zu erfüllenden Maßstäben genügen muss.

Wer es sich aber nicht leisten kann, einen teuren Rechtsstreit bis vor den Bundesgerichtshof durchzustehen, muss sich weiter mit den Urteilen der Hamburger Richter abfinden, deren Entscheidungen regelmäßig darauf hindeuten, dass sie die Meinungsfreiheit für eine größere Gefahr halten als ihren Verlust.