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Böse Bescherung bei „Big Brother“

RTL 2 hat sich nach Informationen des Medienmagazins DWDL.de von seinem Programmdirektor Axel Kühn getrennt, und Schuld sein sollen nicht zuletzt die schlechten Quoten von „Big Brother“. Ein großes Rätselraten herrsche im Sender und bei der neuerdings von Ex-9Live-Chef Marcus Wolter geführten Produktionsfirma Endemol, woran das liegen mag, dass die jungen Menschen die tägliche Container-Show plötzlich verschmähen. Dabei sind die Kandidaten extra schon in Dezember für ein Dreivierteljahr in den Container gezogen. „Weihnachten und Silvester im Haus – fern ab von den lieben Verwandten und Bekannten“, hatte Kühn zuvor gesagt, „das ist einfach spannend.“

Nun. Dann schauen wir uns das doch mal an.

Heiligabend im „Big Brother“-Haus. Der Morgen beginnt für viele mit einem Kater. Besonders für Madeleine, die großes Interesse an Daniel hat, der sein Interesse für sie am Abend vorher aber in folgende Worte kleidete:

„Es ist so, dass ich die schönen Sachen an dir sehe. Aber es ist auch so, dass es halt einige Sachen gibt, die nicht mit dem übereinkommen, was ich in einer Partnerin finden möchte.“

Er meint wohl ihr Aussehen.

Die 29-jährige Desi taucht als neue Mitbewohnerin auf. „Schließlich muss ja nicht immer nur Weihnachten vor der Tür stehen“, sagt der Sprecher aus dem Off. Wir werden noch viel von ihm hören.

Alle stellen sich Desi vor. Bussi.

Desiree bekommt das Haus gezeigt, das erneut in einen reichen und einen armen Bereich geteilt ist, die sich diesmal aber „Himmel“ und „Hölle“ nennen, was natürlich ganz etwas anderes ist. Die Leute in der Hölle müssen zum Beispiel auch den Müll der Himmelsbewohner trennen und ihre Wäsche waschen.

Jana erklärt Desi, was blöd ist an der Hölle: das Duschen im Freien:

„Wenn es windig ist, ist blöd, dann stehste nicht mehr unter dem Strahl. Aber das draußen Schlafen ist obercool. Wir haben viel bessere Luft als die da oben.“

Die Frauen sind sich einig, dass das Schlimmste an der Hölle ist, dass man in einer Art Sträflings-Einheitskleidungherumlaufen muss. „Du kannst Dich gar nicht identifizieren“, sagt Madeleine. Desi stellt fest, dass es schwierig ist, ohne eigene Sachen, zu zeigen, ob man Tussi ist, Schickimicki oder eher so locker.

Noch ein neuer Bewohner zieht ein: Oliver. Alle stellen sich vor. Bussi.

Die anderen Himmelsbewohner müssen entscheiden, wer von den beiden Neuen in die Hölle muss. Weil es vier Männer und nur zwei Frauen sind, entscheiden sie sich für Desiree. Hey, nur deswegen, echt.

Oliver muss in die erste Etage gehen, sich dort ausziehen und gelangt durch eine Rutsche wieder ins Erdgeschoss – aber auf die Höllenseite.


Weihnachtsmann. Screenshot: RTL 2

„Besuch ist eingetroffen“, erzählt der Sprecher. „Ho-ho-hoher Besuch, denn kein geringerer als der Weihnachtsmann höchstpersönlich gibt sich die Ehre.“ Tatsache: Ein trauriger alter Mann mit Bart steht da. Er sagt unbewegt:

„Das Leben hält immer Überraschungen bereit. Und was eben noch dunkel und ausweglos erschien, dreht sich vielleicht im nächsten Moment. Heute feiert ihr den Heiligen Abend, wie ihr ihn noch nie gefeiert habt. Und nicht nur ihr feiert ihn anders, sondern eure Leute zuhause auch. Mit einer, einer Sicherheit könnt ihr natürlich hier bleiben: Sie denken an euch. Sie denken an euch.“

Seine Ansprache treibt mehreren Kandidaten die Tränen in die Augen, vielleicht aber nur aus Rührung.

Nur die Himmelsbewohner bekommen nun je ein Päckchen und persönliche Worte:

„Orhan, du bist impulsiv, hast sehr viel Energie, und manchmal weißt du gar nicht, wohin damit.“

„Sascha, ich weiß, dein Humor ist sehr speziell. Und du magst es manchmal, unbequem zu sein. Du bist du, konsequent und willensstark. Und das ist gut so.“

Bevor er geht, schlägt der Weihnachtsmann den leer ausgegangenen Höllenbewohnern vor, sich „mit dem kleinen Wörtchen Danke“ zu beschenken.

Endlich Bescherung. Zwei Wochen sind die Bewohner von zuhause weg, aber schon ein Bild der Liebsten reicht, dass sie völlig die Fassung verlieren. Einer nach dem anderen heult Schnotten und Rotz. Die anderen heulen aus Solidarität mit.

Sascha hat eine große Fahne bekommen:

„Super-Geschenk. Viele Leute haben unterschrieben. Hier haben viele Leute unterschrieben, die ich teilweise einmal im Jahr sehe oder bis jetzt auch nur einmal gesehen habe.“

Vermutlich hätte man ihm eine noch größere Freude gemacht, wenn noch Leute unterschrieben hätten, die er noch nie getroffen hat.


Cathy, aufgelöst, mit Geschenk. Screenshot: RTL 2

Cathy wird von „Big Brother“ vor die Wahl gestellt, ob sie ihre Geschenke von zuhause haben will oder stattdessen ihr Herzblatt Beni aus der Hölle zu sich holen. Cathy entscheidet sich für ihn. Beni sagt, sie darf das nicht tun. Cathy entscheidet sich für die Geschenke. Sie heult. Sie bekommt ein Foto von ihrer Schwester. „Sie was das wunderschönste Baby, das ich je gesehen habe“, erklärt Cathy den anderen fassungslos. „Ja, danke. Ich liebe euch. Und vermisse euch ganz doll. Frohe Weihnachten.“

Der Tisch ist festlich gedeckt für das Weihnachtsessen. Aber nur für die Bewohner des Himmels. Großer Aufruhr. Die Himmelsbewohner beschließen, wenn die anderen nichts kriegen, auch nichts zu essen. Das sind zwar eigentlich die Spielregeln, aber jetzt ist Weihnachten. Und Weihnachten ist, wie Madeleine sagt, „ein anderer Tag“.

Der Sprecher stabreimt etwas vom „Bankett-Boykott“ und „festlichem Fasten“:

„Mit den Herzen sind die Himmels-Bewohner ganz nah bei ihren höllischen Nachbarn; mit dem Magen… naja. (…) Lieber ein gutes Gewissen als ein festlicher Bissen. (…) Stullen-Nacht statt Stiller Nacht?“

Immerhin hat der Weihnachtsmann den Sascha glücklich gemacht.

„Die ersten Worte, wo alle gelacht haben, ob sie meinen Humor verstehen oder nicht: So bin ich, so bin ich auch draußen. Aber als er meinte, weisse was: Du bist dir treu. Was schöneres… klar: Brief wichtig, Fahne wichtig, aber dass du dir selber treu bist, das hat sonst keiner gehört. Weisse? Dieses Ding ist für mich das wichtigste, weisse?“

Es gibt dann noch ein paar Diskussionen, ob man sich nur normal küssen lassen muss, wenn man unter dem Mistelzweig durchgeht, oder auch mit Zunge, und dann ist Heiligabend vorbei im „Big Brother“-Haus. Am nächsten Tag wird „Big Brother“ die Grenzen zwischen den Bereichen aufheben, das gibt ein großes Hallo.

Komisch, dass das keiner sehen wollte.

Fernsehaufsicht in Deutschland

Am 1. Dezember 2004 schickt „Big Brother“ die Container-Bewohnerin Franziska für zehn Stunden in ein „Bestrafungszimmer“ und spielt ihr immer wieder dasselbe Lied vor.

Am 20. Dezember 2006 entscheidet der Vorstand der Hamburgischen Anstalt für Neue Medien, die Übertragung dieser Aktion im Tagesprogramm des (seit über einem Jahr nicht mehr existierenden) Senders MTV2Pop förmlich zu beantstanden.

Und diesen Witzfiguren ist es nicht einmal zu peinlich, dazu noch eine Pressemitteilung herauszugeben.

Wie gesagt.

(via Popkulturjunkie)

Nachtrag. Gerade erst gesehen: Die arbeiten sich ja in einen richtigen Rausch, bei der Hamburgischen Landesmedienanstalt. Vor gut zwei Wochen erst, am 5. Dezember 2006, rügten sie eine MTV2Pop-Sendung vom September 2004.

Badezimmerfotos für „Big Brother VII“

Wenn Sie Ihren Lebensgefährten dabei erwischen, wie er heimlich Bade-, Schlaf- und Wohnzimmer und Ihr Haus von außen fotografiert, sollten Sie sich Sorgen machen. Diese Aufnahmen muss man nämlich einschicken, um sich für die siebte Staffel von „Big Brother“ zu bewerben.

Und einen Katalog mit knapp 817 Fragen [pdf] ausfüllen. Meine Favoriten:

Was war die schlechtbezahlteste Arbeit, die Sie nach Ihrem Schulabschluss angenommen haben und wie lange haben Sie diese ausgeübt?

Sind Sie sich darüber im Klaren, dass Sie als potentielle(r) Kandidat(in) gegebenenfalls alle erdenklichen Auskünfte und Informationen erbringen müssen? Dies beinhaltet z.B. Polizeiliches Führungszeugnis, psychologisches Gutachten, SCHUFA-Auskunft, medizinische Tests inklusive HIVTest?

Was sind Ihre sexuellen Vorlieben?

Was sind Ihre wirklichen Ängste?
(Tod, Krankheit und Arbeitslosigkeit einmal ausgeschlossen)

Was würden Sie für Geld machen, was Sie ansonsten ablehnen würden?

Bitte benutzen Sie dieses Blatt und erinnern Sie sich an fünf Ereignisse aus Ihrer Vergangenheit, die Ihr weiteres Leben positiv oder negativ beeinflusst haben. Beschreiben Sie diese bitte so ausführlich wie möglich! Nennen Sie Name und Anschrift der Personen, die an diesen Ereignissen teil hatten, bzw. dafür verantwortlich waren!

Aller Tage Vorabend

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Es wird nie mehr aufhören: Wie „Big Brother“ vom Auslaufmodell zum Fernsehformat der Zukunft wurde.

Es gab neulich — Sie haben das sicher verpaßt — eine total bewegende Geschichte bei „Big Brother“. Mark hatte geklagt, daß er schon viel zu lange Single sei, und die Produktionsfirma beschloß, ihm zu helfen. Sie rief die Zuschauerinnen dazu auf, sich für ein Date mit Mark zu bewerben. Zwei davon durfte er treffen und mit ihnen ein paar Minuten plaudern, danach sollte er sich entscheiden, mit welcher von ihnen er einen Tag verbringen wollte — bei Kerzenlicht und Champagner, nur er und sie. Und wir Zuschauer natürlich.

Was machte Mark? Schüchtern gestand er den Kandidatinnen, daß er sich für keine entscheiden könne, das hätte nichts mit ihnen zu tun, er könne das einfach nicht, jetzt, so spontan und überhaupt. Und die Mädchen verließen das Containerdorf, und Mark ging zurück in die Gemeinschaftsräume, und die Mitarbeiter konnten das ganze Schäferstündchen-Arrangement abräumen und mußten nicht einmal die Bettwäsche reinigen lassen, und es war ganz merkwürdig traurig und aufregend. Oder hat es das bei „Herzblatt“ schon einmal gegeben, daß ein Kandidat sagt, nö, die drei waren mir jetzt alle zu blöd, dann bleib‘ ich lieber Single?

Bei „Big Brother“ passieren Sachen, mit denen niemand rechnet, nicht einmal die Macher, und nicht alles ist so, daß man sich dafür schämt. Aus einer Sendung, die die große Fernsehrevolution versprach und vor allem entsetzliche Langeweile verbreitete, ist eine geworden, die tatsächlich regelmäßig die Gesetze des Fernsehens auf den Kopf stellt.

Das fängt damit an, daß es sie überhaupt noch gibt und daß sie ein Erfolg ist. Die tägliche Show um 19 Uhr schafft bei jungen Zuschauern im Schnitt 13,5 Prozent Marktanteil — RTL 2 hat sonst 7,8 Prozent. Das Publikum wird des Zusehens nicht müde; die Quoten sind ziemlich konstant. „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ und „Explosiv“, jahrelang die RTL-Vorabend-Bastion, leiden heftig und mußten die Werbepreise senken.

Der kommende Mittwoch ist der einhundertste Tag der fünften Staffel. Wäre alles wie früher, würden dann die letzten den Container verlassen und für ein paar hektische Wochen durch „TV Total“ tingeln, Singles aufnehmen und sich bei Neun Live bewerben, bevor sie in Vergessenheit geraten. Doch diesmal geht die Strecke über ein ganzes Jahr, und die Frage, ob das ein Mensch aushält, selbst einer dieser tätowierten, gepiercten Arbeitslosen, die überwiegend das Haus bewohnen, ist offen. Fünfzehn Kandidaten sind bis heute ausgeschieden, viele freiwillig, das sind mehr, als überhaupt aktuell im Spiel sind. Doch die gewaltige Fluktuation scheint niemanden zu stören. Nur ein paar zentrale Charaktere, die lange dabei sind, brauchen die Produzenten, um ihre Soap zu modellieren.

Denn anstatt wie früher die Fremden einfach einzusperren und zu sehen, was passiert, funktioniert „Big Brother“ heute mehr denn je wie eine „richtige“ Seifenoper, bei der die einzelnen Rollen in maßgeschneiderte Situationen gebracht werden. „Wir gehen offener und direkter mit den einzelnen Charakteren der Kandidaten um“, sagt Produzent Rainer Laux. „Wir manipulieren nicht, aber wir lösen Reaktionen aus.“ Nun ja, die Fäden, an denen die Kandidaten geführt werden, sind noch sichtbarer als früher, vor allem „Bestrafungen“ sind ein praktisches Regulativ: Als unter der Zahl der Glatzenträger im Haus die Übersichtlichkeit litt, bestand die Strafe für einen Regelverstoß für einen darin, sich nicht den Kopf rasieren zu dürfen.

Auch die Erzählweise hat sich längst aus der Strenge des dokumentarischen „Real Life“ verabschiedet. Wenn sich im Gespräch einer auf Vergangenes bezieht, zeigt „Big Brother“, wovon er redet, schwarzweiß, als Rückblende. Und wenn zwei mal wieder so endlos voreinander hinreden, nimmt der Regisseur regelmäßig den Impuls des Zuschauers vorweg und spult vor, mit lustigem Micky-Mouse-Stimmeffekt. Obwohl die Endlosdialoge nach den Worten von Laux immer noch das sind, was die Zuschauer am meisten fesselt, mehr noch als der Geschlechtsakt unter der Bettdecke. „Wenn es Sex gibt, ist das natürlich super, aber das ist nur ein kurzer Moment.“

„Big Brother“ ist trotz der Monotonie des Containerlebens zu einem der flexibelsten und vielfältigsten Fernsehformate geworden. Die „taz“ hat dafür den Ausdruck „Platzhalterfernsehen“ gefunden, was Laux gefällt. Mal wird aus der Soap ein Quiz, in dem die Bewohner gegeneinander oder sogar gegen einzelne Zuschauer antreten, mal eine Action-Show, mal eine Langzeitdoku, in der ein Bewohner auf den Marathon vorbereitet wird, mal eine Sitcom, in der die Zusammenfassungen mit Lachspur unterlegt sind. Wenn RTL ein „Promiboxen“ veranstaltet, läßt „Big Brother“ einen Bewohner schon ein paar Tage vorher gegen einen abgehalfterten Boxer antreten; zur Europawahl kommt der Bruder vom Kanzler, und alle plaudern über Politik. Die Sendung tauge auch als Labor für neue Programme, die man erst einmal günstig im festen Rahmen von „Big Brother“ teste, meint Laux.

Einmal hat „Big Brother“ den Bewohnern ein Auto in den Hof gestellt und „Touch the car“ gespielt: Alle müssen den Wagen anfassen, wer zuletzt die Hand vom Blech nimmt, gewinnt ihn. Das ist unendlich stumpf und hat doch eine merkwürdige Anziehungskraft, weil es selbst den Rahmen einer Außenwette von „Wetten daß?“ sprengt: Hier ist völlig offen, ob der letzte nach neunzig Minuten die Lust verliert oder nach dreieinhalb Tagen vor Erschöpfung unter dem Kotflügel zusammenbricht und wie groß die Opfer sind, die man dafür zu bringen bereit ist (Mark hat sich sogar in die Hosen gemacht; er hat trotzdem nicht gewonnen). Nein, das ist nicht immer schön anzusehen, meistens sogar nicht, und Produzent Laux sagt auch, daß es mit harmloser Spielroutine auf Dauer nicht getan ist: „Die Reizschwelle der Zuschauer hat sich gesteigert, da müssen wir natürlich kreativ bleiben und neue Trends setzen. Natürlich werden wir immer wieder an die Grenzen gehen. Wir verlegen mit dem Format die Schienen immer ein Stück weiter.“ Das heißt zum Beispiel, daß vor der für den Herbst angekündigten Welle von Dokusoaps über Schönheitsoperationen im deutschen Fernsehen mit Sicherheit ein Chirurg im Container auftauchen und einem Bewohner ein Angebot machen wird. Laux sagt, daß das durchaus pädagogisch sein könnte, der jungen Zielgruppe so zu zeigen, mit wieviel Unwägbarkeiten und Belastungen etwa eine Brustvergrößerung verbunden ist — der erste Aufbau eines Operationstisches im Haus ist aber dankenswerterweise vorerst abgeblasen worden.

Nicht weniger als 250 Mitarbeiter arbeiten in drei Schichten rund um den Container, und doch ist die Sendung ganz außerordentlich lukrativ. Jeden Montag rufen hunderttausend Zuschauer kostenpflichtig an, um jemanden rauszuwählen, es gibt teure Hotlines, Spiele, Logos und Klingeltöne. 50 000 Menschen geben 15 Euro im Monat allein dafür aus, bei Premiere rund um die Uhr in den Container schauen zu dürfen, macht allein schon einen Umsatz von 750 000 Euro. Den Werbekunden kann RTL 2 dann mit einiger Plausibilität erzählen, daß „Big Brother“-Zuschauer gute Konsumenten sind, die nicht zweimal überlegen, bevor sie etwas kaufen.

Bei der Produktionsfirma Endemol plant man schon für die Zeit nach dem Ende dieser Staffel im Mai 2005. Die naheliegendste Lösung liegt auf der Hand: „Big Brother 6“ könnte nicht hundert Tage dauern, nicht ein Jahr, sondern so lange, wie es sich rechnet. Also womöglich für immer.

Big Brother

Süddeutsche Zeitung

Wie es Euch gefällt. „Big Brother“ oder die Frage: Experiment außer Kontrolle?

Früher galten die Deutschen als Talkshow-untaugliches Volk. Anders als die Amerikaner wollten sie nur im Publikum sitzen. Mühsam mussten ihnen Anheizer vor der Sendung einschärfen, dass sie doch bitte ihren Teil sagen sollten. Aufstehen, urteilen. Gern auch unfundiert.

Die Deutschen haben gelernt. Heute reichen ihnen drei widersprüchliche Sätze über eine dubiose Familienfehde, um öffentlich zu urteilen. Bei Birte, Bärbel, Vera sagen täglich Zuschauer anderen Menschen, die sie nie gesehen haben, ins Gesicht, was sie von ihnen halten. Dass sie ihre Männer verlassen sollen. Dass sie zu ihren Männern zurückkehren sollen. Dass sie schlechte Mütter sind. Huren. Dumm.

Als Stefan Raab sich über Regine Zindler und ihren Maschendrahtzaun lustig machte, war sie genau so zum Abschuss frei. Jeder durfte urteilen, vor allem über den Geisteszustand der Frau. Man durfte sie vor ihrem Haus anpöbeln und Stücke aus ihrem Zaun schneiden. Das Fernsehen bescherte uns etwas Neues: Menschen, die es wirklich gibt und die wir scheinbar besser kennen als Frau Meier nebenan. Sie sind real, aber auch Kunstfiguren, weshalb wir auf sie nicht so viel Rücksicht nehmen müssen wie auf Frau Meier, sondern nur so wenig wie zum Beispiel auf Donald Duck. Es gibt keine Distanz mehr, keinen Ab- und keinen Anstand.

Und jetzt Big Brother: Noch mehr Nähe, Urteil, Anmaßung. Vor dem Container standen am Sonntag 5000 Fans, um ihren Stars zuzujubeln. Fans? Stars? Es sind ihre Stars, in jeder Hinsicht. Ohne sie, die Fans, wären sie nichts. Daraus folgt: Sie können mit ihnen machen, was sie wollen. „Manuela, du Schlampe“, stand auf einem Banner. Was für ein Spaß. 4,7 Millionen junge Leute haben Zlatkos Ausscheiden am Bildschirm verfolgt. Bei den 14- bis 29-Jährigen sah nur jeder zweite etwas anderes.

Gefährlich ist nicht, einigen Leuten beim Duschen und Pickelausdrücken zuzuschauen. Gefährlich ist, dass diese Leute zu Spielfiguren werden. Sie haben keine Kontrolle über das, was die Öffentlichkeit aus ihnen macht. Das ist gefährlich für die Kandidaten: Zlatko war vor sechs Wochen ein unbekannter arbeitsloser Schwabe. Als er am Sonntag den Container verließ, war er ein Popstar wie Frau Zindler: Bekannt bei Millionen, gleichzeitig Held und Witzfigur. Vielleicht kann er mit diesem plötzlichen Ruhm umgehen, vielleicht nicht. Es ist auch gefährlich für die Zuschauer, die anhand der Shows lernen können, dass es nur auf eins ankommt: Spaß haben. Nicht auf die, nun ja, Menschenwürde der Betroffenen. „Leb, so wie du dich fühlst“, fordert eine Zeile der Big-Brother-Titelmusik. Das ist nicht der Untergang des Abendlandes. Aber doch gespenstisch, die enthemmten Massen draußen zu sehen und die Kandidaten drinnen, die vergeblich versuchen, sich einen Reim auf das zu machen, was sie da hören. Und zu ahnen, dass die TV-Macher sich im Zweifel für Quote und gegen Deeskalation entscheiden würden. Ein Reiz von Big Brother ist es, dass das Experiment jederzeit außer Kontrolle geraten kann.

Reporterin Sophie Rosentreter war die Erste, die Zlatko mit seinem ironischen Spitznamen The Brain anredete. Moderator Percy Hoven interviewte ihn mit unglaublicher Überheblichkeit. Vielleicht erklärt das, warum sich Menschen mit solcher Begeisterung auf diese neuen Anti-Helden stürzen: Weil man sich über sie unabhängig von eigenen Schwächen lustig machen darf – wenn selbst das dümmste Moderatorenpaar im deutschen Fernsehen sich traut, so auf sie herabzuschauen.