Schlagwort: Bild am Sonntag

Und wehe, ihr geht uns an die Wurst

Man weiß jetzt nicht genau, ob Christian Bernreiter diese Idee aus der „Bild am Sonntag“ hatte oder gleich von der NPD. Jedenfalls muss gestern ein großer Tag für ihn gewesen sein. Das Bayrische Fernsehen war da! Bernreiter musste eine Treppe runterlaufen, ein bisschen auf seinem Smartphone rumtippen und dann durfte er, satt und frisch frisiert, sagen, was man so sagen muss, um auch als CSU-Landrat aus der niederbayrischen Provinz mal wahrgenommen zu werden:

Wir sind nicht das Sozialamt vom Balkan!

In dem Interview mit dem „Bayrischen Rundfunk“, in dem Bernreiter das in feinstem Dorfdeutsch sagt, geht es um die Menschen, die gerade aus dem Kosovo flüchten. Es sind tausende, viele davon wollen offenbar nach Deutschland. Und nun hat Landrat Bernreiter Schiss, dass ihm morgen irgendein Fremder, der nur auf schnelle Bereicherung aus ist, die Gesichtsmortadella vom Brot klaut.

Screenshot "Bayrischer Rundfunk" 10.2.2015

Bernreiter hat den Satz leicht abgewandelt. Trotzdem klingt er durch, der Original-Slogan, mit dem die NPD seit Jahren gegen alles Fremde hetzt: „Wir sind nicht das Sozialamt der Welt“. Bernreiter, der Landrat von der CSU, ist in wenigen Tagen bereits der Zweite, der sich die rechte Rhetorik zu eigen macht. Der Erste war ein Mann namens Peter Hahne, der im ZDF öffentlich-rechtlich Moral predigen darf und zugleich als Bild-Kolumnist und -Kommentator Ressentiments schürt.

Ausriss Kommentar "Bild am Sonntag" 8.2.2015

Bei Hahne ist die NPD-Analogie noch deutlicher: „Wir sind nicht das Sozialamt für die Welt“ stand am Sonntag über Hahnes „BamS“-Kommentar, dessen Inhalt nicht weniger dummdreist ist. „Ratlos und wütend“ sei er, heult der ZDF-Mann los. Er schimpft über die „blauäugige Politik“, die es „so weit kommen lässt“ und fordert, man müsse die Asylverfahren beschleunigen, „um die Menschen schnell wieder zurückzuschicken.“ In Hahnes Welt wären damit alle Probleme gelöst:

Unser Land wäre nicht mehr attraktiv für Leute, die nicht verfolgt werden, sondern sich „nur“ bessere Lebensbedingungen erhoffen.

Die Anführungszeichen in diesem (gefetteten) Satz sollen nur ablenken. Im Grunde sind sie das semantische Pendant zum Scheinheiligenschein, den Hahne trägt. Weil er sich, konservativ feige, nicht traut, seine Meinung geradewegs auszusprechen, versteckt er sich hinter Satzzeichen, um sich so gleich wieder zu distanzieren.

Ein alter, blöder Trick, mit dem es Hahne dennoch nicht schafft, all die Arroganz zu verbergen, mit der er auf die Flüchtlinge herab grinst, die sich, so muss man das lesen, locker-flockig aufmachen, „nur“ um es sich bei uns „besser“ gehen zu lassen.

Hier von „besser“ zu sprechen, ist geradezu ein Witz, den Hahne aber wohl ernst meint. Es ist richtig, dass es sich bei Menschen aus dem Kosovo nicht um Kriegsflüchtlinge handelt und auch nicht um politische Verfolgte, wenngleich Sinti und Roma im Kosovo weiter ausgegrenzt werden. Ja, sie kommen offenbar, wie es immer so schön abstrakt heißt: aus „wirtschaftlichen Gründen“. Und es ist natürlich auch ein Problem, dass nun so viele Menschen auf einmal flüchten; sowohl für den Kosovo, dem wichtige Kräfte für einen Aufbau fehlen, als auch für Deutschland, weil die Unterbringung von Flüchtlingen hierzulande ohnehin problematisch ist und der Platz in so genannten Erstaufnahme-Einrichtungen knapp werden könnte.

Aber.

Zu behaupten, die Menschen aus dem Kosovo kämen nach Deutschland, um es sich „besser“ gehen zu lassen, ist reinster Populismus. Den meisten Menschen dort könnte es gerade kaum schlechter gehen. Jeder Dritte hat gerade mal 1,40 Euro am Tag, um sich und seine Familie durchzubringen. Die Arbeitslosenquote liegt nach offiziellen Angaben bei rund 30 Prozent, vermutlich aber noch wesentlich höher. Und die Hoffnung, die neue Regierung, die seit Dezember im Amt ist, könnte daran bald etwas ändern, schwindet von Tag zu Tag. Kurz gesagt: Die Menschen haben Hunger und Angst. Sie wissen nicht weiter. Und sie werden in diesem Moment offenbar von kriminellen Schlepperbanden mit dem falschen Versprechen gelockt, in Deutschland werde alles gut und man könne sie – gegen Geld – dort hinbringen.

Die Überheblichkeit, mit der Hahne und der Landrat auf diese bettelarmen Menschen blicken, wurde gestern nur noch von Marcel Huber (CSU) getoppt. Der Chef der bayrischen Staatskanzlei diktierte Journalisten in den Block, was er so meint, wie es den Flüchtlingen wirklich geht.

Die Menschen kämen in Bussen und „meistens gut gelaunt“. „Es wurde uns berichtet von volksfestartiger Stimmung am Busbahnhof in Pristina“, sagte Huber.

Um nicht gleich zu denken, dass Huber ein etwas schlichter Zyniker ist, kann man nur hoffen, dass er lediglich etwas mit den Augen hat. Es gibt zahlreiche Berichte darüber, wie schlecht es vielen Flüchtlingen geht und was sie aus ihrer Heimat flüchten lässt. Der Schweizer „Tagesanzeiger“ (und nicht nur der) berichtete zudem schon Anfang Februar von „dramatische[n] Szenen, die sich jeden Abend auf dem Busbahnhof der kosovarischen Hauptstadt Pristina abspielen“:

Weinende Kinder, erschöpfte Mütter, junge Männer, die sich rücksichtslos nach vorne drängen – sie alle wollen einen Platz in einem der Busse ergattern, die nach Belgrad fahren.

Dazu hat der „Tagesanzeiger“ ein Video verlinkt, das genau solche Szenen zeigt. An ein Volksfest erinnert dabei höchstens, dass da so viele Menschen auf einem Fleck stehen. Für Huber ist das wohl Indiz genug, dass es sich dort um eine Art Oktoberfest handeln könnte, nur ohne Bier, aber sozusagen mit Fahrgeschäften. Der Flüchtlingsrat hat heute der bayrischen Staatsregierung – zu Recht – vorgeworfen, mit „rechten Parolen“ zu hantieren, wovon sich ruhig auch Hahne und der Landrat aus Niederbayern angesprochen fühlen dürfen.

Die Hatz auf die Menschen, die sich hier angeblich einen flotten Lenz machen wollen, hat gerade erst begonnen. Sie nahm ihren Anfang, als „Bild am Sonntag“ voriges Wochenende (in der Ausgabe mit dem Hahne-Kommentar) aus einem Fernschreiben der Deutschen Botschaft zitierte und die dort so genannte „Asyl-Lawine“ gleich fett auf den Titel packte.

Ausriss Titelseite "Bild am Sonntag" 8.2.2015

Aus Menschen wird eine Lawine. Die auf uns zurollt. Und wenn es auch nur ein Zitat war, wie sie sich eilig bei „Bild“ herausredeten: Eine Überschrift, auf diese Weise platziert, in einer Zeitung, die Millionen Menschen lesen – sie entfaltet zwangsläufig ihre volle Wirkung. Inzwischen rollt diese Lawine durch alle möglichen Zeitungen und Online-Postillen.

Kriegt jetzt noch jemand in der Staatskanzlei oder in einer der Alarm-Redaktionen des Landes spitz, dass viele der Flüchtlinge krank sind, wie das ungarische Fernsehen berichtet, wird das ganz sicher nicht zu mehr Empathie diesen Menschen gegenüber führen – sondern zur nächsten knackigen Überschrift über das Gesocks, das uns an die Wurst will.

Nachtrag, 19:34 Uhr. Ein Dank an den Kommentator, der mich freundlicherweise daran erinnert hat, dass Landrat Bernreiter und Staatskanzleichef Huber natürlich nicht die Ersten aus der CSU sind, die sich davor fürchten, bald beim „Weltsozialamt“ zu arbeiten.

Nachtrag, 19.2.2015. Horst Seehofer hat gestern zum Politischen Aschermittwoch ebenfalls gegen die Flüchtlinge aus dem Kosovo gewettert und, wie der Landrat, den alten NPD-Slogan leicht abgewandelt: „Wir sind nicht das Sozialamt für den Balkan, liebe Freunde!“

Dschungelcamp-Journalismus: Wie buchstabiert man „Vorabmeldung“?

Immer mittags verschickt RTL in diesen Tagen eine Pressemitteilung, in der (mit einer Sperrfrist bis nach der Sendung) steht, was am vergangenen Tag im Dschungelcamp passiert ist und am späten Abend im Fernsehen gezeigt werden wird. Manche Medien übernehmen diesen Text einfach gleich mehr oder weniger komplett als eigenen Artikel. Zeitungen nehmen ihn als Grundlage für ihre Berichterstattung, damit sie schon am nächsten Tag über etwas berichten können, was eigentlich erst nach ihrem Redaktionsschluss zu sehen war.

Was den Haken hat, dass sie über etwas schreiben (müssen), das sie nicht selbst gesehen haben (können). Sie schildern das, was in der jüngsten Folge von „Ich bin ein Star – holt mich hier raus“ geschehen ist, ohne eigene Anschauung – allein auf der Grundlage einer Pressemitteilung von RTL.

(Natürlich weiß man ohnehin nicht, was wirklich dort passiert ist, sondern kennt nur die Auswahl und Inszenierung von RTL. Aber die Journalisten, die bloß auf der Basis der Pressemitteilung schreiben, haben – im Gegensatz zu mehreren Millionen Zuschauern – nicht einmal die gesehen.)

Das ist prinzipiell schon problematisch. Gestern war es das aber auch ganz konkret, denn die Zusammenfassung, die die Pressestelle von RTL vorab verschickte, war fehlerhaft. Sie schilderte den Ablauf der Dschungelprüfung mit größter Detailfreude – aber eben in diesen Details teilweise auch falsch.

Es ging um ein Spiel, in dem Maren Gilzer – unter erschwerten Bedingungen – Wörter buchstabieren musste. Sie stellte sich dabei erstaunlich ungeschickt an. Aber eben anders ungeschickt, als RTL es vorab behauptete.

RTL-Vorab:

1. Begriff „Dschungelkönigin“: Sonja Zietlow nennt den ersten Begriff und Maren taucht kopfüber, mit zugehaltener Nase, durch die trübe Brühe. Sie fischt sich einen Ball und fängt an zu buchstabieren: „D, S, C, H, U, S, E, G, K, Ö…“

In Wirklichkeit schien Maren Gilzer „Dschungel“ mit zwei G buchstabieren zu wollen – jedenfalls war nach „DSCHUNG“ Schluss.

RTL-Vorab:

3. Begriff „Hartwich“: Das „Un-Glücksrad“ dreht sich wieder und Maren ruft: „H, A, R, T, W, I, G.“ Daniel Hartwich: „Leider falsch.“

Nee. Maren Gilzer kam gar nicht bis zum G oder CH. Sie hatte schon das T vergessen.

RTL-Vorab:

8. Begriff „Python“: Maren: „P, Y, T, O, S.“ Falsch!

Die Gelegenheit, ein rätselhaftes S einzubauen hatte die frühere Buchstabenfee schon gar nicht mehr, weil sie wegen des fehlenden H gleich unterbrochen wurde.

Wenn Sie jetzt sagen, dass das doch komplett egal ist, haben Sie natürlich einerseits Recht. Andererseits aber auch nicht, wenn Sie sehen, wie viel Mühe sich zum Beispiel die „Bild am Sonntag“ gemacht hat, genau diese Informationen groß in Szene zu setzen:

Obwohl „Bild“ und „BamS“ einen eigenen Reporter in der Nähe haben, beruht die ganze Seite eben nicht auf irgendetwas, was ein Mitarbeiter der Zeitung selbst gesehen hätte, sei es in Australien oder vor dem Fernseher hier, sondern ausschließlich auf der (fehlerhaften) Vorabmeldung der RTL-Pressestelle. (Bin mir nicht ganz sicher, ob das mit „Mythos ‚Bild‘-Reporter“ gemeint ist.)

Natürlich ist der konkrete Fehler bei RTL passiert. Aber der größere, grundsätzliche Fehler besteht dann doch darin, über eine Fernsehsendung zu schreiben, die man gar nicht gesehen hat.

PS: Bei der „Bild am Sonntag“ kommt noch eigene Unfähigkeit hinzu. RTL schrieb:

5. Begriff „Paparazzi“: Maren: „Ach, nee.“ Und gefolgt von Benjamin taucht sie wieder ins trübe Wasser. Nach dem Auftauchen buchstabiert Maren erstmals richtig. Sie wirft den Ball, doch der fliegt daneben. Benjamin schmeißt und trifft. Ergebnis: Einen halben Stern.

Irgendwer in der „Bild am Sonntag“-Redaktion hat anscheinend nach dem „Ach, nee“ aufgehört zu lesen, und deshalb behauptet „Bild am Sonntag“ heute, Maren Gilzer hätte sich an dem Wort „Paparazzi“ gar nicht erst versucht. Im Gegenteil:

Der „BamS“-Artikel endet damit, dass das Blatt für Frau Gilzer freundlicherweise das Wort „Versagerin“ buchstabiert, allerdings: „V, E, R, S, A, G, E, R, I, N“ und nicht: „B, I, L, D, A, M, S, O, N, N, T, A, G“.

Nachtrag, 10:30 Uhr. Im E-Paper hat die „BamS“ die Darstellung geändert:

Nachtrag, 28. Januar. Anscheinend konnte das Blatt die Fehler auch in einem Teil der gedruckten Ausgabe noch berichtigen. Laut „Bild am Sonntag“ betraf das rund ein Drittel der Auflage.

Bei „Bild am Sonntag“ ist Veronica Ferres halt nicht dabei

Werfen wir doch mal kurz einen nüchternen Blick auf Veronica Ferres. Laut Wikipedia hat die Schauspielerin aus Solingen, seit ihrem Auftritt in „Schtonk“ im Jahr 1992, in rund 70 Filmen oder Serien mitgespielt, voriges Jahr allein in drei Kino- und drei Fernsehfilmen. Und sie hat für ihr Tun etliche Preise und Ehrungen eingesteckt. Ein Satz, auf den sich also wohl alle einigen können, ist: Veronica Ferres ist eine bekannte, gut gebuchte deutsche Schauspielerin.

So. Und jetzt mal angenommen, Sie kämen auf die total ausgefallene Idee, eine repräsentative Umfrage in Auftrag zu geben, die ermitteln soll, wer die, verrückt: „100 beliebtesten deutschen Schauspieler“ sind. Quizfrage: Müsste man dann die Teilnehmer dieser Umfrage nicht wenigstens fragen, wie sie diese bekannte, vielleicht sogar beliebte Schauspielerin namens Ferres finden?

Die Antwort lautet: Nö. Jedenfalls wenn man bei „Bild am Sonntag“ arbeitet.

"Bild am Sonntag" 11.01.2015

Auf insgesamt fünf Seiten erschien dort am vergangenen Wochenende ein großes Ranking der beliebtesten deutschen Schauspieler, Männer und Frauen gemischt. Unter den Frauen taucht da natürlich Iris Berben auf. Und Hannelore Elsner. Und Katja Riemann. Die man ja alle kennt. Und dann sind da noch Schauspielerinnen, für die man nicht gleich ein Gesicht im Kopf hat. Oder wissen Sie sofort, wer Rosalie Thomass ist? Oder Emilia Schüle. Nicht? Bei „BamS“ sind sie aber im Ranking dabei, was ja auch okay ist. Nur an die Ferres hat eben niemand gedacht.

Aber vielleicht ist es ja auch so, dass Veronica Ferres nur sehr präsent ist, viel macht, dass sie aber gar keiner mag, man sie also auch gleich aus so einem Ranking rauslassen kann. Schauen wir mal nach. Eine gute Quelle dafür ist das Blabla-Blatt „Frau im Spiegel“, das so jährlich wie möglich repräsentativ rumfragt, welche Schauspieler beliebt sind.

Das Ergebnis: 2011 war Ferres dort auf einem engen dritten Platz, weil sie ihn sich mit Christine Neubauer teilen musste. 2012 auch. 2013 war Ferres mal kurz auf Rang acht, allein. 2014 auf Platz 5, wieder mit Neubauer. Und wenn man dann noch weiß, dass Veronica Ferres Platz drei bei einer Style-Umfrage von TNS Infratest (2011) erreicht hat und 2007 zur beliebtesten Schauspielerin Ostdeutschlands gewählt wurde, muss man wohl auch diesen Satz abnicken: Veronica Ferres ist eine bekannte und offenbar beliebte deutsche Schauspielerin.

Nur bei „BamS“ ist sie niemandem eingefallen.

Aus einer Liste von über 2000 deutschen Schauspielerinnen und Schauspielern hat zunächst eine Jury aus zehn Redakteuren der BILD am SONNTAG nach Beliebtheit 100 Stars per Abstimmung gewählt.

So steht das im Text zur Umfrage. Und sagen wir mal so: Aha. „Nach Beliebtheit“ also. Die „BamS“-Redakteure haben folglich wohl mal ganz subjektiv und ohne irgendwelchen Kriterien-Firlefanz mit dem Finger auf Leute getippt, die sie gerade so ganz cool finden.

Nur die Ferres ist dabei niemandem eingefallen.

Nach den Redakteuren befragte dann, laut „BamS“, das Umfrageinstitut YouGov „bundesweit insgesamt 2093 Personen ab 18 Jahren“, ob sie „diese 100 Stars kennen und, falls ja, wie sie diese bewerten: Die Möglichkeiten reichten dabei von ’sehr beliebt‘ über ‚beliebt‘ bis zu ’nicht beliebt‘ und ‚überhaupt nicht beliebt‘.“ Rausgekommen ist dabei unter anderem, dass, laut „BamS“, Mario Adorf der beliebteste Schauspieler ist. Und die beliebteste Schauspielerin ist Jasmin Tabatabai, die sich voll freut über diese Ehre (und Werbung bei 1,2 Millionen „BamS“-Lesern), und die das, sagt sie, „kaum fassen“ kann, was auch kein Wunder ist. Bei „Frau im Spiegel“ kam Tabatabai in den vergangenen Jahren nicht mal unter die ersten Fünf.

Ich habe bei „BamS“-Chefredakteurin Marion Horn nachgefragt, weshalb Veronica Ferres nicht dabei ist. Und wer in der zehnköpfigen Jury saß. Und was es heißt, dass dort „nach Beliebtheit“ abgestimmt wurde. Nach knapp einem Tag ließ Horn per Mail einen Springer-Klassiker mitteilen:

Wir kommentieren die redaktionelle Berichterstattung nicht, in dem Artikel ist das Vorgehen ja beschrieben.

Sagen wir mal so: Aha. Das ist Marion Horns Strategie. Eine suspekte Studie machen, sie als repräsentativ verkaufen und Nachfragen einfach abblocken. Aber da ist ja noch diese eine Antwort, die alles erklärt, die Antwort auf die Frage, die „BamS“-Chefin Horn via twitter gestellt bekam, offenbar von einem Ferres-Fan: Wieso Veronica Ferres nicht in der Liste auftaucht? Auftritt Horn:

Jawoll! Ist halt nicht dabei. Oder anders gesagt: Klappe jetzt! Ist ja wohl auch eine Unverschämtheit, dass man eine Umfrage hinterfragt, die eine Boulevardzeitungs-Redaktion für repräsentativ hält. Es hat sicher seine Gründe, dass auch Matthias Schweighöfer nicht in der Umfrage auftaucht, weil der doch voriges Jahr bloß einen der erfolgreichsten Kinofilme („Vaterfreuden“) gemacht hat. Ist halt nicht dabei! Oder Elyas M’Barek. Der hat doch nur in einem Film mitgespielt („Fack ju Göhte“), den 2014 fast sieben Millionen Menschen in deutschen Kinos gesehen haben. Bekannt? Beliebt? Ist halt nicht dabei!

Islamhassender „BamS“-Vize erschreibt sich „herrlichen Shitstorm“ und eine Art Abmahnung

Kommentare müssen polarisieren, subjektiv sein, auch mal wehtun. Nur das macht gute Kommentare aus.

Nicolaus Fest am 28. Mai im österreichischen „Standard“

Der stellvertretende Chefredakteur der „Bild am Sonntag“, Nicolaus Fest, hat heute von Kai Diekmann, dem Herausgeber des Blattes, eine Art öffentliche Abmahnung bekommen. In dem Kommentar, der morgen in der gedruckten „Bild“-Zeitung erscheint und in dem Diekmann den Eindruck erweckt, auch im Namen des Unternehmens Axel Springer zu schreiben, wird Fests pauschale Ablehnung von Islam und Moslems als unvereinbar mit den Grundsätzen der „Bild“-Zeitung und des Verlages dargestellt.

Diekmann schreibt:

Bei BILD und Axel Springer ist (…) kein Raum für pauschalisierende, herabwürdigende Äußerungen gegenüber dem Islam und den Menschen, die an Allah glauben.

Wer eine Religion pauschal ablehnt, der stellt sich gegen Millionen und Milliarden Menschen, die in überwältigender Mehrheit friedlich leben.

Genau solche Auseinandersetzung entlang religiöser Grenzen wollen wir NICHT. Wir wollen sie nicht führen, nicht befördern und nicht herbeischreiben. Denn sie enden immer verheerend – das hat die Geschichte oft genug gezeigt!

All das, was Diekmann da aufzählt, hatte Nicolaus Fest in einem Leitartikel in der heutigen „Bild am Sonntag“ getan. Er schrieb:

Ist Religion ein Integrationshindernis? Mein Eindruck: nicht immer. Aber beim Islam wohl ja. Das sollte man bei Asyl und Zuwanderung ausdrücklich berücksichtigen!

Ich brauche keinen importierten Rassismus, und wofür der Islam sonst noch steht, brauche ich auch nicht.

Deutlicher kann man die pauschale Ablehnung einer Religion und ihrer Gläubigen kaum formulieren. Es geht Fest nicht nur um „Zwangsheiraten, ‚Friedensrichter‘, ‚Ehrenmorde'“, die es im Islam zweifellos gibt. Es geht ihm um den Islam als ganzes. Er geht soweit, zu suggerieren, dass man doch vielleicht das Gewähren von Asyl auf Nicht-Muslime beschränken könnte, was nicht nur viel über sein Bild von Moslems sagt, sondern auch über seine Vorstellung, was das Grundrecht auf Asyl eigentlich bedeutet.

Fests Aufruf zu weniger Toleranz folgt für ihn offenkundig unmittelbar aus dem plakativen Appell der „Bild“-Zeitung am vergangenen Freitag, Antisemitismus in Deutschland nicht schweigend hinzunehmen. Viele Prominente und Politiker hatten sich in die entsprechende „Bild“-Kampagne einspannen lassen. Einzelne davon forderten „Bild“ heute immerhin auf, sich für Fests Äußerungen zu entschuldigen.

Der Grüne Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu nennt den „Bild am Sonntag“-Kommentar Fests in einem Gastkommentar für die morgige „Bild“-Zeitung „Rassismus pur“:

Die Hasstiraden des Autors schüren ohne Not Vorurteile, Ängste und Menschenfeindlichkeit.

Nicolaus Fest hatte sich vorher auf Twitter noch über die Aufmerksamkeit gefreut:

Auch Marion Horn, die Chefredakteurin der „Bild am Sonntag“, hatte Fests Kommentar zunächst noch mit dem Hinweis auf „Meinungsfreiheit bei Springer“ verteidigt und behauptet, Fest sei „kein Islamhasser“ und „nicht hasserfüllt!!!“:

Erst Stunden später schwenkte sie dann auf die Linie Kai Diekmanns um und twitterte:

Warum sie sich bloß für den „entstandenen Eindruck“ entschuldigte und nicht einfach für den Kommentar um Entschuldigung bat, der diesen „Eindruck“ nicht nur provozierte, sondern unzweifelhaft islamfeindlich war, weiß ich nicht.

Dann reden wir mal über Nicolaus Fest. Der Sohn des bekannten früheren FAZ-Herausgebers Joachim Fest arbeitet seit Jahren daran, sich einen Ruf als kompromissloser Hardliner und vermeintlicher „Klartext“-Sager zu erarbeiten, leider bislang ohne die öffentliche Aufmerksamkeit dieses Sonntags.

Die rechte Szene rund um das Hetzblog „Politically Incorret“ hat ihn schon vor Jahren für seine Bild.de-Texte gefeiert. In seiner früheren Kolumne „HIEB- UND STICHFEST“ polemisierte er immer wieder gegen Zuwanderung und Integration von Ausländern in Deutschland. Um aus dem BILDblog von 2008 zu zitieren:

Vorläufiger Höhepunkt war sein Beitrag in der vorigen Woche, in den man, wenn man wollte, fast ein Lob des Völkermordes lesen konnte. Fest rühmt darin die „Vorteile homogener Gesellschaften“ und argumentiert, dass die Beseitigung von kultureller Vielheit Gesellschaften „Frieden und Stabilität“ bringen könne.

Die preisgekrönte Reporterin und Autorin Carolin Emcke urteilt über seinen Text: „Das gab es so explizit wirklich lange nicht mehr zu lesen von Autoren, die nicht vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Es ist ein pseudohistorisch verkleideter Rassismus und eine gar nicht verkleidete Aufforderung zur Homogenisierung unserer offenen Gesellschaften.“

Ihr Gastbeitrag ist gerade auch im Kontext der aktuellen Diskussion um Fest lesenswert. Seine radikalen Ansichten waren kein Geheimnis. Er veröffentlichte sie auf Bild.de.

Nun wäre es falsch, Nicolaus Fest auf seine Ablehnung des Islam zu reduzieren. Man sollte auch seine Kaltblütigkeit und Ahnungslosigkeit würdigen, mit der er die Exzesse der Berichterstattung nach dem Amoklauf von Winnenden verteidigte (in Anwesenheit der Mutter eines der dabei getöteten jungen Frau). Oder die Art, wie er gegen die Resozialisierung ehemaliger Terroristen wetterte.

Fakten sind auch nicht so seins. Oder Textverständnis.

Er formuliert mit einer Schärfe, Gnadenlosigkeit und Übertreibung, die selbst im „Bild“-Kosmos gelegentlich auffällt. Eine spätere Kolumnenreihe von ihm hieß „Fest(e) drauf“.

Vor der Umstellung der Gebühren für ARD und ZDF kündigte er 2010 an, dass das neue System die Zahler jährlich „einige Milliarden mehr“ kosten würde. 2013, als sich herausstellte, dass es tatsächlich Mehreinnahmen in Höhe von 0,3 Milliarden Euro jährlich wurden (die ARD und ZDF nicht behalten bzw. verwenden dürfen), sprach er von einem „Betrug“.

Zur Debatte um die Skandal-Rede von Sibylle Lewitscharoff twitterte er:

Aber das ist natürlich Kinderkram im Vergleich zu seiner Ablehnung von Integration und seinen Ressentiments gegen Moslems. Die Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus kann er nicht nachvollziehen. Damit und mit seinem „BamS“-Leitartikel straft er Kai Diekmann Lügen, der behauptet, „für BILD und Axel Springer gab und gibt es bei all diesen Debatten eine klare, unverrückbare Trennlinie zwischen der Weltreligion des Islam und der menschenverachtenden Ideologie des Islamismus“.

Eben nicht. (Den „BamS“-Artikel, der Anlass für den Kommentar ist, erwähnt Diekmann mit keinem Wort.)

Ob Fests Durchbrechen dieser „unverrückbaren Trennlinie“ irgendwelche Konsequenzen hat, wollte Diekmann heute nicht sagen. Meine Feststellung, dass er sich, wenn Diekmann es ernst meinte mit seinem „Kein Platz für“, nun einen neuen Arbeitgeber suchen müsste, konterte Diekmann mit: „So ein Quatsch!“

Nachtrag, 3. August. „Bild am Sonntag“-Chefredakteurin versucht in der heutigen Ausgabe den vielfachen Rittberger:

Es ist der Eindruck entstanden, dass sich BILD am SONNTAG gegen den Islam stellt. Das ist nicht so! Dass dieser Eindruck entstanden ist, bedaure ich sehr. (…)

Aber in unserem Verlag ist es möglich, unterschiedliche Meinungen zu haben. Deshalb habe ich mich als Chefredakteurin für den Abdruck entschieden. Wohl eine Fehleinschätzung, denn wir haben mit diesem Kommentar viele Menschen verletzt. (…)

Ich bitte alle Menschen um Entschuldigung, die sich durch uns gekränkt fühlen.

Mittlerweile bin ich dankbar für die heftigen Reaktionen, die wir ausgelöst haben. In der Öffentlichkeit, in Politik, Verlag, in unserer Redaktion, in unseren Familien. Lange ist über dieses wichtige Thema nicht mehr so offen und kontrovers diskutiert worden.

Vielleicht sorgt unser Kommentar am Ende dafür, dass Missverständnisse ausgeräumt werden und wir lernen, eine offene Debattenkultur zu entwickeln. Das muss unsere demokratische Gesellschaft aushalten, das muss BILD am SONNTAG aushalten.

Niemandem Rechenschaft schuldig

Ich würde nie behaupten, dass Thomas Osterkorn und Andreas Petzold, die Chefredakteure des „Stern“, zynische Arschlöcher seien. Aber nett wie ich bin, wollte ich ihnen die Bezeichnung zumindest mal zur Selbsterkenntnis angeboten haben.

Der „Stern“ gehört zu den Medien, die der Überzeugung waren, dass das Leiden für die Angehörigen der Opfer von Winnenden noch nicht groß genug war. Die Illustrierte half, ihr Leben noch ein bisschen unerträglicher zu machen, indem sie die Mädchen groß im Bild zeigte — mit Fotos, die offenbar jemand einfach aus ihren Profilen in verschiedenen sozialen Netzwerken entwendet hatte.

Das ARD-Magazin „Panorama“ fragte beim „Stern“ nach, woher die gezeigten Bilder stammen, ob die Angehörigen ihrer Veröffentlichung zugestimmt haben und wenn nein, warum man sie trotzdem zeigte. Der „Stern“ antwortete:

„Zu Redaktions-Interna erteilen wir keine Auskunft.“

Der vom ebenso ehrenwerten Helmut Markwort geleitete „Focus“ hatte — genau wie die „Bild am Sonntag“ — die Idee, dass es noch lukrativer wäre, die aus SchülerVZ oder kwick.de stammenden Porträts der Opfer gleich verkaufsfördernd auf die Titelseite zu packen. Auf die Fragen von „Panorama“ nach der Herkunft der Bilder und der Zustimmung der Angehörigen antwortete der „Focus“ nicht.

Auch RTL zeigte u.a. ein Opfer groß im Bild, Quellenangabe: „SchülerVZ“. Chefredakteur Peter Kloeppel gilt unbegreiflicherweise immer noch als Guter Journalist des Privatfernsehens, aber der Sender erklärte gegenüber „Panorama“, dass man die Fragen des Magazins nicht beantworten wolle.

Vor vier Wochen bediente sich das Hamburger “Abendblatt” im Internet, um einen Bericht über einen Mann, der sich und seine Familie getötet hatte, schön mit Familienfotos illustrieren zu können. Autor Florian Büh, der als Fotograf angegeben war, wollte auf Nachfrage von Onlinejournalismus.de keine Auskunft geben und verwies an “Abendblatt”-Chefredakteur Claus Strunz. Der antwortete „trotz mehrmaliger Nachfragen“ gar nicht.

Thomas Schmid, Chefredakteur der „Welt am Sonntag“, ließ einen Artikel über Winnenden mit einem Foto illustrieren, das scheinbar den Amokläufer zeigte, in Wahrheit aber einen Jungen bei der Opferfeier. Nachfragen des „Medium Magazins“ ließ Schmid unbeantwortet; in der nächsten Ausgabe der Zeitung fehlte jeder Hinweis auf den Fehler, jede Entschuldigung, jede Erklärung.

Vermutlich sind all die wichtigen Chefredakteure einfach zu beschäftigt, sich über elementare journalistische Grundsätze und antiquierte Vorstellungen von Anstand und Ethik hinwegzusetzen, als dass sie auch noch lästige Fragen dazu beantworten könnten.

Vergleichsweise vorbildlich ist da schon die „Bild“-Zeitung, die ihren Sprecher Tobias Fröhlich immerhin ein Statement abgeben ließ, das man auf den ersten Blick mit Antworten auf die gestellten Fragen verwechseln könnte. Fröhlich erlaubte sich gegenüber „Panorama“ den Witz, auf die Frage…

„Bilder von Toten dürfen — wenn nicht ein herausragendes öffentlichen Interesse besteht oder sie Personen der Zeitgeschichte sind — nur mit Genehmigung der Angehörigen veröffentlicht werden. Warum setzt sich BILD immer wieder darüber hinweg?“

…zu antworten:

„(…) entgegen Ihrer Annahme dürfen Fotos von Opfern auch ohne Genehmigung gezeigt werden, sofern es sich um Bildnisse im Zusammenhang mit wichtigen zeitgeschichtlichen Ereignissen handelt.“

Weiter scherzte er:

„Der Redaktion fällt eine solche Entscheidung nicht leicht (…).

(Man darf von seiner Antwort [pdf] aber nicht, wie ich es gerade getan habe, nur einzelne Sätze zitieren. Die „Bild“-Leute kennen schließlich ihre Rechte.)

Ich bin sicher, all die oben genannten Herren schlafen gut und halten (mit Ausnahme von Fröhlich natürlich) auf Anfrage auch gerne wohlklingende Vorträge darüber, wie wichtig es ist, dass Journalismus nicht von irgendwelchen skrupellosen Amateuren betrieben wird, sondern von Menschen, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind, also von ihnen selbst. Redaktions-Interna bleiben von solchen ethischen Erwägungen natürlich unberührt.

Der Strunzer

Toll, der Claus Strunz. Ist erst seit 15. Oktober Chefredakteur des „Hamburger Abendblatts“, hat dessen Niedergang aber schon messbar beschleunigt. Im vierten Quartal ging die verkaufte Auflage um über vier Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück — schneller als in den zehn Quartalen zuvor. Gleichzeitig ist die Heiße-Luft-Produktion in den vergangenen Wochen explodiert.

Zur Zeit ist er auf Medienseitentournee mit seinem aktuellen Schlager vom „Abendblatt 3.0“. Die Zahl steht für dreierlei Dreien: Erstens „Abendblatt 3000“, zweitens die drei Säulen Lokales, Regionales und Bundesweites und drittens das Weiterzählen von 2.0, „die konsequente Umsetzung von ‚Journalismus first'“.

Ich kenne keinen Chefredakteur, der im gleichen Maße bereit ist, sich für Eigen-PR lächerlich zu machen oder die Unwahrheit zu sagen, wie Claus Strunz. Während seiner Amtszeit als „Bild am Sonntag“-Chefredakteur ist die Auflage der Zeitung um rund 30 Prozent gesunken — noch schneller als die der werktäglichen „Bild“. Als er sich von seinen Lesern verabschiedete, tat er dies mit den Worten: „Man soll gehen, wenn es am schönsten ist“. Gegenüber dem „Spiegel“ überraschte er mit der Aussage, das „Abendblatt“ gehöre „journalistisch in den Kreis der Top vier neben ‚FAZ‘, ‚Süddeutsche‘ und ‚Welt'“.

Aber vielleicht ist das eine Kernkompetenz für den Chefredakteur einer Zeitung in diesen Zeiten: die Fähigkeit, sich die Wirklichkeit zurecht zu lügen. Dies ist die Entwicklung von Abonnements und Einzelverkäufen des „Abendblatts“ in den vergangenen elf Jahren:

Es ist nicht so leicht, darin einen Beleg dafür zu finden, dass „nach wie vor auch eine Menge für die Zeitung auf Papier spricht“, wie Strunz gegenüber dem Mediendienst „Meedia“ sagte. Aber Strunz fand ihn:

„Jedenfalls haben wir 2008 fast zehn Prozent mehr Abonnements verkauft als im Vorjahr.“

Flüchtig gelesen, könnte man glauben, dass die Zahl der Abonnenten des „Abendblattes“ zugenommen hat. Hat sie natürlich nicht: Sie ist um fast 6000 rund 4700 zurückgegangen. Strunz spricht davon, mehr neue Abonnenten gewonnen zu haben als im Vorjahr. Das würde aber bedeuten, dass sich die Geschwindigkeit, mit der das „Abendblatt“ alte Abonnenten verliert, ebenfalls beschleunigt hat.

Auf Nachfrage erklärt ein Springer-Sprecher, dass das „Abendblatt“ 2008 sogar 15 Prozent mehr Abonnenten gewonnen habe als im Vorjahr, und nur 5 Prozent mehr Abonnenten verloren als im Vorjahr. Weil die absolute Zahl der Kündigungen aber höher ist als die der Neuabschlüsse, entspricht das einem Netto-Verlust.

Der Sprecher will in den Zahlen dennoch eine Trendwende erkennen, was erstaunlich ist, denn das Tempo, in dem das „Abendblatt“ Abonnenten verliert, hat sich nicht verlangsamt: Es liegt relativ konstant bei rund 2,5 Prozent pro Jahr.

Das sind natürlich immer noch lächerlich kleine Zahlen, verglichen mit dem Auflagenschwund, den Strunz bei der „Bild am Sonntag“ produziert hat. Aber die guten Zeiten für das „Abendblatt“ fangen ja auch gerade erst an.

Heuchler

Manchmal ist es schwer, im BILDblog eine angemessene Form zu finden, die der moralischen und menschlichen Verkommenheit der „Bild“-Zeitung und ihrer Mitarbeiter gerecht wird. Ich weiß gar nicht, was ich an dieser Geschichte abstoßender finde: Die „Bild“-Zeitung, die es sich nicht nehmen lässt, die Homosexualität eines aus dem Libanon stammenden jungen Mannes öffentlich zu machen, und dabei (wissentlich oder fahrlässig) in Kauf nimmt, dass er oder seine Familie dort in Gefahr geraten könnten. Oder die „Bild am Sonntag“, die sich am nächsten Tag an dieser Gefahr berauscht, scheinbar besorgt die Konsequenzen des Outings ihrer Schwesterzeitung beschreibt und nicht einmal den Anstand hat, das hinzuschreiben: dass es die „Bild“-Zeitung war, die ihn in diese von „Bild am Sonntag“ detailliert beschriebene Gefahr gebracht hat. Und weil Herausgeber beider Zeitung Kai Diekmann ist, kann er mit sich selbst Good-Cop-Bad-Cop spielen, darf gleichzeitig unbeschwert vor sich hin zündeln und vor den Risiken des Zündelns warnen.

Man darf auch „Bild“-Mitarbeiter nicht beleidigen, anspucken oder schubsen (und ich meine das nicht als rhetorische Floskel). Aber ich würde mir wünschen, dass alle, die für dieses Blatt arbeiten, wenigstens in den nächsten paar Tagen ununterbrochen gefragt werden, wie sich das anfühlt. Ob man sich häufiger duschen muss als andere Leute. Wie man schafft, in den Spiegel zu sehen, ohne sich in die Augen zu blicken. Und ob da nichts mehr ist: kein Gefühl, keine Zweifel, keine Angst, keine Erinnerung an Raimund Harmstorf, um nur einen zu nennen.

Sie bilden ein perfektes Team, die „Bild“-Zeitung und die „Bild am Sonntag“. Und Bild.de ergänzt die Verantwortungslosigkeit der einen und die Scheinheiligkeit der anderen noch um Unfähigkeit. Das hier war der Bild.de-Aufmacher in der vergangenen Nacht (Unkenntlichmachung von mir):

Nachtrag, 14. April, 14:30 Uhr. Ich habe mich entschieden, den Namen des Betroffenen auf dem Screenshot nachträglich unkenntlich zu machen. Das mag merkwürdig wirken, weil sich sein Name leicht herausfinden lässt und die Geschichte auf ungezählten Seiten nachzulesen ist. Andererseits: Die „Bild“-Zeitung hat kein Recht, das Privatleben des Sängers öffentlich zu machen — insbesondere, wenn er es geheim gehalten hat und offenbar gute Gründe dafür hatte. Und wenn die „Bild“-Zeitung kein Recht dazu hat, darüber zu berichten, habe ich kein Recht dazu, für eine weitere Verbreitung zu sorgen — egal wie klein mein Anteil daran auch sein mag.