Eine der Fragen, die mir am Donnerstagabend immer wieder gestellt wurde, war die, ob ich glaubte, dass auch jemand von „Bild“ da wäre. Jetzt weiß ich’s: mindestens Hagen Meyer. Der Autor von „Bild“-Artikeln wie „Wer läßt sich von mir verhaften? Ich bin unbewaffnet. Du kannst gerne nachgucken … Polizistin Sabrina (22) sucht einen starken Mann“ berichtet im Blog der Axel-Springer-Akademie über die Veranstaltung. (Den Hinweis, dass er selbst für „Bild“ schreibt, hat er vergessen.)
Wenn ich ihn richtig verstehe, war er enttäuscht, dass die Veranstaltung namens „Charlotte Roche liest BILDblog“ im Wesentlichen daraus bestand, dass Charlotte Roche BILDblog las. Er merkte zudem kritisch an, dass das ohne Charlotte Roche nichts gewesen wäre. Recht hat er.
· · ·
Aber das wollte ich eigentlich gar nicht schreiben. Eigentlich wollte ich schon vor Tagen darüber bloggen, wie das war, diese Veranstaltung vorzubereiten. Ich wollte von den vielen, vielen Stunden berichten, in denen ich daran saß, die (meist extra von Heiko in tagelanger Arbeit noch einmal neu eingescannten) Ausrisse in Form zu bringen. Das war nämlich meine erste Powerpoint-Präsentation überhaupt, und die Idee, das Programm dabei quasi so nebenbei zu lernen, könnte man überambitioniert nennen oder auch einfach dumm. Schön jedenfalls, dass ich jetzt weiß, dass Word nicht das einzige Programm mit der intuitiven Microsoft-Benutzerführung ist: Es errät mit erstaunlicher Trefferquote, was ich tun will, um dann etwas anderes zu machen.
· · ·
Apropos: Ist eigentlich schon mal juristisch geprüft worden, ob das Programmverhalten von Word bei der Arbeit mit langen Tabellen und Seitenumbrüchen möglicherweise gegen die Genfer Menschenrechtskonvention verstößt?
(Bevor jemand fragt: Word 2007, PowerPoint 2007, Vista. Ja, ich weiß.)
· · ·
Knifflig bei der Zusammenstellung des Programms für den Abend waren die Fragen: Wie witzig muss es sein? Wie ernst darf es sein? Es sollte ein unterhaltsamer Abend werden, die Leute sollten etwas zu lachen haben, keine Frage. Aber wir wollten auch die schlimmen Geschichten erzählen, an deren Ende nicht unbedingt eine Pointe steht, und schon gar keine lustige. Andererseits haben wir schon vorher bei der Auswahl gemerkt, dass viele der krassen Geschichten gar nicht zum Vorlesen in diesem Rahmen taugen; dass wir die Menschen, die „Bild“ zu Opfern gemacht hat, in gewisser Weise noch einmal missbrauchen würden.
Klar: Das war eine Gratwanderung, und bei der Lesung trat noch ein anderer, merkwürdiger Effekt ein. Klaus Raab beschrieb das in der „taz“ so:
Frappierend ist jedoch, dass das Publikum nicht nur über die pointierten Kommentare von Bildblog lacht, sondern – selbst im Fall des Hort-Artikels – schon über die Primärquelle: Bild.
Damit hatten wir so nicht gerechnet, und tatsächlich scheint das auch ein Widerspruch zu dem zu sein, was wir schon sehr früh als eine Motivation für BILDblog formuliert hatten:
Uns stört die Tendenz, alles in „Bild“ als amüsante Unterhaltung wahrzunehmen.
Haben wir nun womöglich genau das selbst gemacht? Und ungewollt bewiesen, wie gut das funktioniert, wie lustig das ist: ein Abend mit „Bild“-Artikeln?
Es ist dann aber doch eine andere Art des Lachens. Es hat nichts von dieser postmodernen Haltung, die „Bild“-Zeitung als Fiktion zu lesen und ihre Machart, ihre vermeintliche Kunstfertigkeit zu bewundern, unabhängig vom Inhalt. Deutlich wurde das für mich auf der Bühne bei unserem Eintrag zum Brief von Wagner an die türkischen Schüler. Das Gelächter war nicht nur eines über den armen Wirren Franz Josef Wagner. Es war auch ein Ausdruck der Fassungslosigkeit über die Ideologie, die mit solchen „Bild“-Artikeln transportiert wird. Es hat, kurz gesagt, etwas Kathartisches, das Lachen.
Christoph hat diese These noch am Abend entwickelt, und ich glaube, sie stimmt: Da sitzen Leute, die ihre Ablehnung dieser Zeitung und ihrer Methoden vereint, und lachen „Bild“ gemeinsam und öffentlich aus. Oder wie es eine Kommentatorin bei der „taz“ formuliert:
[Das Lachen] ist keine Verharmlosung der BILD, sondern Ausdruck der Unfassbarkeit, dass dieser Schrott in der meistgelesenen Zeitung Deutschlands stehen soll.
· · ·
Klaus Raabs Fazit in der „taz“ gefällt mir gut:
An diesem Abend trifft sich also eine nicht bis ins Nachtprogramm hinein politisierte Generation – aber doch ein Milieu, in dem Bereitschaft zu politischem Denken besteht.
Er zitiert mich allerdings davor mit dem Satz, BILDblog werde von „20-Jährigen“ gelesen — dabei habe ich das nur als einen Teil unserer (vermuteten) Leserschaft angegeben.
Ein erster, unverbindlicher Blick in die (noch nicht abgeschlossene) BILDblog-Leser-Umfrage zeigt übrigens, dass unsere Leser im Schnitt 28,5 Jahre alt sind.
· · ·
Und es sind die tollsten Leser der Welt. Am Dienstag vor der Lesung haben wir noch ein paar Karten verlost, und wenn ich mal schlechte Laune habe, werde ich in Zukunft nur in den Ordner mit den E-Mails schauen müssen, die da gekommen sind.
Es ist immer noch eine solche Welle von Sympathie und Zustimmung, die uns da entgegen schwappt. Und es geht nicht darum, dass alle jubeln sollen über das, was wir machen, oder dass es an BILDblog allgemein oder im Einzelfall nicht genug zu kritisieren gäbe. Aber ein solches grundsätzliches Wohlwollen von netten Menschen, habe ich noch bei keiner anderen Arbeit erlebt.
Ich erlebe das immer noch als Glück. Ein bisschen Stolz ist auch mit dabei, vor allem aber ist das ein großes, großes Glück.
Wie unfassbar das ist, hat mir unsere Lesung wieder gezeigt: Ich meine, wo gibt es das denn, dass Charlotte Roche einem sagt: Klar, ich les gerne für euch. Dass man bei Fettes Brot anfragt, ob die nicht auflegen wollen, und keine 24 Stunden später sagen die Ja. Einfach so, weil die uns gut finden (und Charlotte Roche). Ach, und überhaupt: Dass man eine Lesung macht und trotz 600 Sitzplätzen nicht alle reinkommen, die reinwollen, und sich mit selbst gemalten „Suche Karten“-Schildern vor die Tür stellen?
Was ich eigentlich sagen will: Danke!
· · ·
Wenn Sie das jetzt schon sentimental und selbstbezüglich fanden, dann seien Sie froh, dass ich all das (und viel mehr) nicht schon vergangene Woche im Glücksrausch aufgeschrieben habe. Das ist auch eine interessante Erfahrung: Wenn schon mal wirklich etwas passiert im Leben, über das man bloggen könnte, kommt man nicht dazu, darüber zu bloggen, weil man voll und ganz damit beschäftigt ist, es zu erleben.
· · ·
Ach ja, die meistgestellte Frage nach der Lesung war diese: Ob wir damit dann jetzt auf Tournee gehen.
Keine Ahnung. Wir wissen noch nicht, ob wir das könnten. Wir wissen aber auch noch nicht, ob wir das überhaupt wollten.