Schlagwort: Bild.de

Kevin Wilhelm Kuranyi

Nächster Versuch in diesem anscheinend groß angelegten Live-Experiment über die Zuverlässigkeit von, hust, professionellen Medien: Reicht es eigentlich, die Homepage eines Fußballclubs zu hacken und draufzuschreiben, dass ein Stürmer fristlos entlassen wurde?

Aber ja!

Wozu Klickstrecken? Wegen der Übersicht!

Nachdem Bild.de vor Wochen bereits die „besten, lustigsten, härtesten Chuck-Norris-Sprüche“ in einer 50-teiligen Klickstrecke und „noch mehr Chuck-Norris-Sprüche“ in einer 90-teiligen Klickstrecke veröffentlicht hat (diese Sprüche seien nämlich, weiß Bild.de, gerade „ein angesagter Trend im Internet“), hat das Online-Angebot vergangene Woche damit begonnen, in einer Serie „wirklich alle Sprüche“ über den „härtesten Mann der Welt“ zu veröffentlichen.

Aber, und jetzt kommt’s: als Aufzählung. Einfach untereinander. Auf einen Blick. Nicht verteilt auf Dutzende Seiten, durch die man sich klicken muss (und die jeweils der Werbeindustrie als ein Seitenaufruf verkauft werden).

In der Lesezeichen-Community Yigg.de schlägt ein User den Bild.de-Leuten vor:

Am besten macht ihr gleich ne Klickstrecke draus. Scheint ja wunderbar zu funktionieren.

Und der User Bild_de, der die Hinweise auf die Bild.de-Artikel auf Yigg auch veröffentlicht hat (und bei dem es sich mutmaßlich um einen Bild.de-Mitarbeiter handelt), antwortet:

Natürlich sind Kurztextgalerien (oder wie du sie nennst Klickstrecken) eine sehr gute Möglichkeit umfangreiche Inhalte kompakt darzustellen. Das Ziel ist jedoch nicht viele Klicks zu generieren, sondern Übersichtlichkeit. Im hier verlinkten Chuck Norris Teil 3 Artikel wäre eine Kurztextgalerie jedoch weniger sinnvoll, da der User fehlende Sprüche als Kommentar senden kann. Wenn alle Sprüche in einer Kurztextgalerie wären, könnte man zwar den Inhalt Übersichtlich in einem einzigen Artikel darstellen, dafür könnte der User schlechter überprüfen ob der Chuck-Norris-Spruch den der er gerade einsenden will nicht schon vorhanden ist.

Wenn ich es richtig verstehe, verhält es sich also so: Klickstrecken setzt man ein, um die Inhalte übersichtlicher zu präsentieren. Leider leidet unter dieser übersichtlichen Art der Präsentation die Übersichtlichkeit. Deshalb verlieren die Leser leicht die Übersicht. Und deshalb präsentiert Bild.de die Chuck-Norris-Sprüche manchmal nicht übersichtlich, sondern unübersichtlich (der Übersichtlichkeit wegen).

[via Hendric in den Kommentaren]

Bildergalerie zum Selberanlegen

Hab ich’s nicht gesagt? Dass das revolutionäre „Twin View“-Konzept der „TV Movie“ das Potential hat, auch jenseits der Programmzeitschriftenwelt Furore zu machen? Den Online-Auftritt der „Bild“-Zeitung scheint es jetzt zu einem neuen Feature inspiriert zu haben, eine Art Super-Doppel-Bildergalerie-mit-Erklärung-extra.

Und so sieht das aus: Beim Klicken durch die siebenteilige Bilderstrecke mit den „IFA-Highlights von vorgestern“ auf Bild.de bewegen sich nur die Fotos. Die zugehörige Erklärung ist in einer eigenen Bilderstrecke untergebracht:

So verdoppelt Bild.de nicht nur die Zahl der Klicks pro Bilderstrecke, sondern vervielfacht auch den Unterhaltungswert. Ganz nach eigenem Gutdünken kann der Leser so zum Beispiel das Foto vom VHS-Rekorder (IFA-Highlight 1971) mit der Beschreibung des Walkman (IFA-Highlight 1979) kombinieren.

Stunden voller Spaß.

[entdeckt von Michael Weinreich]

Höchststrafe für DJ Tomekk

Spiegel Online ist aufgefallen, dass im Dschungelcamp nicht über den Hitlergruß von DJ Tomekk diskutiert wurde, und schreibt:

Offenbar war es den Machern des Dschungelcamps zu heikel, einen Ex-Torwart, eine Ex-Pornoqueen und einen Ex-Popstar über Vorfälle mit echter Relevanz diskutieren zu lassen.

Tja, blöder Anfängerfehler von RTL, das Camp nicht mit einem Ex-Journalistenschüler, einem Ex-Ressortleiter und einem Ex-Chefredakteur zu bestücken, die jedes beliebige Thema natürlich unabhängig von seiner Fallhöhe spontan und angemessen hätten diskutieren können. Aber mal abgesehen von dieser Arroganz: Ist das nicht traurig? Journalisten produzieren nicht nur lächerliche Erregungswellen; sie halten sie dann auch noch für „echte Relevanz“!

Das scheint eine merkwürdige Gesetzmäßigkeit zu sein, dass nach solchen Entgleisungen wie der von DJ Tomekk ein gemeinsamer öffentlicher Wettlauf beginnt, mit dem sich möglichst viele Leute so lächerlich zu machen versuchen, dass die auslösende Dummheit dagegen fast verblasst.

Die Medienmaschine war sofort angesprungen. Bild.de hatte das Video, das bis dahin noch niemand kannte, von dessen Existenz außer „Bild“ noch niemand wußte, bereits bei der Erstausstrahlung mit dem Satz vertont: „Dieses Skandalvideo schockiert Deutschland“. Und die Nachrichtenagentur AFP reagierte reflexartig und brachte noch vor dem Aufstehen eine Meldung, die mit dem Satz begann:

Ein handfester Nazi-Skandal erschüttert das RTL-„Dschungelcamp“.

Ich bin ja ein Freund davon, sich sprachlich Steigerungsmöglichkeiten offen zu lassen, und frage mich: Was war — abgesehen von einem möglichen schlechten Kalauer — an diesem „Skandal“, wenn es denn einer war, „handfest“? Und was wird AFP schreiben, wenn es einmal im Dschungelcamp oder sonstwo wirklich zu einem „handfesten Nazi-Skandal“ kommen sollte?

Aber „Bild“ hatte den Fall ja noch vor der Veröffentlichung mithilfe des offiziellen Naziskandalometers messen lassen: dem Zentralrat der Juden in Deutschland. „Die Sache ist schockierend und erklärungsbedürftig“, attestierte dessen stellvertretender Vorsitzende Dieter Graumann. „Wer Hitler feiert, muss geächtet werden.“

Ich würde mir so sehr wünschen, der Zentralrat würde nicht jedesmal über dieses Stöckchen springen, das ihm „Bild“ oder sonst ein Medium hinhält, sondern wenigstens einmal dem Kollegen so etwas antworten wie: „Wissen Sie was? Ich glaube, das können Sie auch als Nichtjude ganz gut beurteilen, was von so einem Hitlergruß zu halten ist. Sie müssen da nicht jedesmal einen organisierten Juden anrufen und als Empörungshansel missbrauchen. Oder wäre der Hitlergruß okay, wenn wir Juden sagen würden, er ist okay? Wäre es nicht ein Zeichen von Reife der deutschen, überwiegend nicht-jüdischen Gesellschaft, sechs Jahrzehnte nach dem Holocaust, von ganz alleine, ohne Vorgabe von uns, die nötige Empörung oder Nicht-Empörung aufzubringen? Und whothefuck ist DJ Tomekk?“

Aber stattdessen sagt der Zentralrat, was von ihm erwartet wird, und „wir“ sind auf eine komplizierte Art von einer eigenen Auseinandersetzung entlastet, aber auch entmündigt.

Und dann kommt, unvermeidbar wie eine Lawine — Michel Friedman.

Ausgerechnet in der „B.Z.“, einem rechten Witzblatt, kommentiert er DJ Tomekks Sekundenauftritt mit der ihm eigenen Übersteuerung (sein interner Lautstärkeregler ist vor Jahren abgebrochen) und beantwortet die Frage: „Kann man sich für einen Hitler-Gruß so einfach entschuldigen?“ in der üblichen Rhetorik, in der nichts abgewogen wird, sondern alles ganz und gar ist, ohne Wenn und Aber, völlig und total. Als offenbar langjähriger Kenner der Psyche von DJ Tomekk und unter Ausblendung all der gegenteiligen Indizien in dem einzigen bekannten Ausschnitt aus dem Video stellt er erst einmal fest:

Dies ist kein spontaner Lausbubenstreich (…), sondern eine bewusste Handlung.

Um sich dann in eine (angesichts der Biographie Tomekks) absurde Oberstudienratspose zu werfen:

Das heutige moderne Deutschland ist die positive Antwort auf die Zerstörungswut von Hitler. Wenn DJ Tomekk das noch nicht begriffen hat, wird es Zeit, dass er es lernt.

Sein heftiger Schluckauf endet so:

Das kann [Tomekk] nur, indem eindeutig und klar die rote Karte gezogen wird und ihm stellvertretend für andere deutlich gemacht wird: In Deutschland 2008 gibt es keine Toleranz mehr gegen Intoleranz.

Friedman ist ein lustiges „mehr“ in den Satz gerutscht. Vor allem aber ist ihm bei all dem Wortgetöse irgendwie das Konkrete abhanden gekommen. Was fordert er? Was will er denn nun? Was soll mit DJ Tomekk, eindeutig und klar, geschehen?

Abschieben? Wegsperren? Oder gleich die Höchststrafe: Ins „Vanity Fair“-Interview mit Michel Friedman?

[Mehr zum Thema bei „Coffee and TV“ und im Hitlerblog der „taz“.]