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Von wegen, Blocks fehlt die Relevanz

Die Stadt Dinslaken erklärt in einer Pressemitteilung:

Dinslaken in den Medien
Selbstironie ist gefragt — auch Gelassenheit

Dinslaken/München/Frankfurt. Pünktlich zur Reisezeit erschien kürzlich in der renommierten Süddeutschen Zeitung (SZ) unter „Hippenstocks Strategien“ ein Cartoon: Vor der Rezeption eines offenbar überbuchten Hotels ein Ehepaar mit Koffern. Der Portier dahinter zu den Touristen: „In der ersten Woche teilen Sie Ihr Zimmer mit einem Ehepaar aus Dinslaken — ich denke, deshalb der Rabatt.“

In der aktuellen Ausgabe des Satiremagazins „Titanic“ geht es in einem anderen Cartoon auch um diese Stadt. Der hier geborene Lukas Heinser, derzeit in Bochum wohnend, befürchtet, durch die bundesweit kurz hintereinander verbreiteten Karikaturen sei Dinslaken in der Medienlandschaft offenbar „endgültig irgend so ein hinterwäldlerisches Kaff“ geworden.

Der junge Mann, der in seinem Block (www.coffeeandtv.de) gelegentlich aus und über seine Heimatstadt schreibt, teilte der Stadtpressestelle überdies mit, Wetterexperte Jörg Kachelmann und TV-Plauderer Roger Willemsen hätten sich lästernd über die Stadt im Grünen ausgelassen. Unter anderem soll Willemsen die Star-Sopranistin Sandra Schwarzhaupt gefragt haben, warum sie in New York und nicht zum Beispiel in Dinslaken studiert habe.

(Link zum Leseverständnis: Coffee And TV: „Mit ‚D‘ wie ‚Provinz'“.)

Wer andern eine Grube gräbt, ist Journalist

Christoph Keese, Außenminister der Axel-Springer-AG und früher selbst Journalist, hat endlich eine langgesuchte Definition gefunden:

Wer Blogger ist und wer Journalist, ergibt sich aus dem Verhalten. Ein freier Blogger sollte „Journalist“ genannt werden, wenn er objektiv, wahr, fair, ausgewogen und korrekt berichtet. Umgekehrt müsste ein meinungsstarker, aber rechercheschwacher Redakteur „Blogger“ heißen, wenn er subjektive Eindrücke ohne Recherche verbreitet.

Keese hat einen Aufsatz für das Jahrbuch 2008 des Deutschen Presserates geschrieben, in dem er anregt, eine Grube für den Qualitätsjournalismus zu graben:

Genau dort, wo die Netzpessimisten durch das Seichte waten und am Internet verzweifeln, sollten sie mit dem Graben beginnen und einen tiefen See anlegen. Das Publikum kommt dann von allein. Handeln wird aber nur, wer genau weiß, was ihn von den Laien unterscheidet.

Man könnte Keeses Essay als ein Plädoyer für guten Journalismus und zum Beispiel für „die sorgfältige Redigatur über mehrere Stufen“ durchaus sympathisch, konstruktiv und notwendig finden. Leider hat er sich allerdings dafür entschieden, als Gegensatz zu „gutem Journalismus“ nicht „schlechten Journalismus“, sondern „Blogger“ zu wählen. Wenn Keese dagegen von „Journalisten“ spricht, meint er offenkundig nicht die real existierende Berufsgruppe, deren Ansehen ungefähr so schlecht ist wie das von Politikern, sondern ein fernes, golddurchwirktes Journalisten-Ideal:

Blogger blicken in sich hinein, Journalisten aus sich heraus. Blogger unterwerfen sich keiner Instanz, Journalisten bilden eine Instanz, die Wahres von Unwahrem unterscheiden will. Blogger akzeptieren keine fremden Regeln, Journalisten arbeiten nach Standards. (…)

Bloggern steht es frei, aufgeschnappte Gerüchte weiter zu verbreiten und damit Hysteriekaskaden in Gang zu setzen. Journalisten aber sollten keine Nachricht verbreiten, die sie nicht selbst geprüft haben. Journalismus ist die Schwelle, über die eine Hysteriewelle nicht springen kann.

Sogar Keese selbst scheint an dieser Stelle aufgefallen zu sein, wie wirklichkeitsfern diese Beschreibung ist, und so fügt er ein „Zugegeben“ hinzu:

Zugegeben, in der Praxis sieht das manchmal anders aus. Aus der Unsitte, das Vermelden einer Nachricht durch ein anderes Blatt als das eigentliche Nachrichtenereignis anzusehen und ohne Prüfung der Urnachricht an die eigene Leserschaft weiter zu melden, ist mancherorts eine Sitte geworden. Trotzdem halten zahlreiche Redaktionen den Standard ein.

Beispiele dafür nennt Keese nicht.

Übers Bloggen

Wer bin ich? Warum das Schreiben eines Blogs so befriedigend ist.

· · ·

Für mich ist es eine Sucht. Ein unstillbarer Hunger nach Aufmerksamkeit. Oder, um es positiver und weniger egozentrisch zu sagen: nach Kommunikation.

Das trifft natürlich nicht auf alle Blogger zu, so wie ungefähr nichts auf alle Blogger zutrifft. Außerdem gehört zum Selbstverständnis vieler Blogger das Postulat, nicht für die Leser zu schreiben, sondern für sich selbst. Wer scheinbar auf möglichst große Quote bloggt, gilt als zutiefst verdächtig. Das machen die Massenmedien ja schon zur Genüge: alles der Pflicht unterordnen, möglichst viele Menschen zu erreichen.

Aber gerade wenn einer nicht für ein Publikum schreibt, sondern für sich selbst, aber nicht in eine Kladde, sondern ins Internet, ist es umso beglückender, wenn plötzlich ein Leser vorbeikommt, dem das gefällt. Der begeistert ist, einen Geistesverwandten zu finden. Oder interessiert genug, seinen Widerspruch zu hinterlassen. Vielleicht sogar ein eigenes Blog hat und einen Link setzt.

Links sind eine Währung in der Welt der Blogs, aber der eigentliche Lohn ist Aufmerksamkeit. Die lässt sich messen, anhand von Leserzahlen, Seitenabrufen und Verlinkungen. Aber so fixiert viele auf diese Hitparaden sind (ich auch) – das zutiefst befriedigende am Bloggen ist nicht eine wachsende Zahl, sondern die Kommunikation an sich. Der eine Kommentar von jemandem, der genau verstanden hat, was ich sagen wollte, und meine Sätze durch eine Pointe krönt. Der Fremde, der zum Stammgast wird, zum Dauer-Kommentierer, zum Freund. Auch der Gegner, an dem ich mich immer wieder reiben kann.

Mein Blog kann ein ständiger Abgleich meiner Realitätswahrnehmung mit der anderer sein: Wer bin ich? Wie sehen die anderen mich? Worüber lachen sie? Was lässt sie kalt, was verstehen sie falsch? Die Konversationen, die entstehen, sind immer wieder Experimente in sozialer Interaktion: Welcher Kommentar lässt eine Debatte entgleiten? Wo formieren sich viele Blogs mit gemeinsamem Ziel? Wann macht die Größe einer solchen Welle aus der Masse einen Mob? Und wann eine schlaue, mächtige Bewegung?

Anders als für die meisten Blogger ist für Journalisten die Möglichkeit, zu vielen Leuten zu sprechen, nicht neu. Aber auch sie kannten selten etwas wie diese Unmittelbarkeit der Reaktion, diesen direkten Austausch mit dem Publikum, diese Chance zur virtuellen, aber echten Konversation.

Ich hatte bislang nur eine sehr vage Vorstellung davon, wer meine Texte liest und wie sie gelesen werden. Nun werden Leser und ihre Reaktionen sichtbar für mich (und jeden, den es interessiert). Das ist ein unschätzbarer Gewinn. Und eine Gefahr: Es ist leicht, die engagierten Kommentatoren und die mich zitierenden Internetseiten für das Ganze zu halten, und zu vergessen, dass sie nur einen kleinen Teil des Publikums darstellen, und womöglich nicht einmal einen repräsentativen.

Und dann kann die Internetwelt, die theoretisch so viel größer, reicher und vielfältiger ist als die konkrete nicht-virtuelle Lebenswelt vor unserer Haustür, plötzlich wieder ganz klein und eng werden. Wir lieben die fortgeschrittenen Formen der Kommunikation, die wir pflegen können, weil die anderen, die wir lesen und die uns lesen, die Anspielungen, Running-Gags und Seitenhiebe verstehen. Wie gehen auf in einem Netzwerk, das uns glücklich macht, weil wir uns verstehen oder wenigstens wissen, warum wir uns nicht verstehen; in der sich alles um Kommunikation dreht, um Sprache; um einen Austausch, der ebenso albern sein kann wie tiefgründig — und befriedigender als das nicht-virtuelle, aber flüchtige Gespräch zuhause, in der Kneipe, im Café.

Ich merke, dass mir das Gespräch mit Leuten, die in dieser digitalen Welt nicht zuhause sind, manchmal schwerer fällt. Und ich ahne, warum die Welt der Blogs, die eigentlich so offen und grenzenlos ist, plötzlich hermetisch wirken kann, weil es scheint, als würden alle nur noch für sich selbst schreiben oder für einander.

Aber das täuscht.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

[Dieser Artikel erschien als Ergänzung zu diesem Text von Harald Staun.]

Preisgekröntes… na, äh, Dings

Katrin Passig und Sascha Lobo waren heute früh extra unrasiert bei Kurt Beck in Mainz, um sich für die „Riesenmaschine“ den Erik-Reger-Literaturpreis und 2500 Euro geben zu lassen. Glückwunsch!

Die Pressestelle der Landesregierung hatte offenbar ein bisschen Mühe, sich zu entscheiden, worum es sich bei riesenmaschine.de handelt, entschied sich dann aber für den Begriff „Online-Projekt“ und die schöne Formulierung:

„Die Riesenmaschine“ ist ein Weblog aus täglich wechselnden Internet-Artikeln.

Und dpa machte aus dem „aus“ ein „mit“.

sammeln. und dann?

diese ganzen filme, artikel, zeitungen, bücher, wir fressen tonnen davon täglich in uns rein. was dabei herauskommt wenn wir uns ohne ende obst, gemüse oder fleisch reinstopfen ist bekannt.

was kommt heraus, wenn wir bücher, zeitungen, blogs oder was auch immer lesen, filme oder fernsehserien gucken? man lernt dazu, klar, man wird unterhalten und bekommt neue erinnerungen. aber kommt auch wieder was raus?

was habe ich davon, dass ich mir die erste staffel „boston legal“ auf dvd angeguckt habe, ausser dass ich mich königlich amüsiert habe, unglaublich gewundert habe wie man so gute, unfassbar leichte und auf den punkt geschriebene drehbücher verfassen kann, die dem ensemble auch noch wie auf den leib geschrieben sind. und alles was dabei rauskommt ist dass ich ab und zu, auf dem weg zum klo „denny crane“ vor mich hin brabble oder ein, zwei zeilen bei stefan-niggemeier.de darüber schreibe?

bleibt da was anderes hängen? wenn man sein ganzes leben lang romane liest, kann man dann selbst besser geschichten erzählen? wird man als experte ins fernsehen eingeladen, wenn man ganz viele sachbücher zu einem thema gelesen hat? wird man wie stefan niggemeier, wenn man in jeder freien minute fernsehen guckt?

ich esse weil ich hunger habe und danach (manchmal) satt bin. aber warum gehe ich ins kino? und was bin ich wenn ich aus dem kino wieder rauskomme? satt? ich lese täglich in ein paar hundert blogs und webseiten, lese ein bis zwei zeitungen und ziemlich viele emails und ich unterhalte mich mit einem haufen leute. was bleibt davon übrig? an was erinnere ich mich, was tropft wieder aus mir raus? welche wirkung hat das was ich mich reinstopfe auf mich?

ist der sinn des lesens und guckens, des lebens gar, dass ich wie ein schwamm informationen, geschichten und unterhaltung aufsauge, ein paar tropfen wieder verteile, aber mit dem grossteil der angesammelten, gespeicherten information die ich im leben angesammelt habe, in einem sarg verwese?

so richtig kann ich über die frage auch gar nicht nachdenken, ich will gleich „pippi langstrumpf auf takka-tukka-land“ auf dvd gucken und vorher noch ein paar blogs lesen.

Heute schon Zugangsdaten mitgeschnitten?

Andererseits: Was soll man erwarten von einer Seite wie sueddeutsche.de, die ihren Lesern in einem (gemeinsam mit Langenscheidt veröffentlichten) Internetlexikon den Begriff Weblog allen Ernstes so erklärt:

Website mit nicht kommerziellem Inhalt und personalisierter Information, die regelmäßig mit Informationen zu einem bestimmten Thema aktualisiert wird. (…) Der Name ist dabei Programm und kommt von den Logfiles, in denen ein Webserver Zugangsdaten mitschneidet (…).

Farbtipps von Blinden

Ich glaube, von allen schlechten Definitionen, was ein Blog ist, ist Turis die abwegigste:

Genau. Das Blog ist eine Gratis-Software. Entsprechend müsste gelten:

Zeitung, die; (von frühniederhochdeutsch: zidunge) ein kompliziert zu bedienendes teures Redaktions- oder Content-Management-System, das langsames und kostenpflichtiges Publizieren auf Papier ermöglicht.

Hilfe.

Und würde Turis Definition stimmen, was ein Blogger ist („ohne Honorar“), wären gerade die erfolgreichsten Blogger keine Blogger.

(Ich hab mir die Plätze 4 bis 20 seiner „20 wichtigsten Begriffe für Blogger“ daraufhin geschenkt.)

„Come on reader, make my day“

Es war der Vormittag des 28. Dezember 2006, und Toby Harnden, USA-Chef der britischen Zeitung „Daily Telegraph“, saß in seinem Büro in Washington und hatte ein Problem. Die Hinrichtung Saddam Husseins schien unmittelbar bevorzustehen, aber was auch unmittelbar bevorstand, war der Redaktionsschluss der Zeitung. Das Interesse der Menschen, etwas über das Geschehen in Bagdad zu erfahren, würde am nächsten Morgen vermutlich riesengroß sein, und der „Daily Telegraph“ fand, dass dieses Geschehen deshalb in der Zeitung nicht fehlen durfte. Aber da es zuvor bereits Dutzende Hinrichtungen gegeben hatte und Iraker und Amerikaner die Journalisten über den Ablauf informiert hatten, dachte Harnden, er könnte vorab ein fundiertes Stück schreiben, was wohl geschehen werde. Bzw., aus Sicht der Leser, was wohl geschehen ist.

Es war keine gute Entscheidung.

Harndens Stück erschien am 29. Dezember und beschrieb höchst detailliert die Hinrichtung, die es hätte werden sollen. Der Artikel [zu lesen hier in den Kommentaren] machte an verschiedenen Stellen deutlich, dass er vor dem tatsächlichen Geschehen geschrieben wurde. Doch das minderte seine Peinlichkeit nur minimal, als sich herausstellte, wie sehr die tatsächliche Prozedur von der theoretischen abwich. Die Zeitung hatte für den Artikel zudem ausgerechnet die Überschrift „Humiliated and hooded…“ gewählt, so dass einer der vielen Fehler auch noch herausstach (Saddam trug keine Maske) .

Nun lässt der „Daily Telegraph“ in seinem Internetangebot eine Reihe von Kolumnisten und Korrespondenten bloggen, und Harnden nutzte sein Blog, um die Geschichte hinter dieser Geschichte zu erzählen. Er antwortete dort einem Kritiker, der ihm eine heftige Beschwerde-E-Mail geschrieben hatte:

You’re right that writing about Saddam’s hanging before it happened was not my finest hour. It was one of those tricky journalistic challenges when no matter how much you hedge and speculate, the reality will always mischievously diverge from the finely-turned piece one filed.

Er begründete die Idee, die Hinrichtung zu beschreiben, bevor sie überhaupt stattgefunden hatte, mit dem Leser-Interesse gerade an den makaberen Details der Prozedur. Er beschrieb die Überlegungen in der Redaktion und erklärte das Geschehen mit der Schwierigkeit der „alten Medien“ mit ihren feststehenden Deadlines und den Komplikationen, über verschiedene Zeitzonen zu schreiben.

Harndens Erklärungen waren nicht immer überzeugend und warfen kein gutes Licht auf die faulen Kompromisse, die die Print-Journalisten bereit waren einzugehen, um den Nachteil des frühen Redaktionsschlusses zu verschleiern. Aber sie waren beeindruckend offen und transparent – einem Blog angemessen.

Diese Offenheit zahlte sich nicht aus. In Dutzenden Kommentaren wurde Harnden teils heftig beschimpft. Am Donnerstag wurde es dem „Daily Telegraph“ wohl zuviel mit der Transparenz – er entfernte den Eintrag mitsamt den Kommentaren ohne Erklärung von der Seite. Ein Sprecher der Zeitung sagte später, dies sei aus „rechtlichen Gründen“ geschehen.

Und der „Telegraph“ beließ es nicht dabei. Seine Blogger sollen nach einem Bericht des „Guardian“ nun nicht mehr über die Zeitung selbst oder Kunstgriffe und Praktiken der Branche schreiben und ihre Einträge vor der Veröffentlichung von einem Redakteur gegenchecken lassen.

Der „Telegraph“-Online-Nachrichtenchef Shane Richmond teilte seinen bloggenden Kollegen mit, dass Beschimpfungen des Bloggers oder von Lesern nicht mehr geduldet würden, und riet ihnen, auf solche ausfälligen Leser auch nicht in den Kommentaren einzugehen. Vor allem aber warnte er sie:

Please avoid blogging about your relationship with your employer, whether the Telegraph Media Group as an entity, ‚the desk‘ or ‚my boss‘, even in jest. Such comments are frequently misconstrued and can easily backfire.

Think carefully before blogging about journalistic ‚tricks of the trade‘. We don’t want to discourage this because it is one of the things people enjoy reading on the blogs but please be aware of anything that could be misunderstood or turned against you.

In seinem ursprünglichen Eintrag [zu finden hier unter den Kommentaren] hatte Harnden noch unter der Überschrift „Come on reader, make my day“ geschrieben, er könne mit dem heftigen, direkten Feedback der Leser in der heutigen Zeit umgehen. Seine Zeitung kann es offenkundig nicht. Und sie lässt ihn nicht einmal mehr das Dilemma selbst thematisieren.