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Alternativen zur Alternativlosigkeit

Die Betriebsräte der Gruner+Jahr-Zeitschriften „Capital“, „Börse Online“ und „Impulse“, deren Redaktion gerade in einem einmaligen Hauruck-Verfahren verkleinert und mit der „Financial Times“ zusammen gelegt werden, haben an Hartmut Ostrowski, den Aufsichtsratschef von Gruner+Jahr und Vorstandsvorsitzenden von Bertelsmann, einen besorgten Brief geschrieben, in dem sie darlegen, wie verheerend der Verlag vorgehe, und um wenigstens einen Aufschub der Pläne bitten. Ostrowski hat darauf freundlich geantwortet, dass er ihnen nicht helfen wolle. Zu der beschlossenen „Maßnahme“ gebe es weiterhin „keine Alternative“.

Keine Alternative? Der Verlag Gruner+Jahr ist gezwungen, komplette Belegschaften in Köln und München mit über 100 Mitarbeitern zu entlassen, die sich dann für 50 neue Stellen zu schlechteren Konditionen in einer Zentralredaktion in Hamburg bewerben dürfen? Zu diesem unwürdigen Verfahren gibt es „keine Alternative“?

Das war also nicht nur ein Plan des zukünftigen Gruner+Jahr-Chefs Bernd Buchholz, der kurz zuvor seine Aufgabe noch mit der eines Kapitäns verglichen hatte, der „den Leuten auf dem Sonnendeck“ sagen müsse, „dass sie ihre Liegestühle und Drinks beiseite stellen müssen“, sondern das war der einzig mögliche Plan?

Vielleicht stellt man sich das als Laie ja falsch vor. Es ist also gar nicht so, dass die Manager dafür bezahlt werden, dass sie aus mehren Möglichkeiten die ihrer Meinung nach beste auswählen. In Wahrheit besteht ihr Job nur darin, das Steuer festzuhalten, während man den einzigen Weg fährt, der zum Ziel führt, was vermutlich ein Dreijähriger schaffen könnte.

Und eh jetzt jemand kommt und sagt: Das dürfe man nicht so wörtlich nehmen, der Ostrowski habe eigentlich nur gemeint, dass die beschlossene „Maßnahme“ der beste Weg sei, die Zukunft der Wirtschaftspresse von G+J sicher zu stellen — nein, ich bin mir sicher, das hat er nicht gemeint. Denn das würde bedeuten, dass man darüber streiten könnte, welche anderen Wege es noch gibt, dieses Ziel zu erreichen, und ob vielleicht sogar einer darunter ist, bei dem man vorher nicht quasi der ganzen Belegschaft kündigen muss oder hinterher keine eigenständigen Zeitschriften mehr hat. Eine solche Diskussion ist aber natürlich das letzte, was Ostrowski und Buchholz und die anderen Gruner+Jahr-Abwickler wollen, weshalb Ostrowski sicherheitshalber sogar die theoretische Möglichkeit einer solchen Diskussion ausschließt: Es gibt „keine Alternative“.

Vielleicht bilde ich es mir ein, aber ich habe das Gefühl, es gibt gerade eine Inflation dieser Form von Argumentationsverweigerung. Krisensituationen machen es leicht zu behaupten, zu bestimmten Entscheidungen gebe es keine Alternativen. So werden nicht nur die Verantwortlichen entlastet, sondern auch die Opfer ihrer „Maßnahmen“ zum Erdulden ihres Schicksals gezwungen. Zur Teilverstaatlichung der Commerzbank gab es angeblich ebenso keine Alternative wie zum Angriff Israels auf den Gaza-Streifen. „Tina-Prinzip“ heißt dieses Muster („There Is No Alternative“), und das praktische an ihm ist, dass es nicht nur jede Kritik von vornherein als weltfremd und daher zu vernachlässigend abtut, sondern die Folgen der Entscheidungen gleich mit legitimiert. Man darf Israel nicht für den Tod von Hunderten Kinder und Zivilisten verantwortlich machen, denn die Israelis hatten ja keine Wahl.

Der Rückgriff auf das „Tina-Prinzip“ in Diskussionen sollte den Sprecher ähnlich disqualifizieren wie ein Hitler-Vergleich. Aber ich fürchte, wenn man Herrn Ostrowski fragte, warum er sich auf diese Weise jeder Argumentation verweigerte, würde er nur antworten, dass es dazu keine Alternative gegeben habe.