Schlagwort: Boyzone

Unappetitlich

„Rätselhaft blieb, warum der unappetitliche Tod des höchstens mittelmäßigen sogenannten Sängers Stephen Gately der längst abgehalfterten sogenannten Boygroup ‚Boyzone‘ auf der in noch anderer Hinsicht unappetitlichen Insel Mallorca den Weg in die respektable Öffentlichkeit fand.“

Redakteur Richard Wagner in seiner Kolumne „Das war’s“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“, 18. Oktober 2009, Seite 12 (vollständiges Zitat zu dem Thema)

[Ich schreibe regelmäßig für die FAS und habe mir deshalb vorgenommen, nicht über die FAS zu schreiben, was leider Herrn Wagner und seine Kolumne mit einschließt.]

dpa und der total zue Boyzone-Sänger

Vor einem halben Jahr wurde bekannt, dass „Spiegel Online“-Chefredakteur Wolfgang Büchner dpa-Chef wird. Damit verbunden war für viele Kritiker die Hoffnung, dass sich die Nachrichtenagentur in vielerlei Hinsicht locker macht — auch was Sprache und Themen angeht. Der scheidende Chefredakteur Wilm Herlyn selbst hatte von einer „schrecklich altbackenen Nachrichtensprache“ gesprochen, in der viele dpa-Autoren „verharren“. Und Büchner sagte in einem Interview, das die Agentur mit ihren eigenen Chefs zum 60. Geburtstag führte, auf die Frage, ob die Entwicklung zur Boulevardisierung der Informationen eine Chance oder ein Risiko sei:

„Unterhaltung — auch Klatsch und Tratsch — ist seit jeher ein wichtiger Teil des Journalismus, das war schon zu Zeiten der Minnesänger so. Wenn Journalisten — ganz gleich ob bei einer Lokalzeitung, einer Website, im Fernsehen oder bei einer Agentur — diesem Bedürfnis Rechnung tragen, sorgen sie dafür, dass ihre Leser sich diese Informationen nicht an anderen Stellen suchen.“

Gestern brachte dpa mehrere ausführliche Berichte über den Tod des Boyzone-Sängers Stephen Gately auf Mallorca, und wenn man wollte, konnte man darin schon erkennen, wie das aussieht, wenn dpa sich locker macht. Um 17.15 Uhr brachte die Agentur eine Zusammenfassung, die so begann:

London/Palma de Mallorca (dpa) — Boyzone-Sänger Stephen Gately soll nach Medienberichten vor seinem plötzlichen Tod stundenlang heftig gezecht haben und später an seinem Erbrochenen erstickt sein. Der 33-Jährige habe mit seinem Mann Andrew Cowles (32) in der Nacht zum Samstag in einem Schwulenclub auf Mallorca Cocktails und Weißwein konsumiert und sei komplett betrunken gewesen, berichteten britische Boulevardzeitungen am Montag. Der Anwalt von Gatelys Familie wies die Darstellung zurück.

Drei Stunden später folgte eine neue Version, mit weiteren Details und der ein oder anderen geänderten Formulierung. Im zweiten Satz war nicht mehr davon die Rede, Gately sei „komplett betrunken“ gewesen. Nun hieß es:

Der 33-Jährige habe mit seinem Mann Andrew Cowles (32) in der Nacht zum Samstag in einem Schwulenclub auf Mallorca Cocktails und Weißwein durcheinandergetrunken und sei total zu gewesen, berichteten mehrere britische Boulevardzeitungen am Montag.

Das ist doch mal ein erfrischender Bruch mit der schrecklich altbackenen Nachrichtensprache: „total zu“ war der schwule Popstar also. Die Formulierung hat immerhin den Vorteil, dass man auch sprachlich gleich auf dem Niveau der Medien ist, die der dpa als glaubwürdige Grundlage für Spekulationen über den Tod eines Menschen dienen. Die „Sun“ will einen anonymem „partygoer“ aufgetan haben, der mit Gately und seinem Partner etwas getrunken habe, und schreibt ihm den Satz zu, Stephen sei „total betrunken“ gewesen. Die dpa glaubt’s und zitiert den unbekannten „Nachtschwärmer“. Die deutsche Nachrichtenagentur findet auch erwähnenswert, dass das Paar „den Medienberichten zufolge“ einen „jungen Mann“ kennenlernte und Gatelys Partner mit ihm die Nacht zusammen verbracht habe. Später habe Cowles „vergeblich versucht, den Sänger wiederzubeleben, hätten Freunde berichtet“, berichtet die „Sun“, berichtet dpa. Und, Tatsache: Die Quellen der berüchtigten britischen Boulevardzeitung sind, wörtlich: „Friends“ und „One Pal“. Ausführlich transkribiert die Agentur, was die „Sun“ berichtet — eine Zeitung, die nicht zögerte, schon am Montag zu behaupten, die Todesursache des Sängers zu kennen: Totgesoffen habe er sich.

Oder anders: Er war halt „total zu“.

(Inzwischen liegt das Ergebnis der Obduktion vor, und angeblich haben weder Alkohol noch Drogen beim Tod Gatelys eine Rolle gespielt. Ich wäre aber — nach Rücksprache mit dem Pathologen meines Vertrauens — vorsichtig, das für erwiesen zu halten, bis die Ergebnisse der toxikologischen Untersuchungen vorliegen. Aber so wenig die Medien die Obduktion abwarten konnten, können sie wiederum das jetzt abwarten.)

Wolfgang Büchner hat seiner Agentur neulich Regeln für den Umgang mit vermeintlich „exklusiven Informationen“ gegeben. Regeln für den Umgang mit vermeintlich exklusiven Informationen anderer Medien scheint es bei dpa nach wie vor nicht zu geben. Und das Schlimme daran ist, dass dpa diese Mischung aus Gerüchten, Spekulationen und Lügen adelt: Über den Umweg über die Nachrichtenagentur wird für andere Medien aus der unseriösen Quelle „Sun“ die seriöse Quelle dpa.

Andererseits: Wenn seriöse Journalisten unseriöse Meldungen von Blättern wie der „Sun“ verbreiten, sorgen sie wenigstens dafür, dass ihre Leser sich diesen Unsinn nicht an anderen Stellen suchen.