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Jan Böhmermanns Traum und Mühe: Ein Besuch beim „Neo Magazin“

Im Vorraum zum Studio hängt sie noch, die Anzeigetafel, auf der mit großen Klackerbuchstaben „ROCHE & BÖHMERMANN“ zu lesen war. Nun steht da nur noch: „BÖHMERMANN“. Auf einem alten Poster zur Sendung, an der Tür zum Besprechungszimmer, hat jemand das Gesicht von Charlotte Roche mit dem von Kermit überklebt. Haha: Frosch & Böhmermann.

Anscheinend war es doch größer, das Trauma, das die Moderatorin hinterließ, als sie sich Anfang des vergangenen Jahres sehr abrupt von der Talkshow verabschiedete. Aber etwas hat überlebt: die Zusammenarbeit von Jan Böhmermann mit der Bild- und Tonfabrik. Und das ist ein Glück. Gemeinsam produzieren sie wöchentlich das „Neo Magazin“, und die Filmhochschulstudenten von der Produktionsfirma geben mit ihrer Arbeit, mit präzisen und aufwändigen Inszenierungen, auch halbgaren und läppischen Ideen eine professionelle Brillanz.

Mittwochs am späten Nachmittag, wenn die Aufzeichnung einer neuen Folge beginnt, sieht es hinter den Kulissen aus wie bei einem Abschlussball. Lauter junge Leute, die plötzlich in Hemd, Krawatte und schwarzem Anzug dastehen: Kameraleute, Lichtarbeiter, Tonmänner, Praktikanten. Wer seine feinen Sachen nicht dabei und im Produktionsstress keine Zeit mehr hat, lässt sie sich von jemandem mitbringen. Denn wenn Böhmermann mit der Bild- und Tonfabrik eine Sendung aufzeichnet, gibt es einen Dresscode: „Abendgarderobe“.

Es ist ein dreiviertelernst gemeintes Symbol dafür, dass man hier gemeinsam etwas Besonderes zelebriert: die Herstellung von Fernsehen. Böhmermann hat die Mitarbeiter neulich gefragt, ob ihnen das lästig ist; ob sie sich von dem Konfirmanden-Ritual inzwischen lieber wieder verabschieden würden. Sie haben Nein gesagt. Sie wollen sich weiter jede Woche feinmachen fürs Fernsehenmachen.

So ernst nehmen sie es hier mit der Albernheit.

„Wir sind nicht nur eine Produktionsfirma“, sagt Böhmermann, „sondern auch eine Werbeagentur für das, was wir machen wollen.“ Noch nie habe er irgendwo gearbeitet, wo man sich gemeinsam so viel Mühe gebe. Und dieses Mühegeben, das ist, vielleicht mehr noch als irgendein besonderes Talent, was diese Show von vielen anderen deutschen TV-Produktionen unterscheidet.

„Neo Magazin“ im kleinen digitalen Kanal ZDFneo ist die vielleicht verschwenderischste Sendung im deutschen Fernsehen: die größte Mühe für das kleinste Publikum. In guten Wochen enthält sie schon in den Eröffnungsszenen mehr Ideen und Leidenschaft als anderswo ganze Programmstrecken. Opulent inszenierte Musical- oder Filmparodien.

Oder ein animiertes Riesenwimmelbild des Illustrators Christoph Hoppenbrock, das vor Anspielungen auf Inspirationsquellen für die böhmermannsche Fernsehunterhaltung aus allen Nähten platzt.

Im Vorspann reitet Böhmermann säbelschwingend auf einem Triceratops durch eine zerfallene Zeitungslandschaft, während Witold Lutosławskis anstrengende Melodie ertönt, die ältere deutsche Fernsehzuschauer als Erkennungsmelodie des „ZDF-Magazins“ mit Gerhard Löwenthal kennen. Konstantin Gropper von „Get Well Soon“ hat sie eigens für das „Neo Magazin“ remixt.

Es folgte eine halbe Stunde, die man als Late-Night-Show bezeichnen würde, wenn dieses Genre nicht in Deutschland als tot gelten würde. Was nicht sein müsste, wie Böhmermann findet: Man müsste sich nur mal richtig anstrengen und etwas einfallen lassen.

Das Studio liegt im angesagten Kölner Stadtteil Ehrenfeld inmitten einiger unansehnlicher Gewerbegrundstücke, im Hof gleich neben einer Teppichwäscherei, deren Logo so altmodisch ist, dass es in Berlin-Mitte als hippes Retro-Design durchginge. Aber das sind keine Hipster hier, es sind Nerds. Stolz führen sie die Technik vor, alles selbst konzipiert und zusammengeschraubt, die Regie, die Projektion der Hintergründe auf die wabenförmige Wand, woanders gibt es sowas angeblich gar nicht, schon gar nicht für so wenig Geld.

(Das animierte Logo in der Projektion hinter Böhmermann ist übrigens seit der zweiten Staffel kein schnödes dallidallihaftes Sechseck mehr, wie man glauben könnte, sondern ein Ikosaeder: ein aus zwanzig gleichseitigen Dreiecken bestehender platonischer Körper, der in der richtigen Draufsicht aussieht — wie ein Sechseck. Da haben Sie doch mal was, mit dem Sie beim nächsten Gucken mit Freunden angeben können.)

Vor kurzem war dies noch eine Lagerhalle für Sportgeräte. Es ist eigentlich zu schmal als Studio, aber es ist ihrs. Hier können sie bauen und experimentieren, anstatt Fertiges zu nutzen.

Philipp Käßbohrer ist einer der beiden Geschäftsführer der Bild- und Tonfabrik, 30 Jahre alt, aus Biberach an der Riß. „Keiner hier ist tätowiert“, sagt er, wie zum Beweis, dass man es hier mit grundsoliden, spießigen Leuten aus der Provinz zu tun hat. Böhmermann fügt hinzu: „Wir hatten mal eine tätowierte Mitarbeiterin, die hatte auch ein Piercing, aber die ist jetzt in Berlin.“

Er erzählt, wie wichtig Tugenden wie Disziplin und Verlässlichkeit seien, und stöhnt, wie wenig selbstverständlich die in der Branche seien. So einer ist er.

Im vergangenen Sommer sind sie zusammen nach New York gefahren, um sich anzugucken, wie in Amerika Fernsehen gemacht wird. Böhmermann war beeindruckt. „Das ist anders als hier, wo man bei Unterhaltungsproduktionen sagt: Ach komm, wir halten einfach die Kamera drauf, wird schon lustig werden.“

Eigentlich bräuchte er mehr gute Autoren, sagt Böhmermann. „Aber solche Leute haben dann eben Hauptprogramm-Preise.“ Es würde helfen, mehr als eine Sendung in der Woche zu machen, „damit du Leute binden und ihnen eine Perspektive bieten kannst.“ Und als Übung für ihn.


Foto: ZDF

Mit dem klassischen Stand-Up, den sie hier natürlich Sit-Up nennen, weil Böhmermann dabei in seinem Schreibtischsechseck sitzt, ist er regelmäßig — zu recht — unzufrieden. Das werde halt nur richtig gut, wenn man es wieder und wieder und wieder macht.

Jan Böhmermann hat einen Traum. Er will eine Late-Night-Show im ZDF moderieren, nach Mitternacht, nach Markus Lanz.

Er kann ganz unironisch ins Schwärmen geraten, wenn er müde nach einem Probentag beim Italiener sitzt und es ihn aus der Kurve trägt, während er von diesem „absoluten Wunschtraum“ erzählt …

„Nicht weil ich Schmidt beerben will, sondern weil das die beste aller Sendungen ist, die man machen kann und das Team am wenigsten unterfordern würde. Und das ist total crazy, seinen Platz zu finden, wenn man sowas glaubt zu können oder schon gut kann und bald noch besser zu können. Es wäre eine Show, in der du alles machen kannst und die du als Plattform für alles nutzen kannst: Gäste einladen, Musiker auftreten lassen. Es wäre eine tolle Startplattform für andere Inhalte, eine selbstgestaltete, das ZDF sich selbst gönnende Möglichkeit, Programm zu machen.“

Es würde für den Anfang schon helfen, das „Neo Magazin“ in der Nacht im ZDF-Hauptprogramm zu wiederholen. Allein das brächte deutlich mehr Zuschauer. „Ein größeres Publikum, das bedeutet: Mehr Reaktionen auf Aufrufe, mehr Beschwerden und Lob. Es werden ganz andere Sachen freigesetzt, und es macht mehr Spaß.“

Böhmermann hadert mit der fehlenden Perspektive. Er sehnt sich sehr nach einer größeren Bühne.

Er nutzt die Möglichkeiten, auf ZDFneo Fernsehen zu machen, das nicht auf Bedenken, Konventionen und die Erwartungen eines Massenpublikums Rücksicht nehmen muss. Gleichzeitig plagt ihn die Sorge, dass die Leute denken, dass er nur sowas könnte. Dass er nicht wüsste, dass die Sendung anders sein müsste, wenn sie in einem größeren Rahmen stattfände, und dass er das nicht auch könnte. Er sagt: „Wir machen nur Independent-Fernsehen, weil wir es müssen.“

Er ist ehrgeizig, und er misstraut manchen Verlockungen der Branche. Seine Spitzen gegen Joko und Klaas, „die Privatfernseh-Fuzzis“, „die beiden superlustigen Geldautomaten-Visagen“, mit denen er er freundschaftlich verfeindet ist und sich einen senderübergreifenden Mittelgroßkrieg liefert, haben neben dem schlichten Spaß am Spiel einen ernsten Kern: Böhmermann sieht diese ganzen lukrativen Werbeverträge kritisch. Er schwört stattdessen darauf, „den Lebensstandard niedrig zu halten — das entspannt total“. Zur Not werde er seinen Lebensunterhalt auch damit bestreiten können, auf einer Bühne in Bremen-Vegesack vor hundert Zuschauern zu stehen.

Müssen sie nicht langsam erwachsen werden, er und Olli Schulz, Joko und Klaas? „Glaube ich nicht“, sagt Böhmermann. „Wir müssen mehr Zuschauer haben. Und Vertrauen.“

Böhmermann macht sich Mut mit dem Gedanken, dass die Biologie auf ihrer Seite sei, „die Leute werden älter, und irgendwann sagt man halt: Gottschalk ist super, aber wollen wir nicht den Winterscheidt ausprobieren, der kann das doch auch. Wenn wir nicht grobe Fehler machen und weiter versuchen, konstant gute Sachen zu machen, muss sich das doch mal auszahlen.“

Am Abend des Deutschen Fernsehpreises, als die Produzenten Philipp Käßbohrer und Matthias Schulz für „Roche & Böhmermann“ ausgezeichnet wurden, aber nicht Roche und Böhmermann, hat er mir mal detailliert die verschiedenen Generationen der Möchtegern-Late-Night-Talker nach Harald Schmidt analysiert. (Leider war ich ein bisschen betrunken und habe mir keine Notizen gemacht, und obwohl Böhmermann nicht trinkt, kann er sich auch nicht mehr genau daran erinnern.) Jedenfalls gehöre er schon nicht mehr zur Generation der Niels Rufs, die Schmidt und seine ironische Uneigentlichkeit imitierten, sondern zur nächsten Generation, die von Schmidt geprägt wurde, aber eine eigene Haltung suchte: „Wenn wir selbst ins Fernsehen gehen, können wir entweder sagen, wir machen es genau so — und daran scheitern, weil diese Referenz unerreichbar ist. Oder wir nehmen es als Basis unserer Kunst und entwickeln was eigenes.“

Vielleicht sogar doch irgendwann in einer eigenen richtigen Late-Night-Show? „Das Altwerden in der eigenen Sendung“, sagt Böhmermann, „ist auf jeden Fall ein erstrebenswerter Zustand.“

(Am Freitag kommender Woche werden Böhmermann, Schulz und Käßbohrer für „Neo Magazin“ mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Dieser Text ist Bonus-Material zu einem Artikel, den ich für das „SZ-Magazin“ über Böhmermann geschrieben habe.)