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Der sechzigste Geburtstag, oder: Der ARD geht’s wohl zu gut

Schauen Sie sich bitte vorab einmal dieses Video an. Die BBC hat es 1997 produziert, um für sich zu werben. So unterschiedliche Künstler wie David Bowie, Elton John, Heather Small, Suzanne Vega und der Baritonsänger Thomas Allen sangen mit verschiedenen Instrumentalisten, Chören und dem BBC-Sinfonieorchester „Perfect Day“ von Lou Reed. Am Ende stand die Botschaft: Die BBC hat für jeden Musikgeschmack etwas zu bieten. Und sie kann sich das leisten, weil sie durch Rundfunkgebühren finanziert wird: BBC. You make it what it is.

Natürlich ist es ungerecht, die ARD mit der BBC zu vergleichen – nicht nur wenn es um das Reservoir an Weltklasse-Künstlern geht, aus dem man für einen solchen Spot schöpfen kann. Die Bedeutung der BBC als identitätsstiftende Institution einer Nation ist ungleich größer. Aber genau deshalb muss sie sich – bei allen Anfeindungen, denen sie sich ausgesetzt sieht – auch weniger vor der Zukunft fürchten. So sehr die Briten auf die BBC schimpfen, so sehr wissen sie, was sie an ihr haben.

Wissen die Deutschen, was sie an der ARD haben? Wäre so ein runder Geburtstag, wie ihn die ARD in diesen Tagen feiert (sie feiert cirka jedes zweite Jahr ein rundes Jubiläum, weil sie sich mal auf den Gründungstag der ARD und mal auf den ersten Sendetag des gemeinsamen Fernsehprogramms bezieht), wäre ein solcher 60. Geburtstag nicht ein guter Termin, die Menschen daran zu erinnern?

Es muss ja nicht gleich eine Produktion werden, die sich die Menschen noch 13 Jahre später massenhaft auf YouTube ansehen. Aber wenn man schon einmal auf dem letzten verbliebenen Primetime-Sendeplatz im Ersten, der theoretisch zumindest gelegentlich noch für so etwas ähnliches wie Dokumentationen verwendet wird, 45 Minuten lang für sich werben kann – sollte man diese 45 Minuten nicht dafür nutzen, für sich zu werben?

Die ARD findet das nicht. Als würde da draußen nicht gerade eine durchaus existenzbedrohende Debatte toben, ob wir uns in Zukunft überhaupt noch einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk leisten müssen und wollen, verzichtete sie darauf, einen Film zu machen, der den Zuschauern und Gebührenzahlern das Einzigartige, das Unverzichtbare an der ARD in Erinnerung ruft (mal vorausgesetzt, dass jemandem im Senderverbund dafür noch Beispiele einfallen würden). Der eigene Film zum 60. Geburtstag hätte streitbar sein können, amüsiert, selbstbewusst, selbstkritisch, natürlich unterhaltsam, zur Not defensiv. Stattdessen begab sich der Gratulant Benjamin Cors ganz in die Perspektive eines staunenden kleinen Kindes: Wahnsinn, Fernsehen. Was da alles passiert! Und wir können zugucken! Ist das nicht unglaublich?

Das Fernsehen ist in weiten Teilen über die Phase der Boulevardisierung hinaus. Es geht längst um Infantilisierung. Die Sendung „Glückwunsch, ARD!“ ist ein Dokument dieses Trends, und das beunruhigendste ist, wie sehr sie es genießt, sich mal ganz blöd zu stellen.

Fünf Schauplätze hat Cors sich ausgesucht, um jeweils eine Facette der ARD zu zeigen. Er beginnt bei Dreharbeiten zu einem Kölner „Tatort“. Der Off-Sprecher erzählt mit der Stimme eines Gute-Nacht-Geschichten-Erzählers:

So viel Hektik, so viele Menschen hinter der ARD-Kommissaren. Es geht um Mord. 22 Drehtage für 90 Minuten Film. Die haben hier keine Zeit zu verschwenden. (…) Die Festnahme wurde mehrmals aus unterschiedlichen Perspektiven gedreht. Und wie auf Knopfdruck werden aus Schauspielern Kommissare!

Das muss man sich einmal vorstellen: Wie auf Knopfdruck werden aus Schauspielern Kommissare! Doch in der ARD gibt es nicht nur Schauspieler, die, nun ja: schauspielern. Hier laufen zum Beispiel auch Nachrichten.

In diesem Raum werden die „Tagesthemen“ geplant. Das klingt so spannend, da wollen wir dabei sein! Dürfen wir auch. Die ARD hat schließlich Geburtstag. Und Caren Miosga nimmt uns einfach mal mit durch ihren Tag. Erst mal redet sie über einen Bankenskandal. Das ist uns zu kompliziert. Wir reden lieber mit ihr – über ihr erstes Mal.

Die Welt ist voller Dinge, die man als ARD-Dokumentarfilmer nicht versteht. Bankenskandale sind nicht das einzige.

Es gibt hier viele Uhren und viele Zeitungen. Da kann einem schon ein bisschen wirr werden.

Uuuuh, Uhren! Buchstaben!

Das Jackett von Caren Miosga ist übrigens blau. Viele interessieren sich ja vor allem dafür.

Während der Sprecher das erklärt, ist exakt Folgendes im Bild zu sehen (Beschriftung von uns):

Die ARD hält ihre Zuschauer nicht nur für blöd, sondern auch für blind.

Manchmal fühlt man sich an die „Sendung mit der Maus“ erinnert. Aber deren Macher würden vermutlich nicht so sprechen, weil sie wüssten, dass die Kinder das als zu kindisch ablehnen würden. Zu Besuch bei der SWR-Jugendwelle Das Ding heißt es:

Der Mann mit der Mütze macht, dass es nachher laut wird im Radio.

Und wieder im „Tagesthemen“-Studio:

Caren Miosga schaut auf den Tisch – beziehungsweise: in den Tisch. Da ist nämlich ein Bildschirm eingebaut. Jan Hofer ist der Mann an Miosgas Seite. Für den hat sie aber keinen Blick übrig. Denn der nächste Einsatz wartet.

(An dieser Stelle war ich ein bisschen enttäuscht, dass nicht wenigstens erklärt wurde, was ein „Tisch“ ist.) Und ewig dieses Staunen, diese alberne Glücksangeberei, dabei sein zu dürfen, als ARD-Kamerateam hinter den Kulissen einer ARD-Fernsehsendung…

Und dann stehen wir direkt neben Ihm, während Florian Silbereisen um Beistand bittet. Florian Silbereisen – mit dem dürfen nur wir hinter die Kulissen!

…oder einer ARD-Radiosendung:

Wir sind aufgeregt. Denn: Schließlich dürfen wir umsonst ins Stadion! Mit Sabine Töpperwien. Ganz oben unters Dach! Auf die besten Plätze! Wir wollen ja auch wirklich alles mitbekommen.

Sprache und Haltung sind aber natürlich nur das eine. Das andere ist das völlige Fehlen eines Bewusstseins, dass die ARD, mehr denn je, eine Legitimation für die Milliardengebühren braucht, dass die Menschen sie für unverzichtbar halten müssen, dass es nicht reicht, irgendetwas Fluffiges zu senden, selbst wenn die Quoten stimmen. Wenn der Sprecher sagt: „Irgendwo hier müssen auch die ganzen jungen Leute sein, die Das Ding so spannend machen“, dann feiert die ARD in ihrer Jubiläums-Dokumentation allen Ernstes ein Programm als Vorzeige- und Zukunfts-Projekt, das zumindest nach dem, was man in der Sendung davon sieht, eine schlichte Kopie der privaten Dudel- und Quatschfunksender darstellt. Dass nicht auszuschließen ist, dass Das Ding seine Hörer zur Not auch informieren will, lässt sich nur aus folgendem Off-Text schließen:

Es ist kein leichter Morgen für Frederik Peters. Das Thema des Tages ist nämlich – eher unsexy: Der Tarifstreit. Bei der Bahn. Aber auch damit müssen die beiden [Moderatoren] versuchen, junge Hörer zu erreichen!

Es scheint echt ein Fluch zu sein, öffentlich-rechtliche Mindeststandards zu erfüllen. Und dann sehen wir Peters, wie er das macht, mit dem Thema, das eher unsexy ist, junge Hörer zu erreichen. Er sagt als eine Art Überleitung: „Nach dem Motto, eben war ich noch blau, und jetzt fährt keine Bahn.“

Ganz klein hat sich die ARD mit dieser Geburtstagsdokumentation gemacht. So klein, dass sie sich selbst riesig finden musste, schon wegen der vielen Leute! Und der ganzen Mikrofone! Und der blinkenden Lichter! Womöglich glaubt sie, das reicht schon, wenn das Publikum denkt: Mensch, von unseren Gebühren kaufen die aber tolle Tische mit Löchern drin. Und lassen den Silbereisen über heiße Kohlen geben. Und machen Dokumentationen, die man zusammen mit der sechsjährigen Nichte und der dementen 117-jährigen Großmutter gucken kann, und keiner fühlt sich überfordert.

An einem aus Tischen geformten Quadrat!

Nach einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ hat Caren Miosga die besten Chancen, Nachfolgerin von Anne Will als Moderatorin der „Tagesthemen“ zu werden.

Dieser Satz hat 165 Anschläge und würde damit schon knapp ein Fünftel des Platzes füllen, den die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrer Dienstags-Ausgabe für eine Meldung zum Thema freigeräumt hat. Gut, die Kollegin könnte vielleicht die Konkurrentin „FAZ“ als Quelle weglassen, dann hätte sie noch etwa vier Sätze zur Verfügung, zu erklären, wer Frau Miosga ist und wer wann darüber entscheidet, ob sie wirklich Nachfolgerin von Anne Will wird.

Das wäre die eine Möglichkeit.

Die „Süddeutsche“ hat sich für eine andere erschienen. Ihre Caren-Miosga-Meldung beginnt so:

Ein bisschen sind sie schon stolz in Stuttgart auf ihr Funkhaus, das in seiner anthroposophischen Architektur manche Eigenheit verbirgt.

Zum Beispiel den großen Studiosaal, Ebene 7, der für Orchesteraufnahmen sehr geeignet ist, in dem aber auch einhundert Menschen Platz finden, und wenn es sein muss, neun Intendanten der ARD samt Programmdirektor und Mitarbeiterstab an einem aus Tischen geformten Quadrat untergebracht werden können.

Und an diesem Tisch-Quadrat wird Caren Miosga in Zukunft immer um 22.15 die Tagesthe… — nein: An diesem Tisch-Quadrat wird Anne Will in Zukunft immer sonntags ihre Talksh… — nee, auch nicht, sondern:

Am Montag wurde in dieser Runde auch über die Nachfolge von Tagesthemen-Moderatorin Anne Will diskutiert, …

Immerhin, das muss man sagen, bleibt die „Süddeutsche“ ihren Prioritäten treu. Nach einem einzigen Satz über Caren Miosga schwenkt sie wieder zurück auf die wirklich wichtigen Dinge und informiert uns zum Abschluss der kleinen Meldung noch, dass die Entscheidung heute „im 17. Stock, dem Sitzungszimmer von SWR-Chefs Peter Voß“ fallen wird.

(Ich find’s ja gut. Also, nicht den 17. Stock, sondern die Miosga. Ich werde Anne Will in den Tagesthemen ein bisschen weniger vermissen, wenn an ihrer Stelle Caren Miosga dasitzt. Aber das nur am Rande.)