Schlagwort: Cascada

Euer Song für Malmö

Das Lustige ist ja, dass das Rennen bei „Unser Star für Malmö“ am Ende genauso ausgegangen wäre, wenn es nicht das neue Stimmverfahren gegeben hätte. Wenn nicht Radiohörer und eine Jury jeweils ein Drittel zum Ergebnis beigetragen hätten, sondern es — wie früher — bloß auf das Votum des Fernsehpublikums angekommen wäre.

Cascada hätte trotzdem gewonnen. Weggefallen wäre nur die spannende Dramaturgie, bei der die Bayernbläser LaBrassBanda, die anfangs wie die sicheren Sieger aussahen, scheinbar von fünf erratischen Juroren um den Titel gebracht wurden.

Bemerkenswert ist, dass der Jury nun nicht nur vorgeworfen wird, undemokratisch zu sein — was ein bisschen albern ist, denn genau dafür ist sie ja da. Vor allem wird ihr vorgeworfen, nicht undemokratisch genug gewesen zu sein, indem sie den überaus massentauglichen Stampfer „Glorious“ mit immerhin acht von zwölf Punkten bedachte.

Jurymitglied Peter Urban erklärte hinterher, warum „Nackert“ von LaBrassBanda bei seinen vier Kollegen und ihm durchgefallen ist: Sie fanden einfach die Qualität des Songs nicht überzeugend. Dass es ein tolles und mitreißendes Spektakel ist, wenn die ungewöhnliche Blascombo live auf der Bühne Party feiert, ändere daran nichts.

Ich kann das gut nachvollziehen, jedenfalls bin ich auch bis zum Schluss nicht warmgeworden mit dieser Komposition. Der Unterhaltungswert, diese Jungs nach Malmö zu schicken und zu gucken, wie sie auf die Grand-Prix-Welt reagieren und die Grand-Prix-Welt auf sie, wäre vermutlich erheblich gewesen. Aber das war offenkundig nicht das Kriterium, das die Jury bei ihrer Entscheidung anlegte, und das ist womöglich genau richtig so.

Nun also, nach dem Wunsch des Publikums und mit dem Wohlwollen der Jury, die Danceflooristen von Cascada. Das Ergebnis macht den Bruch mit der Casting-Show-Phase im Auswahlverfahren komplett. Es wird ein sehr anderes Eurovisions-Erlebnis werden als in den vergangenen Jahren: mit einer erfahrenen, professionellen und international erfolgreichen Interpretin und ohne das Gefühl, ein Nachwuchstalent auf einem Karriereweg ins Ungewisse zu begleiten.

Man kann Cascada schlecht ihre Professionalität vorwerfen, und dass ein Titel gewinnt, der einem breiten Massengeschmack entspricht, ist kein Versehen, sondern Prinzip eines Wettbewerbs, dessen Reiz zu einem Großteil darin besteht, dass Zuschauer nach ihren ganz subjektiven Kriterien über Musik abstimmen und nicht irgendwelche vermeintlichen oder tatsächlichen Fachleute.

Aber jenseits der Frage, ob es Natalie Horler gelingen wird, für Malmö ein noch nuttigeres Kleid zu finden, gibt es wenig Anlass, ihrem Auftritt im Finale entgegenzufiebern. Es bleiben als Spannungselement natürlich die Unwägbarkeiten des Wettbewerbs: Wie weit ihre internationalen Fans Cascada nach vorne tragen werden, und ob die platte Kommerzialität des Beitrags sich als Fluch oder Segen herausstellen wird. Aber das Mitfiebern mit einem noch nicht fertigen Nachwuchskünstler oder auch der Reiz einer Konfrontation deutscher (oder bayerischer) Exzentrizitäten mit dem internationalen Geschmack, wird fehlen.

Wirklich ärgerlich am Sieg Cascadas ist, wie sehr er sich bei „Euphoria“ bedient hat, Loreens Siegertitel aus dem vergangenen Jahr — dem „Vorbild“ des Songs, wie es Peter Urban halbdiplomatisch nannte. Das schien auch eine größere Sorge zu sein bei den (halb)professionellen Grand-Prix-Beobachtern gestern in Hannover: Dass man sich nicht blicken lassen könne in Malmö mit etwas, das von den internationalen Freunden und Kollegen als kalkulierte Kopie wahrgenommen werden dürfte.

Man kann den Gedanken, wie „wir“ nun dastehen in der Welt mit diesem Beitrag, natürlich mit gutem Grund für völlig bekloppt halten. Aber der Eurovision Song Contest funktioniert als Nationenwettbewerb, und Cascada tritt in dieser Logik nicht nur für sich, sondern „für Deutschland“ an. Genau diese leicht neurotische Komponente — die Frage, wie wir uns der Welt präsentieren wollen, und die mit Spannung erwartete Antwort, wie die Welt das und uns findet — macht einen wesentlichen Reiz dieses merkwürdigen Wettbewerbs aus.

Der ist natürlich, wenn man ihn nicht wichtig nimmt, ohnehin egal. Ich fürchte nur, mir ist er in diesem Jahr nun auch egaler als sonst.

Vom Vorentscheid in Hannover aber bleibt die Erinnerung an eine Show mit erstaunlicher dramaturgischer Wendung. Und daran, was Anke Engelke spontan zu Peter Urban sagte, als der ihr erzählte: „Ich hab auch schon mal im Fettnäpfchen gesessen.“ — „Kenn ich gut. Komm rein.“