Da der Montag mein Sonntag ist, sehe ich auch den Montagabend als politischen Fernsehtermin. Ich halte Christian Rachs Restauranttester nicht für eine Reality-Show, sondern für eine politische Sendung. Es ist Krisengebietsprogramm: Rach lehrt, wie man den Weg aus einer auf vielfältige Art und schon ziemlich lange verfahrenen Situation herausfindet. Er besucht überschuldete, entvölkerte Lokale, in denen die Stimmung mies und die Arbeit rar und schlecht entlohnt ist. Jedes dieser Lokale kommt einem bekannt vor. Das Set an Problemen ebenfalls. Die Misere des ganzen Landes wird in diesen renovierungsbedürftigen, von Depression heimgesuchten Restaurants deutlich.
Rach kommt nicht als Spitzenkoch, der lange Vorträge über das Wesen des Schaumsüppchens hält. Er beschäftigt sich mit der Currywurstbude wie mit der Tapasbar gleichermaßen, meist aber kommt es gar nicht erst so weit. Meist winkt er längst ab, bevor es an die Debatte der Ingredienzen und Rezepte geht, meist sind es die Probleme der Leute, die seiner Zuwendung bedürfen.
Da sind immer drei Gruppen: Rach kommt stets etwas früher, als er erwartet wird. Daher fällt er direkt dem Servicepersonal in die Arme. Manche von denen sind erschrocken, wenige unfreundlich, die meisten aber freuen sich über die Hilfe von außen. Die Kellnerinnen und Kellner haben nur begrenzten Einfluß auf den Gang eines Lokals, sind aber als erste von schlechten Zeiten betroffen und den Anfeindungen unzufriedener Gäste ausgesetzt. Und trotzdem sind ihre Begeisterung und Einsatz für eine Reform des Ladens meistens unübertroffen und rührend: Sie haben die Misere nicht verursacht, verdienen am wenigsten an einer Gesundung und geben den vollen Einsatz, auch an Charme, auch an Nachdenken.
Dann sind da die Köche. Hier trifft Rach auf eine völlig heterogene Kollegenschaft, bei denen, wegen des breiten Spektrums der besuchten Lokale, keine einheitlichen Standards gelten. Selten trifft er welche, denen Kochen Spaß macht. Meist sind sie beleidigt und ratlos, kommen aber im Laufe der Woche aus dem Quark. Irgendein Funke zündet immer.
Christian Rach ist Saarländer. Er hat daher einen guten Draht zu Leuten auf jedem Level. Da gibt es keine Attitüde, aber auch keine bemühte Leutseligkeit. Es geht um die Sache, ohne die Personen dabei gering zu schätzen. Rach verliert bei solchen Besuchen zwar oft die Fassung, aber er brüllt und tobt nie, wie sein britischer Kollege Gordon Ramsay, sondern findet für seine Empörung deutliche, aber nie demütigende oder herabsetzende Worte.
In der gestrigen Folge kannte ein angeblicher Tapaskoch den Unterschied zwischen Thymian und Rosmarin nicht. Rach bekam einen Lachanfall und ernannte den Mann zum Mitarbeiter der Stunde. Ganz offenkundig hatte der aber in einer Küche nichts zu suchen.
Schließlich stellt sich als härtester Brocken stets die dritte soziale Gruppe heraus: die Pächter oder Chefs der Restaurants. Sie sind fast alle extrem narzistisch. Es fällt ihnen schwer, die Hilfe von außen anzunehmen. Es fällt ihnen schwer, ihre Vorstellungen in Worte zu fassen und ihren Beschäftigten mitzuteilen. Es fällt ihnen schwer, Vorstellungen überhaupt zu entwickeln.
Leider sind die grössten Problemtiere im Krisengebiet die Männer im mittleren Alter.
In einer Folge musste Rach einem Herrn, dessen Ehefrau als Pächterin eines Ladens in großen Schwierigkeiten war und die bei der Betriebsversammlung zu weinen begann, den brandheißen Tip geben, mal das Bierglas abzustellen und seine Ehefrau in den Arm zu nehmen. Autistisches Management, das ist der häufigste Befund bei diesen Sendungen.
Rachs Kriterien sind, wie die eines jeden guten Kritikers, klar und für jeden nachvollziehbar: Einrichtung übersichtlich halten, viel selber kochen, viel sparen und allgemeine Sauberkeit und Umsicht walten lassen. Es sind Kriterien, die sich auf nahezu alle Branchen übertragen lassen.
Ich sehe die Sendung nie, ohne an alle möglichen analogen Beispiele aus dem Alltag zu denken. Vielen von Rach besuchten Restaurantbesitzern reicht das Erwärmen von Fertiggerichten, es ist Ausdruck eines lauwarmen Kalküls von Aufwand und Ertrag, alles auf kleinstem Nenner. Schon beim Anblick der gezeigten Speisen entweicht jede Lebenslust, das kann nur von deprimierten Menschen zubereitet worden sein, die jeden auch noch so kleinen überflüssigen oder umständlichen Extrahandgriff scheuen. So macht ja auch Dieter Bohlen sein Zeug: Irgendwie kalkuliert, damit ja genug Kohle übrig bleibt, ohne Liebe zur Sache. Die Kunst rächt sich natürlich: Kann sich irgendjemand auf nicht ironische Weise an einen Bohlen Song erinnern?
Eben. Ich finde, so arbeiten in Deutschland zu viele Handwerker, zu viele Einzelhändler, zu viele Selbstständige.
Foto: RTL