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Claus Kleber moderiert eine Wirkt-wie-eine-Nachrichtensendung-Sendung im ZDF

Die Sache an sich ist schon traurig genug: Wie die halbe deutsche Medienlandschaft auf die Schweizer „Sonntagszeitung“ hereinfiel, die behauptet hatte, die Schweiz stelle „neuerdings“ Steuersünder an den Pranger. In Wahrheit gibt es die Praxis seit fünf Jahren.

Die deutsche Nachrichtenagentur dpa hatte die Behauptung der „Sonntagszeitung“ übernommen und gemeldet:

Die Schweiz als Steuerparadies: Seit die Fahnder durch den Kauf von Bankdaten-CDs in der Vorhand sind, ist es für Steuerhinterzieher dort brenzlig geworden. Immerhin konnten sie bisher hoffen, dass ihre Namen nicht öffentlich bekannt werden. Doch auch das ist nun vorbei.

Berlin (dpa) – Die Schweizer Steuerverwaltung hat damit begonnen, die Namen möglicher deutscher und anderer ausländischer Steuerbetrüger im Internet zu veröffentlichen.

Am Montag stand das dann in der ein oder anderen Form überall. (Mehr beim BILDblog.)

Irgendwann sickerte dann an manchen Stellen (unter anderem bei dpa) die Erkenntnis durch, dass es sich gar nicht um ein neues Verfahren der Schweizer Behörden handelte. Und irgendwie erreichte diese Information auch Claus Kleber. Zu diesem Zeitpunkt scheint seine Anmoderation des „heute journal“-Beitrags im ZDF zu dem Thema aber schon soweit fertig gewesen zu sein, dass er keine Lust mehr hatte, sie nochmal komplett umzuschreiben.

Jedenfalls sagte er am Dienstagabend (ab 9:06):

Die kleine Schweiz hat mächtig davon profitiert, dass ihre Steuerbehörden und Bankhäuser verschwiegen waren wie … wie halt eine Schweizer Bank. Bekanntlich ist dieses Geschäftsmodell in letzter Zeit vor die Wand gefahren. Und die Schweizer schalten jetzt um auf völlige Öffnung. Und damit riskieren sie den letzten Rest ihrer Glaubwürdigkeit. Wenn man genau hinschaut, ist es nicht neu. Aber es wirkt wie neu – und überrascht. Die Finanzbehörden der Schweiz stellen jetzt Namen und Geburtsdaten von Ausländern ins Netz, die Argwohn erregen, weil ihre heimischen Finanzämter die Schweiz nach deren Konten gefragt haben.

Ist nicht neu, wirkt aber neu, da kann man gut also so tun, als wäre es neu. Die Anmoderation Klebers ist dann doch noch trauriger als alles andere an dieser Geschichte.

[via turi2]

Eine Kampfansage an Nachrichtenmöbel

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

„heute+“: Das ZDF erfindet seine Fernsehnachrichten neu – und denkt sie vom Internet her.

Am vergangenen Mittwoch brach beim ZDF eine wilde Twitterei aus. Der Sender hatte ein lustiges Werbevideo online gestellt, in dem Claus Kleber, umgeben von einem Tross von Lakaien, die seine Krawatten und Fernsehpreise tragen, auf Daniel Bröckerhoff trifft, einen der beiden Moderatoren der neuen Nachrichtensendung „heute+“. „Ihnen fehlt noch manches, aber das wird“, sagt Kleber zu dem „jungen Mann“ und reicht ihm gönnerhaft eine Krawatte. Später sieht er Bröckerhoff, wie er frei im sonst leeren Studio stehend moderiert. „Das sind die coolen Neuen“, sagt der Regisseur. „Ohne Krawatte und ohne Tisch?“, staunt Kleber. „Tja, Claus, der hält sich halt an Fakten fest.“ Schlussbild: Kleber sitzt auf dem seinem „heute journal“-Schreibtisch und sägt hektisch das Holz durch.

Die Beteiligten twitterten das Video und lösten damit ein anhaltendes, ausuferndes Gewitzel und Gefrotzel aus, das Kleber nur eine kleine Weile unterbrach, um den ukrainischen Präsidenten fürs „heute journal“ zu interviewen. Und bei aller demonstrativer Selbstironie konnte man den Eindruck bekommen, dass diese neue Welt, in der die Fernsehleute sich alle locker machen und ununterbrochen öffentlich kommunizieren, nicht ganz unanstrengend ist, auch nicht fürs Publikum.

Für die Verantwortlichen ohnehin nicht. Bröckerhoff hat größere Teile der vergangenen Wochen auf Facebook verbracht. Die Redaktion hat Beiträge von „heute+“, die sie für Probesendungen produziert hat, schon online veröffentlicht, und vor allem der Bröckerhoff, der die Sendung im Wechsel mit der Eva-Maria Lemke moderiert, verausgabte sich dabei, mit fast jedem einzelnen Kritiker in dem Netzwerk zu diskutieren, Beschwerden nachzugehen, Beleidigungen zu entschärfen und Anregungen einzusammeln.

Für große negative Aufmerksamkeit sorgte vor allem ein Stück über den Streik bei der Bahn. Die Redaktion hatte die schlechte Idee, ihn als „Geiselnahme“ der Kunden zu inszenieren, entsprechende Filmszenen inklusive. Der Beitrag lieferte keine neue Perspektive oder ungewohnte Einblicke, sondern wirkte wie eine bloße billige populistische Zuspitzung. Nach diversen heftigen Reaktionen veröffentlichte die Redaktion eine Stellungnahme, in der sie einräumte, dass ihr Umgang mit dem Begriff zu wünschen übrig ließ. Sie sagt, sie hat etwas gelernt.

Es war am Ende vielleicht ein Lehrstück dafür, wie man den Dialog mit den „Usern“ ernst nimmt. Aber auch, was dabei herauskommen kann, wenn man sich unbedingt vorgenommen hat, „Nachrichten neu zu erzählen“.

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Von Montag an läuft „heute+“ anstelle von „heute nacht“ im ZDF. Aber dahinter steckt nicht nur eine anders aussehende, präsentierte und benannte Nachrichtensendung im Fernsehen, sondern ein für den Sender erstaunlich radikaler neuer Ansatz. Die Ausstrahlung der Sendung im Fernsehen ist nicht mehr das Zentrum all der Aktivitäten der Redaktion, sondern nur noch ein Schlusspunkt, fast ein Nachtrag. Die Produktion versucht mindestens so sehr das Publikum im Netz zu erreichen. Die Sendung wird werktäglich um 23 Uhr in der ZDF-Mediathek ausgestrahlt – und irgendwann nach Mitternacht, noch einmal live, im sogenannten „Hauptprogramm“ des ZDF im Fernsehen.

Fertige Beiträge werden den ganzen Tag über schon veröffentlicht, teils über Links auf die Mediathek, teils als Videos direkt auf Facebook und in anderen Netzwerken. Jedes Element der Marke „heute+“ soll so gestaltet sein, dass es „auf jeder Plattform funktioniert, auf der es für andere potenziell Interessierte ‚geteilt‘ wird“, sagt Elmar Theveßen, der stellvertretende Chefredakteur.

Durch „heute+“ will das ZDF mehr junge Leute mit seinen Nachrichten erreichen. Wie nötig das ist, daran lässt Theveßen keinen Zweifel. Die „heute“-Sendung um 19 Uhr schauten zwar im Schnitt 3,7 Mio Zuschauer, sagt er, aber davon seien nur 160.000 jünger als 40. Beim „heute journal“ seien es noch ein paar weniger. Dabei erreiche der Sender in den Online-Netzwerken mit seinen Marken jetzt schon mehrere Hunderttausende Menschen in diesem Alter.

Eigentlich wollte die Mainzer Anstalt schon 2009 zum Start ihres Serien-, Comedy- und Wiederholungs-Ablegers ZDF.neo Nachrichten für ein jüngeres Publikum entwickeln – das hat die Politik damals aber abgelehnt. Vor drei Jahren gründete sie dann Arbeitsgruppen mit jungen Mitarbeitern aus verschiedenen Abteilungen, die sich Gedanken über das Thema machen sollten. Dass deren Ergebnis so viel mit dem Netz zu tun hat, sei nicht Auftrag gewesen, sagt Projektleiter Clas Dammann. „Eigentlich hatten wir erst in Richtung Fernsehen gedacht.“ Erst dann sei klargeworden, dass es wichtig sei „extrem in Richtung soziale Medien zu gehen“. Nicht nur junge, sondern auch kritische Menschen sollen hier besonders angesprochen werden.

„heute+“ ist Teil eines größeren ZDF-Projektes, in dem es darum geht, den Sender besser für crossmediales Arbeiten umzustellen – und dafür ein „Katalysator“. Die Redaktion ist durch interne Umschichtungen besser ausgestattet als die Vorgängersendung „heute nacht“, ausgerechnet im Social-Media-Bereich aber noch nicht so, wie es nötig wäre. Im Sommer soll sich das bessern. „Das schlimmste wäre, eine Interaktion anzubieten und dann nicht doch nicht zu antworten“, sagt Theveßen.

Der Aufwand zur Kommunikation mit den Zuschauern ist kein Selbstzweck, oder wie Theweßen es im Anstaltsdeutsch formuliert: „Wie gehen nicht fahrlässig in Mehraufwand.“ Schon in den Probewochen habe sich gezeigt, wie wertvoll und anregend das Feedback des Publikums sei.

Als Beispiel nennen die „heute+“-Leute einen Beitrag über einen syrischen Flüchtling in Oberhausen und die Langeweile, die ihn lähmt, weil er nicht arbeiten darf und nichts zu tun hat. Der Film sei mit relativ wenig Aufwand produziert worden, aber sehr gut angekommen. Doch die emotionale, persönliche Ebene, die dazu beitrug, stieß auch auf Kritik. Und so nahm die Redaktion das Thema ein paar Tage später wieder auf und beantworte viele faktische Fragen, die bei den Zuschauern aufgekommen waren, in einem im Gegensatz dazu sehr nüchternen und sachlichen Beitrag.

Weg vom „Verkündungsjournalismus“, hin zu einer Rolle als Vermittler, das ist das Ziel. Auch die anderen ZDF-Nachrichten versuchten immer wieder, ein Thema „gegen den Strich zu bürsten“, sagt Theveßen, aber bei „heute+“ sei das von vornherein Teil der DNA.

Es sei ein „hoher kommunikativer Aufwand“ betrieben worden, den Mitarbeitern auch in den Landes- und Auslandsstudios die neue Haltung für die Sendung zu vermitteln, sagt Clas Dammann, die gewünschte „Erzählhaltung“ der Beiträge. Die Person hinter einem Bericht darf und soll sichtbar werden. Geplant ist auch, zum Beispiel im Gespräch mit den Korrespondenten, die Bedingungen deutlich zu machen, unter denen ein Bericht entsteht, die Beschränkungen, die Arbeitsweisen.

Es gab Workshops und eine „Werkzeugkiste“ mit möglichen Beitrags-Macharten, und die Studios haben ein Paket bekommen mit all den hippen Gestaltungseffekten, die sie benutzen können – wenn auch idealerweise nach einer gewissen Lernkurve nicht mehr alle gleichzeitig. („Lernkurve“ ist mehr noch als „work in progress“ ein Begriff, der dauernd fällt, wenn man mit ZDF-Leuten über „heute+“ redet.)

ZDF heuteplus: Social Media First – wir wollen gemocht, geteilt, korrigiert und kritisiert werden. Hier ist unser Trailer – Film ab!

Posted by ZDF heuteplus on Freitag, 24. April 2015

 
„Am Ende kommt es aber immer auf die Substanz an“, beteuert Theveßen, „wir wollen keine Comedy machen oder uns krampfhaft an die Zuschauer ranrobben.“ Auch das wird vermutlich noch eine Lernkurve. Die Versuchung, einen Beitrag einfach durch Gimmicks aufzupimpen, ist sichtlich groß. In einem Stück über die Probleme des großen Fleischkonsums in der Welt halten die Gesprächspartner unmotiviert Teller mit Essen in der Hand. Und auch ein Vorstellungs-Film, in dem die Sendung selbst erklärt, wer sie ist und wie sie so tickt und in erster Person von sich spricht, ist eher ein abschreckendes Beispiel. „Klar, in der Glotze gibt es mich auch“, sagt „heute+“ da. „Aber eigentlich komme ich von online. So wie meine Zuschauer. News sind wichtig. Aber braucht’s diesen Oberstudienrats-Style? Die dunklen Ecken einer Geschichte ausleuchten, das ist mein Ding. Ich will mehr sein als Zappelbilder und Sprüche.“

Und dann heißt es da noch: „Schreibtisch raus, Ganzkörper rein. Raum für Inhalt und Haltung.“ Man könnte fast glauben, ein Möbelstück sei das Hauptproblem der Fernsehnachrichten heute.

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Fotos: ZDF

ZDF räumt ein: Bei „Deutschlands Beste“ wurde gezielt manipuliert

Es ist alles noch viel schlimmer.

Es gab nicht nur irgendwelche methodischen Probleme bei den Prominenten-Sortier-Shows „Deutschlands Beste“, die das ZDF vorige Woche gezeigt hat, nicht nur ein Kommunikationschaos und Pannen. Es gab laut ZDF gezielte Manipulationen. Diejenigen Prominenten, die zu Gast in den Sendungen waren, wurden demnach künstlich auf bessere Positionen gesetzt, als es den Umfrageergebnissen entsprach.

Franz Beckenbauer wurde von der Redaktion nicht nur zur „Lichtgestalt des deutschen Fußballs“ verklärt, sondern von Platz 31 auf Platz 9 verschoben. ZDF-Nachrichtenmann Claus Kleber (in der Sendung) kletterte von Platz 39 auf Platz 28, dafür wurde der RTL-Nachrichtenmann Peter Kloeppel (nicht in der Sendung) entsprechend nach unten durchgereicht.

Ursula von der Leyen musste ihren eigentlich vierten Platz räumen für Hannelore Kraft, die zu Gast in der Sendung war und eigentlich Fünfte war. Michael „Bully“ Herbig kletterte von 42 auf 36. Die Gäste hätten von alldem nichts erfahren.

ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler sagte in einer Pressemitteilung:

„Die Veränderungen am Ergebnis der Forsa-Umfragen sind ein grober Verstoß gegen die Programmrichtlinien des ZDF. Das ist nicht zu rechtfertigen und schadet der Glaubwürdigkeit des ZDF. Daher werden auch arbeitsrechtliche Konsequenzen geprüft. Wir werden dem Fernsehrat außerdem spezifische Regeln für Voting-Shows vorlegen. Ein zentraler Bestandteil wird die Transparenz der Ergebnisse und der Befragungsmethode sein. Ich entschuldige mich bei allen Zuschauerinnen und Zuschauern, bei allen, die an den Abstimmungen teilgenommen haben, wie auch bei den betroffenen Prominenten.“

Claus Kleber twittert:

Männer:

Name Forsa ZDF
Helmut Schmidt 1 1
Hans-Dietrich Genscher 2 2
Richard von Weizsäcker 3 3
Günther Jauch (Gast) 4 4
Joachim Gauck 5 5
Wolfgang Schäuble 6 11
Helmut Kohl 7 7
Papst Benedikt XVI 8 8
Michael Schumacher 9 10
Frank-Walter Steinmeier 10 6
Hape Kerkeling 11 12
Günter Grass 12 13
Mario Adorf 13 14
Sebastian Vettel 14 15
Jogi Löw 15 16
Uwe Seeler 16 17
Armin Müller-Stahl 17 18
Ulrich Wickert 18 19
Thomas Gottschalk 19 20
Peter Maffay 20 21
Dirk Nowitzki 21 22
Gerhard Schröder 22 23
Frank Elstner 23 24
Thomas Südhof 24 25
Hellmuth Karasek 25 26
Gregor Gysi 26 27
Peter Kloeppel 27 39
Jürgen Klopp 28 29
Sigmar Gabriel 29 30
Herbert Grönemeyer 30 31
Franz Beckenbauer (Gast) 31 9
Manuel Neuer 32 32
Sepp Maier 33 33
Götz George 34 34
Christoph Waltz 35 35
Jan Hofer 36 42
Joschka Fischer 37 37
David Garrett 38 38
Claus Kleber (Gast) 39 28
James Last 40 40
Oliver Welke 41 41
Michael „Bully“ Herbig (Gast) 42 36
Reinhard Mey 43 43
Jan Josef Liefers 44 44
Peer Steinbrück 45 45
Philipp Lahm 46 46
Roland Emmerich 47 47
Siegfried Lenz 48 48
Hubert Burda 49 49
Horst Seehofer 50 50

Frauen:

Name Forsa ZDF
Angela Merkel 1 1
Steffi Graf 2 2
Magdalena Neuner 3 3
Ursula von der Leyen 4 6
Hannelore Kraft (Gast) 5 4
Silvia Neid 6 7
Barbara Schöneberger 7 8
Senta Berger 8 9
Hildegard Hamm-Brücher 9 10
Helene Fischer 10 5
Rita Süssmuth 11 11
Iris Berben 12 12
Nena 13 13
Margot Käßmann 14 14
Maria Höfl-Riesch 15 15
Rosi Mittermaier (Gast) 16 16
Marietta Slomka 17 17
Anke Engelke 18 18
Nadine Angerer 19 19
Friede Springer 20 20
Maria Furtwängler 21 21
Anne Will 22 22
Christiane Nüsslein-Volhard 23 23
Anne-Sophie Mutter 24 24
Katarina Witt (Gast) 25 25
Andrea Henkel 26 26
Elke Heidenreich 27 27
Birgit Prinz 28 28
Andrea Berg 29 29
Ruth-Maria Kubitschek (Gast) 30 30
Dagmar Berghoff 31 31
Maybrit Illner 32 32
Ina Müller 33 33
Hannelore Elsner 34 34
Renate Künast 35 35
Claudia Roth 36 36
Sandra Maischberger 37 37
Caren Miosga 38 38
Cornelia Funke 39 39
Kati Wilhelm 40 40
Uschi Glas 41 41
Anni Friesinger-Postma 42 42
Heide Simonis 43 43
Annette Frier 44 44
Katrin Müller-Hohenstein 45 45
Sahra Wagenknecht 46 46
Claudia Pechstein 47 47
Martina Hill 48 48
Franziska van Almsick 49 49
Jutta Speidel 50 50

Nachrichten-Wahnsinn pur: Das „heute-journal“, der Nahostkrieg und das WM-Drama

Es zwingt niemand das ZDF, sein „heute-journal“ in die Halbzeitpause eines WM-Spiels zu quetschen. Es könnte es vorher schon ausstrahlen, um 21 Uhr zum Beispiel. Es könnte es auch einfach ausfallen lassen. Aber das ZDF will das „heute-journal“ an solchen Tagen nicht ausfallen lassen oder vorher in der üblichen Länge zeigen. Es will es in die Halbzeitpause quetschen, um auf diese Weise den Zuschauerschnitt der Sendung in die Höhe zu treiben.

Man kann, wenn man sich Quoten dieser Mini-Ausgaben des „heute-journals“ ansieht, eindrucksvolle Durchschnittswerte bilden, und das ZDF macht das auch und sagt dann: „Der Erfolg gibt uns Recht.“ Die Weltmeisterschaft biete die Möglichkeit, „das ‚heute-journal‘ besonders ins Schaufenster zu stellen, wovon die Sendung profitiert, sobald sie nach der WM zur Regelsendezeit zurückkehrt“, sagt das ZDF.

Fast fünf Stunden hat das ZDF gestern Abend von der Fußball-WM berichtet. Knapp elf Minuten dauerte das Halbzeit-„heute-journal“. Das war zu lang, um nicht über die Fußball-WM zu berichten.

Die Sendung begann mit einem kurzen Bericht über die neue Eskalation im Nahen Osten, die Raketen-Angriffe auf Israel, die Offensive im Gazastreifen. Das ZDF schaltete zu seinem Korrespondenten Christian Sievers nach Tel Aviv. Er wirkte etwas mitgenommen und sagte: „Das ist Nahost-Wahnsinn pur.“

„Das ist Schockstarre pur“, sagte Andreas Wunn eine Minute später. Wunn ist der Südamerika-Korrespondent des ZDF. Er hat das Fußball-Spiel im Stadion in Belo Horizonte verfolgt und war herausgekommen, um den „heute-journal“-Zuschauern zu berichten, wie die Stimmung dort bei dem Fußballspiel war, das sie gerade gesehen hatten. Außerdem sollte er ein bisschen in die Zukunft schauen.

Und so füllte das ZDF ein Viertel seiner elf Minuten Alibi-Nachrichtenzeit mit diesem Korrespondentengespräch, das sich unmittelbar an die Schalte zu Christian Sievers anschloss:

Christian Sievers: … das heißt, es wird eine dramatische Nacht werden, nicht nur hier in Israel, sondern auch für die Menschen in Gaza, wo es kein Frühwarnsystem gibt und keine Bunker.

Claus Kleber: Dankeschön, Christian Sievers. Und wir haben inzwischen unseren Südamerika-Korrespondenten, der ständig dort ist, Andreas Wunn, an einem Schaltpunkt vor dem Stadion in Belo Horizonte, er ist aus dem Stadion herausgekommen. Andreas, so hatte niemand den Verlauf der ersten Halbzeit erwartet. Wie reagiert darauf Brasilien jetzt im Stadion, was haben Sie da erlebt, und was wird daraus werden in der Nacht von Brasilien nach dem Spiel, wenn es so weitergeht, noch ist es nicht vorbei.

Andreas Wunn: Also, ich komme in der Tat aus dem Stadion hier hinter mir. Das ist der schiere Schock. Die Brasilianer haben das überhaupt nicht erwartet. Die Stimmung war gut in den ersten Minuten, Sprechchöre, 64.000 Brasilianer, das ganze Stadion in Gelb. Und dann ein deutsches Tor nach dem anderen. Das ist Schockstarre pur, das kann man überhaupt nicht beschreiben. Die Sprechchöre haben dann in den Minuten nach der 30. Minute nach dem 5:0 völlig aufgehört. Und jetzt sieht man hinter mir: Es gibt schon viele Brasilianer, die hier das Stadion verlassen.5:0, das ist eine Schmach für die Brasilianer, das hat man sich so nicht vorgestellt. Man ist hier in das Halbfinale gegangen, um zu gewinnen, um ins Finale zu kommen und Weltmeister zu werden. Und wir hören auch von der Copacabana in Rio de Janeiro: Dort weinen die Menschen, dort strömen die Menschen aus dem Fanfest heraus, sie gehen zur U-Bahn und sie haben überhaupt keine Hoffnung mehr, dass Brasilien das noch rumreißt. Also, das ist Schockstarre pur hier in Brasilien.

Kleber: Im Moment Schockstarre. Sie kennnen Brasilien, Sie kennen die Brasilianer, haben auch vor der WM viel über die Stimmung im Land berichtet, die ja nicht ungeteilter Freude auf diese Weltmeisterschaft geschaut hat. Was wird sich da jetzt bahnbrechen? Können wir da überlegen, ohne da jetzt Teufel an die Wand zu malen?

Wunn: Das ist jetzt die große Frage. Das kann man jetzt noch nicht einschätzen. Der Schock ist so groß, dass sich der Schock, galaube ich, noch nicht in Wut ummünzt. Einen Sündenbock haben die Brasilianer auch schon, das ist die kolumbianische Mannschaft, das ist der kolumbianische Spieler, der Neymar aus dem Turneir gefoult hat. Und ich glaube, dass es, wenn es Aggressionen gibt, das erstmal dorthin kanalisieren werden. Ich sehe jetzt noch nciht, dass es hier zu Ausschreitungen heute abend kommt oder in den nächsten Tagen, aber natürlich ist das eine riesige Enttäuschung und nach all den Problemen bei dieser WM, nach all den Protesten, nach den Korruptionsfällen und nach den Problemen bei der Infrastruktur, ist jetzt — wir haben’s erst nach der ersten Halbzeit, aber ich glaube, viele Brasilianer denken, das ist schon so — ist die WM jetzt vorbei, und all das hat sich nicht gelohnt für die Brasilianer. Das ist, glaube ich, das vorherrschende Gefühl. Und wir müssen jetzt einfach in den nächsten Tagen sehen, was das dann auch auf der Straße bedeutet.

Es war aufgrund dieses „heute-journals“ nicht ganz leicht zu erkennen, wo sich das größere, das purere Drama in jenen Stunden abspielte, im Nahen Osten oder in Brasilien. Es reicht nicht, dass das ZDF die Nachrichten zur Quotenmaximierung in die Mitte eines Fußballspiels gequetscht hat; es muss einen wesentlichen Teil dann auch noch dem Fußball widmen und vors Stadion schalten.

Aber, hey, 84,5 Prozent Marktanteil, 31,8 Millionen Zuschauer, die angeblich zweitmeistgesehene Fernsehsendung in Deutschland aller Zeiten, „der Erfolg gibt uns Recht“, würde das ZDF sagen. Womöglich ließe sich das noch steigern, wenn es eine 30-Sekunden-„Schaufenster“-Version der Sendung produzierte und die in eine der kurzen Spielunterbrechnungen legte, mit Schalte zu einem Moderator im Stadion dann, der sagt, wie die Stimmung vor Ort ist und welche Konsequenzen das mögliche Ergebnis möglicherweise für das Land haben könnte.

Die Quote ist das einzige Kriterium, das das ZDF bei diesen Entscheidungen antreibt. Das kann man auch daran erkennen, dass das ZDF sein „heute-journal“ in den vergangenen Wochen auch an den Tagen verkürzte, an denen es keinen Fußball zeigte. Wenn in der ARD um 22 Uhr ein Spiel begann, endete dann auch vorzeitig das 21:45-Uhr-„heute-journal“. Weil die Quote nach Spielbeginn gesunken wäre und das schlecht für die Durchschnittsquote gewesen wäre und das wiederum schlecht für irgendwelche Jubel-Pressemitteilungen über den schönen Zuschauerzuspruch zum vermeintlichen Nachrichtenflaggschiff des ZDF (gerade auch im Gegensatz zu den „Tagesthemen“, die das nicht so gehandhabt haben). Im Zweifel opfert das ZDF seine Nachrichten gerne nicht nur dem Fußball, sondern vor allem der Quote.

Claus Kleber

Ganze Dossiers werden in den nächsten Tagen noch veröffentlicht mit klug und informiert erscheinenden Analysen über die strategischen, politischen und persönlichen Gründe dafür, dass ausgerechnet Claus Kleber neuer Chefredakteur des „Spiegel“ werden soll. Geschrieben werden die allerdings von Leuten, die in den vergangenen Wochen in genauso klug und informiert erscheinenden Analysen dasselbe für jeden Kandidaten außer Claus Kleber getan haben, und deshalb ist diese Erklärung so gut wie ihre:

Es war der Abend des 2. Dezember, im „Spiegel“ brannte noch Licht. Ein paar Strippenzieher saßen beim Wein zusammen, verwarfen Namen und schauten nebenbei, in einer komplizierten Mischung aus Trotz und Selbsthass, den Jahresrückblick „Menschen“ im ZDF, mit Johannes B. Kerner, dessen Talkshow von einer „Spiegel“-Tochter produziert wird. Während sie saßen und tranken, wurde Claus Kleber live aus Moskau zugeschaltet, und er begann mit den Sätzen: „Es ist Mitternacht in Moskau und bitterkalt und eine spannende Nacht.“ Kindlich rein und klar schienen ihnen diese Sätze, so unprätentios wie nichts, das sie je in ihrer Zeitschrift gelesen oder geschrieben hätten. „Das ist ein Riesenland“, fuhr Kleber fort, und als sie sich gerade fragten, ob es vielleicht ein Fehler war, dass sie all die Jahre richtige Verben und sogar Nebensätze benutzt hatten, fügte er hinzu: „Im Osten geht bereits wieder die Sonne auf – so groß ist dieses Land, das Putin heute noch einmal fester unter seine Kontrolle bekommen wollte.“ Das war nun von großer Anschaulichkeit, aber fehlte da nicht ein bisschen die kritische Analyse? Sie fehlte nicht mehr lange, denn Kleber, der nicht hemdsärmlig war wie der Mann, den sie sonst oft auf dem Bildschirm sahen und in ihren Konferenzen, sondern dick in einen Mantel eingepackt war, was ihn noch staatsmännischer aussehen ließ im eisigen Wind, und der, ganz ohne Podest, hinter einem Tisch zu stehen schien und eine Hand lässig darauf ablegte, fuhr fort: „Es ist in einem so riesigen Gebiet auch dann schwierig, eine faire und gerechte Wahl zu machen, wenn man es ernsthaft versucht. Die Frage ist: Ob das heute probiert worden ist. Und es sieht nicht danach aus.“

Das war kritisch und auf den Punkt und doch so ganz anders als diese miesepetrige, zynische, nicht nur immer alles besser wissende, sondern vor allem immer schon alles gewußt habende Haltung, die sie von ihrem Chef und aus ihren Fernsehmagazinen und aus ihrer Illustrierten kannten, die früher einmal ein Nachrichtenmagazin war. Es war weder zynisch noch naiv, sondern auf eine fremde Art pädagogisch und menschenfreundlich.

Und einem der „Spiegel“-Leute fiel plötzlich ein, dass er ein paar Tage zuvor schon gesehen hatte wie dieser Claus Kleber mit Kurt Beck gesprochen hatte, der gerade Olaf Scholz zum Arbeitsminister gemacht hatte und sich augenscheinlich vorgenommen hatte, nicht ganz so offen und zugänglich auf die Fragen zu antworten wie es ein Stück Granit getan hätte. Kleber aber blieb entspannt und fragte mit der freundlichsten Boshaftigkeit, die man sich vorstellen kann: „Sehen Sie verborgene Qualitäten in Olaf Scholz?“ Nachdem der „Spiegel“-Mensch das erzählt hatte, durchzuckte es alle: Sowas wollten sie auch.

Genau so war das.

Und solange die Redaktionskonferenzen nicht vollständig live übertragen werden, sehe ich überhaupt keine Veranlassung, warum der blöde „Spiegel“ seinen Willen bekommen und dieser Mann dem Fernsehen verloren gehen soll.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung