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Medienlexikon: Breaking News

Der Spiegel

Breaking News, Nachrichtenereignis im Moment seiner größten Unklarheit.

Stellen wir uns vor: September 1989, deutsche Botschaft in Prag. Außenminister Genscher betritt den Balkon und sagt zu den DDR-Flüchtlingen: „Wir sind heute zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise…“ Jubel brandet auf, Genscher fängt an, wild zu gestikulieren, bis er endlich seinen Satz vollenden kann: „…leider noch nicht arrangiert werden konnte.“

Ein bisschen so war es am Donnerstag, als John Roberts, der Oberste Richter der USA, das Urteil über Obamas Gesundheitsreform verkündete. Als erstes wies er die Rechtfertigung für die darin enthaltene Versicherungspflicht zurück. Fast jeder, der sich in dieser Sekunde hätte entscheiden müssen, hätte getippt, dass der Gerichtshof das Gesetz für verfassungswidrig erklären würde. Die Reporter der Nachrichtensender CNN und Fox News meinten, sich in dieser Sekunde entscheiden zu müssen, meldeten Obamas Niederlage — und lagen falsch.

Als sie den Fehler bemerkten, hatten sie längst begonnen, die vermeintliche Entscheidung zu analysieren und ihre monumentale Bedeutung zu betonen. Die Nachricht selbst ist zu einem winzigen, lästigen Kieselstein im endlosen Schwafelstrom geworden, dem einzigen Realitätscheck in einem Rausch von Vorhersagen und Interpretationen. Die Nachrichtensender haben sich darauf spezialisiert, zu spekulieren, was passieren könnte und was es bedeuten würde, wenn es passierte. Sie können es nicht abwarten, dass es tatsächlich passiert (CNN hatte sogar einen Countdown eingeblendet), sind aber im selben Moment schon wieder beschäftigt, zu raten, was nun als nächstes passiert.

Es hätte des Fehlers nicht bedurft, um zu wissen, dass Richtigkeit vor Schnelligkeit geht. Nach einem ähnlichen Fall vor ein paar Monaten hatte ein Journalist die schöne Regel getwittert: „Wenn du richtig liegst und erster bist, erinnert sich niemand dran. Wenn du erster bist und falsch liegt, erinnert sich jeder dran.“

Vor allem für CNN, das ohnehin einen dramatischen Niedergang erlebt, ist die Panne ein Desaster, das den behaupteten Seriositätsvorsprung gegenüber der Konkurrenz vernichtet. Die Nachrichtenagentur AP musste sogar ihre Mitarbeiter auffordern, sich nicht öffentlich über die CNN-Leute lustig zu machen.

Die „New York Times“ hatte ihre Leser online übrigens in der Minute nach der „Breaking News“ einfach um einen Moment Geduld gebeten, während ihre Experten das Urteil analysieren.

Zaubern mit dem Riesen-iPhone

Sie ist der feuchte Traum nicht nur jedes Statistik-Fetischisten (wie ich es bin), sondern vermutlich auch der meisten iPhone-Besitzer: Die Wunderwand von CNN, die Umfragewerte und Wahlergebnisse in Karten und Diagrammen anzeigt, die sich durch Drücken auswählen und manipulieren lassen. Die Magie dieser Wand lässt sich schwer beschreiben. Man muss John King, den Meister dieses Gerätes, an einem Wahlabend gesehen haben, wie er virtuos Staaten antippt, mit der typischen iPhone-Spreizgeste an einzelne Bezirke heranzoomt, entscheidende Gegenden in verschiedenen Leuchtfarben einkringelt.

Dies ist ein typischer Ausschnitt aus der CNN-Berichterstattung vom Super Tuesday:

Die über zwei Quadratmeter große Wand heißt eigentlich „Multi Touch Screen“ und ist von der Firma Perceptive Pixel. Während Peter Kloeppel an Wahlabenden verloren in seinem virtuellen Studio zwischen den Säulen herumwandert, gibt sie John King tatsächlich etwas zum Anfassen — und macht die komplizierten Rechnungen auch für die Zuschauer greifbar.

Und warum schreibe ich das alles? Weil die legendäre (und in diesem Wahljahr besonders lebendige) amerikanische Comedyshow „Saturday Night Live“ in dieser Woche in einer perfekten Parodie ihre eigene magische Wand präsentierte (ab ca. 5:30):

(Mehr über John King und seine Wunderwand im „Austin American-Statesman“. Und CNN zeigt, wie „Saturday Night Live“ sich über CNN lustig macht.)

[via rivva, engadget]