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Jörg Kachelmann: Die Katastrophe mit Daisy

Jörg Kachelmann gehört seit langem zu den schärfsten Kritikern des staatlichen Deutschen Wetterdienstes (DWD). Aus dessen Pannen schlug die von ihm gegründete Firma Meteomedia erhebliches Kapital: zum Beispiel 2002, als der DWD nicht entsprechend vor dem verheerenden Orkan Anna gewarnt hatte, und den Auftrag, für die „Tagesthemen“ das Wetter vorzusagen, an Kachelmann verlor.

Nun hat das Tief „Daisy“ die Medien in einen apokalyptischen Schneechaosrausch versetzt (der WDR änderte am Freitag und Samstag wiederholt sein Programm, doch Daisy ließ sich auch von insgesamt 120 Minuten Sondersendungen nicht überreden, im Sendegebiet eine Katastrophe anzurichten). Kachelmann macht nicht nur den Medien, sondern auch dem DWD Vorwürfe.

Ein Gastbeitrag.

Es hätte viel zu lernen gegeben für die obersten Wetter- und Katastrophenschutzbehörden. Nach Lothar, Anna, Kyrill und wie sie alle hießen, nach der Elbeflut. Nur eines hat sich geändert: Der Deutsche Wetterdienst verschläft nicht mehr die Unwetter, er warnt vor allem, was sich bewegt. Irgendwo mag schon was passieren, dann war man zuerst und wenn nichts passiert, waren es „die Meteorologen“, die da übertrieben haben. Und wenn dann Schneewalze und Blizzard nicht kommen, sondern nur die ordinären Schneeverwehungen, reicht immer noch das Mittelchen von früher: Nichtstun. Keine Straßen sperren, obwohl man stundenlang zusehen kann, wie sie allmählich zuwehen. Einfach zugucken, wie Autos und LKWs in Schneewehen fahren. Das THW und die Feuerwehr werden’s schon richten am Tag danach, und so ist wenigstens ein bisschen Katastrophe da.

1. Der Hype
Der DWD und angeschlossene Kleinfirmen aus der Welt der Parameteorologie machen die Medien und Leute verrückt. Schon viele Tage, bevor es losgeht, wird großes Trommelfeuer veranstaltet, ein ganzes Land vor Blizzards, Schneewalzen gewarnt und zu Hamsterkäufen getrieben. Nur: So viele Tage vor dem Ereignis ist keine Regionalisierung möglich. Es werden zig Millionen Leute verrückt gemacht, die am Ende Warnungen nicht mehr ernst nehmen werden, weil diese Menschen nichts Dramatisches erleben.

2. Der Salto rückwärts
Kurz bevor es losgeht, sagt ein DWD-Mitarbeiter, dass Panik nicht notwendig sei. Damit ist alles abgesichert: Geht die Welt unter, hatte der DWD schon lange recht, passiert nichts, gilt das letzte gesprochene Wort.

3. Die Enttäuschung
Der erste Unwettertag, bei Daisy der Samstag. Alle rechnen mit furchtbaren Dingen, die so nicht deutschlandweit eintreten. Erste Agenturmeldung des Morgens: Daisy nicht so schlimm wie erwartet.

4. Die Stille vor dem Sturm
Wir sollen Hamsterkäufe machen, erfahren wir vor dem Wochenende, aber am Wochenende wird es bemerkenswert ruhig vom Katastrophenschutz, obwohl die Auswirkungen von Daisy noch nicht mal die Küste erreicht haben. Dort lauert zwar keine Schneewalze, aber eine Altschneedecke, die durch stürmischen bis orkanartigen Wind in Bewegung kommt. Es kommt zu Schneeverwehungen an immer denselben Stellen Norddeutschlands. Bei drohenden Hurricanes weiß jedes amerikanische County, welche Straße rechtzeitig gesperrt wird, Deutschland weiß es irgendwie nicht. Ist es der Wunsch nach selbsterfüllender Prophezeiung oder schiere Ignoranz? Straßen werden erst gesperrt, nachdem Autos und LKWs liegenbleiben, nicht vorher. In der „amtlichen Unwetterwarnung“ des DWD heißt es für die am stärksten betroffenen Landkreise: „Verbreitet wird es glatt.“ Nichts, was der Polo nicht packt.

5. Die Erfüllung
Wir haben gelernt, dass wir Hamsterkäufe machen sollen, wir wurden aber nicht gehindert, Autofahrten in die Schneeverwehungen zu machen. Dadurch bleiben in der Nacht viele Autofahrer an Straßenrändern liegen und werden nicht oder nur notdürftig versorgt. Die Autofahrer sind losgefahren, weil sie von 95% der Bevölkerung erfahren haben, dass Daisy nicht so schlimm sei. Zu viel(e) gewarnt ist so schlimm wie nicht gewarnt. Dafür gibt es Bilder eingeschlossener Autofahrer. Der DWD wird zufrieden feststellen, dass er schon immer gesagt hätte, dass es (irgendwo) schlimm würde. Es gibt Bilder von eingeschlossenen Autofahrern und verwehten Autobahnen. Der Weltuntergang, der meteorologisch nicht stattfand, wird durch die Hintertuer teileingeführt, weil man die Strassen einfach offen und Leute in die Schneewehen fahren lässt.

6. Die Tagesordnung
Hoffentlich keine Toten, selber schuld, wer nachts da noch rumfährt. Die hätten ja wissen müssen, dass nur sie gemeint sind, wenn ganz Deutschland sich auf eine Schneewalze, einen Blizzard vorbereiten und Hamsterkäufe machen soll. Die nächsten Scharlatane aus der Parameteorologie teilen uns mit, dass es auch im Februar kalt bleiben wird. Das weiß zwar niemand auf der ganzen Welt, aber gedruckt wird jetzt alles. Die nächste Katastrophe kommt bestimmt. THW und Feuerwehren werdens schon richten. Zum Glück haben wir wenigstens die.