Schlagwort: Daniel Bröckerhoff

Eine Kampfansage an Nachrichtenmöbel

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

„heute+“: Das ZDF erfindet seine Fernsehnachrichten neu – und denkt sie vom Internet her.

Am vergangenen Mittwoch brach beim ZDF eine wilde Twitterei aus. Der Sender hatte ein lustiges Werbevideo online gestellt, in dem Claus Kleber, umgeben von einem Tross von Lakaien, die seine Krawatten und Fernsehpreise tragen, auf Daniel Bröckerhoff trifft, einen der beiden Moderatoren der neuen Nachrichtensendung „heute+“. „Ihnen fehlt noch manches, aber das wird“, sagt Kleber zu dem „jungen Mann“ und reicht ihm gönnerhaft eine Krawatte. Später sieht er Bröckerhoff, wie er frei im sonst leeren Studio stehend moderiert. „Das sind die coolen Neuen“, sagt der Regisseur. „Ohne Krawatte und ohne Tisch?“, staunt Kleber. „Tja, Claus, der hält sich halt an Fakten fest.“ Schlussbild: Kleber sitzt auf dem seinem „heute journal“-Schreibtisch und sägt hektisch das Holz durch.

Die Beteiligten twitterten das Video und lösten damit ein anhaltendes, ausuferndes Gewitzel und Gefrotzel aus, das Kleber nur eine kleine Weile unterbrach, um den ukrainischen Präsidenten fürs „heute journal“ zu interviewen. Und bei aller demonstrativer Selbstironie konnte man den Eindruck bekommen, dass diese neue Welt, in der die Fernsehleute sich alle locker machen und ununterbrochen öffentlich kommunizieren, nicht ganz unanstrengend ist, auch nicht fürs Publikum.

Für die Verantwortlichen ohnehin nicht. Bröckerhoff hat größere Teile der vergangenen Wochen auf Facebook verbracht. Die Redaktion hat Beiträge von „heute+“, die sie für Probesendungen produziert hat, schon online veröffentlicht, und vor allem der Bröckerhoff, der die Sendung im Wechsel mit der Eva-Maria Lemke moderiert, verausgabte sich dabei, mit fast jedem einzelnen Kritiker in dem Netzwerk zu diskutieren, Beschwerden nachzugehen, Beleidigungen zu entschärfen und Anregungen einzusammeln.

Für große negative Aufmerksamkeit sorgte vor allem ein Stück über den Streik bei der Bahn. Die Redaktion hatte die schlechte Idee, ihn als „Geiselnahme“ der Kunden zu inszenieren, entsprechende Filmszenen inklusive. Der Beitrag lieferte keine neue Perspektive oder ungewohnte Einblicke, sondern wirkte wie eine bloße billige populistische Zuspitzung. Nach diversen heftigen Reaktionen veröffentlichte die Redaktion eine Stellungnahme, in der sie einräumte, dass ihr Umgang mit dem Begriff zu wünschen übrig ließ. Sie sagt, sie hat etwas gelernt.

Es war am Ende vielleicht ein Lehrstück dafür, wie man den Dialog mit den „Usern“ ernst nimmt. Aber auch, was dabei herauskommen kann, wenn man sich unbedingt vorgenommen hat, „Nachrichten neu zu erzählen“.

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Von Montag an läuft „heute+“ anstelle von „heute nacht“ im ZDF. Aber dahinter steckt nicht nur eine anders aussehende, präsentierte und benannte Nachrichtensendung im Fernsehen, sondern ein für den Sender erstaunlich radikaler neuer Ansatz. Die Ausstrahlung der Sendung im Fernsehen ist nicht mehr das Zentrum all der Aktivitäten der Redaktion, sondern nur noch ein Schlusspunkt, fast ein Nachtrag. Die Produktion versucht mindestens so sehr das Publikum im Netz zu erreichen. Die Sendung wird werktäglich um 23 Uhr in der ZDF-Mediathek ausgestrahlt – und irgendwann nach Mitternacht, noch einmal live, im sogenannten „Hauptprogramm“ des ZDF im Fernsehen.

Fertige Beiträge werden den ganzen Tag über schon veröffentlicht, teils über Links auf die Mediathek, teils als Videos direkt auf Facebook und in anderen Netzwerken. Jedes Element der Marke „heute+“ soll so gestaltet sein, dass es „auf jeder Plattform funktioniert, auf der es für andere potenziell Interessierte ‚geteilt‘ wird“, sagt Elmar Theveßen, der stellvertretende Chefredakteur.

Durch „heute+“ will das ZDF mehr junge Leute mit seinen Nachrichten erreichen. Wie nötig das ist, daran lässt Theveßen keinen Zweifel. Die „heute“-Sendung um 19 Uhr schauten zwar im Schnitt 3,7 Mio Zuschauer, sagt er, aber davon seien nur 160.000 jünger als 40. Beim „heute journal“ seien es noch ein paar weniger. Dabei erreiche der Sender in den Online-Netzwerken mit seinen Marken jetzt schon mehrere Hunderttausende Menschen in diesem Alter.

Eigentlich wollte die Mainzer Anstalt schon 2009 zum Start ihres Serien-, Comedy- und Wiederholungs-Ablegers ZDF.neo Nachrichten für ein jüngeres Publikum entwickeln – das hat die Politik damals aber abgelehnt. Vor drei Jahren gründete sie dann Arbeitsgruppen mit jungen Mitarbeitern aus verschiedenen Abteilungen, die sich Gedanken über das Thema machen sollten. Dass deren Ergebnis so viel mit dem Netz zu tun hat, sei nicht Auftrag gewesen, sagt Projektleiter Clas Dammann. „Eigentlich hatten wir erst in Richtung Fernsehen gedacht.“ Erst dann sei klargeworden, dass es wichtig sei „extrem in Richtung soziale Medien zu gehen“. Nicht nur junge, sondern auch kritische Menschen sollen hier besonders angesprochen werden.

„heute+“ ist Teil eines größeren ZDF-Projektes, in dem es darum geht, den Sender besser für crossmediales Arbeiten umzustellen – und dafür ein „Katalysator“. Die Redaktion ist durch interne Umschichtungen besser ausgestattet als die Vorgängersendung „heute nacht“, ausgerechnet im Social-Media-Bereich aber noch nicht so, wie es nötig wäre. Im Sommer soll sich das bessern. „Das schlimmste wäre, eine Interaktion anzubieten und dann nicht doch nicht zu antworten“, sagt Theveßen.

Der Aufwand zur Kommunikation mit den Zuschauern ist kein Selbstzweck, oder wie Theweßen es im Anstaltsdeutsch formuliert: „Wie gehen nicht fahrlässig in Mehraufwand.“ Schon in den Probewochen habe sich gezeigt, wie wertvoll und anregend das Feedback des Publikums sei.

Als Beispiel nennen die „heute+“-Leute einen Beitrag über einen syrischen Flüchtling in Oberhausen und die Langeweile, die ihn lähmt, weil er nicht arbeiten darf und nichts zu tun hat. Der Film sei mit relativ wenig Aufwand produziert worden, aber sehr gut angekommen. Doch die emotionale, persönliche Ebene, die dazu beitrug, stieß auch auf Kritik. Und so nahm die Redaktion das Thema ein paar Tage später wieder auf und beantworte viele faktische Fragen, die bei den Zuschauern aufgekommen waren, in einem im Gegensatz dazu sehr nüchternen und sachlichen Beitrag.

Weg vom „Verkündungsjournalismus“, hin zu einer Rolle als Vermittler, das ist das Ziel. Auch die anderen ZDF-Nachrichten versuchten immer wieder, ein Thema „gegen den Strich zu bürsten“, sagt Theveßen, aber bei „heute+“ sei das von vornherein Teil der DNA.

Es sei ein „hoher kommunikativer Aufwand“ betrieben worden, den Mitarbeitern auch in den Landes- und Auslandsstudios die neue Haltung für die Sendung zu vermitteln, sagt Clas Dammann, die gewünschte „Erzählhaltung“ der Beiträge. Die Person hinter einem Bericht darf und soll sichtbar werden. Geplant ist auch, zum Beispiel im Gespräch mit den Korrespondenten, die Bedingungen deutlich zu machen, unter denen ein Bericht entsteht, die Beschränkungen, die Arbeitsweisen.

Es gab Workshops und eine „Werkzeugkiste“ mit möglichen Beitrags-Macharten, und die Studios haben ein Paket bekommen mit all den hippen Gestaltungseffekten, die sie benutzen können – wenn auch idealerweise nach einer gewissen Lernkurve nicht mehr alle gleichzeitig. („Lernkurve“ ist mehr noch als „work in progress“ ein Begriff, der dauernd fällt, wenn man mit ZDF-Leuten über „heute+“ redet.)

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Posted by ZDF heuteplus on Freitag, 24. April 2015

 
„Am Ende kommt es aber immer auf die Substanz an“, beteuert Theveßen, „wir wollen keine Comedy machen oder uns krampfhaft an die Zuschauer ranrobben.“ Auch das wird vermutlich noch eine Lernkurve. Die Versuchung, einen Beitrag einfach durch Gimmicks aufzupimpen, ist sichtlich groß. In einem Stück über die Probleme des großen Fleischkonsums in der Welt halten die Gesprächspartner unmotiviert Teller mit Essen in der Hand. Und auch ein Vorstellungs-Film, in dem die Sendung selbst erklärt, wer sie ist und wie sie so tickt und in erster Person von sich spricht, ist eher ein abschreckendes Beispiel. „Klar, in der Glotze gibt es mich auch“, sagt „heute+“ da. „Aber eigentlich komme ich von online. So wie meine Zuschauer. News sind wichtig. Aber braucht’s diesen Oberstudienrats-Style? Die dunklen Ecken einer Geschichte ausleuchten, das ist mein Ding. Ich will mehr sein als Zappelbilder und Sprüche.“

Und dann heißt es da noch: „Schreibtisch raus, Ganzkörper rein. Raum für Inhalt und Haltung.“ Man könnte fast glauben, ein Möbelstück sei das Hauptproblem der Fernsehnachrichten heute.

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Fotos: ZDF