Schlagwort: Der Tatortreiniger

Ein Mann für den letzten Dreck


Fotos: NDR

Der NDR hat eine wunderbare kleine Fernsehserie produzieren lassen. Das darf aber niemand erfahren.

Deshalb hat der Sender sicherheitshalber nicht groß Pressearbeit gemacht für den „Tatortreiniger“. Es wäre ein Leichtes gewesen, Aufmerksamkeit für diese Serie zu generieren, denn die Hauptrolle spielt der wunderbare Bjarne Mädel, der mit dem Bürotrottel Ernie in „Stromberg“ und dem Dorfpolizisten Schäffer in „Mord mit Aussicht“ zwei Kultfiguren geschaffen hat. „Stromberg“-Regisseur Arne Feldhusen führte auch beim „Tatortreiniger“ Regie.

Aber den Programmzeitschriften scheint niemand Bescheid gesagt zu haben. In der „TV Spielfilm“, die sonst zuverlässig auf Neustarts hinweist, fehlt hier das markante Textmarker-Gelb und jede weiterführende Information ((Korrektur: Das gilt nur für die „TV Spielfilm XXL“; in der normalen „TV Spielfilm“ gibt es einen Hinweistext)); die „Hörzu“ lenkt auch keine Aufmerksamkeit auf die neue Serie, die sie zudem fälschlicherweise als Krimiserie bezeichnet, was natürlich immer noch besser ist als in der „TV Movie“, wo man die Comedy für eine Doku-Soap hält.

Montag vormittag verschickte die Pressestelle des Sender eine nüchterne Programmankündigung. Immerhin nicht erst nach der Ausstrahlung.

Die erste Folge der neuen Serie läuft am heutigen Mittwoch um 22.25 Uhr. Wenn Sie das wissen und schon ein bisschen Erfahrung haben im Fernsehgucken — wann, würden Sie tippen, läuft die zweite Folge?

Falsch. Sie läuft am morgigen Donnerstag um 22.30 Uhr. ((Ich habe in meinem Artikel im „Spiegel“ natürlich prompt den Fehler gemacht und behauptet, die Serie liefe immer mittwochs abends. Das hat leider nicht einmal die sonst fantastische „Spiegel“-Dokumentation gemerkt, der aber dafür — anders als mir — aufgefallen ist, dass der NDR nicht einmal weiß, wie die Hauptfigur seiner Serie heißt: Er heißt Heiko Schotte, nicht Schott. Aber das nur am Rande.)) Und Folgen 3 und 4?

Wieder falsch. Die laufen erstmal gar nicht. Weshalb der NDR die vierteilige Serie ohne erkennbare Ironie als „zweiteilige Serie“ ankündigt.

Nun könnte man denken, dass die Teile 3 und 4 vielleicht noch nicht fertig produziert sind. Oder dass sie nicht gut genug geworden sind, um sie auszustrahlen. Das stimmt aber nicht, denn der NDR hat sie bereits ausgestrahlt. Der NDR hat die komplette vierteilige Serie bereits ausgestrahlt. Dies waren die Sendedaten:

  • Folge 1: 23. Dezember, 3:30 Uhr
  • Folge 2: 25. Dezember, 5:00 Uhr
  • Folge 3: 26. Dezember, 4:30 Uhr.
  • Folge 4: 27. Dezember, 5:30 Uhr.

(50.000 Menschen sahen laut GfK die zweite Folge im Weihnachtsmorgengrauen. Das entspricht einem Marktanteil von 2,1 Prozent. In der jungen Zielgruppe waren es 30.000 Zuschauer und 1,8 Prozent Marktanteil. Wie viele davon bei Bewusstsein waren, gibt die Statistik wie üblich nicht her.)

Dass der NDR die Erstausstrahlung so kunstvoll versteckt hat, ist eher kein Versehen: Ich nehme an, dass die Sendungen aus Budgetverrechnungs- oder Abschreibegründen noch 2011 versendet werden mussten. RTL macht das so ähnlich. Die Leute sollen aber natürlich trotzdem die spätere, „richtige“ Ausstrahlung für eine Premiere halten. Damit die Aufmerksamkeit des Publikums maximiert werden kann.

Wenn man Aufmerksamkeit für das entsprechende Programm wecken wollen würde. Also, anders als augenscheinlich der NDR jetzt.

Aber es wäre womöglich auch Verschwendung, eigene Energien und die des Publikums zu vergeuden für einen lächerlichen Zweiteiler. Und einfach regulär vier Wochen am Stück kann das NDR-Fernsehen den „Tatortreiniger“ nicht zeigen, weil der Sendeplatz am späten Mittwochabend belegt ist. Hier wiederholt der NDR schließlich das „Großstadtrevier“, aktuell Folgen aus den Jahren 1999 und 2000.

Es ist ein unfassbares, allumfassendes Elend und vermutlich steckt nicht einmal böse Absicht dahinter, sondern die übliche Mischung aus Ahnungslosigkeit, Desinteresse und bürokratischen Zwängen.

Ich würde mich auch nicht so drüber aufregen, wäre nicht das, was der NDR da versteckt, so zauberhaft geworden. Die Schauspieler sind wunderbar; Bjarne Mädel gibt überzeugend einen bauernschlauen Malocher; die Geschichten handeln auf eine ganz und gar unpathetische Weise vom Sinn des Lebens im Angesicht des Todes; sie sind gleichzeitig zart und albern, überraschend und wahr. Ein größerer Teil der ersten Folge spielt mit der Erwartung, dass es in der nächsten Sekunde zum Oralverkehr zwischen den beiden Protagonisten kommen müsste, was besonders amüsant ist, wenn man es sich im Dritten Programm des NDR vorstellt. Und dann ist da noch der umwerfende Monolog, mit dem der Tatortreiniger der Prostituierten erklärt, warum Krawattenverkäufer wirklich ein total abwegiger Beruf ist.

Es ist bestimmt kontraproduktiv, übertriebene Erwartungen zu wecken, aber für mich war es die lustigste deutsche Serie, die ich seit langem gesehen habe. Dem geschätzten Kollegen Hans Hoff von der „Süddeutschen“ ging es ähnlich.

Die erste Folge ist auch auf der „Facebook“-Seite zur Sendung zu sehen.