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RTL sucht die Supershoweröffnung — und findet sie beim ESC

Es ist für eine so strunzunkreative Produktionsfirma wie die Grundy Light Entertainment vermutlich nicht leicht, sich für das groß gemeinte Finale von „Deutschland sucht den Superstar“ einen halbwegs orginell wirkenden Sendungsauftakt einfallen zu lassen. Und natürlich lässt sich jeder Macher bei der Arbeit von bereits Dagewesenem beeinflussen. Ich war dann aber trotzdem überrascht, als ich gestern gesehen habe, was die RTL-Leute sich bei der Show gestern zum Vorbild genommen haben — und in welchem Maße sie sich davon haben inspirieren lassen.

Wenn Sie bitte mal schauen und staunen mögen:

(Natürlich ist der DSDS-Beginn auch und erst recht 13 Jahre später nicht halb so cool wie das Opening des Eurovision Song Contest 2000 in Stockholm. Ich wär aber auch gern beim DSDS-Autorenbriefing dabei gewesen… „Und dann sollte der Off-Sprecher irgendetwas sagen, dass die Leute wissen, dass die Show jetzt beginnt.“ — „Da fällt mir schon was ein.“ — „Hauptsache, das Saalpublikum weiß, dass es dann sofort ausrasten muss.“ — „Läuft.“)

Die schlechten Menschen von „Deutschland sucht den Superstar“

Bei „Deutschland sucht den Superstar“ gibt es drei Gruppen von Menschen, deren Verhalten ich nicht verstehe.

Die erste sind die Leute, die das gucken. Siebeneinhalb Millionen haben die erste Folge der neuen Staffel gesehen – obwohl die Sendung so berechenbar, formelhaft und ausgewalzt ist wie kaum eine andere.

Das zweite sind die Leute, die da hingehen. Zigtausend Kandidaten hatten sich wieder beworben – obwohl sie wissen könnten, dass sie nur Rohmaterial für eine Maschinerie sind, die bestenfalls verspricht, nach einem absurden Aufwand und vielen Demütigungen, eine einzige erfolgreiche Single zu produzieren.

Das dritte sind die Leute, die das produzieren.

Über die ersten beiden Gruppen ist ausdauernd diskutiert worden. Über die Anziehungskraft der Show auf das Publikum und noch viel mehr über die Frage, ob man die Menschen, die dort mitmachen, vor sich selbst schützen müsste. Einige der Kandidaten, über die sich RTL ausführlich lustig macht, wirken geistig behindert. Aber erstens ist das kein klares Kriterium und zweitens keine Antwort auf die Frage, wie man mit ihnen umgehen müsste. Diese Leute dürfen, mutmaßlich, wählen, Geld ausgeben, heiraten, ihr Leben selbst bestimmen. Womöglich haben sie auch das Recht, sich vor der Nation zu Deppen zu machen.

Es ist wie beim alten Dilemma vom Zwergenweitwurf: Verstößt eine solche Veranstaltung gegen die Menschenwürde oder gehört zu dieser Menschenwürde, im Gegenteil, auch das Recht eines Zwergen, sich aus freien Stücken zum Objekt eines solchen Spektakels zu machen?

Mindestens so interessant finde ich aber eine andere Frage: Was sind das für Menschen, die mit Zwergen werfen wollen?

Auf „Deutschland sucht den Superstar“ bezogen, ist das natürlich diejenige der eingangs genannten Gruppen, deren Verhalten oberflächlich am einfachsten zu erklären ist: Leute arbeiten für „Deutschland sucht den Superstar“, weil sie damit Geld verdienen. Sie tun nur ihren Job.

Und doch verstehe ich diese Gruppe am wenigsten. Ich kann die Schadenfreude beim Gucken nachvollziehen, ich kann die Selbsttäuschung der Kandidaten erahnen, aber ich weiß nicht, wie verkommen man sein muss, um die Liebe einer todkranken Frau zu ihrem Sohn, der sie rund um die Uhr pflegt, als Mittel zu benutzen, um seine öffentliche Demütigung zu maximieren.

Der dreißigjährige Stefan hat nichts von einem Superstar, er hat nicht einmal etwas von einem RTL-„Superstar“. Er kann nicht singen; er ist, wenn er es vor der Jury versucht, eine lächerliche Figur. Andererseits bringt er eine ungewöhnlich tragische Lebensgeschichte mit sich.

Das ist eine ungewöhnliche Kombination von zwei Eigenschaften, die RTL für seine Show braucht, sonst aber streng trennt: Eigentlich sind es die Gewinner, die die persönlichen Schicksale mitbringen und dadurch noch bewundernswerter wirken.

Stefan erzählt Dieter Bohlen und den zwei Jurystatisten von seiner Liebe zur Musik und von seinem harten Leben. Nachdem er gesungen hat, bemühen sich die drei, ihm ungewöhnlich schonend beizubringen, dass er nicht in die nächste Runde kommt. Jedem Zuschauer ist klar, dass das milde Urteil nicht die wahre Leistung widerspiegelt, sonden rausschließlich Zeichen des Respekts ist vor dem persönlichen Schicksal des Kandidaten. Selbst Dieter Bohlen schafft es, eine menschliche Seite von sich zu zeigen.

Kurz.

Dann ist der Kandidat gegangen und Bohlen sagt zu der Frau neben sich: „Hätte er die kranke Mutter nicht, hätte ich ihn fertig gemacht.“

Das war den Zuschauern schon klar. Aber dass Bohlen es ausspricht und dass RTL es ausstrahlt, gibt dem ganzen eine andere Dimension. Bohlen schafft es, gleichzeitig zu betonen, dass er zu Mitleid fähig ist, und seine Mitleidslosigkeit zu demonstrieren, indem er dem Kandidaten und der Welt auf diesem Weg trotzdem noch mitteilt, dass er richtig scheiße war – nur damit da keine Missverständnisse bleiben.

Während des Auftrittes des Kandidaten hatte die Produktion ihre eigene Skrupellosigkeit bewiesen. Während er die letzten Zweifel, ob er wirklich so schlecht ist, wegsang, schnitt sie noch einmal die Aussagen seiner Mutter dazwischen, die sich wünschte, dass DSDS für ihn ein „Sprungbrett“ sein könnte, „weg von seiner kranken Mutter“. Mit billigstem Geigenkitsch und verdunkelten Zeitlupenaufnahmen hatten RTL und die Produktionsfirma Grundy die Geschichte der todkranken Frau, die im Rollstuhl sitzt und einen Sauerstoffschlauch trägt, vorher in Szene gesetzt – reiner Zynismus, wie sich herausstellte.

Während Stefan seine Talentlosigkeit zeigte, zeigte RTL noch einmal, wie seine Mutter schwärmte: „Stefan ist der neue Superstar. Und er hat das Talent.“

Diese Diskrepanz zwischen der Liebe und Hoffnung einer Mutter und der Realität wäre dem Zuschauer auch so schmerzhaft bewusst geworden, aber die Produzenten von „Deutschland sucht den Superstar“ gingen auf Nummer sicher und schnitten das direkt ineinander. Sie benutzten Stefan und seinen missratenen Auftritt, um seine kranke Mutter zu verhöhnen. Und sie nutzten die kranke Mutter und ihren verklärten Blick auf ihren Sohn, um Stefan zu verhöhnen.

Ganz unabhängig davon, wie der Kandidat das fand, der anscheinend dankbar war, dass er überhaupt teilnehmen durfte: Das muss man erst einmal tun wollen.

Das ist die Frage, die ich mehr als jede andere stelle, wenn ich „Deutschland sucht den Superstar“ gucke: Was sind das für Menschen, die an einer solch verkommenen Inszenierung mitwirken? Tom Sänger, der Unterhaltungschef von RTL, hat einmal gesagt: „Wir sind sehr darauf bedacht, die Akteure nicht zu beschädigen.“ Ich weiß nicht, ob das Zynismus ist. Oder ob man, wenn man lange genug in diesem Umfeld gearbeitet hat, abstumpft. Oder ob es doch einfach schlechte Menschen sind, die dort arbeiten.

(Den Auftritt kann man sich bei Clipfish ansehen.)

„Der Verlierer steht für immer im Schatten“: Das Weltbild von DSDS

Elf Minuten sind im Fernsehen eine lange Zeit. Elf Minuten sind eine halbe Sitcom-Episode. Oder, geschätzt, alle politischen Beiträge aus einer ganzen Woche „RTL aktuell“ zusammen genommen. Oder auch nur: ein einziger Monolog von Moderator Marco Schreyl in der Entscheidungsendung von „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS).

Um 0.04 Uhr am Sonntagmorgen bekam Schreyl den Umschlag, in dem das Ergebnis der Abstimmung über die beiden diesjährigen Finalisten stand. Um 0.15 Uhr verriet er den Sieger. Die Zeit dazwischen füllte der Sender, während die beiden Kandidaten mit hängenden Köpfen auf der Bühne standen und von der Kamera umkreist wurden, mit sphärischer Musik und einer Rede, die offenbar den Sinn hatte, den Zweitplatzierten in den Selbstmord zu treiben. Als realistische Alternative würde sich eigentlich nur ein Amoklauf noch im Studio anbieten.

Die künstliche Vergrößerung der Fallhöhe gehört von Anfang an zum Konzept von DSDS und steckt schon im Namen: Einen „Superstar“ hat „Deutschland“ in sieben Jahren noch nicht gefunden; am nächsten dran ist vermutlich Mark Medlock, der gerade zum Nachfolger von Jürgen Drews aufgebaut wird. Aber in ihrem Versuch, der natürlichen Abstumpfung des Publikums und Abnutzung der Superlative entgegenzuwirken, und die Schraube immer noch weiter anzuziehen, stoßen die Autoren der Sendung inzwischen an Grenzen. Oder genauer: Sie überschreiten sie.

Der elfminütige Monolog, den Marco Schreyl am Samstag vorlas, ist ein Beleg dafür, wie sehr bei RTL längst die Sicherungen durchgebrannt sind. Was jemand da Marco Schreyl auf die Moderationskarten geschrieben hat, ist nicht nur erschütternd in seiner Zeitschinderei, es ist nicht nur bekannt, falsch, dumm oder albern (all das ist es auch). Es feiert seinen eigenen Sadismus, einen brutalen Ausleseprozess, einen menschenverachtenden Sozialdarwinismus, auf eine Art, die man kaum anders als faschistoid nennen kann. Und die besonders zynisch wirkt, wenn man berücksichtigt, wie sehr diese Sendung und ihre Philosophie von jungen Zuschauern und feuilletonistischen Verteidigern als lehr- und hilfreiches Anschauungsmaterial dafür gesehen wird, wie unsere Gesellschaft funktioniert und was man tun muss, um in ihr etwas zu werden.

Wir dokumentieren den Abschlussmonolog von „Deutschland sucht den Superstar“ 2010 ungekürzt:

Und das also ist es: Das Ergebnis von Ihnen. Das Ergebnis der Zuschauer.

Deutschland hat entschieden. Das Ergebnis im Finale von Deutschland sucht den Superstar 2010. Was für ein dramatischer, einzigartiger Abend. Mehrzad Marashi und Menowin Fröhlich. Gleich ist eure Schlacht geschlagen.

Und ihr habt sie mit absolutem Einsatz ausgefochten, und zwar beide.

Und: Ihr habt uns ein traumhaftes Finale geschenkt. Ihr seid beide ziemlich harte Jungs und ihr kämpft hart. Und das ist gut so. Alles andere wäre eine Schande.

Dieses Duell heute ist persönlich. Jeder von euch ist für den anderen der Gegner, den ihr am meisten fürchtet. Ihr steht auf dieser Bühne so nah beieinander und seid euch doch so fern.

Kaum zu glauben, aber es ist noch gar nicht so lange her, da wart ihr Freunde. Beim Recall in der Karibik. Sogar noch in der ersten Motto-Show. Aber aus Freunden sind Feinde geworden. Mit dem absoluten Willen, den anderen zu besiegen.

Wer weiß, wenn ihr keine Kandidaten bei DSDS wärt, aus euch hätten richtig gute Kumpels werden können. Stattdessen wurdet ihr knallharte Rivalen. Und das musste so sein, wenn zwei große Talente wir ihr aufeinander treffen, zwei so starke Persönlichkeiten, und vor allem: Wenn es so unglaublich viel zu gewinnen gibt.

(Pause.)

Zwei grandiose Sänger, die mit jeder Faser ihres Körpers kämpfen, die diesen Titel dringender wollen als alles andere auf dieser Welt. Für Ausnahmetalente wie euch wurde DSDS erfunden. Ihr seid beide echte Performer, also genau das, was wir hier gesucht haben. Ihr singt und tanzt und geht aus euch heraus. An euch werden sich die künftigen Kandidaten messen müssen. Ihr zwei habt die Latte verdammt hoch gelegt.

(Pause.)

Dieser Abend wird für einen von euch ein völliger Neuanfang im Leben sein. Für den Sieger dieses Wettkampfs tut sich eine neue Welt aus. Er wird das, wovon Millionen träumen. Er – wird ein Star. Bei DSDS gibt es nicht einfach einen netten Hauptgewinn. Hier gibt es ein komplett neues Leben. Ein Leben XXL. Ein Leben in der Kategorie fünf Sterne plus.

(Pause.)

Für einen von euch wird dieses Märchen jetzt wahr. Ihr lebt beide bislang in eher bescheidenen Verhältnissen. Jetzt aber wird sich das ändern. Einer von euch wird jetzt der neue Superstar. Bekommt einen Plattenvertrag. Wird berühmt. Verdient locker Hunderttausende Euro. Kann seiner Familie ein sorgenfreies Leben bieten und als Vater seinen Kindern eine gute Zukunft ermöglichen.

Wenn sich der Sieger dieses Kampfes nicht dumm anstellt, wird er für lange Zeit ausgesorgt haben. Der Sieger bei DSDS bekommt: all das! Der Verlierer: nichts! Der Sieger steht im Licht. Der Verlierer steht für immer in seinem Schatten. Und das ist ein Schicksal, mit dem sich der Verlierer wahrscheinlich niemals versöhnen wird.

Ihr habt beide heute Abend gezeigt, dass ihr verstanden habt, um was es hier geht. Und dass es euch ernst ist. Dass ihr bereit seid, bis zur völligen Erschöpfung zu kämpfen; dass euch die Musik – dass euch eure Kunst! – heilig ist. Und: Dass ihr euer Publikum aus tiefstem Herzen verehrt.

(25 Sekunden Pause)

Das sind die Finalisten 2010. Das sind Mehrzad Marashi und Menowin Fröhlich.

(Pause.)

Mehrzad Marashi. 29 Jahre alt. Dieser Abend ist deine definitiv letzte Chance, dass aus deinem Traum von der Musik noch was wird. Seit 16 Jahren kämpfst und ackerst du, um dich als Sänger zu etablieren. Nichts hat funktioniert. Pleite, und ohne Zukunft. Als du zum Casting gekommen bist, warst du ganz unten. Aber von diesem Tag an ging’s für dich unaufhaltsam aufwärts. Mehrzad, du hast die Jury wieder und wieder begeistert. Du hast zuverlässig Top-Leistungen abgeliefert. Zuverlässig. Und. Top. Aus dem Mund eines Profis wie Dieter gibt es auf dieser Welt für einen Sänger kein größeres Kompliment. Du bist an die Spitze durchmarschiert und hast ganz nebenbei noch dein ganzes Leben umgekrempelt. Hast einen Sohn bekommen. Bist Vater geworden. Hast Deiner Denise einen Heiratsantrag gemacht. Und jetzt hast du noch einen zweiten großen Antrag gemacht. Du hast Deutschland um sein Ja-Wort gebeten. Das Ja-Wort zum Superstar. Und jetzt wartest du auf die Antwort: Liebeserklärung oder Laufpass.

Mehrzad, noch einmal tief durchatmen, in wenigen Augenblicken wirst du’s wissen.

Menowin Fröhlich, DSDS 2010 war die große zweite Chance, die du dir vom Leben gewünscht hast. Dein Weg hier bei uns war alles andere als gerade. Dein erster Anlauf bei DSDS hat hinter Gittern geendet. Aber du hast nicht aufgegeben, bist nicht abgerutscht, du hast an deinen Traum festgehalten. Hast an dir gearbeitet. Und hast einen zweiten Anlauf gemacht. Dass du ein sehr großes Talent hast, das haben wir alle schon vor vier Jahren gesehen. Diesmal haben wir erkannt: Der ist sogar noch besser. Der hat etwas, das nur ganz wenige haben. Soul im Blut. Musik in jeder Pore. Mit dem hat es der liebe Gott mal richtig gut gemeint. Zumindest, was die Musik angeht.

Dein Leben war bisher eine extreme Achterbahnfahrt. Es gab schwere Konflikte mit dem Gesetz; du warst auf der Flucht, hast während all dem drei Kinder gezeugt. Zu deiner Mutter jahrelang keinen Kontakt, manch einer würde sagen: Der packt das nicht. Aber du hast es gepackt. Bis hierher ins Finale. Und du hast dich mit deiner Mutter ausgesöhnt. Kleines Wunder. Und jetzt das nächste Wunder: Wird aus dem ehemaligen Häftling der Superstar 2010?

(Pause.)

Deutschland hat entschieden! Das sind sie, die Finalisten von DSDS 2010. Mehrzad Marashi und Menowin Fröhlich. Und die große Frage in Deutschland, wer wird Superstar 2010? Wessen Name werden wir uns merken. Welchen Namen werden wir vergessen? Wer feiert heute den größten Triumph seines Lebens?

(Pause.)

Mit 56,4 Prozent aller Anrufer.

(20 Sekunden Pause.)

Superstar 2010.

(Pause.)

Ist Mehrzad Marashi!

Soweit also Marco Schreyl. Und das hier ist in dieser Sekunde Menowin Fröhlich:

Der Sieger steht im Licht. Der Verlierer steht für immer in seinem Schatten. Und das ist ein Schicksal, mit dem sich der Verlierer wahrscheinlich niemals versöhnen wird.