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Der Wetter-Astrologe (2)

Aus der „Berliner Zeitung“ vom 1. Februar 2012:

Berliner Zeitung: Herr Jung, ganz schön eisig draußen. Frieren Sie?

Dominik Jung: Als Meteorologe bin ich vorbereitet, ich weiß ja, wie das Wetter wird. Unsere Langfristtrends haben schon im Oktober eine eisige Ostströmung für Januar und Februar angekündigt.

Dominik Jung ist der Redaktionsleiter und „Langfrist-Experte“ von wetter.net. Ich hatte seiner Kunst, das Wetter viele Monate im voraus in einer Weise vorherzusagen, die fast mit geschickten Würflern mithalten kann, vor zwei Monaten einen längeren Eintrag gewidmet.

Nachdem der meteorologische Winter abgeschlossen ist, lässt sich nun auch Bilanz seiner „Bild“-Prognose vom vergangenen Oktober ziehen, die kurz lautete: „Dieser schneereiche Winter wird sich wohl über die ganzen drei Monate bis ins Flachland erstrecken“ und im Detail so aussah:

Gelb eingetragen sind die jeweiligen Höchsttemperaturen für Frankfurt/Main. Die Maßstäbe sind nicht ganz identisch, weil die Original-Grafik in sich nicht maßstabsgetreu ist, aber ich glaube, für ein grobes Urteil über die Seriosität der Langfristprognose von wetter.net reicht’s.

Bereits im September hatte Jung gewarnt, aufgrund des bevorstehenden besonders strengen Winters drohe der „große Blackout“. Aufgrund einer angeblichen „Prognose“ hatte wetter.net damals weisgesagt, der Winter 2011/2012 werde 1,2 Grad kälter ausfallen als das langjährige Mittel. Er war laut Deutschem Wetterdienst DWD 0,8 Grad wärmer als das langjährige Mittel.

Der Wetter-Astrologe

In Hamburg, Köln und Berlin wurden am 2. Weihnachtstag mehr als zehn Grad gemessen. Es ist warm in Deutschland.

So warm, dass der Online-Auftritt von „Bild“ von einem „Tropenwinter“ spricht. Dabei sind die Temperaturen auch ein persönlicher Affront gegen das Blatt. Offenbar will sich das Wetter partout nicht an den Trend halten, den „Bild“ Ende Oktober vorgegeben hatte:

(Die warmen Tage der vergangenen Woche sind das, was auf der Grafik mit dem tiefsten roten Punkt, der Schneewolke und dem blauen „-12°C“ beschriftet sind.)

Seit einiger Zeit veröffentlicht die „Bild“-Zeitung alle drei Monate solche Langfristprognosen über das Wetter. Sie denkt sie sich nicht selber aus, sondern lässt sie sich ausdenken von den Experten von wetter.net.

Redaktionsleiter von wetter.net ist Dominik Jung. Er bezeichnet sich als „Diplom-Meteorologe und Langfrist-Experte“. Er lässt sich nicht davon beirren, dass seriöse Meteorologen sagen, man könne das Wetter gar nicht für mehrere Monate im Voraus vorhersagen. Er hat vor zehn Jahren ein Langfristmodell entwickelt, das er „Prognostica Magna“ nennt und für einen Erfolg hält.

In publizistischer Hinsicht stimmt das sicher. Jung und sein kommerzieller Wetterdienst, der zur Firma Q.met gehört, schaffen es mit ihren Langfristtrends immer wieder in die Medien. Sie erscheinen nicht nur regelmäßig in „Bild“, Bild.de und „Bild am Sonntag“, sondern wurden u.a. auch von „Focus Online“, „Freier Presse“, „Express“, „Berliner Zeitung“, „tz“, „Wiesbadener Kurier“ und dpa erwähnt.

Aber die Zukunft vorherzusagen, ist leicht. Das Kunststück besteht darin, sie richtig vorherzusagen.

Nun:

  • Für Anfang Dezember 2010 hatte wetter.net in „Bild“ Temperaturen von plus zehn bis 15 Grad vorausgesagt. Tatsächlich herrschte in ganz Deutschland zu dieser Zeit Dauerfrost. Das Land lag unter einer geschlossenen Schneedecke. Auch die außerordentlich schneereichen Tage um Weihnachten herum ließen sich aus der wetter.net-Langfristprognose nicht erahnen.
  • Dafür sagte wetter.net für den Januar Dauerfrost vorher. Nun aber war es vor allem Mitte des Monats sehr mild. Die Temperaturen sanken erst Ende Januar / Anfang Februar — genau in dem Zeitraum, für den wetter.net mildes Wetter vorhergesehen hatten.
  • Der Februar 2011 sollte laut wetter.net klirrend kalt werden. Er war zwei Wochen lang sehr mild.
  • Die Langfristprognose für den Juli: „überdurchschnittlich warm“. Tatsächlich lagen die Temperaturen fast überall unter dem langjährigen Mittel.
  • Für Mitte Juli hatte wetter.net vorausgesehen, dass die Temperaturen die 40-Grad-Marke erreichen; auch der August sollte „heiß und trocken beginnen“. Die Abweichungen zwischen der Vorhersage und der tatsächlichen Temperatur betrugen in diesem Zeitraum teilweise 20 Grad.
  • Dann war da der November 2011 — ein Monat, der eher zu warm war und extrem trocken und der mit außerordentlich hoher Sonnenscheindauer für Furore sorgte. Die Aussichten von wetter.net lauteten: Der „graue Monat“ werde „besonders dunkel ausfallen und auch bei der Sonnenscheindauer unter dem langjährigen Schnitt landen.“
  • Laut wetter.net-Prognose hätte bereits Ende November der Winter beginnen sollen. Für Dezember, Januar und Februar kündigte Dominik Jung einen „schneereichen“ und „knackig kalten“ Winter an. Die Chancen auf weiße Weihnachten stünden gut. Tatsächlich war der Dezember bekanntlich außerordentlich warm; der große Schnee blieb bislang aus.

Natürlich lag Jungs „Prognostica Magna“ keineswegs immer daneben — das wäre aber auch schon rein statistisch nicht anzunehmen.

Jung sagt, seine „Langfristtrends“ seien nicht so genau wie Wettervorhersagen, gäben aber „die Marschrichtung vor“. Gegenüber der Fernsehzeitschrift „Gong“ gab er die Trefferquote dieser „Trends“ mit „65 bis 70 Prozent“ an. Wenn er ein bisschen großzügig rechnet, was noch als „Treffer“ gilt, ist er damit gar nicht so weit von der fünfzigprozentigen Trefferquote entfernt, die ich mit meiner erfundenen „Prognostica Gorilla“ erziele, deren Vorhersagen im Wesentlichen auf einer Auswertung beruhen, ob die tägliche Exkrementmenge eines Dutzend speziell dafür trainierter Affen eine gerade oder ungerade Zahl Pfund wiegt.

Bereits Mitte September hatte Jung für Deutschland den „vierten zu kalten Winter in Folge“ prognostiziert und versucht, den PR-Effekt noch zu verstärken, indem er Fallhöhe und Zahl der Konjunktive erhöhte: Er malte sich aus, was möglicherweise passieren könnte, wenn das, was er aus seinen Karten las, einträfe:

Droht uns diesen Winter der große Blackout?

(…) „Der Jahreszeitentrend unseres Langfristmodells Prognostica Magna geht für die Wintermonate Dezember, Januar und Februar erneut von einem ‚zu kalten‘ Winter aus. (…) Das wäre der vierte zu kalte Winter in Folge und damit eine kleine Sensation.“ (…)

Der kommende Winter könnte somit nach der Projektion von WETTER.NET das von den Strombetreibern angemahnte Szenario schneller wahr werden lassen, als uns lieb ist. Durch die Kälte würde der Stromverbrauch erneut sprunghaft in die Höhe schnellen. Und das nicht nur in Deutschland. Auch unsere unmittelbaren Nachbarn wären betroffen und müssten mit höherem Stromverbrauch rechnen. (…)

Jungs Warnung: Dieser Winter kann ziemlich „heiß“ werden — allerdings nur im übertragenen Sinn! Der Winter startet Ende November und es gibt in Deutschland noch viel zu tun!

(Kann natürlich sein, dass ich Jung unrecht tue und er hier gar nicht PR für seine Firma macht, sondern für die Atomstromlobby der Energiekonzerne.)

Die Leute von wetter.net veröffentlichten sogar eine Infografik, aus der eine genaue „Mitteltemperatur für den Winter in Deutschland“ hervorgeht (minus 1 Grad und damit 1,2 Grad unter dem langjährigen Mittel).

Jung schreibt mir auf Nachfrage, jedes Medium werde von wetter.net bei den Langfristprognosen „ausführlich auf die Unsicherheiten hingewiesen. Wir argumentieren hier immer mit entsprechenden Eintreffwahrscheinlichkeiten.“ Angesichts seiner eigenen Pressemitteilungen, die weitgehend ohne solche Warnungen und Argumente auskommen, ist es unwahrscheinlich, dass das stimmt.

Er räumt ein, dass es „derzeit für meinen Wintertrend in der Tat nicht gut aussieht“ — im Gegensatz zu den drei vorangegangenen Jahreszeiten, bei denen er „durchaus eine gewisse Trefferquote sieht“. Ein abschließendes Urteil über die Winterprognose sei aber erst am 1. März 2012 möglich.

Jung meint deshalb auch nicht, dass seine ausführliche Warnung vor Stromengpässen und Problemen bei der Bahn (die „mächtig in die Bredouille geraten dürfte“) voreilig gewesen sei.

Natürlich kann das alles noch kommen, der Horrorwinter, das Schnee- und Energiechaos, vielleicht Ende Januar, womöglich im Februar, sogar im März. Falls ja, wird Jung das sicher als Beweis dafür verkaufen, dass sein Modell funktioniert. Falls nicht, dann eben den nächsten Frühling, Sommer oder Herbst, wann immer er mal wieder richtig liegt.

Jung legt Wert auf die Feststellung, dass die Langfristprognosen nichts mit den Wettervorhersagen zu tun haben, die sein Unternehmen Medien und anderen Kunden verkauft:

Das Thema Langfristtrend läuft bei uns quasi als kleiner Bereich nebenher. Wir haben dafür in den letzten Jahren ein entsprechendes Modell entwickelt bzw. arbeiten daran. Fertig wird man mit so etwas bekanntlich nie, da man immer nur versuchen kann die Qualität hier und da etwas zu verbessern.

Unsere Trends stellen wir dann kostenfrei allen unseren Kunden regelmäßig zur Verfügung. Wie diese dann weiterverarbeitet werden, obliegt den jeweiligen Redaktionen.

Das klingt nach einem erstaunlichen Konzept: mit kostenlosen halbseidenen Prognosen Aufmerksamkeit zu wecken, um damit Kunden für seriösere Arbeiten zu gewinnen. Falls das funktioniert, dann nur deshalb, weil vielen Medien letztlich egal ist, ob die spektakulären Prognosen von Jung je eintreten. Für sie zählt nur, dass es spektakuläre Prognosen sind. Wer anbietet, was die Konkurrenz nicht anbietet, weil sie es für unseriös hält, hat es nicht schwerer, sondern leichter, in die Medien zu kommen — nicht nur in die „Bild“.

Jörg Kachelmann, dessen Firma Meteomedia ein Konkurrent von wetter.net ist, arbeitet sich auf Twitter schon seit einiger Zeit an Jungs schiefen Prognosen ab. Jung prahlte damit sogar in einer Pressemitteilung und schrieb: „Erst vor kurzem hatte Alt-Wettermann Jörg Kachelmann voller Neid gegen Jung´s erfolgreiche Langfristtrends gewettert.“

Kachelmanns Attacken sorgten im Frühjahr schon einmal für Nachrichten — brachten aber die meisten Journalisten nicht dazu, herausfinden zu wollen, ob vielleicht eine Seite recht hat. Viele Medien interpretierten das einfach als eine Art Zickenkrieg: „Bild am Sonntag“ suggerierte böswillige Rufschädigung und unterstellte „Eitelkeiten“ (und vergaß natürlich den Hinweis, dass man selbst Partei ist weil wetter.net dem Blatt die Wetterdaten liefert).

RTL vermutete sendertypisch gehässig-ahnungslos: „Ist das Neid oder kann der gefallene Wetterkönig Kachelmann seinen Imageschaden nicht verschmerzen?“ und urteilte schlicht: „Jörg Kachelmann sorgt mal wieder für Negativ-Schlagzeilen.“

Ein Wetter-Astrologe, der die Zukunft falsch aus dem Kaffeesatz liest, tut das erstaunlicherweise nicht.

[Offenlegung: Jörg Kachelmann hat hier mal einen Gastbeitrag geschrieben.]