Schlagwort: Einslike

Ein Jugendfilter für die ARD

Gestern war ein großer Tag für das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Deutschland. Seit gestern können junge Leute endlich die vielen Inhalte finden, die die ARD unermüdlich für sie produziert. Seit gestern gibt es die Möglichkeit, sich mithilfe eines Filters gezielt Videos in der ARD-Mediathek anzeigen zu lassen, die von den jeweiligen Sendern als prinzipiell junge-Leute-tauglich eingestuft wurden.

Es handelt sich um den Reiter „Einslike“, der neuerdings neben „Fernsehen“ und „Radio“ die Inhalte in der ARD-Mediathek gliedert. (Falls Sie ihn nicht finden, sind Sie vermutlich versehentlich in der DasErste-Mediathek, das ist was anderes.)

Dass sich hinter den Begriff „Einslike“ jung gemeinte Inhalte verbergen, erschließt sich der Zielgruppe anscheinend von selbst. Als einzige Hinweise auf der Seite bietet die ARD die Duzung des Publikums im Teaser („Eure Lieblingsvideos jetzt in der ARD Mediathek“) und die Kombination aus Lippenpiercing und der Farbe Pink. Aber sobald man draufklickt, wird es natürlich unmissverständlich jugendlich, denn statt des gediegenen-glatten ARD-Blaus liegt nun abblätternder farbig besprühter Putz hinter den Videos:

Das zu entwickeln, hat kaum mehr als fünf Jahre gedauert.

Im Frühjahr 2008 hatte das Aufsichtsgremium der ARD, die Gremienvorsitzendenkonferenz, ein „Jugend-Forum“ organisiert und „im Nachgang“ empfohlen, die vorhandenen jugendaffinen Inhalte der ARD im Internet zu bündeln. „Angesichts niedriger und zudem sinkender Marktanteile bei der jüngeren Zielgruppe“ baten die Gremienvorsitzenden die Intendanten damals, „eine Gesamtstrategie für eine erfolgreiche Ansprache junger Menschen zu entwickeln“ und forderten ein „energisches Gegensteuern unter Nutzung der Chancen in der digitalen Welt“.

Angesichts der Dringlichkeit floss das Projekt „Filter ‚Junge ARD'“ dann in die Planungen der Sender für die nächsten Jahre ein. Entsprechend euphorisch verkündete Ruth Hieronymi, die WDR-Rundfunkratsvorsitzende und damalige Gremienvorsitzendenkonferenzvorsitzende (mein absolutes Lieblingsamt bei der ARD) im November vergangenen Jahres, dass ein Start des Filters nun unmittelbar fast bald… also, jedenfalls, dass einem Start noch 2013 nichts mehr im Wege stehe. („Neue Angebote für junge Publikumsgruppen erfolgreich eingefordert“ lautet die Überschrift über dem entsprechenden Absatz in der Bilanz der GVK 2012, was hübsch schillert, weil angemessen offen bleibt, ob sich das „erfolgreich“ auf die Erfüllung der Forderung bezieht oder doch ihr bloßes Aussprechen.)

Die Federführung für das Projekt übernahm der Mikrosender Radio Bremen, dessen Intendant Jan Metzger sich damals mit den Worten zitieren ließ:

„Ich freue mich sehr, dass dieses Projekt für die Jungen jetzt realisiert wird und dass wir mit der TagesWEBschau, der kleinen Schwester der Tagesschau, unser Experiment für die Jungen fortsetzen können.“

Im Nachhinein war das eine unglückliche Formulierung, denn ein paar Monate später beschlossen die Intendanten, die „TagesWEBschau“ einzustellen. Sie beauftragten Radio Bremen und ARD-aktuell aber, „das erworbene Know How und die gemachten Erfahrungen für die Entwicklung von Nachrichten-Angeboten für eine junge Zielgruppe weiter zu nutzen. Entsprechende Überlegungen sollen den Intendantinnen und Intendanten im Herbst vorgelegt werden.“ Don’t hold your breath, wie der Engländer sagt.

Aber immerhin ist ja nun der Filter für die ARD-Mediathek fertig und Metzger sagt ohne erkennbare Ironie:

„Die ARD redet nicht nur über die Ansprache junger Zielgruppen, sie tut auch was.“

Nun weiß ich nicht im Detail, wie die Verantwortlichen und Nicht-Verantwortlichen in den ARD-Rundfunkanstalten die fünf Jahre genutzt haben — überwiegend wohl klassischerweise damit, das Schlimmste zu verhindern. („Der Filter ist in enger Zusammenarbeit von Hörfunk, Fernsehen und der Redaktionskonferenz Online erarbeitet worden“, protokollierte der WDR in seinem „Schlussbericht der geschäftsführenden Anstalt der ARD“ Ende 2012.) Trotzdem sind einzelne, nicht ganz unwesentliche Entscheidungen anscheinend auf merkwürdige Art in letzter Sekunde getroffen worden, zum Beispiel die Benamsung des Dings. Ein größerer Teil der gebündelten Videoclips ist in der Mediathek als „#jung“ verschlagwortet, was ein ähnlich unglamouröser, aber dafür selbsterklärender Name für die Rubrik gewesen wäre, die nun aber auch zur Verwunderung vieler an dem Projekt Beteiligter plötzlich nicht „#jung“, sondern „Einslike“ heißt.

Na, Wurscht, Hauptsache die jungen Leute können nun endlich… tja, was eigentlich? Auf eine Seite gehen, auf der ohne erkennbare redaktionelle Leistung irgendwelche Bewegtbilder aus den einzelnen Sendern einlaufen. Unerklärte Schnipsel aus der Online-Videoproduktion der ARD-Jugendradiowellen; die grauenhafte neue Gameshow von einem der beiden ARD-Jugendkanäle Eins Plus; die von jungen Leuten gemachte schöne, neue Dokureihe des NDR-Fernsehens; ein „Tagesschau“-Beitrag über einen neuen Bundesliga-Trainer; die aktuelle Folge „Zimmer frei“; ein Spielfilm, der, öh.

Anscheinend hat N-Joy am Wochenende ein Konzert präsentiert, weshalb sich viele Witzigkeitsversuche der Moderatoren vor der Kamera in der „Einslike“-Mediathek stapeln, aber abgesehen von der vermutlich unbeantwortbaren Frage „Warum?“ bleiben auch „Wer?“, „Was?“ und „Wo?“ offen. Oben auf der Seite weisen Teaser womöglich auf Highlights hin, erklären, leiten, bündeln aber auch nichts.

Der Gedanke, dass dieses unsortierte Programmgeröll als „Einslike“ eine Anlaufstelle für das furchtbar vermisste junge Publikum der ARD werden könnte: Ich würde ihn weltfremd nennen. Aber die Gremienvorsitzendenkonferenz der ARD meint, dass damit „ein weiterer Baustein innerhalb des notwendigen Gesamtmaßnahmenpakets zur Ansprache jüngerer Publikumsgruppen erreicht worden“ sei, und die müssen’s nach all den Jahren ja wissen.