Schlagwort: Europa

Die verrückte EU will uns das teure Kaffeeverschmurgeln verbieten!

Die „Bild am Sonntag“ kämpft für eine Welt, in der Kaffeemaschinen den fertigen Kaffee solange weiter erhitzen dürfen, bis er zu einem dicken Brei aus Bitternis geröstet wurde. Eine Welt, in der Kaffeemaschinen mit Thermoskannen auch nach dem Ende des Brühvorganges noch unbegrenzt eingeschaltet bleiben, vielleicht, weil das Lämpchen so ein schönes rotes Licht macht.

Ich würde ja dazu tendieren, jemanden, den dafür kämpft, für irre zu halten. In der Art, wie wir und unsere Medien über Europa diskutieren, sind aber nicht diese Leute irre, sondern Gesetze gegen eine solche Stromverschwendung.

Und so wärmt die „Bild am Sonntag“ heute noch einmal „Die fünf verrücktesten EU-Verordnungen“ auf; „absurde Blüten“, die die „europäische Regelungswut“ treibt.

Offenbar gibt es nicht so wahnsinnig viele verrückte EU-Verordnungen, sonst würden die Journalisten nicht immer wieder die gleichen aufschreiben. Andererseits müssten sie neue Beispiele erst einmal mühsam recherchieren statt sie irgendwo abzuschreiben. Und womöglich funktionieren „Kaffeemaschinen“ und „Staubsauger“ inzwischen als Begriffe beim Leser schon ähnlich als Trigger der EU-Verachtung wie früher die Gurken. Man will den Leser ja nicht unnötig mit etwas konfrontieren, das er noch nicht weiß.

Jedenfalls, also, natürlich: die Kaffeemaschinen. Eine der fünf „verrücktesten EU-Verordnungen“ ist laut „Bild am Sonntag“ (und ungezählten deutschen Medien vor ihr) die Richtlinie, wonach sich ab 2015 Maschinen mit Isolierkanne fünf Minuten nach Ende des Brühvorgangs abschalten sollen, Maschinen ohne Isolierkanne 40 Minuten danach.

Das Verrückte ist, dass die Medien uns so lange schon die Geschichten von der „Regelungswut der EU“ und ihren „verrückten Verordnungen“ erzählen, dass sie nicht einmal mehr erklären müssen, was daran nun verrückt ist. Dass man seinen Kaffee nicht mehr endlos verschmurgeln lassen kann? Im Ernst?

Wäre es irgendwie besser, wenn es nicht die EU wäre, die solche Regeln forciert, sondern die Bundesregierung? Ach guck mal, tut sie sogar.

Oder ist das Verrückte an dieser Regel, dass sie so läppisch und bedeutend ist, dass kein Parlament und kein Verwaltungsapparat damit seine Zeit verschwenden sollte? Laut der Vorschrift könnte die Begrenzung der Einschaltzeit bei Kaffeemaschinen bis 2020 zu zusätzlichen Strom-Einsparungen von mehr als 2 TWh pro Jahren führen. Zum Vergleich: Das entspräche rund einem Sechstel des jährlichen Stromverbrauchs der Stadt Hamburg.

Wenn wir uns einigermaßen darauf einigen können, dass wir Energie sparen und nicht verschwenden wollen, ist diese Sache nicht ein wunderbarer Mosaikstein? Dessen einzige Konsequenz für unseren Alltag mutmaßlich darin besteht, dass wir den Filterkaffee aus der Glaskanne im Büro nachmittags nicht mehr wegschütten, weil er ungenießbar ist, sondern kalt.

Das erste Beispiel für die EU-Verrücktheiten, das die „Bild am Sonntag“ recherchiert hat wiederholt, ist natürlich die Staubsauger-Sache, die vor ein paar Wochen schon absurderweise die Gemüter erhitzt hat.

1. Staubsauger ohne Puste

Staubsaugern geht nach dieser neuen EU-Verordnung (Nr. 666/2013) spätestens ab Herbst 2014 die Puste aus: Die maximale (Nenn)leistung muss ab dann unter 1600 Watt liegen, ab 2017 sogar unter 900 Watt. Das soll „Ökodesign-Anforderungen“ erfüllen. Und das, obwohl bislang ein Staubsauger dann als gut galt, wenn er eine möglichst hohe Saugkraft, sprich Wattzahl hatte.

Das „galt“ in dem letzten Satz ist verräterisch. Anscheinend hat selbst die „Bild am Sonntag“ schon davon gehört, dass die Leistung beim Saugen gar nicht entscheidend ist. Seit Jahren weist etwa die Stiftung Warentest darauf hin, dass nicht die Kraft des Motors entscheidend ist, sondern die Konstruktion des Gerätes. Testsieger Anfang des Jahres wurde ein Modell, das mit 870 Watt auskam.

Trotzdem gab es in den vergangenen Jahren ein regelrechtes Wattrüsten. Die EU schätzt, dass der jährliche Stromverbrauch der Staubsauger in Europa vo 18 TWh 2005 auf 34 TWh 2020 ansteigen könnte. Laut einer Studie, die der Regulierung vorausging, könnte dieser Stromverbrauch „erheblich gesenkt werden“.

Und die „Bild am Sonntag“ findet es „verrückt“, die Leistung zu begrenzen, weil sie bislang als Qualitätsmerkmal „galt“? Weil die Menschen fälschlicherweise annahmen, dass ein Gerät mit mehr Watt besser saugt? Regulierungen sollen also dann nicht erlassen werden, wenn sie den — falschen — Vorurteilen der Konsumenten widersprechen? Waaaaaa!

Nochmal: Wer ist hier verrückt?

Die neue EU-Richtlinie sieht auch vor, dass Staubsauger zukünftig von Teppichboden mindestens 70 Prozent, von Hartböden mindestens 95 Prozent des Staubes entfernen. Ist das nicht verrückt? Lasst uns dafür kämpfen, dass uns die Industrie auch in Zukunft Geräte andrehen darf, die nur 50 Prozent des Staubes schaffen! Oder noch weniger! Freiheit für den Staub!

Und dann wärmt die „Bild am Sonntag“ natürlich auch nochmal die „Pizza Napoletana“ auf, die in den vergangenen Wochen steile Medienkarriere gemacht hat:

5. Gesetz oder Rezept?

„Mehl, Wasser, Salz und Hefe werden vermischt. 1 Liter Wasser wird in die Knetmasse gegossen, darin werden 50 bis 55 Gramm Meersalz aufgelöst und etwa 10 Prozent der vorgesehenen Gesamtmenge Mehl hinzugegeben. Danach werden 3 Gramm Bierhefe aufgelöst, die Knetmaschine wird in Gang gesetzt und nach und nach werden 1,8 Kilo Mehl W 220-380 bis zum Erreichen der gewünschten Konsistenz hinzugegeben, die als punktgenau richtiger Teig bezeichnet wird. Dieser Vorgang muss 10 Minuten dauern …“ Was sich hier wie das Geheimrezept einer italienischen Mama liest, ist in Wahrheit knallharter Gesetzestext der EU-Verordnung Nr. 97/2010. Der definiert für alle Europäer eine „Pizza Napoletana“.

Hintergrund dieser Beschreibung ist, dass das italienische Landwirtschaftsministerium einen Antrag gestellt hat, diese Pizza mit einem EU-Qualitätskennzeichen als „garantiert traditionelle Spezialität“ auszeichnen zu lassen.

Ziele dieser Spezialitätenverordnung sind:

  • die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse nachhaltig zu unterstützen,
  • Qualität von Lebensmitteln dauerhaft zu gewährleisten
  • Missbrauch und Nachahmung von Produktbezeichnungen zu unterbinden sowie
  • den Verbrauchern eine Orientierungshilfe zu geben, die sie vor Irreführung schützt.

Den Verbraucher vor Irreführung schützen, wie lächerlich und verrückt ist das! Man mag ja die detaillierte Beschreibung merkwürdig finden (und muss sie als Konsument auch nicht verstehen). Ich bin mir sicher, dass es daran im Detail viel zu kritisieren gibt. Aber ist das nicht prinzipiell in unserem Sinne, dass wir uns als Verbraucher darauf verlassen können, dass wenn „Pizza Napoletana“ drauf steht, auch „Pizza Napoletana“ drin stecken muss?

Zu den EU-Qualitätskennzeichen gehören übrigens auch geschütze Ursprungsbezeichnungen. So sind — auf Antrag deutscher Herstellerverbände — zum Beispiel die Bezeichnungen „Bayerische Breze“, „Dresdner Christstollen“ oder „Schwäbische Spätzle“ geschützt. Ist das verrückt? Und wollen Sie mal lesen, wie das dann im Detail klingt?

Bei Schwäbische Spätzle/Schwäbische Knöpfle handelt es sich um eine Eierteigware aus Frischei mit
Hausmachercharakter, unregelmäßiger Form und rauer, poriger Oberfläche, bei welcher der zähe Teig direkt in kochendes Wasser/Wasserdampf eingebracht wird.

Bayerische Brezen sind ein traditionelles Laugengebäck, die im Verkehr auch als Bayerische Brezn, Bayerische Brez’n und Bayerische Brezel bezeichnet werden. In der Form ähnelt (und symbolisiert) die Breze zum Beten verschränkten Armen. Diese Form ergibt sich aus dem Schlingen (Übereinanderschlagen) eines dünn ausgerollten Teigstrangs mit Doppelknoten im Mittelteil, wobei die beiden Enden des Strangs in einem Abstand an den dickeren Brezenbogen angedrückt sind, dass möglichst drei gleichmäßig große Felder entstehen. Typisch für das Aussehen einer Bayerischen Laugenbreze ist die satt-glänzende, kupferbraune Krustenfarbe, zu der die beim Backen entstandenen wilden Risse im Brezenbogen einen hellen Kontrast bilden.

Wertbestimmend für den Genusswert ist der laugige Geschmack in Verbindung mit dem röschen, kurzen Bruch der Breze sowie die wattige, noch weiche Beschaffenheit der Krume beim Verzehr.

Es gibt sie in verschiedenen Varianten und Größen, meist mit grobem Salz bestreut. Alternativ können aber auch Mohn, Sesam und Kürbis- oder Sonnenblumenkerne und Käse verwendet werden. Die Kruste der Breze ist dünn, kastanienbraun und glänzend gebacken. Der Teig dagegen ist saftig, zart und hell.

Klicken Sie sich gern mal durch die Datenbank. Ich verspreche Ihnen Stunden voller Spaß.

Und das gute Gefühl, dass sich vor Ihnen ungefähr kein Journalist hierhin verirrt hat, der einfach nur die Pizza-Napoletana-Sache irgendwo abgeschrieben hat, um billige Ressentiments seiner Leser gegen die EU zu bedienen und zu schüren.