Am Dienstag vergangener Woche meldete „Focus Online“ an prominentester Stelle, dass ein islamisches Bündnis in Duisburg getrennte Schwimmzeiten für Muslime im Hallenbad fordere. Die Geschichte ist über ein halbes Jahr alt und überholt: Die Stadt hat den Vorschlag längst abgelehnt.
„Focus Online“ hat einen Artikel aus der WAZ vom Februar genommen und den Inhalt einfach als neu ausgegeben. Inzwischen steht unter dem Text eine als „Update“ verbrämte Korrektur.
Man könnte das für einen peinlichen Fehler halten. Für „Focus Online“ ist es ein großer Erfolg. Die alte, überholte Geschichte wurde in den sozialen Netzwerken zehntausendfach geteilt. Laut der Auswertung von Storyclash war es die siebtmeistgeteilte Medien-Geschichte der vergangenen Woche in Deutschland.
Mit dem Satz „Soweit kommt es noch“ verbreiteten verschiedene Pegida-Ableger das „Focus Online“-Stück auf Facebook. Die AFD machte es zum Teil ihrer „Herbstoffensive 2015“:
Auf der Facebook-Seite von „Focus Online“ kommentierte die „Focus Online“-Leserschaft u.a. so:
Seid wann haben die Forderungen zu stellen???
Ich kann nur noch die Frage stellen „“ Was verlangt dieses PACK eigentlich noch alles von uns „“ ?
Ihr seit zu gast in Deutschland wenn ihr das nicht möchtet dann geht zurück in euer Land eigene Schwimmzeiten sind wir Christen so schmutzig aber euere Männer gehen mit Christen ins bett da kann ich nur PFUI sagen
Was mich ganz furchtbar ärgert, ist die Tatsache, dass Muslime immer nur fordern. Die haben hier nichts zu fordern!
Ich glaube, wir sind hier im Irrenhaus. Wo lebe ich denn? Ist das hier noch Deutschland oder bin ich in der Nacht im Schlaf abtransportiert worden in den Orient? Langsam geht mir diese Quatscherei von Muslime derart auf die Nerven und diese Feigheit von uns selber. Ja, ich bin Deutsche und esse Schweinefleisch und ja, ich rauche und trinke Alkohol und ja ich liebe „Negerküsse“ und ja ich esse „Zigeunerschnitzel“ und ich bin Christ. Leck mich am Arsch mit den Luftballonträgern, ich kann es nicht mehr hören.
Bitte schickt dieses Volk zurück in seine so friedvolle Heimat, in der ja alles so perfekt zu sein scheint, was wohl vergessen wurde!!!
Es ist wirklich lächerlich!!!!!
man sollte das Bad enteignen und NUR Muslime baden lassen. Für uns reicht es völlig wenn wir alles zahlen dürfen – mehr Bildung würde dem Islam nicht schaden – und jedem ein BMW und geregeltes Harz 4 Einkommen dazu
Zum großen und wachsenden Erfolg von „Focus Online“ in den sozialen Medien trug in der vergangenen Woche auch ein Video bei, das ursprünglich unter dem Titel „De Maiziére sagt: ‚Wegen Flüchtlingen müssen wir die Bildungsstandards in Deutschland senken'“ von „Focus Online“ verbreitet wurde. Auf der eigenen Facebook-Seite moderierte die Redaktion es süffisant mit den Worten an: „Er bezeichnet es als ‚Improvisation'“.
Grundlage für das Video ist eine Meldung der Katholischen Nachrichtenagentur KNA vom 5. November, die lautete:
De Maiziere: Müssen bei Ausbildungsstandards improvisieren
Berlin (KNA) Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) sieht angesichts der weiter steigenden Zahl an Flüchtlingen und Asylbewerbern die Notwendigkeit für mehr Improvisation. Deutschland könne etwa an Schulen oder bei der beruflichen Ausbildung derzeit kaum an seinen Standards festhalten, erklärte der Minister am Donnerstag in Berlin. Das bedeute nicht eine „dauerhafte Absenkung von Standards“, sondern sei ein „improvisierter, mit gesundem Menschenverstand“ gewählter Zugang zu Lösungen.
Grundsätzlich sei es wichtig, Menschen möglichst schnell in Arbeit zu bringen. Er sehe aber keinen Grund, neue Regeln für legale Erwerbsmigration zu schaffen, betonte der Minister.
Aus der expliziten Ablehnung einer dauerhaften Absenkung von Standards macht „Focus Online“ also in der Überschrift die Forderung nach einer Absenkung der Standards. (Inzwischen wurde nachträglich in die Überschrift ein „kurz“ eingefügt. Beim Schwesterangebot „Huffington Post“ ist die Faktenverdrehung noch original.)
Zu denen, die dieses Video auf Facebook teilen und damit „Focus Online“ zum stolzen Social-Media-Überflieger machen, gehören Leute, die dazu schreiben:
was Deutschland fehlt ist ein Oesterreicher mit Charisma und Eiern in der Hose…
Sowie die NPD und natürlich wiederum die AFD, die dafür gleich ein passendes kampagnenfähiges Motiv gefunden hat:
Zu den besonderen Tricks, mit denen die Burda-Tochter ihre Reichweite in den sozialen Medien erhöht, gehört es, selbst Beiträge, die sich explizit gegen Vorurteile gegenüber Flüchtlingen wenden, in einer Pegida-Fan-tauglichen Form anzukündigen. Ein Video, das in der „Focus Online“-üblichen Nacherzählungsform einen ironischen Facebook-Eintrag bebildet, in dem sich jemand erschüttert zeigt, dass sein Leben noch nicht von Ausländern zerstört wurde, verkauft „Focus Online“ so:
Passend zu der Zeile „So benehmen sich Asylsuchende in Deutschland wirklich“ zeigt „Focus Online“ übrigens ein tatsächliches Nachrichtenfoto von einem zerstörten Raum in einer Flüchtlingsunterkunft in Suhl, nachdem es dort zu einer heftigen Massenschlägerei gekommen war.
Wenn die Strategie sein sollte, Fremdenfeinde mit der Anmoderation einzufangen und mit dem Video zum Nachdenken zu bringen, geht sie nicht auf. Der Kommentar, der die meiste Zustimmung erhielt (484 Likes), lautet:
Was habt ihr Plüschtier verteiler erwartet…wartet es ab…kommt noch viel schlimmer…das sind andere, ganz andere mentalitäten deren ihr nicht gewachsen seit…bin seit 35 Jahre Türsteher….kann nur sagen …au backe….deutschland wird sich gewaltig ändern…wenn nicht sofort was passiert…sprich…stopp mit der flüchtlingswelle…!!!
Unter den von Facebook-Nutzern geteilten Einträgen finden sich Kommentare wie:
manoman das drecks Pack muss raus
Auf Nachfrage des Kollegen Jens Twiehaus an den „Focus Online“-Chefredakteur Daniel Steil antwortete der treuherzig:
@JensTwiehaus verstehe nicht was sie meinen
— Daniel Steil (@SteilD) 7. November 2015
@JensTwiehaus schade, dass sie das so sehen. Dem ist aber gewiss nicht so.
— Daniel Steil (@SteilD) 7. November 2015
Darüber, wie „Focus Online“ Fremdenfeinde gezielt anspricht, hatte ich bereits im August berichtet. Jens Schröder schreibt in seiner Oktober-Auswertung der sozialen Interaktionen auf „Meedia“:
Den großen Erfolg – inklusive des neuen Rekordes von 3,142 Mio. Interaktionen mit den innerhalb des Monats veröffentlichten Artikeln – hat Focus Online fast einzig und allein der Flüchtlings-Thematik zu verdanken. 18 der 20 erfolgreichsten Focus-Online-Artikel hatten im Oktober mit der Flüchtlingskrise zu tun – und fast alle waren populistisch und machten Stimmung in eine bestimmte Richtung.
Die sogenannte Fachzeitung „Horizont“ nennt die „Focus Online“-Strategie nicht „rassistisches Clickbaiting“, sondern: Setzen von „nachrichtlichen Schwerpunkten wie der Flüchtlingskrise“.