Schlagwort: Focus

Beim „Focus“ wirbt der Chef noch selbst

Ich finde es zu billig, sich über den „Focus“ lustig zu machen, nur weil Bastian Schweinsteiger in dem exklusiven „Focus“-Interview, in dem der Fußballspieler zum ersten Mal seit der WM spricht, teilweise fast wörtlich dasselbe sagt wie in dem „Bild“-Interview, in dem er vor Monaten zum ersten Mal seit der WM sprach. Also, ich finde es zu billig, sich darüber lustig zu machen, ohne auch den Spot entsprechend zu würdigen, mit dem der „Focus“ im Fernsehen für dieses Heft wirbt.

Es ist ein Film, an dem sicher viele Kreative im Hause Burda und in irgendwelchen Werbeagenturen lange gearbeitet haben, bis er, nicht zuletzt verkörpert durch den Auftritt des neuen Hoffnungsträgers in der Chefredaktion, Ulrich Reitz, exakt die Professionalität und Kompetenz ausstrahlt, für die die Marke „Focus“ steht.

Sehen Sie selbst:

Nachtrag, 12. Dezember. Die Leute von „Clap“ waren auch ganz angetan.

Exklusiv im „Focus“: Das erstletzte Interview mit Schweinsteiger nach der WM

Na, endlich. Gut fünf Monate nach der Fußball-Weltmeisterschaft hat der „Focus“ in der aktuellen Ausgabe mal was im Blatt, worauf alle viele Fußballfans gewartet haben: „Bastian Schweinsteiger in seinem ersten Interview nach dem WM-Titel“. Das erste Interview also. Exklusiv.

"Focus" Titel 8.12.2014

Okay, gut, am 14.7.2014, einen Tag nach dem WM-Endspiel, war da schon mal so ein Interview mit Bastian Schweinsteiger in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Aber das ist ja nur die NOZ, die lesen sie beim „Focus“ wahrscheinlich nicht so oft. Naja, und dann gab es allerdings am 21.8.2014 noch so ein exklusives Interview mit Bastian Schweinsteiger in „Bild“.

Ausschnitt "Bild"-Titel 21.8.2014

Jetzt redet er: „39 Tage nach dem WM-Triumph bricht Bastian Schweinsteiger sein Schweigen“, steht da in „Bild“. Und im Innenteil, auf Seite 16, ganz oben:

"Bild" 21.8.2014

„Focus“ hat das „1. Interview nach dem WM-Triumph“ damals auch gemeldet:

Focus Online Screenshot 21.8.2014

Und ein paar Wochen nach dem ungefähr ersten Nach-WM-Interview in „Bild“ hatte die „Welt“ ein Interview mit Bastian Schweinsteiger. Und vor ein paar Tagen hatte „Bravo Sport“ noch was Exklusives im Heft und online. So ein Exklusiv-Interview mit, ähm: Bastian Schweinsteiger.

Screenshot bravo.de 7.12.2014

Und dann hat noch – das sollte man jetzt keinesfalls unterschlagen – der achtjährige Lemmy ein Interview geführt. Mit Bastian Schweinsteiger. Für den „Disney Channel“. Am 23.8.2014, kurz nach dem zweiten, dritten oder vierten ersten Interview in „Bild“.

Und dann war da wohl noch irgendein Exklusiv-Interview bei Sky, kurz vor Lemmy, und vielleicht waren da auch noch ein paar. Aber nach all diesen exklusiven ersten Nach-WM-Interviews mit Bastian Schweinsteiger hat der „Focus“ nun wirklich das erste exklusive Interview mit Bastian Schweinsteiger nach der Fußball-WM geführt. Das muss man der Münchner Illustrierten schon lassen.

Nachtrag 9.12.2014, 11:22 Uhr. Besonders peinlich scheint es den Redakteuren beim „Focus“ ja nicht zu sein, dass sie ihr aktuelles Interview mit Bastian Schweinsteiger vollmundig als „erstes Interview nach dem WM-Titel“ verkaufen, obwohl das nicht stimmt. Wenigstens online mal korrigieren? Ach, Quatsch. Dort brüstet sich die Illustrierte weiter damit. Trommelwirbel, bitte:

Über sein grandioses Spiel im Finale der WM sprach der 30-Jährige nie öffentlich. Bis jetzt. Im FOCUS-Interview sagt der neue Kapitän der Nationalelf: „Durch den WM-Titel bin ich sogar noch gieriger auf Titel geworden. Gesättigt bin ich noch lange nicht.“

Wenn man ein Zitat so hervorhebt und als Ankündiger für ein Interview nutzt, muss das ja eine Neuigkeit sein, nicht? Oder eine ganz besondere Stelle aus einem ganz besonderen Interview. Schauen wir mal in die Druckfassung:

[…] Durch den WM-Titel bin ich sogar noch gieriger auf Titel geworden. Gesättigt bin ich noch lange nicht! Ich weiß jetzt, wie man große Fußballtitel holt. Und diese Momente, den Pokal in die Höhe zu halten, will ich wieder haben. Immer und immer wieder. Ich gebe sogar zu: Große Titel machen süchtig. […]

Und nun schauen wir in das Interview, das „Bild“ mit Bastian Schweinsteiger bereits am 21.8.2014 geführt hat:

Ich bin durch den WM-Titel eher noch gieriger geworden. Etwas Großes zu gewinnen, löst bei mir kein Gefühl der Sättigung aus. Das habe ich schon nach dem Champions-League-Triumph mit Bayern gemerkt. Im Gegenteil: Ich weiß jetzt, wie man die ganz großen Fußball-Titel holt. Und ich will diese Momente, in denen man die Pokale hochhält, immer wieder haben. Solche großen Titel können süchtig machen.

Aber, wurscht, wenn der halt auch immer dasselbe redet. Als „Focus“-Redakteur haut man das halt nochmal raus und vergisst dabei einfach, dubdidu, dass das längst in „Bild“ gestanden hat. Weil die bei Springer das nämlich auch längst vergessen haben. Jetzt, mit Bezug auf das „Focus“-Interview, titelt „Bild“:

Schlagzeile "Bild" Online 7.12.2014

Die scheinheilige Empörung über Schumachers gestohlene Krankenakte

Was wäre so schlimm daran, wenn jemand die medizinischen Informationen über Michael Schumacher veröffentlicht würde? Ich frage für Michael Konken, den Vorsitzenden des Deutschen Journalisten-Verbandes, der am Dienstag vorsorglich an die Medien appellierte, die gestohlenen Daten keinesfalls zu veröffentlichen, dem dafür aber kein guter Grund einfiel: Das sei „Sensationsjournalismus ohne Substanz und Relevanz“, formulierte er hilflos; der Inhalt der Akte habe „weder politische noch gesellschaftliche Bedeutung“.

Dass ein Inhalt weder politische noch gesellschaftliche Bedeutung hat, kann nicht im Ernst ein Grund sein, seine Veröffentlichung zu untersagen. Und genau genommen wäre es Sensationsjournalismus ohne Relevanz, aber mit Substanz: Er würde ja zur Abwechslung mal nicht auf Spekulationen und Hörensagen, sondern auf gesicherten Informationen eines behandelnden Arztes beruhen.

Im Original fuhr Konken noch fort: „Die Veröffentlichung wäre ein vollkommen inakzeptabler und äußerst schwerwiegender Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von Michael Schumacher.“ Ich kann nur erahnen, wie lange sie in der DJV-Pressestelle überlegt haben, ob sie ihn nicht vielleicht sogar „total super übervollkommen inakzeptabel“ sagen lassen sollen, damit niemand daran zweifelt, wie unglaublich inakzeptabel der Chef das findet, und niemand darauf kommt, ihn zu fragen, warum eigentlich.

Die Antwort liegt natürlich einerseits auf der Hand: Man muss schon moralisch sehr verkommen sein, solche Unterlagen zu stehlen, sie zum Verkauf anzubieten oder zu veröffentlichen. Aber daran gibt es doch gar keinen Zweifel. Dafür brauchen wir doch keine Pressemitteilung des DJV, um das zu sehen.

Interessant würde es doch, andererseits, dort, wo Konken erklären müsste, warum gerade diese potentielle Veröffentlichung so ein viel äußersterer schwerwiegender Eingriff in die Persönlichkeitsrechte Schumachers wäre als all die tatsächlichen Veröffentlichungen, die es in den vergangenen Monaten über seinen Gesundheitszustand gegeben hat.

All die Spekulationen und Gerüchte, all die Fantastereien und Behauptungen unter Bezug auf wissende Quellen. Wie die „Bunte“, die vor knapp zwei Wochen schrieb, was „aus Klinikkreisen zu erfahren“ sei und was sie „aus dem medizinischen Umfeld der Klinik in Grenoble“ erfahren habe: Dass zum Beispiel möglicherweise das Gehirn Schumachers stärkere Schäden davongetragen habe als bisher in der Öffentlichkeit bekannt. Oder dass „man“ in der Klinik nicht mehr an eine vollständige Genesung Schumachers glaube.

Keine Ahnung, ob die Illustrierte da einfach wild vor sich hinspekulierte oder über beste Drähte verfügte — womöglich zu jemandem, der Einblick in Schumachers Krankenakte hat? Und was von beidem wäre schlimmer, ekliger, eine größere Persönlichkeitsrechtsverletzung?

Das ist ein interessantes ethisches Labyrinth: Die Veröffentlichung der Krankenakte wäre gerade deshalb auch so empörend, weil ihr Inhalt wahr wäre. Im Gegensatz zu all dem unzuverlässigen Geraune, mit dem die Medien ihre Schumacher-Berichterstattung füllen. Und wenn sie doch, wie sie suggerieren, bestens informiert sind: Woher? Wer hat da aus dem Krankenhaus berichtet und für wieviel Geld?

Es wird ja vermutlich nicht reichen, einfach — wie anscheinend der „Focus“ — treuherzig in Richtung Krankenzimmer Schumachers zu spazieren und sich als „unerwünschter Besucher“ wieder herauswerfen zu lassen.

Die Schweizer Boulevardzeitung „Blick“ „wusste“ nach der Verlegung Schumachers von Grenoble nach Lausanne, was im Inneren des Krankentransporters vor sich ging: „Schumacher soll zwar nicht gesprochen haben. Aber er habe mit der Transportbesatzung per Kopf­nicken kommuniziert. Während der über 200 Kilometer langen Fahrt von Grenoble nach Lausanne habe er über weite Strecken die Augen geöffnet gehabt.“ Angeblich weiß „Blick“ auch, dass Schumacher viel Gewicht verloren hat.

Die „Bild“-Zeitung hatte da sogar konkrete Kilo-Angaben, sowohl was den Verlust angeht als auch den aktuellen Stand. Sie erzählte nicht nur von den Operationen, die an Schumachers Kopf durchgeführt wurden, sondern wusste auch, wann „Schumis Wille am stärksten“ war. Und sie berichtete ohne Quellenangabe, wie er atmet, ob er sprechen kann und dass er mit den Augen kommuniziere: „Sie reagieren auf Corinna deutlich stärker als auf andere Menschen“.

All das scheint den Chefsprecher der deutschen Journalisten nicht zu einem Appell herausgefordert zu haben. Vielleicht waren ihm die Türen da einfach nicht offen genug zum Einrennen.

Und man weiß ja auch gar nicht, woher „Bild“ und „Blick“ und „Bunte“ ihre Informationen hatten und ob sie überhaupt zutrafen. Nur dass sich die Medien sonst (wenn sie nicht gerade damit beschäftigt waren, Gerüchte zu kolportieren) einig waren, dass zuverlässige Informationen ausschließlich von der Managerin Schumachers zu haben sind. Und dass diese Managerin dringend darum bat, die Privatsphäre Schumachers zu achten.

Die Aufregung um die gestohlenen medizinischen Unterlagen ist heuchlerisch. Für die Boulevardmedien ist der Fall ein Traum, weil sie so tun können, als würden sie anständig und verantwortungsvoll mit Michael Schumacher umgehen. Undenkbar, dass sie solche geheimen, gestohlenen Informationen kaufen und veröffentlichen würden – also, undenkbar in diesem einen Fall.

Aber ich bin gespannt, was passiert, wenn irgendein, sagen wir, ausländisches Medium die Akte doch noch veröffentlicht. Werden „Bild“ und „Bunte“ — und „Focus Online“ in seinem ewigen Schumacher-Live-Ticker — dann nicht berichten, was darin an Fakten stand?

Sondern stattdessen auf ihre anderen, dubiosen Quellen zurückgreifen, um gegen den Willen der Familie über Schumachers Gesundheitszustand zu spekulieren?

„Bild“ und Co. haben den Markt erst geschaffen, der Menschen glauben lässt, dass eine Kranken-Akte Schumachers viel Geld wert ist. Die einzige zulässige Berichterstattung über seinen Gesundheitszustand jenseits der offiziellen Statements der Managerin wäre: keine.

Lügen fürs Leistungsschutzrecht (6)

Bleibt noch die Einschätzung von Burda-Rechtsvorstand Robert Schweizer nachzutragen. In seiner Hausillustrierten „Focus“ wird seine Meinung zum neuen Leistungsschutzrecht für Presseverlage wie folgt zusammengefasst:

„Die Zeit des kostenlosen Abgebens ist vorbei“, betont der Jurist. Mit dem Gesetz, das einen Rechtsanspruch von Verlagen gegen Suchmaschinen und Aggregatoren schaffe, nehme Deutschland eine „echte Vorreiterrolle“ ein. „Vorher war die Leistung der Autoren und Verlage für die Katz“, hebt Schweizer hervor.

Prof. Dr. Robert Schweizer ist für alle Zeitschriftenverlage der federführend Verantwortliche zur Durchsetzung des Leistungsschutzrechts.

Ich schreibe das sicherheitshalber nochmal hin: Prof. Dr. Robert Schweizer ist für alle Zeitschriftenverlage der federführend Verantwortliche zur Durchsetzung des Leistungsschutzrechts. Er meint also, dass die Leistung der Autoren und Verlage „für die Katz“ war, solange die Verlage nicht glaubten, ein Recht zu haben, die ungenehmigte Anzeige von kurzen Vorschauen in Suchergebnissen zu verhindern.

Mir fällt dazu keine Kommentierung mehr ein, die dem Ausmaß der Beklopptheit angemessen wäre.

Den Inhalt des vom Bundestag verabschiedeten Gesetzes gibt Daniel Goffart, der Leiter der Hauptstadtredaktion des „Focus“, im selben Artikel wie folgt wieder:

Nach einem zähen Ringen zwischen dem Internet-Giganten Google und den Pressehäusern stimmte die Koalition schließlich einem Kompromiss zu. Danach dürfen Internet-Suchmaschinen und andere Dienste wie etwa Aggregatoren künftig nur noch „einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte“ von Presseerzeugnissen unentgeltlich anzeigen, wie es im neuen Gesetz heißt. Für die vollständige Nutzung eines Artikels hingegen sollen Google & Co. in Zukunft bezahlen.

An welcher Stelle Google Artikel vollständig anzeigt und inwiefern eine solche Nutzung erst „in Zukunft“ kostenpflichtig wird und es nicht längst ist, lässt Goffart offen. Er liegt damit aber natürlich ganz auf der Desinformationslinie seines Chefredakteurs Jörg Quoos.

Goffart weiter:

Die ursprüngliche Forderung der Medienkonzerne nach einer noch umfassenderen Leistungspflicht war vor allem am Protest der jüngeren Koalitionsabgeordneten gescheitert. Die mussten heftigen Gegenwind aus der Internet-Wirtschaft und den sozialen Netzwerken ertragen.

Zugegeben: Ich weiß nicht, ob das nun auch Ausdruck der „Focus“-Propaganda ist, um den gut begründeten Protest der Netzpolitiker der Koalitionsparteien kleinzureden. Oder doch nur die Unfähigkeit der leitenden „Focus“-Redakteure, zwei Sätze aneinanderzureihen, ohne einen falschen inhaltlichen Bezug herzustellen. Gut, dass auch diese Fehlleistungen in Zukunft noch stärker durch ein eigenes Gesetz geschützt werden.

Lügen fürs Leistungsschutzrecht (5)

Was sind das für Leute, die ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage ablehnen?

Als Reinhard Müller, verantwortlicher Redakteur für „Zeitgeschehen“, das geplante Gesetz im Dezember in der FAZ kommentierte, fand er eine einfache Formel: Es sind Leute, die sich ihr Geld „nicht selbst verdienen“ müssen oder vom Staat bezahlt werden. Professoren zum Beispiel.

Gestern schrieb Müller wieder in der FAZ zum Thema, und diesmal hat er eine andere Erklärung, warum es so viele öffentliche Kritiker an dem Gesetz gibt: Sie werden von Google bezahlt.

Es ist für all die vielen geheimen und die wenigen bekennenden Google-Lohnschreiber offenbar nur schwer zu verstehen, dass nicht nur der Suchmaschinenmonopolist Interessen hat und sie vertritt, sondern auch diejenigen, die sich vom amerikanischen Weltkonzern in ihren Rechten beschnitten sehen.

Ich habe Müller gefragt, ob er mir sagen kann, wen er konkret mit den „vielen geheimen“ und „wenigen bekennenden Google-Lohnschreibern“ meint. Seine Antwort lautet:

Es gibt diejenigen, die offen für das Unternehmen sprechen. Und es gibt Einrichtungen und (damit) Personen, die vom dem Konzern getragen werden, ohne dass das ohne weiteres erkennbar ist.

Wir haben offenbar unterschiedliche Vorstellungen von der Bedeutung des Wortes „konkret“.

Andererseits ist das natürlich eine bequeme Art, sich mit Kritik (nicht) auseinanderzusetzen: indem man die Kritiker durch substanzloses Geraune pauschal diskreditiert.

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„Handelsblatt“-Medienredakteur Hans-Peter Siebenhaar ist unglücklich über die Änderungen, die die Koalition in letzter Sekunde am Gesetzesentwurf vorgenommen hat. Kurze Textausschnitte sollen nun nicht mehr lizenzpflichtig werden — vermutlich sind die Anrisse wie sie Suchmaschinen zeigen, damit auch in Zukunft frei.

Immerhin, etwas Positives sieht Siebenhaar auch in dem Rumpfgesetz:

Zum ersten Mal wird Verlagen ein grundsätzliches Leistungsrecht zugestanden. Das hat Vorbildcharakter für ganz Europa. Denn damit wird die Kostenfreiheit für die Nutzung von Presseerzeugnissen im Internet beseitigt.

Ja, das steht da. Durch das Leistungsschutzrecht, glaubt der Medienredakteur des „Handelsblattes“ oder behauptet es wenigstens, wird die Kostenfreiheit für die Nutzung von Presseerzeugnissen im Internet beseitigt.

Das ist atemberaubend falsch. An der „Kostenfreiheit“ der Inhalte, die die Verlage ins Netz stellen, ändert sich durch das Gesetz nichts. Wenn sie sie kostenlos anbieten, darf man sie kostenlos nutzen. Wenn nicht nicht.

Komplette Zeitungen und Texte oder größere Teile daraus durften auch bislang schon nicht kopiert werden — dank des Urheberrechtes.

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Ich weiß nicht, warum Hans-Peter Siebenhaar das nicht weiß. Womöglich hat er zuviele deutsche Verlagsmedien gelesen.

Das Editorial von Jörg Quoos zum Beispiel, den neuen Chefredakteur des „Focus“. Der schrieb vor zwei Wochen:

Der Suchmaschinen-Riese Google hat allein im vergangenen Jahr acht Milliarden Dollar Gewinn eingefahren. Ein Teil dieser stolzen Summe wurde mit Inhalten erwirtschaftet, die Google nicht gehören. Es sind Texte, die Verlage von ihren Redaktionen und Autoren teuer erstellen lassen und die Google zum eigenen Vorteil kostenlos an seine Nutzer verteilt.

Google verteilt fremde Texte kostenlos an seine Nutzer? Ich hoffe, dass Quoos das nicht selbst glaubt, sondern wenigstens nur bewusst falsch darstellt.

Das sind also die Leistungen, die durch ein Leistungsschutzrecht geschützt werden sollen. Und die Methoden, mit denen es herbeigeschrieben werden soll.

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Ich habe mich selten so unwohl gefühlt, Mitglied dieser Branche zu sein.

Das habe ich vor drei Monaten schon mal geschrieben, und auch wenn seitdem immerhin sporadisch Gegenpositionen zur Verlagslinie zum Beispiel auf den Seiten der FAZ auftauchen durften, hat sich an diesem Gefühl nichts geändert.

Die deutschen Zeitungen haben ihre eigenen Leser verraten, als würden sie die nicht mehr brauchen, wenn sie nur Google besiegen könnten.

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Immerhin, und das ist ein Trost, sind sie damit nicht ganz durchgekommen. Der Deutsche Bundestag wird morgen zwar vermutlich ein Leistungschutzrecht für Presseverlage verabschieden. Das wird aber weit entfernt sein von dem, was die Anführer Mathias Döpfner und Christoph Keese sich und den Verlagen versprochen hatten.

Die ursprüngliche Idee war nämlich tatsächlich etwa das, was Siebenhaar heute beschreibt: Ein System, das es den Verlage erlaubt, ihre Inhalte kostenlos anzubieten und trotzdem von den Lesern dafür bezahlt zu werden. Jeder, der dienstlich ihre (frei zugänglichen) Internet-Medien nutzt, der „Welt Online“ im Büro liest oder als Rechtsanwalt oder freier Journalist auf „Spiegel Online“ recherchiert, sollte dafür zahlen müssen.

„Der Copypreis der Zukunft ist das Copyright“, proklamierte Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG, im Frühjahr 2009. Ein „Milliardengeschäft“ erwartete sein Cheflobbyist Christoph Keese im Juni 2010.

Es blieb — trotz massiver Lobbyarbeit und der redaktionellen Unterstützung in den eigenen Blättern — ein Traum. Nach und nach wurde der Umfang dessen, was das von der Koalition im Prinzip beschlossene Leistungsschutzrecht umfassen sollte, immer kleiner.

Zuletzt umfasste es nur noch Suchmaschinen und Aggregatoren, die selbst kleinste Ausschnitte aus den gefundenen Inhalten nicht ohne Lizenz anzeigen dürfen sollten, nun sind plötzlich die kleinsten Ausschnitte ausdrücklich erlaubt, so dass es sein kann, dass das Gesetz den ursprünglichen großen Adressaten gar nicht betrifft: Google.

Was bleibt, ist nun im Wesentlichen ein Recht, mit dem die Verlage leichter gegen das vorgehen können, was sie „Raubkopien“ nennen würden — vorausgesetzt, die entsprechenden Anbieter sind überhaupt von der deutschen Justiz erreichbar. Dagegen wäre im Grunde nichts zu sagen, wenn es nicht verbunden wäre mit einer offenbar gewollten Rechtsunsicherheit.

Gewinnen werden die Verlage am Ende dieses Kampfes ungefähr nichts. Und sie ahnen noch nicht einmal, was sie durch die Art, wie sie ihn geführt haben, verloren haben.

Ausgewogenheit, wie sie Hubert Burda meint

„Kritisch und ausgewogen“ hätten sich die Journalisten und Redakteure der deutschen Zeitungen und Zeitschriften zum Thema Leistungsschutzrecht geäußert, schrieb Verlegerpräsident Hubert Burda den Bundestagsabgeordneten. Das ist ein guter Anlass, ausnahmsweise in den „Focus“ zu schauen, den er herausgibt.

Auch der hat sich in dieser Woche mit dem Leistungsschutzrecht befasst. Der Artikel trägt die Überschrift: „Bald Fairness im Netz?“ Er ist mit einer Karikatur illustriert, die Google als Spinne in einem Netz zeigt, in dem schon mehrere Fliegen mit Euro-Zeichen und ein Schmetterling mit Dollar-Zeichen festhängen. Die Google-Spinne trägt ein Protestschild mit der Aufschrift „FÜR DIE FREIHEIT IM NETZ!“

„Focus“-Medienredakteur Robert Vernier berichtet unter dieser Zeichnung, dass das geplante Leistungsschutzrecht „ungeachtet der massiven Kampagne des Internet-Riesen Google die erste parlamentarische Hürde“ genommen hätte. Das Gesetz solle Verlage vor dem „unberechtigten und unbezahlten Zugriff“ auf ihre Inhalte schützen, behauptet er und fasst seine Bedeutung so zusammen:

Es hätte Vorbildcharakter für viele Länder, in denen sich Verlage — wie etwa in Frankreich und Brasilien — gegen die ungenierte Selbstbedienung von Google & Co. bei Zeitschriften- und Zeitungsinhalten wehren. (…)

Per Internet-Kampagne und Zeitungsanzeigen schürte der US-Konzern vergangene Woche mit unwahren Behauptungen und bizarren Andeutungen Ängste. Google erklärte die Freiheit des Internets für bedroht und forderte dessen Nutzer auf, Bundestagsabgeordnete mit einer Flut von E-Mails auf Konzernkurs zu zwingen.

Vernier zitiert dann aus der Bundestagsdebatte jeweils mehrere Äußerungen von Max Stadler (FDP) und Ansgar Heveling (CDU). Beide sind Befürworter des neuen Gesetzes.

Argumente gegen das Leistungsschutzrecht aus der Debatte werden im „Focus“ nicht erwähnt. Ein Gegner des Gesetzes kommt im „Focus“ nicht zu Wort. Von der Kritik namhafter Wissenschaftler an dem Gesetz erfährt der „Focus“-Leser nichts.

Diese, äh, nachrichtliche Berichterstattung wird durch einen Kommentar hinten im Heft ergänzt. In der Rubrik „Montag ist Zeugnistag“ gibt „Focus“ Google eine 6.

Lügen wie nicht gedruckt

In seinem „Tagebuch“ (das ist so etwas wie ein Blog auf Papier) im aktuellen „Focus“ schreibt Helmut Markwort:

Das über dubiose Internet-Quellen verbreitete Gerücht, an geheim gehaltenen Orten in Großbritannien werde schon die neue D-Mark gedruckt, ist blühender Unsinn. Verblüffenderweise gibt es eine Menge Menschen, die solchen Quatsch glauben und weitererzählen mit der Begründung, es habe ja im Internet gestanden.

Sie sagen das mit der gleichen Wichtigkeit wie den Satz: Es hat ja in der Zeitung gestanden. Fakten in Zeitungen werden im Allgemeinen verantwortungsbewusst und seriös geprüft. Im Internet hingegen gibt es nicht nur bekannte und zuverlässige Anbieter. Jeder Narr, Desinformant oder Denunziant kann dort jeden Blödsinn oder auch jede Gemeinheit in die Welt setzen.

Der letzte Satz ist zweifellos richtig. In Zeitungen kann nicht jeder jeden Blödsinn oder auch jede Gemeinheit in die Welt setzen, sondern nur die Narren, Desinformanten oder Denunzianten, die es in die Redaktion geschafft haben.

Aus Daffke habe ich mir mal die Mühe gemacht, nachzusehen, wer den „blühenden Unsinn“ verbreitet, dass in Großbritannien schon wieder die D-Mark gedruckt werde. (mehr …)

Michael Verhoevens Sohn ist arm dran

„Schuhe gibt’s auch nicht gratis“, steht über dem Artikel des Regisseurs Michael Verhoeven über ACTA im aktuellen „Focus“, und genau genommen könnte man natürlich an dieser Stelle aufhören zu lesen. Es ist die „Ihr seid alle Diebe“-Nummer, und selbst wenn sie nicht falsch wäre, wäre sie alt.

Tatsächlich lohnt es sich aber, den Text trotzdem zu lesen, weil er die Diskussion noch viel weiter zurückwirft, als die Überschrift befürchten lässt.

In der Welt dieses „Focus“-Artikels, in der Welt des Michael Verhoeven gibt es keinen legalen Handel mit digitalen Inhalten im Netz.

Verhoevens Text beginnt so:

Ein Kunde geht in ein Musikgeschäft und entdeckt dort eine tolle CD. Am Ausgang wird er festgehalten. Er hat nämlich etwas vergessen: Er hat nicht bezahlt.

Das Netz ist wie ein Supermarkt. Hier entdeckt der Kunde ebenfalls tolle Musik und lädt sie herunter. Und auch er hat etwas vergessen. Er hat nicht bezahlt — doch niemand hält ihn auf.

Die Möglichkeit, dass der Kunde die tolle Musik im Netz entdeckt, heruntergeladen und bezahlt hat — sie kommt nicht vor.

Verhoeven:

Mein Sohn Simon ist Komponist. Über die Verwertungsgesellschaft GEMA ist er beteiligt, wenn seine Musik (z. B. in dem Film „Männerherzen“) im Kino, im Radio oder Fernsehen aufgeführt wird.

Was aber über das Netz verbreitet wird, wird nicht abgerechnet. Da geht er leer aus, und seine Musiker und alle am Herstellungsprozess Beteiligten sind ebenfalls betrogen.

Das ist strunzfalsch. Was über das Netz verbreitet wird, wird auch abgerechnet. Im Dezember erst hat die GEMA sich mit dem Internetverband Bitkom über Vergütungs-Regeln geeinigt. Und auch im endlosen Streit zwischen GEMA und YouTube geht es um die Frage, wie hoch die Vergütung sein soll — nicht um die Vergütung an sich.

Verhoeven wendet sich dann an die Diebe direkt und versucht es damit, sie als Kindergartenkinder zu behandeln:

Sie verstehen doch, lieber User, dass ein Drehbuchautor, ein Regisseur, ein Produzent, ein Sänger für die Verbreitung seiner Arbeit ein Honorar bekommen muss. Wenn Sie in einen Laden gehen, wissen Sie, dass Sie die Ware bezahlen müssen. Wieso erwarten Sie nicht das Gleiche, wenn Sie im Netz eine Ware beziehen?

Viele erwarten es. Viele tun es.

Eines der Probleme ist, dass sich für viele „Waren“, die Menschen gerne im Internet „beziehen“ würden, gar keine Bezahlmöglichkeiten angeboten werden. Dass quasi die Kassen fehlen.

Lustigerweise hat Verhoeven denselben Gedanken erblickt. Aber er hat leider die falsche Auffahrt genommen und landet dort als Geisterfahrer:

Sie haben ja die Freiheit, das Lied oder den Film herunterzuladen.

Niemand verbietet es Ihnen. Aber bitte nicht, ohne an der Kasse das Geld hinzulegen.
Entsprechende Kassen gibt es, denken Sie an die Schuhe, die Sie im Internet gekauft haben. Aber im Fall von Musik oder Spielfilmen sind die Kassen nicht besetzt. Noch nicht.

Es ist merkwürdig, das im März 2012 noch irgendwohin zu schreiben, aber gut: Doch, es gibt auch im Fall von Musik oder Spielfilmen schon Kassen, die besetzt sind, und in manchen stecken schon gewaltige Einnahmen.

Es kommt aber schlimmer. Verhoeven hält ACTA tatsächlich für ein Kassenaufstellabkommen, nicht für ein Kaufhausdetektivabkommen.

Aber im Fall von Musik oder Spielfilmen sind die Kassen nicht besetzt. Noch nicht. Jetzt, wo das geschehen soll, wird geschrien: „Das ist Zensur!“ Wie bitte? Ist es Zensur, dass Sie die Schuhe bezahlen müssen, die Sie im Internet gekauft haben?

Was fehlt noch? Richtig: Netzsperren. Und Kinderpornographie.

Ich bin gegen Zensur. Aber im Netz bin ich zum Beispiel dafür, dass der Konsument von Kinderpornografie nicht etwa bestraft wird, sondern dass er sich den Dreck gar nicht erst ansehen kann, weil eine „Zensur“ ihn schon herausgefiltert hat. Wenn jemand zu bestrafen wäre, dann der, der diese Dinge ins Netz stellt. Und mitschuldig ist auch der Anbieter, der Provider, der Öffner des Portals, der laut Leutheusser-Schnarrenberger nicht Hilfssheriff spielen soll.

Ich habe nicht die Kraft, all das, was daran falsch und schlimm ist, aufzudröseln. Ich würde mich allerdings Verhoevens nächstem Satz anschließen:

Hier sind viele Fehleinschätzungen im Umlauf.

Ich fürchte, dass dieser Artikel nicht nur etwas über die Ahnungslosigkeit von Michael Verhoeven aussagt, der glaubt, dass man im Internet Filme nur stehlen kann, bis endlich die ACTA-Kassen aufgestellt sind. Ich fürchte, dass das Stück und die Tatsache, dass der „Focus“ das so gedruckt hat, auch etwas darüber aussagt, in welchem Maß die ACTA-Lobby bereit ist, mit Unredlichkeit und Boshaftigkeit für ihre Interessen zu kämpfen. Sie scheint aus ihren Fehlern nur exakt eine Lektion gelernt zu haben: Dass sie die Urheber vorschicken muss.

Vorsprung durch Technik (2)

Ich mache manchmal den Fehler, beim Medienaggregator Turi2 auf die Anzeigen zu klicken. Neulich brachte mich eine Werbung des „Focus“ dazu, die mit der überraschenden Zeile „Einzigartig erfolgreich im Wettbewerb“ lockte.

Tatsächlich gewinnt der „Focus“ gerade gegen den Trend an Auflage. „Stern“ und „Spiegel“ verkaufen aber immer noch, grob gerechnet, je eineinhalb Mal so viele Hefte; am Kiosk sind sie etwa dreimal so erfolgreich wie der „Focus“.

Wenn man auf das Banner klickt, kommt man zu einer Verlagsseite mit dieser informativen Übersicht:

Man könnte auf den ersten Blick erkennen, dass hier etwas nicht stimmt. Der „Focus“ hat sein Wachstum fast viermal so groß dargestellt, wie es tatsächlich ist. Die rote Fläche im linken Säulenpaar entspricht nicht einem Wachstum von 11,5 Prozent, sondern von etwa 42 Prozent.

Beim rechten Säulenpaar ist die Übertreibung noch krasser: Auch hier entspricht die rote Fläche, die 8,3 Prozent Plus darstellen soll, einem Zuwachs von über 40 Prozent. Die Gesamtsäule entspricht nicht 108.000 verkauften Heften, sondern rund 140.000 — davon träumt man in München.

Ich weiß schon, dass es sich hier bloß um Werbung handelt. Aber wir reden hier von der Werbung einer Illustrierten, die sich gegenüber potentiellen Anzeigenkunden als „Qualitätsmedium“ verkauft und behauptet, ja lachen Sie nicht, sie zeichne sich durch „kompromisslose Gründlichkeit in der Recherche“ und „harte Fakten und wahre Hintergründe“ aus. Wo ist da der Sinn, die eigenen Behauptungen gleich mit einer solchen Statistiklüge zu konterkarieren? Oder setzt der „Focus“ gezielt auf Werbekunden und Mediaplaner, die dumm genug sind, die Manipulation nicht zu erkennen?

Unter die Grafik hat der „Focus“ übrigens noch den lustigen Satz geschrieben: „Diese Entwicklung zeigt einmal mehr die hohe Bedeutung von Print im Medienmarkt: Qualität setzt sich durch und sorgt für ‚Fortschritt‘ am Kiosk.“ Aber das ist ja nicht falsch, sondern nur sinnlos.

Ach, und wenn Sie sich fragen, was genau mit der Formulierung „‚Focus‘ weiter auf Erfolgskurs“ gemeint ist — das kleine Abknicken am Ende dieser beiden Kurven (die allerdings natürlich von mir sind und nicht aus dem Werbepaket):

[Offenlegung: Ich schreibe für den „Spiegel“. Dies ist meine persönliche Meinung. Und der „Spiegel“ macht es auch nicht besser.]

Vorsprung durch Technik

Keine Sorge, ich habe nicht vor, mich jetzt regelmäßig auch noch an der Fachwerbung der Medien abzuarbeiten. Ich hatte heute morgen nur lachen müssen, als ich auf turi2 diese nicht nur in dieser Woche ungewollt komische Werbung des „Spiegel“ sah:

(Bitte beachten Sie auch den symbolischen Tiefenabstand zwischen dem „SPIEGEL“-Logo und der „DER REST“-Tapete.)

Jedenfalls stutzte ich, als die Anzeige umblätterte auf dieses Bild:

Ich fand den Vorsprung von 718.000 Lesern gegenüber 632.000 Lesern jetzt gar nicht so eindrucksvoll angesichts der dramatisch niedrigeren Auflage (und, zugegeben: Relevanz) des „Focus“. In Säulenform hingegen macht das schon was her.

Kein Wunder: Der „Spiegel“-Verlag hat getrickst. Er hat die „Focus“-Säule einfach kleiner dargestellt, als es den Zahlen entspräche — und zwar um immerhin zehn Prozent. (Oder, je nach Perspektive, den eigenen Penis die eigene Säule künstlich verlängert.)

Zum Vergleich die „Spiegel“-Version der Statistik und die korrekte Darstellung: