Schlagwort: Franz Josef Wagner

Post von Wagner

— von Jens Oliver Haas, z. Zt. Australien* —

Berlin, 16.15 Uhr: Franz Josef Wagner wirkt erfrischt, nach fünf Stunden komatösem Schlaf. Das Sodbrennen ist heute mal erträglich, und die Stimmen im Kopf schweigen noch. Er lächelt. Sein Arzt hat ihm gesagt, dass er wohl bald eine neue Niere braucht — aber bis dahin funktioniert der Aquarien-Feinfilter von OBI sehr gut.

Beschwingt öffnet sich Wagner eine gute Flasche französischen Landwein. Ein feines Tröpfchen von 2011, gute Lage, nicht zu viel Tannin. Vorsichtig gießt er das Weißbierglas voll und setzt sich an die Schreibmaschine.

Liebe Annette Schavan! Es ist mir peinlich, Sie wegen des angeblichen Doktorklaus anzusprechen. Es ist, wie wenn man eine liebe, nette, ältere Dame an der Kasse bei Lidl verdächtigt.

Na, das ist ihm doch schon mal gut gelungen. Grinsend greift Wagner nach rechts und ins Leere. Nanu? Wann hat er denn das Weißbierglas zerschlagen. Und wo ist der gute Landwein? Und warum ist er nackt und riecht so komisch? Und warum ist es schon dunkel?

Fahrig greift Wagner nach dem Tetrapak mit billigem, italienischen Traubenurin und lässt sich die Plörre in den Hals laufen. Er hat schon mit 17 gelernt, den Schluckreflex zu unterdrücken — das kommt ihm jetzt zugute. Beim Absetzen schneidet er sich leicht an den zerbissenen Kanten des Tetrapaks. Irgendwann muss er sich eine neue Schere kaufen — auch wenn sie sie ihm sowieso sofort wieder weg nehmen. Da war doch was? Ach, richtig: Der Brief!

Mühsam fokussiert Wagner auf das Blatt… Wer hat denn den Mist geschrieben? Wer ist Schavan? Und wer ist dieser Doktor Klaus? Der Pfuscher, der ihm den Aquarienfilter eingesetzt hat? Die Schmerzen sind mörderisch. Konzentrier dich! Du kannt es doch, Hans-Jürgen! Ähhh… Franz Josef…

Sie haben ein wunderbares, unverheiratetes Lehrerinnengesicht. Ihre Frisur ist bubihaft. So kämmten sich Frauen vor 30 Jahren. Sie sind wie eine Cousine, die keinen Mann bekommen hat.

Wagner bricht weinend über der Maschine zusammen und staucht sich eine Rippe an der leeren Scharlachberg-Flasche. Er wirft sie zu den anderen. Alles kommt wieder hoch… die Familienfeier vor 30 Jahren… die unverheiratete Cousine mit dem Bubi-Kopf… der Apfelkorn… das Kind mit seinem Gesicht… die Schande.

Er schickt den Nachbarsjungen zu Lidl, zwei neue Flaschen Queen-Margot-Whisky kaufen. Warum kann er sich nur diesen Namen merken? Es gibt so gute Sachen da… zum Beispiel diesen einen Cognac… oder den mit dem Wildschwein… aber er kommt nur auf Queen Margot.

Endlich kommt der Junge wieder. Die Tür ist blockiert… Wo kommt dieses Fässchen her? Wirf das Ding doch einfach durch die Scheibe! Wagner schneidet sich an einer Scherbe — aber Queen Margot streichelt ihm sanft die Schmerzen weg.

Um 23 Uhr kommt die korsische Putzfrau. Sie wischt die Kotze weg und bringt die Flaschen zum Container. Es ist nicht weit, Wagner hat ja seit 2003 einen eigenen im Hof.

Sie rollt Wagner ins Badezimmer und kärchert ihn ab, bevor sie den Notarzt ruft. Dann schreibt sie, wie immer, schnell die Kolumne zu Ende. Sie kann nur wenig Deutsch, aber dafür reicht es immer.

Ein paar Kolumnen hat sie ja auch schon komplett selbst geschrieben und es hat keiner gemerkt. Man muss nur einfach das aufschreiben, was man beim Einkaufen zuletzt gehört hat. Und vielleicht noch ein paar Sätze aus der Zeitung auf der Treppe. Wenn es zu lang wird, streicht der Drucker einfach was weg.

Wahrscheinlich essen Sie gerne Ziegenkäse.

Ich glaube nicht, dass Sie eine Betrügerin sind.

Wissenschaftler müssten untersuchen, ob ein Doktortitel ein Ersatz für Liebe ist.

Fuchs auf Schwanenjagd in Kanal erfroren.

Melanie mag ihren Popo.

Herzlichst, Ihr F. J. Wagner

*) Jens Oliver Haas ist einer der beiden Moderations-Autoren der RTL-Show „Ich bin ein Star — holt mich hier raus“, was offenbar kein tagesfüllender Job ist. Der Text stammt von seiner Facebookseite. Veröffentlichung hier mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Netzeitung jetzt auch mit Video

Toll: „mit Video”! Sogar die klamme Netzeitung kommt also nicht mehr darum herum, die achsobegehrten Bewegtbild-Inhalte anzubieten. Und tatsächlich bietet sie am Ende der entsprechend angeteaserten Agenturmeldung sogar eine „Kurz-Doku“ über Franz Josef Wagner an:

Nun ja: Es handelt sich um die von irgendjemand bei YouTube hochgeladenen ersten zehn Minuten eines halbstündigen Porträt Wagners vom NDR-Medienmagazin „Zapp“ aus dem Jahr 2006. (Ist aber, andererseits, der erste Video-Treffer, wenn man nach „Franz Josef Wagner“ googelt.)

[mit Dank an Clarissa]

Ein Nepal für ein Tibet vormachen

So und so ähnlich sehen sie aus, die TV-Nachrichten in diesen Tagen:

Kleines Problem: Das da hinter dem Moderator ist nicht Tibet.

Und so und so ähnlich sehen sie aus, die Internetseiten in diesen Tagen:

Kleines Problem: Das da auf dem Foto ist nicht Tibet.

Es gibt offenbar heftige Unruhen in Tibet, und die chinesische Polizei geht offenbar mit großer Härte gegen die Protestierer vor. Es gibt nur leider fast keine Fotos und Videos davon. Zum Glück für die Medien gibt es aber Fotos und Videos von gewaltsamen Auseinandersetzungen mit tibetischen Demonstranten an anderen Orten in der Welt — die werden dann von Sendern wie N24 und RTL, aber auch von anderen einfach umdeklariert.

Das Foto von RTL.de oben zum Beispiel ist nicht in Lhasa entstanden, sondern offenbar in Kathmandu, wo es Auseinandersetzungen zwischen Polizei und tibetischen Demonstranten gab. Und das Bild auf N24 („Tote bei Krawallen in Tibet“) stammt aus Indien, nicht aus China — unschwer an der Hautfarbe und Uniform des Mannes rechts im Bild zu erkennen.

Der Mischsender N24 hat es heute geschafft, zu einer Meldung über die Ausweisung der letzten Journalisten aus Tibet, die Verhaftung vieler Menschen in Lhasa und das Einfrieren deutscher Verhandlungen mit China Bewegtbilder zu zeigen, von denen offenbar kein einziges in Tibet oder China aufgenommen wurde. Die Aufnahmen scheinen zwar das brutale Vorgehen Chinas perfekt zu belegen, sind aber (an den Uniformen zu erkennen) ebenfalls in Nepal entstanden:

Auch n-tv wählte ein eindrucksvolles dpa-Bild aus Nepal und schrieb „Neue Proteste in Tibet“ darüber. Und Bild.de baute zwei dramatisch aussehende Fotos von Zusammenstößen in Nepal zu einem Teaser „Hunderte Tote bei Unruhen in Tibet“ zusammen.

Im Forum der deutsch-chinesischen Seite kaiyuan finden sich weitere Beispiele. (Über den politischen Hintergrund dieser Seite weiß ich nichts; die dort genannten Beispiele, die ich nachrecherchieren konnte, sind aber alle zutreffend.)

Auch bei den Aufnahmen, die tatsächlich aus Tibet stammen, ist in vielen Fällen nicht eindeutig zu erkennen, was sie wirklich zeigen. Zeigen die Aufnahmen von dem Mann, dem zwei Uniformierte unter die Arme gegriffen haben, wirklich dessen brutale Festnahme? Oder bringen sie in Wahrheit einen Verletzten aus der Gefahrenzone? Die Betextung solcher Fotos in vielen Medien lassen diese Frage nicht offen. Jedes Bild scheint für sie ein weiterer Beweis zu sein für die Grausamkeit von chinesischer Polizei und Militär.

Einige der beunruhigenden Fotos, die jetzt um die Welt gehen, stammen von dem amerikanischen Blogger Kadfly, der seit einigen Wochen durch Asien reist — eines davon schaffte es auf die erste Seite der „New York Times“. Kadfly selbst beklagte daraufhin, wie einseitig die großen Medien diese Bilder interpretierten, und dass sie wichtige Tatsachen in Bezug auf seine Fotos ignorierten:

Yes, the Chinese government bears a huge amount of blame for this situation. But the protests yesterday were NOT peaceful. The original protests from the past few days may have been, but all of the eyewitnesses in this room agree the protesters yesterday went from attacking Chinese police to attacking innocent people very, very quickly.

Ich habe keinen Zweifel daran, dass den Tibetern großes Unrecht geschieht. Und dass die letzten Journalisten Tibet verlassen mussten und China Berichte über Tibet zensiert, spricht eine deutliche Sprache über die Art von Staat, mit dem wir es hier zu tun haben.

Aber gerade die Tatsache, dass die Rollen von Gut und Böse in diesem Konflikt so klar verteilt zu sein scheinen, verführt dazu, es uns als Beobachter und Berichterstatter gefährlich bequem zu machen. So bequem wie Franz Josef Wagner, der am Montag in „Bild“ behauptete:

Kein Tibeter schlägt nach einer Fliege, die ihn belästigt, die Fliege könnte seine verstorbene Großmutter sein. Der Tibeter glaubt an die Wiedergeburt.

(…) Ein Tibeter tötet nicht. Mord ist für einen Tibeter unvorstellbar.

Irgendwie ist an Wagner vorbeigegangen, dass eine Gruppe von Tibetern in den vorausgehenden Tagen möglicherweise nicht damit beschäftigt war, Fliegen zu retten, sondern Chinesen und ihre Geschäfte anzugreifen. Man mag darin auch eine Form von Notwehr sehen. Man darf es nur nicht leugnen.

Auch die Chinesen haben ein Recht darauf, dass die Medien keine Aufnahmen fälschen, um mithilfe prügelnder nepalesischer Polizisten die für uns nicht sichtbare Brutalität chinesischer Polizisten zeigen zu können. Vor allem aber haben wir ein Recht darauf.

[via René per Mail]

Lesenswert auch: Der „Spiegelfechter“ betrachtet einen anderen Aspekt desselben Phänomens.

Nachtrag, 25. März. RTL.de räumt den Fehler jetzt ein und „bedauert“ ihn — verwirrenderweise nicht unter der Überschrift „RTLaktuell.de entschuldigt sich“ oder „RTLaktuell.de korrigiert sich“, sondern „RTLaktuell.de berichtet unabhängig“.