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Kein Kindergeld für Bulgaren und Rumänen? Agenturen fallen auf „Bild“ rein

Sie haben nichts gelernt. Sie werden es nicht mehr lernen. Die vermeintlich seriösen deutschen Nachrichtenagenturen verbreiten ohne jede Prüfung angebliche Exklusivmeldungen der „Bild“-Zeitung.

Deshalb steht heute überall, dass die Bundesregierung prüfe, das Kindergeld für Rumänen und Bulgaren einzuschränken.

AFP war besonders schnell und meldete schon um zwei Minuten nach Mitternacht:

„Bild“: Bund und Länder lassen Kindergeld für Zuwanderer prüfen – Leistung soll an Deutschlandaufenthalt gekoppelt werden

dpa schlappte acht Minuten später hinterher:

„Bild“: Einschränkung des Kindergelds für Bulgaren/Rumänen erwogen

Um 4:14 war Reuters so weit:

Wie „Bild“ (Dienstagausgabe) vorab unter Berufung auf einen Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft Armutswanderung aus Osteuropa meldete, prüfen Bund und Länder, ob sie Zuwanderern aus Bulgarien und Rumänien in bestimmten Fällen das Kindergeld streichen können. Dabei könnte die Zahlung des Kindergeldes an den Schulbesuch oder den Aufenthalt des Kindes in Deutschland gekoppelt werden. Als problematisch werde gesehen, dass den Zuwanderern das Geld auch für Kinder zusteht, die noch im Heimatland leben, schrieb die Zeitung.

Zu diesem Zeitpunkt hatte dpa die „Bild“-Exklusivmeldung bereits ein zweites Mal verbreitet, nun als Teil einer Zusammenfassung „Das geschah seit gestern Abend“.

Es hätte genügt, zwei Stichwörter aus der „Bild“-Geschichte bei Google einzugeben, um festzustellen, dass die vermeintliche „Vorab“-Meldung alt und überholt ist. (Eigentlich sollte man denken, dass der Absender „Bild“-Zeitung und der Autorenname Dirk Hoeren Anlass Anlass zu einer sehr viel weitgehenderen Überprüfung als bloß einer schnöden Internetsuche gäben, aber wer so denkt, hat mit deutschen Nachrichtenagenturen noch nichts zu tun gehabt.)

Jedenfalls hätte die Nachtschicht von dpa, Reuters und AFP mit einer, ich will es nicht Recherche nennen, also jedenfalls in ungefähr drei Sekunden einen gut zwei Wochen alten Artikel von „Zeit Online“ gefunden. Es hätte gereicht, den Vorspann zu lesen, um zu merken, dass die von „Bild“ gemeldete Nachricht zumindest keine Neuigkeit ist:

Das Familienministerium prüft, ob das Kindergeld an Auflagen geknüpft werden kann. Damit soll vor allem die Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien gebremst werden.

„Zeit Online“ nimmt in dem Artikel Bezug auf genau den Bericht der Konferenz der Arbeits- und Sozialminister (ASMK), auf den sich die „Bild“-Zeitung beruft. Die Konferenz fand am 28./29. November in Magdeburg statt. Der Bericht trägt das Datum vom 12. Dezember.

Er ist übrigens kein Geheimnis. Er steht online.

Tatsächlich heißt es darin:

Die Zuwanderung von Osteuropäern, insbesondere aus Bulgarien und Rumänien, nach Deutschland hat in den letzten Jahren stetig zugenommen (…).

Hierzu gehören vielfach Menschen, die aufgrund ihrer Ausbildung in der komplexen Arbeitswelt
Deutschlands gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben und aufgrund des demografischen
Wandels als Arbeitskräfte nachgefragt werden.

(Diesen Teil erwähnt „Bild“, Überraschung, nicht, nutzt den gewonnenen Platz aber für wichtige Fotodokumente.)

In einer erheblichen Zahl kommen aber auch Menschen nach Deutschland, die weder eine Berufsausbildung bzw. zum Teil keine Schule besucht oder abgeschlossen haben, und die aufgrund dieses niedrigen Bildungsniveaus auch langfristig eine schlechtere oder keine Perspektive haben, in Deutschland nachhaltig in den Arbeitsmarkt integriert zu werden.

Dieser Personenkreis erhält in der Regel keine Sozialleistungen und ist auch nicht krankenversichert. Familien leben vielfach vorrangig von Kindergeld.

Ein Teil der Kinder, für die Bulgaren und Rumänen in Deutschland Kindergeld beziehen, lebt laut Bericht nicht in Deutschland (4,6 bzw. 11,6 Prozent). Bei Polen betrage dieser Anteil sogar 30,7 Prozent.

Die Konferenz fordert die Bundesregierung auf zu prüfen, ob man das Kindergeldes nicht davon abhängig machen kann, dass die Kinder die Schule besuchen oder in Deutschland leben.

So stand es auch am 12. Dezember auf „Zeit Online“. Die „Bild“-Zeitung macht daraus:

Bund und Länder prüfen: Weniger Kindergeld für Bulgaren und Rumänen.

(Den falschen Eindruck, es gehe um Sonderregeln für vermeintlich besonders problematische Nationalitäten, der geschickt an die aktuelle Diskussion und vorhandene Ressentiments anknüpft, hat dpa in ihrem Meldungstitel treuherzig gleich übernommen.)

Und hier kommt die Pointe. Unter dem „Zeit Online“-Artikel steht ein entscheidender Nachtrag, durch den die „Bild“-Meldung nicht nur alt ist, sondern überholt:

Das Bundesfamilienministerium reagierte nach Veröffentlichung des Artikels doch noch auf die Anfrage von ZEIT ONLINE. „Die Länder haben das Bundesfamilienministerium aufgefordert, diese Frage zu prüfen. Das Ergebnis: Solche Auflagen sind sowohl rechtlich als auch sachlich nicht möglich“, teilte das Ministerium mit. Man habe, so ein Sprecher, bereits auf der ASMK-Sitzung Ende November erklärt, dass die Auflagen kaum vereinbar seien, habe aber freundlicherweise zugesagt, die Prüfung durchzuführen. Diese Prüfung ist nach Angaben des Sprechers abgeschlossen.