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Wie „Geo“ gegen die Rechte von Autoren kämpft

„Geo“ macht ein großes Fass auf. Wenn gute Zeitschriften nicht das Recht hätten, Texte ihrer Autoren auch gegen deren Willen komplett umzuschreiben, keinen Satzbaustein auf dem anderen zu lassen, selbst wörtliche Zitate von Gesprächspartnern zu ändern, dann könnten sie gar nicht existieren.

So argumentieren sinngemäß die Anwälte des Gruner+Jahr-Blattes in einem Prozess, der in dieser Woche in die zweite Runde geht. Christian Jungblut, ein altgedienter Reporter und langjähriger „Geo“-Mitarbeiter, hatte gegen die Zeitschrift geklagt, weil sie sich nicht davon abbringen ließ, einen Artikel von ihm in Heft 12/2009 in einer grundlegend veränderten und für ihn nicht akzeptablen Fassung unter seinem Namen zu veröffentlichen. In der ersten Instanz hatte ihm das Landgericht Hamburg (wie berichtet) Recht gegeben.

„Geo“ hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. In der Begründung schreiben die Anwälte:

Dieser Rechtsstreit ist von wesentlicher Bedeutung für die Verlagsbranche. Hätte das Urteil des Landgerichts Hamburg Bestand, führte das zu massiven Eingriffen in die für die Publikation von Zeitschriften unerlässliche redaktionelle Autonomie. Redaktionen von Qualitätstiteln wie GEO bedürfen eines gewissen Freiraums in der Überarbeitung und Anpassung von Texten, die von freien Journalisten, aber auch eigenen Redakteuren zugeliefert werden, um den Qualitätsanspruch der Zeitschrift zu wahren und so die dauerhafte Wertschätzung des Publikums zu sichern. (…) [N]ahezu jeder Zeitungs- und Zeitschriftentitel ist darauf angewiesen, dass die Redaktion in die Lage versetzt wird, ihr zugelieferte Texte so zu redigieren, dass sie der jeweiligen Eigenart des Titels gerecht werden.

Unzulässig seien allein „gröbliche Entstellungen“, schreiben die „Geo“-Anwälte und bescheinigen dem Urteil, es sei „von bemerkenswerter Realitätsferne“.

Sie berufen sich bei der „Bestimmung der Grenzen der Änderungsbefugnis“ sogar auf das „hohe Gut der Pressefreiheit“, das Presseverlagen besondere Rechte zubillige. Verlage müsse deshalb auch im Urheberrecht „die Möglichkeit gegeben werden, [zugelieferte] Texte weitgehend und bis zur Grenze der Unzumutbarkeit abzuändern“.

Die „Geo“-Redaktion, die den Artikel komplett umgekrempelt hat, habe keineswegs den „geistig-ästhetischen Gesamteindruck des Originalmanuskripts verändert“, behaupten die Anwälte des Verlages. Es sei zum Beispiel auch keineswegs „‚reißerischer‘ Stil“, dass die Redaktion aus einem Hydrologen einen „Katastrophen-Seher“ machte.

Es geht bei diesem Rechtsstreit um viele konkrete Vertragsdetails und Redigierabläufe, aber im Kern um die Frage: Kann ein Autor die Veröffentlichung seines Werkes nach massiver Abänderung untersagen? Die Antwort von „Geo“ lautet: Nein. Die Anwälte der Zeitschrift fügen sinngemäß hinzu: Und wenn er es könnte, müssten wir den Laden dicht machen.

Die Diskussion um das Urteil lieferte einen erhellenden Blick in die erstaunlichen Umgangsformen hinter den Kulissen der Zeitschrift, die in den vergangenen Jahren rasant Käufer verloren hat und es gerade mit der „Focus“-haften (und inhaltlich komplett irreführenden) Titelzeile „Was Sie über Tiere wirklich wissen sollten“ versucht. Anders als es „Geo“-Chefredakteur Peter-Matthias Gaede behauptete, ist Jungblut nicht der einzige, der über den Umgang der Redaktion mit Texten klagt.

In der Berufungsbegründung versuchen die Anwälte nun den Eindruck zu erwecken, der Artikel, den Jungblut abgegeben hatte, sei stilistisch unbrauchbar gewesen und habe vor Fehlern gestrotzt — und schrecken dabei auch vor dem Auflisten kleinster Petitessen und imaginierter Unrichtigkeiten nicht zurück. Darunter diese:

  • Die „fehlerhafte Gleichsetzung einer schlechten Angewohnheit (‚Laster‘) mit dem im Text eigentlich gemeinten Lastwagen“.
  • „Das umgangssprachliche ‚Holland‘, das korrekterweise ‚Niederlande‘ heißen muss.“
  • „Die falsche geographische Zuordnung von Gouda in der ‚Mitte Hollands‘ (korrekt: im Süden des Landes).“
  • „Die falsche geographische Zuordnung von Nijmegen an den Rhein (korrekt: an der Waal)“.
  • „Die falsche Angabe zur Bevölkerungsdichte in den Niederlanden mit 393/qkm (korrekt: 394/qkm).“
  • „Des Weiteren hat GEO aus dem Manuskript des Autors eine Reihe von Rechtschreib- und Grammatikfehlern getilgt. Beispiel: „Sysiphusarbeit“ (korrekt: Sisyphos).“

Öh.

(Solche Anwaltsschreiben sind ja selten würdevoll, aber dieses gibt doch eine Ahnung davon, wie gerne man für dieses Blatt arbeiten möchte.)

Die „Geo“-Anwälte suggerieren, dass das Urteil gegen „Geo“ die normale Arbeit des Redigierens und Fact-Checkens unmöglich mache. Darum geht es aber in diesem Prozess gar nicht. Es geht darum, ob ein Journalist es hinnehmen muss, dass ein Text, der nicht mehr sein Text ist, gegen seinen Willen und unter seinem Namen veröffentlicht wird.

Die Verhandlung findet am kommenden Mittwoch, 10 Uhr, am Oberlandesgericht Hamburg statt.

Nachtrag, 10. Mai. In der Verhandlung machte das Oberlandesgericht deutlich, dass es die Sache nicht so eindeutig sieht wie die erste Instanz. Grundlage dafür ist vor allem der konkrete Vertrag, den Jungblut mit „Geo“ hatte und der „zumutbare“ inhaltliche Änderungen an den Texten erlaubte. Das Gericht schlug einen Vergleich vor: „Geo“ soll sich verpflichten, den Artikel nicht mehr zu verbreiten und drei Fünftel der Kosten des Rechtsstreits tragen. Beide Seiten haben zwei Wochen Zeit, diesen Vergleich noch abzulehnen — dann würde das Gericht entscheiden.

Gericht erklärt „Geo“: Autoren haben Rechte

Christian Jungblut hätte dankbar sein sollen, dass sein Text von der „Geo“-Redaktion überarbeitet und in so vielen Details geändert wurde, dass von seinem Schreibstil nichts übrig geblieben war. Der Anwalt von Gruner + Jahr teilte dem freien Journalisten mit, dass sein Manuskript von niemand geringerem als „einer Preisträgerin des 1. Preises beim Henri-Nannen-Preis 2008 — bekanntlich dem Nachfolger des Kisch-Preises — redigiert wurde“. Auch Peter-Matthias Gaede, der Chefredakteur von „Geo“, sei „als ein Preisträger des 1. Preises beim Kisch-Preis 1984 (…) sicherlich über jeden Zweifel erhaben“. Jungblut selbst hingegen hat nur einen 3. Platz beim Kisch-Preis 1986 vorzuweisen.

Es geht aber gar nicht um die Frage, ob die Reportage, die Jungblut für „Geo“ über den Deichbau in den Niederlanden geschrieben hat, nach der gründlichen Änderung durch die Redaktion besser war als vorher. (Seine blasse Erzählweise sei durch einen lebendigen und plastischeren Stil ersetzt worden, argumentierte der Verlag vor Gericht.) Es geht um die Frage, ob Jungblut als Urheber ein Recht darauf hat, dass sein Werk nicht gegen seinen Willen in einer massiv veränderten Form veröffentlicht wird.

Das Landgericht Hamburg entschied jetzt (308 O 78/10): Er hat dieses Recht. Das Gericht untersagte dem Verlag Gruner + Jahr, den entsprechenden Artikel „Plan B“ aus Heft 12/2009 weiter zu verbreiten. Entscheidend für das Urteil war dabei nicht die Zahl der Preise oder die Größe des Penis Egos der Beteiligten, sondern das Urheberpersönlichkeitsrecht, das dem Urheber das Recht gibt, „eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung seines Werkes zu verbieten, die geeignet ist, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden“.

Es ist ein Verfahren mit grundlegender Bedeutung für das spannungsreiche Verhältnis zwischen freien Mitarbeitern und Redaktionen. Dass Texte nicht nur behutsam redigiert, sondern auch gravierend verändert werden, ist Alltag bei Zeitungen und Zeitschriften. Die wenigsten freien Journalisten können es sich allerdings erlauben, sich dagegen zu wehren.

Der 67-jährige Jungblut schreibt seit Jahrzehnten als freier Autor für „Geo“ und andere Magazine. Einige seiner Reportagen, zum Beispiel undercover als Steuermann auf einem Supertanker, sind als Bücher erschienen. Früher, sagt er, sei „Geo“ ein ausgesprochenes Autorenblatt gewesen, in dem die Schreiber und ihre spezielle Schreibe weit mehr respektiert wurden als bei anderen Zeitschriften. Heute seien extensive Textänderungen die Regel. Dadurch seien sogar so renommierte Autoren wie Horst Stern und die spätere Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller vergrault worden.

Der Veröffentlichung der Holland-Geschichte gegen seinen Willen geht ein über halbjähriges Hin und Her zwischen Autor und Redaktion voraus. Der Text, den Jungblut geschrieben hatte, sollte nach monatelangem Herumliegen erst schnell von einem Report zu einem Porträt umgeschrieben werden, um in ein spezielles Heftkonzept zu passen. Das wurde dann wieder verworfen, stattdessen gab es andere Änderungswünsche, woraufhin Jungblut eine neue Version schickte. Der Text, der ihm schließlich zur Abnahme geschickt wurde, war dann aber so sehr geändert, dass er ein Veto einlegte. Er teilte Chefredakteur Gaede mit, dass er mit einer Veröffentlichung in der vorliegenden Form nicht einverstanden sei.

Gaedes Antwort war schroff: „Das machen wir ganz einfach: Wir veröffentlichen den Text nicht unter Deinem Namen.“ Als Jungblut dagegen protestierte, legte der „Geo“-Chef nach: „Es war über all die Jahre gut für Dich, dass Deine Texte von GEO-Redakteuren redigiert worden sind. Nun haben wir es allesamt bald hinter uns.“

Jungblut untersagte die Veröffentlichung des umgeschriebenen Textes. „Geo“ ignorierte das und veröffentlichte den Artikel, der auf Jungbluts Artikel beruhte, aber nicht mehr Jungbluts Artikel war, unter Jungbluts Namen.

Der Verlag weigerte sich danach, eine Unterlassungserklärung abzugeben.“Wir bedauern, dass Ihr Mandant es augenscheinlich für richtig hält, eine langjährige Arbeitsbeziehung nun mit so schrillen Misstönen zu beenden“, erwiderte der Anwalt Gruner + Jahr einem entsprechenden Mahnschreiben.

Also traf man sich vor Gericht.

Jungblut beklagte eine „Entstellung“ seines Artikels. Seine Erzählweise sei durch eine reißerische Darstellungsweise ersetzt, Fakten lieblos aneinandergereiht und Zitate zum Teil verändert worden.

Gruner + Jahr berief sich auf einen Autorenvertrag, in dem dem Verlag das Recht „zur Änderung und Bearbeitung“ der Beiträge Jungbluts eingeräumt wird, „soweit diese Bearbeitung nicht den Sinn des Beitrags unzumutbar verändert“.

Das Landgericht urteilte, dass der Verlag sein Bearbeitungsrecht überschritten hat. In der Begründung listet es akribisch die Veränderungen auf, die die Redaktion vorgenommen hat: „Kaum ein Satz des Klägers wurde wortwörtlich übernommen.“ Auch Zitate von Personen und kleinste sprachliche Besonderheiten seien verändert worden. Ohne Zustimmung des Autoren hätte „Geo“ diese Bearbeitung nicht veröffentlichen dürfen.

Der von [„Geo“] umgeschriebene Text bringt vor allem zum Ausdruck, dass [„Geo“] einen anderen Sprachstil erwartet hat. Dieser Erwartung muss der Kläger (…) jedoch nicht gerecht werden. Er hat als Urheber das Recht, auf seinen Sprachstil zu bestehen oder andernfalls seine Veröffentlichung zu untersagen. [Die Zeitschrift] kann sich demgegenüber entscheiden, ob sie den Text im Stil des Klägers veröffentlichen will oder nicht.

Das Gericht wies auch Vorwürfe des Verlages, der Autor habe sich einer Zusammenarbeit verweigert, zurück. Das Urteil liest sich in jeder Hinsicht vernichtend für einen renommierten Verlag und eine trotz einbrechender Verkaufszahlen immer noch renommierte Zeitschrift. Gruner + Jahr wird untersagt, den Text zu nutzen – selbst ohne Namensnennung des Autors.

Gaede wollte sich auf Anfrage nicht zu dem Fall äußern, deutet aber an, dass der Verlag wohl in Berufung gehen wird. Jungblut hat das Gefühl, dass der „Geo“-Chefredakteur grundsätzlich nicht bereit ist, das (im Kern unveräußerliche) Urheberpersönlichkeitsrecht anzuerkennen. Als er sich in einem früheren Fall schon über größere Änderungen beschwerte und sagte: „Ich bin kein Steinbruch-Lieferant“, habe Gaede erwidert: „Jeder ist hier Steinbruch-Lieferant.“ Gaede möchte dieses Zitat nicht bestätigen.

Jungblut sagt:

Ich habe diesen Prozess durchgezogen, weil ich zunächst einmal sehr verärgert war. Das gab sich aber recht bald. Ich wollte eine rechtsgültige Antwort darauf: Wie viel darf eigentlich eine Redaktion ohne das Einverständnis des Autoren verändern? Das ist sehr wichtig für alle Autoren und Reporter. Vielleicht werden die meisten ihr Recht nicht einfordern. Aber sie wissen jetzt, dass es möglich ist.

Der „Spiegel“ nennt die Entscheidung des Gerichts in seiner aktuellen Ausgabe ein „eher skurril anmutendes Urteil“. Vielleicht sagt das auch etwas über das eigene Verhältnis des Hamburger Nachrichtenmagazins zu den Rechten von (freien) Journalisten aus.

Nachtrag, 21.50 Uhr. Wolfgang Michal auf „Magda“ zum selben Thema:

Das ist ein bemerkenswertes Urteil. Es führt die Tätigkeit des Redigierens auf seinen ursprünglichen Zweck zurück: auf den behutsamen Umgang mit fremden Texten. Es fordert die Respektierung des individuellen Stils, die Reduzierung der redaktionellen Eingriffe auf das absolut Notwendige und die prinzipielle Einigung mit dem Autor.

Nachtrag, 23.50 Uhr. „Geo“-Chefredakteur Peter-Matthias Gaede antwortet in den Kommentaren.

Nachtrag, 3. November. Das Urteil im Volltext.

Nachtrag, 15.30 Uhr. Die „Freischreiber“ (ein Berufsverband freier Journalisten, bei dem ich Mitglied bin) haben ein ausführliches Interview mit Jungblut geführt.

Nachtrag, 6. Mai. Fortsetzung hier.