Schlagwort: Günther Jauch

Günther und Johannes Nähkastenfrosch

Vergangene Woche habe ich Günther Jauch in seinem unaufgeräumten Büro in Köln besucht, um ihn zu überreden, endlich mit „Stern-TV“ aufzuhören. Es hat nicht ganz geklappt, obwohl ich so dicht dran war. Aber den Versuch kann man auf FAZ.net nachlesen (oder, für die ganz Harten, in einer noch längeren Version hier im Blog).

Das Interview ist übrigens (weil wir neulich die Diskussion hier hatten) natürlich autorisiert. Anders hätte man aus einem solchen fast zweistündigen Gespräch auch keinen druckbaren Text machen können. Es ist für mich immer wieder erstaunlich, beim Abtippen der Aufzeichnung zu merken, welche Irrwege ein solches Gespräch nimmt, wieviele Sätze, die in der Situation völlig klar waren, aufgrund des reinen Wortlautes völlig unverständlich in der Luft hängen. Ohne die Möglichkeit, das gründlich zu redigieren, Doppelungen herauszunehmen, missverständliche Formulierungen zu klären, ganze Fragen und Antworten umzustellen, um sie in den passenden Kontext zu heben, wäre das Lesen eines solchen Textes eine Qual. Und dadurch, dass ich weiß, dass mein Gesprächspartner ohnehin die Chance hat, seine Sätze zu ändern, kann ich auch Fragen und Antworten zuspitzen.

Natürlich gibt es Interviewformen, bei denen man sich fünfzehn Minuten sehr konzentriert unterhält und schon das wörtliche Gesprächsprotokoll publikationsreif wäre. (Und es gibt Themen und Gesprächspartner, bei denen es notwendig ist, darauf zu pochen: Was gesagt ist, ist gesagt.) Und bestimmt gibt es auch Kollegen, die es schaffen, ein längeres Gespräch besser im Griff zu behalten, so dass weniger Nachbearbeitung nötig ist. Aber in solchen Fällen wie dieser Plauderei mit Jauch ist eine Autorisierung für alle von Vorteil: den Interviewer, den Interviewten und ich behaupte: auch den Leser. (Jauch ist ohnehin angenehm, weil er zwar den ein oder anderen Schlenker herausnimmt, aber auch gerne nachträglich pointiert.)

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Einen ganzen Artikel würde ich aber auch ihm nicht zur Autorisierung schicken, schon aus Prinzip, und schmerzhaft gelernt habe ich das — ausgerechnet — als ich zum ersten Mal Johannes B. Kerner traf. Es war 1996, er war damals aufstrebender Moderator einer täglichen Sat.1-Talkshow und „ran“-Moderator und ich Praktikant in der Medienredaktion der „Süddeutschen Zeitung“, ich habe ihn besucht und ihm (ich glaube schlicht: der Einfachheit halber) vor der Veröffentlichung nicht nur seine Zitate geschickt, sondern den fertigen Artikel.

Oder genauer: Das, von dem ich annahm, dass es der fertige Artikel sein würde. Mein Ressortleiter fand das Stück nämlich missraten. Er meinte (nicht zu unrecht), dass ich mich von dem Charme des Profis völlig habe blenden lassen und forderte eine neue, distanziertere Version meines Artikels.

Als die dann erschien, machte Kerner einen Riesenaufstand. Obwohl nie ausgemacht war, dass er über den Text jenseits seiner wörtlichen Zitate bestimmen dürfe, fühlte er sich — nicht zu Unrecht — von mir bösartig in die Irre geführt: Ich hatte ihm ein überfreundliches Portrait geschickt. Erschienen war eine kritische Würdigung.

Es war mir eine Lehre. (Und der Beginn keiner wunderbaren Freundschaft.)

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Übrigens habe ich im Zusammenhang mit dem Jauch-Interview die schlimmste Internetseite überhaupt gefunden: meinesammlung.com. Ich würde nämlich gerne mal „Rätselflug“ wiedersehen, die legendäre Abenteuershow, bei der Günther Jauch (geführt durch Kandidaten im Studio, die Hinweise und Karten hatten, aber kein Fernsehbild) durch ferne Länder rannte und mit dem Hubschrauber flog und irgendwelche Dinge finden musste. Bei der Suche danach stoße ich auf einen Eintrag bei meinesammlung. Da schreiben also irgendwelche Leute hin, dass sie alle Folgen von „Rätselflug“ haben („Folge 7,9 10 mit kleinen Bild+Tonstörungen“), wo mich schon glücklich machen würde, eine Folge zu haben. Und sie schreiben das dahin, um das dahin zu schreiben. Sie verkaufen das nicht. Sie laden das nicht irgendwo hoch. Sie haben das einfach. Und schreiben das dahin, damit ich das beim Googlen finde und mich ärgere.

Ich halte das für einen Fall für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

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Jedenfalls zeigt RTL heute Abend Höhe- und Tiefpunkte aus 2000 Jahren „Stern-TV“.

20 Jahre „Stern-TV“

Eine Sendung wie Wasser aus dem Hahn. Moderator Günther Jauch über ein merkwürdig unbeachtetes, aus der Zeit gefallenes Magazin und seine fehlende Lust auf Neues.

(Langversion eines Interviews für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“)

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Neulich war meine Fernbedienung kaputt. Ich lag auf dem Sofa, war zu faul aufzustehen und habe versehentlich eine ganze Sendung „Stern-TV“ gesehen, ohne ein einziges Mal umzuschalten. Herr Jauch, das war hart.

Na, mit dem Sehverhalten sind Sie auch in der Minderheit. Nur etwa ein Drittel der Zuschauer sieht die komplette Sendung. Klar: Wer um Viertel nach Zehn guckt, hält nicht zwangsläufig bis Zwölf durch. Dafür kommen Leute um elf Uhr von irgendwo anders und bleiben eine Stunde dran. Uns hilft es auch, wenn wir eine Serie über mehrere Sendungen haben, dass wir sie mal am Anfang platzieren und mal am Ende, und nicht jeder sagt: Ach das Thema kenn‘ ich ja schon. Das bringt natürlich den Zwang mit sich, die Filme immer so selbsterklärend zu machen, dass sie auch derjenige versteht, der es zum ersten Mal mitkriegt.

Da lief jedenfalls die erste Folge eines Experimentes „Plötzlich alt“, in dem acht junge Leute vier Tage lang künstlich eingeschränkt wurden und wie in einem Altersheim lebten. Schon die Vorstellung hat Ewigkeiten gedauert, alles war endlos pseudodramatisch ausgewalzt und schleppte sich gefühlt eine Stunde lang hin.

Es waren knapp 30 Minuten. Aber genau das ist auch die Qualität von „Stern-TV“. Natürlich kriegen Sie das zur Not auf „Tagesthemen“-Beitrags-Länge, 3:30: Spezialanzug angezogen / zwei in den Rollstuhl gesetzt / eine ist jetzt blind / schwierig für sie / harte Nummer. Das machen wir eben so nicht. Andere haben für ihre Magazine gerade mal insgesamt 30 Minuten — wir gönnen uns so viel Zeit, wie ein Thema braucht oder verträgt. Sie können dann immer noch nörgeln: Mir ist das langweilig, mich interessiert das Thema nicht. Das ist aber bei „Stern-TV“ seit 20 Jahren so. Sie werden kaum Leute finden, die immer vom ersten bis zum letzten Thema gleichermaßen elektrisiert sind.

Aber ist es nicht alles sehr aufgeblasen? Es ist ein extremer Aufwand, den Sie da betrieben haben …

Ja, der Aufwand war gewaltig. Wir haben ein halbes Jahr daran gearbeitet, alles wissenschaftlich begleiten und prüfen lassen. Das war richtig teuer. Aber am Ende hat diese Reihe ganz besonders viele junge Leute interessiert,es war weltweit der erste Versuch dieser Art, die Bundesfamilienministerin war im Studio und die Ausbilder für Pflegeberufe wollen das jetzt alle auf DVD. Wissen Sie, wie man das auch nennen kann? Qualitätsfernsehen!

Für die schlichte Erkenntnis: Alt werden ist auch nicht schön?

Na gut, man kann es sich so einfach machen. Aber ich finde es schon interessant, dass da acht reflektierte junge Leute sind, die in so kurzer Zeit alle vollkommen aus der Fassung geraten und sagen, dass sie einen völlig neuen Blick gekriegt haben, wie das ist, wenn man alt ist. Also, ich habe da sehr interessiert zugeschaut und mich können Sie ja nicht mehr so leicht begeistern.

„Stern-TV“ hat Redundanz zum Prinzip gemacht. Nach jedem Beitrag setzen Sie die Leute aus dem Film ins Studio und quatschen alles noch mal mit denen durch.

Das ist nur selten so, dass ein Film tatsächlich so komplett ist, dass sich da im Studio etwas wiederholt. Aber glauben Sie im Ernst, dass es die Sendung und mich noch geben würde, wenn wir feststellen, dass die Filme allein eigentlich reichen? Die Zuschauer wollen beides — Film und Studioaktion. Sonst wäre ich ja nur ein überbezahltes Moderationsmaskottchen, dass den Betrieb aufhält.

Auf mich wirkt das oft wie die Not, mit möglichst wenig Stoff möglichst viel Zeit zu füllen, um Geld zu sparen.

Im Gegenteil. Die Sendung ist sehr aufwendig gemacht und damit auch teuer. Es sind auch nicht weniger Themen geworden. Ich finde auch, dass die Filme bei uns sehr oft eine höhere Qualität haben, als das, was Sie sonst so an allgemeiner Schnipselware sehen. Ohne diesen Standard bei den Filmen hätten wir ein Problem — also stecken wir da Geld rein. Nein, was sich geändert hat, sind unsere Sehgewohnheiten. Zum Beispiel dadurch, dass Sie am Computer immer das Tempo bestimmen können, wie es weitergeht. Die gefühlte Geschwindigkeit hat sich komplett verändert. So gesehen mag die Sendung aus der Zeit gefallen sein. Wenn Sie das heute als neues Konzept irgendwo anbieten würde, diese Eindreiviertel-Stunden, auch bei den Öffentlich-Rechtlichen, das bekämen Sie nicht unter.

Sie empfinden diese Langsamkeit als Glück, als Luxus.

Ja, sehr. Dieses lange Erzählen, sich ausführlich um Themen zu kümmern, das ist schon seltener geworden. Das erleben Sie noch bei 3sat-Dokumentationen oder arte-Themenabenden. Und wir holen damit jeden Mittwoch um die drei Millionen Zuschauer und Bestwerte in der jungen Zielgruppe! Vielleicht liegt das auch an dem wirklich breiten Spektrum, das wir abdecken. Dass Sie Unsinn genauso machen können wie wichtige Themen, dass Sie da Minister auflaufen lassen können und danach Seehunde, die aus dem Maul stinken und den Moderator küssen. „Stern-TV“ ist, wie der „Stern“ zu Henri Nannens Zeiten war. Eine Wundertüte. Da kam auch alles drin vor, und die Leute haben das gern gelesen. In dieser Woche hatten wir das Finale der Alters-Serie, eine Geschichte über Videoüberwachung bei Schlecker, Missbrauch in der Kirche, einen Mann, der das Turiner Grabtuch perfekt mit mittelalterlichen Methoden kopiert hat sowie Berliner Jungs, die Break Dance auf Bach tanzen. Da können Sie bei jedem Thema sagen: Geht die Welt unter, wenn das nicht läuft? Nein. Aber es ist eine gute, unterhaltsame, klassische Mischung.

So einfach scheint es ja nicht zu sein, eine Wundertüte zu verkaufen, das merkt Johannes B. Kerner gerade.

Dazu kann ich schlecht was sagen. Wir sind vor 20 Jahren angetreten, das öffentlich-rechtliche Monopol auf die Beschreibung der Zustände in der Gesellschaft aufzubrechen. Aber wir hatten auch den Ehrgeiz, damit am Markt erfolgreich zu sein. Dabei ist „Stern-TV“ am Anfang ziemlich gefloppt. Da war die Heerschar derjenigen, die glaubten, uns genau erklären zu können, woran es liegt, riesig. Bis hin zum Vorstandsmitglied von Bertelsmann, das uns einen Brief schrieb, er habe das zentrale Problem der Sendung erkannt. In Zukunft dürften wir eines nicht mehr tun: weibliche Gäste ohne einen Blumenstrauß verabschieden. Aber es gab früher öfter die Haltung, lass es mal laufen — entweder aus Bequemlichkeit, aus Arroganz, oder weil jemand gewusst hat: Dinge entwickeln sich. Die hektische Ungeduld bestimmt heute das Fernsehen. Einem Neustart von „Stern-TV“ würde kein Senderchef mehr zwei Jahre Bewährungszeit geben. Da werden Programme ja manchmal schon nach zwei Wochen gekillt.

Das heißt, die Leute gucken es auch aus Gewohnheit?

Wir stellen zumindest fest, dass die Sendung für die Leute eine große Bedeutung hat, weil so viele sie regelmäßig schauen. Wir beobachten aber gleichzeitig , dass sie publizistisch kaum mehr wahrgenommen wird. Oft sind wir mit brisanten Themen die ersten auf dem Markt. Wenn Monate später zum Beispiel ein öffentlich-rechtliches Magazin nachzieht, landet das Thema auf einmal in den Zeitungen. Das ist einerseits angenehm, weil wir in Ruhe arbeiten können und nicht dauernd einer reinquatscht. Und auf der anderen Seite ist es eigentlich ungerecht. „Stern-TV“ hat in zwanzig Jahren noch nie einen Fernsehpreis bekommen. Es gab einmal eine Nominierung für den Deutschen Fernsehpreis für eine rechtsradikale Familie in drei Generationen, die wir über 15 Jahre begleitet haben. Ich bin deshalb nicht beleidigt, aber seltsam ist es schon. Mit „Stern-TV“ verhält es sich vielleicht so: Es wird dunkel, und Sie kommen nach Hause und machen das Licht an. Da stehen Sie dann auch nicht, starren an die Decke und sagen: Boah! Oder beim Händewaschen geht Ihnen auch nicht durch den Sinn: Donnerwetter, Trinkwasser! Könnt‘ ich mir sogar die Zähne mit putzen! Vielleicht funktioniert auch „Stern-TV“ ein bisschen so.

Das erklärt vielleicht auch, warum Sie nicht für das geprügelt werden, für das andere geprügelt werden.

Das stimmt auch wieder.

Kerner und Lanz sind schnell Symbole geworden für all das, was schwierig ist an dieser Art Boulevard-Fernsehen. Sie sind erstaunlicherweise fast völlig davon verschont worden.

Ja, manchmal sitzen wir hinterher auch da und sagen bei irgendeinem Thema: Hoffentlich hat das keiner gesehen. Am nächsten Tag waren dann aber doch überdurchschnittliche 3,5 Millionen Leute dabei …

… aber zumindest niemand, der dann noch drüber schreibt.

Genau.

Macht Ihnen RTL keinen Druck, öfter Schlagzeilen zu produzieren?

Wenn Sie 20 Jahre lang zuverlässig zwischen 16 und 23 Prozent Marktanteil in der Zielgruppe produzieren,sind sie wechselseitig doch etwas entspannter. Vor allem haben wir ja schon an vielen Ufern gestanden. Frau Schreinemakers gegen uns, stundenlang, als Raab anfing mit „TV-Total“, Kerner sowieso. Da hat man viele kommen und gehen sehen.Und fast jeden Mittwoch Champions-League, DFB Pokal oder Länderspiele gegen uns. Und trotzdem: Ich behaupte, dass es kein Magazin gibt, das sowohl formal als auch inhaltlich so frei arbeiten kann wie wir. Uns sagt wirklich keiner was. Das ist ein unglaubliches Privileg gerade im Fernsehen, wo es von Controllern, Bedenkenträgern, Marktforschungsgläubigen und CD-Verkäufern nur so wimmelt. „Stern-TV“ hat zum Beispiel regelmäßig Produkttests. Da gibt es wichtige Werbekunden, die negative Ergebnisse nicht lustig finden. Der Sender steht da seit 20 Jahren, in guten wie in schlechten Zeiten, wie eine Eins hinter uns und läßt uns testen und kommentieren was und wie wir das wollen. Dabei sind da zuweilen siebenstellige Budgets in Gefahr. Soviel Rückendeckung können Sie woanders mal suchen.

Kann es sein, dass Sie die Sendung auch aus einer Art Gewohnheit machen? Es ist bestimmt angenehm, da reinzuschlüpfen wie in einen alten Bademantel. Aber haben Sie mit Ihrer Popularität nicht auch Lust, mal wieder richtig was zu reißen, zu überraschen?

Die Frage kommt gerne auch in der Form: Haben Sie nicht noch einen Traum? Wenn ich den habe, werde ich ihn nicht verraten. Ich gebe aber auch zu, dass die Zahl meiner Träume inzwischen überschaubar ist.

Aufs Fernsehen bezogen.

Ja, nur! Vor 25 Jahren wäre es für mich das Größte gewesen, das „heute-journal“ zu moderieren. Die wollten mich ja mal haben.

Das „heute-journal“?

Ich sollte zweiter Mann hinter Ruprecht Eser werden. Da passte ich allerdings proporzmäßig nicht, den Platz bekam dann Siegmund Gottlieb. Die Sendung gefällt mir, aber das zu moderieren ist für mich heute nicht mehr so reizvoll wie damals. Dazu kommt, dass ich Sachen gerne länger mache. Ich war zehn Jahre beim Radio, habe zehn Jahre das „Aktuelle Sportstudio“ gemacht. Ich mache jetzt im elften Jahr „Wer wird Millionär“. Und jetzt im 20. Jahr „Stern-TV“… Dabei habe ich immer gesagt: „Ich will nicht zum Klaus Bednarz von RTL werden“, weil der doch ewig in seinem Pullover „Monitor“ moderiert hat. Bis ich mal nachgeguckt habe, wie lange der das gemacht hat: nur 18 Jahre. Seitdem lasse ich den Bednarz-Vergleich weg.

Schon nach Ihrer Aufzählung liegt doch auf der Hand, dass ein neues Projekt für die nächsten zehn Jahre hermuss.

Wenn ich jetzt mit „Wer wird Millionär“ aufhören würde …

Nein, mit „Stern-TV“ sollen Sie aufhören!

Sie sind wirklich der herzlichste Gratulant, der mir zum 20. Geburtstag der Sendung begegnet ist. Ich nehme das jetzt mit gebührender Abscheu und Empörung zur Kenntnis, und werte es als exotische Einzelmeinung. — Aber erinnern Sie sich an „Wünsch Dir was“? Die haben gesellschaftliche Veränderungsprozesse auf rührend spielerische Weise erspürt und abgebildet. So etwas wäre reizvoll. Aber das scheitert heute oft daran, dass es kaum noch Tabus gibt. Alles was mit Sexualität zu tun hat, mit Reichtum, Armut, Neid und Korruption findet schon in einer teilweise derart grotesken Weise im Tagesprogramm statt, dass da kaum etwas übrig bleibt.

Warum kommt alle paar Tage wieder die Meldung, dass Sie doch noch zur ARD gehen?

Das fragen Sie einfach mal die, die den Knochen dauernd wieder neu ausbuddeln. Ich äußere mich nicht dazu. Wie sich die Dinge damals entwickelt haben, ist bekannt. Mein Eindruck ist, dass es danach auf beiden Seiten Bedauern gab, wie das gelaufen ist.

Das gescheiterte Projekt Ihrer Christiansen-Nachfolge ist natürlich auch ein Ursprung vieler Fragen danach, ob Sie nicht mal was anders machen wollen. Seitdem ist das als unerfüllter Traum dokumentiert.

Ich bin ja noch jung.

Wenn Sie mit „Stern-TV“ aufhören, setzt das auch neue Energie frei.

Das ist schon toll, wie Sie mir eine seit 20 Jahren erfolgreiche Sendung madig zu machen versuchen. Ich möchte aber kein Buch schreiben oder in die Politik gehen. Das können andere besser. Aber demnächst muß ich mich um ein Weingut an der Saar kümmern, dass seit 1805 in Familienbesitz ist und dessen Riesling zum Glück einen Spitzenruf genießt. Wenn ich es nicht übernehme, wird es aus der Familie herausverkauft.Jetzt gehe ich aus Famiientradition sogar in die Landwirtschaft.Das wird noch ein Abenteuer.

Das „Zeit Magazin“ hat Sie im vergangenen Jahr als eine Art Arbeitstier beschrieben, fast wie ein Bergmann, der nie aus dem Stollen kommt.

Seit meinem 20. Lebensjahr stehe ich regelmäßig in Studios. Dadurch, dass ich jede Woche eingetaktet bin, habe ich von der Welt tatsächlich nicht viel gesehen. Und ich kann nicht so leicht sagen, ich möchte jetzt mal die üblichen zwei Jahre Weltreise machen.

Kann es sein, dass Sie andererseits auch eine Art Bequemlichkeit entwickelt haben?

Man kann es Bequemlichkeit nennen, aber vielleicht auch Weitsicht. Sie können natürlich alle Vierteljahre mit einer neuen Idee mit fliegenden Fahnen untergehen. Dazu habe ich aber keine Lust und es wäre auch nicht sehr klug.

In zwei Wochen feiern Sie in zwei großen Shows — die natürlich Ihre Firma produziert — sechzig Jahre ARD. Da sieht man dann auch den jungen, abenteuerlustigen Günther Jauch, der in der legendären Action-Spielshow „Rätselflug“ am Hubschrauber hängt.

Das finde ich schön, dass Sie da nostalgisch dran hängen. Ich treffe auch immer wieder Leute, die schon im fortgeschrittenen Alter sind und sagen: Als Schulkind habe ich Sie im Radio gehört. Da zucke ich dann schon immer zusammen. Aber es ist wirklich so, dass alles seine Zeit hat.

Sie klingen da weniger verklärt als Ihr Publikum.

Doch, das hat mir damals gefallen. Aber es wird davon nichts bleiben.

Na, die Erinnerung.

Ja, aber wenn ich mir heute Loriot ansehe, finde ich den immer noch so witzig wie damals. Das ist bei meinen Sachen nicht so. Es ist tatsächlich Gebrauchsfernsehen: Das ist für den Moment okay. Deshalb stehe ich auch zu „Stern-TV“. Formal sind wir da vielleicht zehn, 15 Jahre zurück, aber es funktioniert, und so gesehen halte ich die Sendung immer noch für absolut zeitgemäß. Und das Schönste ist: Ein paar Millionen — außer Ihnen — sehen das jeden Mittwoch Abend auch so.

Warum Günther Jauch den ZDF-Bundeskanzler wählt

Als Das Erste im November 2007 eine neue Show mit Frank Elstner namens „Das unglaubliche Quiz der Tiere“ startete, warb der Sender dafür nicht nur mit dem eigenen Moderator, sondern auch mit einem Mann von der Konkurrenz: Es sei der erste Auftritt von Günther Jauch als Kandidat in einer Quizshow.

Ein gutes Jahr später saß der RTL-Moderator wieder als Quiz-Kandidat in einer ARD-Show: Diesmal hieß sie „2008 – Das Quiz“ und wurde von Frank Plasberg moderiert.

Und was eint beide Sendungen? Sie werden von Jauchs Firma I&U produziert. Ein Sender, der sich eine Show von I&U produzieren lässt, bekommt als Bonus, wenn er mag, Jauch als Gast mit dazu. Das ist kein schlechter Deal: Jauchs Prominenz trug sicher mit dazu bei, dass beide Sendungen jeweils knapp sieben Millionen Zuschauer hatten, was viel ist.

Jauchs Gastauftritte helfen dem Sender – und ihm selbst als Produzenten. Der Markt der Fernsehproduzenten wird in Deutschland – auch deshalb – inzwischen im erstaunlichen Maß von Fernsehmoderatoren dominiert, und Jauchs Kollegen greifen zum Anschub einer neuen Sendung gerne auf denselben Trick zurück. ZDF-Moderator Johannes B. Kerner saß im vergangenen Dezember als Kandidat in der ARD-Show „Deutschlands größter Gedächtnistest“, die von seiner Firma Die Fernsehmacher für das Erste Programm hergestellt wurde. Und sogar ARD-Allesmoderierer Jörg Pilawa fand im November die Zeit, sich für die Premiere der ZDF-Show „Das will ich wissen“ als Gast zur Verfügung zu stellen. Produziert wurde sie von einer Firma namens White Balance. Deren Geschäftsführer heißt, richtig: Jörg Pilawa.

Mit diesem Hintergrundwissen können Sie nun sogar selbst erraten, wer in der Jury sitzen wird, wenn das ZDF in diesem Sommer in einer Art Casting-Show Nachwuchstalente sucht, die sich zutrauen, Bundeskanzler zu werden. Sie müssen dazu nicht einmal wissen, dass die Show „Ich kann Kanzler“ heißt (der schöne Alternativvorschlag „Ich will hier rein“ konnte sich leider nicht durchsetzen), dass sie von ZDF-Nachrichtenmann Steffen Seibert moderiert wird, dass sich Teilnehmer online mit Fotos, Videos und einer „Idee für Deutschland“ bewerben können und die Jury aus den 40 besten Bewerbern vier auswählt, die in einer Live-Show am 19. Juni gegeneinander antreten und um den Titel „Kanzler für einen Abend“, ein „Kanzlergehalt“ und ein Praktikum in Berlin kämpfen.

Alles, was sie wissen müssen, um auf die Lösung zu kommen, ist, dass das ZDF den Auftrag zur Produktion an Günther Jauchs Firma I&U vergeben hat.

Na?

Bingo!

Im Original der Show, das seit drei Jahren in Kanada als „The Next Great Prime Minister“ läuft, sind es ehemalige Premierminister, die in der Jury über die Bewerber entscheiden. Aber Günther Jauch, den die Deutschen in Umfragen regelmäßig als ihren Wunsch-Bundeskanzler angeben, ist für das ZDF natürlich auch ein Coup. Quasi als bester Bundeskanzler, den wir nie hatten.

25 Jahre RTL: Ein Fall für die Couch

Schauen Sie sich mal dieses Bild an:

Fällt Ihnen was auf? Warten Sie, hier sieht man’s noch besser:

Hammer, oder? Und hier verschwinden die letzten Zweifel:

Tatsache. Kein Sofa.

Es muss ich um eine RTL-Show handeln, der Standard-RTL-Show-Moderator steht in der Standard-RTL-Show-Kulisse, alles ist wie immer, aber es fehlt das Sofa!

Einen Augenblick lang dachte ich, RTL habe das Unvorstellbare gewagt und sich und uns zu seinem 25. Geburtstag eine Show geschenkt, die anders ist als all die Shows, die RTL sonst immer zeigt. Aber es stellte sich heraus, dass sich das Sofa nur ein bisschen verspätet hatte, aber nach dem ersten Block, im dem – wie immer – Menschen vor einer Blue-Box sitzen und mit Halbsätzen kommentieren, was sie und die Zuschauer gerade sehen…

…also danach war dann auch das Sofa da und es war fast alles wie immer:

(Später nahm dann statt Günther Jauch, Bruce Darnell und Dieter Bohlen Atze Schröder auf dem Sofa Platz, und es war exakt alles wie immer.)

Man darf das nicht klein reden, das Revolutionäre an der Entscheidung, die Sendung ohne das Sofa zu beginnen, vermutlich waren x Sondersitzungen diverser RTL-Gremien nötig, um diese Abweichung vom vorgeschriebenen RTL-Show-Standard zu genehmigen.

Prominente und Zuschauer staunten angesichts der Ausschnitte aus der RTL-Geschichte, was da früher alles im Sender gelaufen war. Nicht nur, wie unbeholfen und unfertig das oft daher kam, sondern auch welche Bandbreite von Genres es einmal im RTL-Programm gegeben hat – verglichen mit der heutigen Armut und Einfalt. Der mit Abstand erfolgreichste kommerzielle Sender und Taktangeber im deutschen Fernsehen hat fast nur noch eine einzige Art von Show im Programm: eben die, in der Prominente abwechselnd auf dem Sofa und vor der Blue-Box kurze Filmausschnitte kommentieren, in dem immer gleichen Studio, in dem höchstens zwei drei Kulissen verschoben oder die Sofabezüge ausgetauscht werden, wenn statt „25 Jahre RTL“ hier „Die ultimative Chart-Show“ produziert wird, mit der immer gleichen, hinter einem Halbkreis-Tor verborgenen Ecke für die Show-Acts. Unvorstellbar, dass RTL seinen Geburtstag in anderer Form gefeiert hätte, als große Gala, ohne die Schlafmützigkeit eines Oliver Geißen, als Dokumentation, Feature, intime Talkrunde. Es gibt diese Formen nicht im RTL-Programm, um Geschichten aus der Geschichte zu erzählen, es muss alles so sein wie immer, und die Quoten geben, wie man so schön sagt, RTL Recht.

Und es sind nicht nur die Shows: Auch für Geschichten aus dem Leben gibt es bei RTL nur noch eine einziges Genre. Ob die „Super-Nanny“ hilft oder „Rach, der Restauranttester“ kommt, ob Ausreißer gesucht oder Schulden getilgt werden: Erzählweise, Dramaturgie, Tonfall sind immer gleich.

Vielleicht ist das kein Zufall bei einem Sender, der von Anke Schäferkordt als Buchhalterin verwaltet wird. Sie hat gestern der „Süddeutschen Zeitung“ eines ihrer typischen Interviews gegeben, denen man nie anmerkt, ob sie überhaupt ein einziges Programm ihres Senders jemals gesehen hat, geschweige denn so etwas wie Leidenschaft dafür entwickelt hätte. „Was uns auszeichnet, ist unsere Vielfalt“, sagt sie, und auf die Frage, was das kommerzielle Fernsehen der Gesellschaft gebracht habe, antwortet sie: „Vielfalt, Qualität und Wettbewerb, der wach hält.“

Natürlich sagt sie auch den Satz, den alle Fernsehmanager als Mantra gewählt haben: „Wir haben die vielfältigste und qualitativ stärkste Fernsehlandschaft weltweit.“ Leider werden die Schäferkordts nie dazu aufgefordert, diese Behauptung zu begründen und zu erklären, inwiefern zum Beispiel das britische oder amerikanische Fernsehen eintöniger und schlechter wäre. In der „Süddeutschen“ konnte die RTL-Chefin sogar sagen: „Wir haben ein Vollprogramm und bieten in großem Umfang Informationsformate an“, ohne dass der Interviewer sie darauf hinwies, dass ihr Sender die Zuschauer zwischen 19.05 Uhr und 22.15 Uhr an keinem Tag der Woche mit auch nur einem einzigen Informationsprogramm behelligt.

Dabei wäre es so leicht: Oliver Geißen könnte in der Prime-Time die „Ultimative News-Show“ präsentieren, in der Günther Jauch, Rosi Mittermaier, Atze Schröder und Aleksandra Bechtel kurze Clips von aktuellen Neuigkeiten launig kommentieren und Peter Kloeppel als regelmäßiger Gast gelegentlich Faktenbroken einwirft. Vom Sofa aus, klar.

Kann Kühn Kerner kucken?

Kollege Alexander Kühn vom „Stern“ hat sich in seiner Fernseh-Video-Kolumne „Was kuckt Kühn“ auch gefragt, welchen Jahresrückblick er denn sehen soll. Den von Günther Jauch, der in dem Sender, mit dem der „Stern“ verwandt ist, „Stern-TV“ moderiert und produziert. Oder den von Johannes B. Kerner im ZDF.

Dann hat er verglichen, wer da eingeladen ist:

„Beim Jauch sehen wir heute Mario Barth, Sarah Connor, Sarah Connor ihre Mutter und Paul Potts. Der Kerner, der hat den grantelnden Reich-Ranicki, der hat die feuchte Charlotte Roche, der hat den starken Mathias Steiner und als Special Guest den Udo Lindenberg. Deswegen — so ungern man’s auch sagt: Heut‘ entscheide ich mich mit vollem Herzen für Johannes B. Kerner, ‚Menschen 2008‘.“

Stern.de hat diese Empfehlung auf seiner Startseite und in der Video-Übersicht wie folgt bebildert:

Bei Witzen versteht der NDR keinen Spaß

In der „Süddeutschen Zeitung“ erschien gestern ein längeres Portrait über Lutz Marmor, den neuen Intendanten des NDR. Es analysierte sportliche Hobbys, Wandschmuck, Schreibtischmodell und Anzugwahl, um zum Ergebnis zu kommen: „Er ist freundlich, grundsätzlich gut gelaunt (…). Ein vergnügter, ehrgeiziger Rheinländer.“

Um die Frage zu klären, ob der neue Intendant des NDR Humor hat, hätte allerdings ein Blick auf einen Text genügt, der nur einen Bruchteil so lang war und am Tag zuvor in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ erschien. Er lautete:

Gegendarstellung

Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hat am 20. Januar 2008 auf Seite 50 den Artikel „Bitte nicht weitersagen“ veröffentlicht. Darin heißt es: „Als am Freitag vor einer Woche der NDR-Intendant Jobst Plog mit einer Gala im ‚Studio Hamburg‘ verabschiedet wurde, war sie (Anmerkung: gemeint ist Anne Will) trotzdem nur eine Notlösung. Denn eigentlich hätte Günther Jauch die Verabschiedung des Senderchefs moderieren sollen — sagte aber ab . . .“ Hierzu stellen wir fest: Günther Jauch ist nie um die Moderation gebeten worden. Er hat deswegen auch nie abgesagt. Anne Will sollte die Moderation von Anfang an übernehmen.

Hamburg, den 23. Januar 2008
Lutz Marmor, Intendant des Norddeutschen Rundfunks
Dr. Werner Hahn, Justitiar des Norddeutschen Rundfunks

Ich hoffe, irgendwer hat den beiden inzwischen den Witz erklärt.

Logorrhoe

Freitag, 12. Januar 2007. Die ARD-Intendanten beschließen in einer Schaltkonferenz, dass sich nun keiner mehr öffentlich zum Fall Jauch äußert, nur noch der amtierende ARD-Vorsitzende Fritz Raff.

Montag, 15. Januar 2007. SWR-Intendant Peter Voß publiziert einen „Offenen Brief“ an Jauch.

Die ARD, konkret

Günther Jauch, im „Spiegel“:

Ich musste zum Beispiel eine lächerliche Diskussion um die Archivöffnungszeiten der ARD führen. Da sollte ich für eine aktuelle Sonntagabendsendung akzeptieren, dass ab Freitagnachmittag wegen fehlender Planstellen kein Filmmaterial mehr abrufbar sei. So absurde Probleme werden zwar mit einem Anruf von ganz oben gelöst, erklären aber zugleich die innere Verfasstheit des Systems.

Nach allem, was ich über die ARD weiß, trifft es das sehr genau.

Günther Jauch

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Müssen Sie eigentlich alles machen, Herr Jauch? Der Fernsehmoderator über Geld, Werbung, Ehrgeiz und den Luxus, sich nicht alles leisten zu müssen, was man sich leisten kann.

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Herr Jauch, warum locken die Lotterien und Fernsehshows mit immer höheren Jackpots, die immer weniger Menschen gewinnen?

Aber das ist doch das sinnvolle Prinzip einer jeden Lotterie. Wenn Sie früher auf die Kirmes gegangen sind, hätten alle einen Plastikkugelschreiber gewinnen können oder einer den zwei Quadratmeter großen rosa Bären. Und Sie wollten, obwohl Ihr Kinderzimmer schon voll war, doch unbedingt den bescheuerten Bären haben, oder?

Aber können Sie erklären, warum mit immer größeren Summen gelockt wird, aber die Menschen, die sie gewinnen, schwärmen hinterher, daß sich nichts in ihrem Leben verändert hat?

Na ja, verändert hat sich, daß sie finanziell sorgenfrei sind. Die Abwesenheit von Angst ist ein Riesenwert. Unterschätzen Sie auch nicht die Erleichterung vieler Spieler, erstmals nach Jahrzehnten mal wieder auf plus/minus Null zu kommen. Man sollte sich keine Illusion machen, wie viele Leute richtig tief im Schuldensumpf stecken oder durch Hypothekenzinsen immer kurz vorm Tremens sind. Wenn die schuldenfrei sind, fällt von ihnen erst mal alles ab.

Dafür müßten es ja keine fünf Millionen Euro sein. Ist es vielleicht wichtiger, Millionen zu gewinnen, als Millionen zu haben?

Nein, es ist einfach eine Frage der Perspektive. Es gibt eine Erwartungshaltung gegenüber Menschen, die viel Geld haben oder gewinnen. Ich werde auch damit konfrontiert: Wenn ich mit meinem Opel zur Waschanlage fahre, wird immer gefragt: „Den Porsche haben Sie aber heute zu Hause gelassen, was?“ Daß ich in meinem Auftreten und Konsumverhalten nicht meinem möglichen Kontostand entspreche, irritiert viele Leute. Mir persönlich geht es schlicht um die Unabhängigkeit, monatelang auf Kreuzfahrt zu sein oder es mir zu leisten, gerade das nicht zu tun. Ich erlaube mir die Freiheit, ein Leben zu führen, das nicht den Erwartungen anderer und schon gar nicht meinen eigentlichen materiellen Möglichkeiten entsprechen muß.

Sie haben die Wahl.

Richtig. Interessanterweise geht es „Neureichen“ gelegentlich ganz genauso. Vor kurzem habe ich einem Gewinner einen Scheck über eine Million Euro überreicht. Der lebt mit seiner Frau in einem Plattenbau in Berlin-Hellersdorf. Drei Zimmer, siebzig Quadratmeter. Er ist bei der Stadtreinigung und fährt jeden Morgen um vier mit einem dieser Bürstenautos raus. Die Frau war arbeitslos. Er sagt: Selbstverständlich wird er seine Arbeit weitermachen. Die Frau sucht weiter nach Arbeit. Sie wollen in der Plattenbauwohnung bleiben, weil es die Kinder nur zehn Meter bis zum Spielplatz und achtzig bis zur Schule haben. Ein bißchen Geld wollen sie in ihre kleine Datsche in Schweden stecken, da können sie jetzt den Balkon endlich reparieren. So eine Reaktion auf Millionengewinne begegnet mir ganz oft.

Sie sind ja dann der ideale Moderator für solche Shows. Sie sind, vermute ich mal, Millionär. Aber Sie arbeiten, als müßten Sie einen Schuldenberg abarbeiten und endlich mal sehen, daß Sie ein bißchen bekannt werden.

Ich arbeite sicher nicht mehr, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Was wiederum nicht heißt, daß ich gratis tätig bin. Was und wer speziell beim Fernsehen nichts kostet, ist da auch ganz schnell nichts mehr wert. Und kommen Sie mir bitte nicht mit der Mallorca-Variante: Alles hinschmeißen und morgens um zehn den ersten Rotwein auf der Luxus-Finca entkorken. Das ist vier Wochen schön, danach öde und langfristig tödlich.

Wenn man so viel verdient hat wie Sie, funktionieren dann noch so Mechanismen wie bei Normalverdienern? Kann man Sie mit Geld überreden zu Dingen, die Sie eigentlich nicht machen wollen?

Sie können mich nicht mehr zu allem überreden. Etwas arrogant formuliert: Weil ich nicht billig bin, bin ich nicht käuflich.

Was meinen Sie damit?

Ich differenziere einfach rechtzeitig, was ich will. Inhaltlich und dann auch finanziell. Wem das nicht zusagt, dem bin ich nicht gram. Dabei verstehe ich, wenn jemand fragt: „Hast du es eigentlich nötig, Werbung zu machen?“ Dann sage ich wahrheitsgemäß: Nein, das habe ich finanziell nicht nötig. Aber das hat von den Leuten, denen Sie da häufiger im Fernsehen begegnen, vermutlich keiner. Es geht da zum Teil auch schlichtweg um die Fragen: Habe ich Lust dazu? Schmeichelt einem die Tatsache, überhaupt gefragt zu werden? Zeigt sich nicht auch auf eine gewisse Weise die gesellschaftliche und ökonomische Wertschätzung, die einem mit einem Werbevertrag entgegengebracht wird? Nehmen Sie die Bundesbank. Die haben in einem halben Jahrhundert nur einmal mit einem Menschen anläßlich des Wechsels zum Euro eine Kampagne gemacht. Ich habe mich gefreut, als die mich gefragt haben. Außerdem sah ich auf dem Schlafmünzenfoto endlich mal halbwegs vernünftig aus.

Aber ist die Werbung nicht eine ständige Bedrohung der eigenen Glaubwürdigkeit?

Ach, Werbung ist Werbung ist Werbung. Manchmal wird ja so geraunt: Meinen Sie nicht, daß es da Vermischungen gibt? Daß man durcheinanderbringt, ob Sie in der Rolle des Moderators oder einer Werbefigur agieren? Ich bin der Meinung, daß die Leute das sehr genau unterscheiden können. Wenn Harald Schmidt für Hexal Werbung macht und sagt, daß ihm das Kreuz weh tut, dann realisieren die Leute, daß Harald Schmidt gerade erzählt, daß ihm das Kreuz weh tut, weil er Werbung für Hexal macht. Das merkt und weiß nun mittlerweile wirklich jeder.

Anfangs haben Sie besondere Werbung gemacht. Mit Krombacher für den Regenwald, mit der Beton-Industrie für das Potsdamer Stadtschloß. Das war clever.

Das war aber auch ganz normale Werbung.

Aber der gute Zweck war schon eingebaut. Das ist er bei der Werbung, die Sie heute machen, nicht.

Das stimmt deshalb nicht, weil ich das Geld, das ich mit der Werbung verdiene, sowieso komplett nicht behalte.

Wonach entscheiden Sie, für welches Unternehmen Sie werben?

Es sollten Firmen oder Institutionen sein, die eine gewisse Größe haben. T-Com ist ein Weltkonzern, Quelle ein angesehenes Traditionsunternehmen und die SKL eine öffentlich-rechtliche Einrichtung, für die sich fünf süddeutsche Bundesländer verbürgen.

Entscheiden Sie auch danach, wie genau die Werbeidee aussieht?

Ich rede mit und habe immer ein Vetorecht.

Finden Sie es nicht selbst nervig, wenn Sie durch Deutschland fahren, daß Sie sich selbst an jeder Ecke aus einer riesigen magentafarbenen Null anlachen?

Das passiert mir doch aber schon morgens beim Rasieren, daß mich eine Null anlacht . . .

Gucken Sie bei der Werbung mit sich selbst gar nicht hin?

Doch, aber da gibt’s wirklich größere Strafen. Es gibt ja auch diese Umfragen, welche bekannten Gesichter in der Werbung nerven und welche nicht. Mein Ergebnis ist da ziemlich eindeutig.

Lassen Sie mich raten.

Genau. Da habe ich noch einen fünfzigprozentigen Vorsprung vor dem Kollegen Gottschalk auf Platz zwei. Also, damit kann ich leben.

Entscheiden Sie so was wie die Frage, wieviel und für wen Sie werben, selber? Oder haben Sie eine Armada von Beratern?

Nein, hab‘ ich nicht, brauch‘ ich nicht. Mein persönlicher Eindruck: Neunzig Prozent der sogenannten Berater sind echte Landplagen und halten einfach nur den Betrieb auf. Sich auch um Details zu kümmern kann nervig sein, aber dafür weiß ich dann wenigstens selbst, worum es überhaupt geht. Die Leute sind überrascht, daß sie mich am Telefon haben, wenn ich irgendwo zu- oder absage. Aber es geht einfach viel schneller.

Das ist ein Geheimnis Ihres Erfolges: Daß Sie bei „Wer wird Millionär?“ sitzen und jeder ahnt, was Sie verdienen, aber Sie sind in der Lage, mit Kandidaten darüber zu reden, was eine Tiefkühlpizza kostet. Daß Sie ausstrahlen, in der gleichen Lebenswelt zu leben wie die Leute vor dem Bildschirm.

Zum Teil ist die Lebenswelt identisch, zum Teil zugegebenermaßen nicht. Aber wenn Sie dieser Lebenswelt komplett entrückt wären, würde das auffallen. Wenn Sie sich ersparen, zumindest alle paar Wochen mal durch den Baumarkt zu gehen, „Autobild“ zu lesen, oder wenn Sie sich weigern, beim Aldi an der Kasse anzustehen und lieber den „Käfer-Service“ nach Hause liefern lassen – dann haben Sie in meinem Beruf ganz schnell ein richtiges Problem.

Machen Sie das gezielt: Ich muß mal wieder in den Baumarkt wegen der Zuschauernähe? Oder gehen Sie eh lieber in den Supermarkt, als bei Käfer zu bestellen?

Letzteres, wobei das eine das andere nicht ausschließt. Ich habe zum Beispiel eine kleine Automeise. Im Klartext: Ich habe ein großes und schönes Auto. Aber zum normalen Rumfahren habe ich einen Opel. Der ist praktisch. Variable Sitze, übersichtliche Karosserie, Automatikgetriebe. Kann auch das Au-Pair-Mädchen fahren. Ich bin, ich gebe es zu, da etwas konventionell und vielleicht auch ein bißchen sehr deutsch. Mit positiven und negativen Begleiterscheinungen. Aber es wäre mir wirklich zu anstrengend, krampfhaft darauf bedacht zu sein, einen möglichst volksnahen Eindruck zu machen.

Stellen Sie sich eigentlich nie bei einem Fernseh- oder Werbeangebot die Frage: Muß ich das jetzt auch noch machen?

Es ist ja gar nicht so viel. Ich habe zweieinhalb Werbeverträge. Ich mache „Stern TV“ seit 15 Jahren. Na schön, und natürlich „Wer wird Millionär“, das gebe ich noch zu.

Und die „SKL-Show“.

Ja.

Und Skispringen.

Das wächst sich ja zu einer medienpolitischen Betriebsprüfung mit Verhörcharakter aus. Also bitte: Ja, ich bekenne, auch Skispringen seit fünf Jahren gerne zu moderieren.

Und den Jahresrückblick und die Uri-Geller-Show und alles.

Wenn Sie jetzt nicht aufhören, übernehme ich in diesem Jahr noch ein paar Formate, nur, um Sie noch besorgter zu machen. Und überhaupt: Johannes B. Kerner ist viel öfter im Fernsehen!

Das Fernsehen ist eine Branche, wo alles plötzlich zu Ende sein kann. Sind Sie da frei von Angst?

Ich habe festgestellt, daß speziell Leute, die sehr gut verdienen, nicht angstfrei sind, im Gegenteil. Die leben auf einem materiell hohen Niveau und haben immer mehr Angst, weil sie viel mehr zu verlieren haben. Andere fürchten im wahrsten Sinne des Wortes den Ansehensverlust, wenn sie nicht mehr auf dem Schirm sind. Da muß ich sagen, daß ich mit mir meinen Frieden gemacht habe. Ich habe in dieser Richtung absolut keine Ängste. Das empfinde ich als sehr befreiend. Es ändert allerdings nichts an Gefühlen wie Ehrgeiz oder Lust am Wettbewerb. Es könnte ja theoretisch sein, daß man viele Dinge nicht mehr so konzentriert angeht, wie man es vor fünfzehn Jahren gemacht hat. Aber da habe ich das Michael-Schumacher-Syndrom. Sich anzustrengen und sich immer wieder mit anderen zu messen ist das eigentlich reizvolle. Es gibt aber etwas, das sich im Vergleich zu früher geändert hat. Ich war bis vor vier Jahren im Grunde nur für meine Familie und mich verantwortlich. Seit ich eine eigene Produktionsfirma habe, hängen viele Existenzen, direkt oder indirekt, vom Wohl und Wehe des Betriebes ab. Das ist eine gewisse Belastung.

Warum haben Sie die Firma gegründet?

Vorher war die programmliche Flexibilität nicht mehr vollständig gesichert. Die Redaktion geriet durch wirtschaftliche Vorgaben inhaltlich so unter Druck, daß insbesondere „Stern TV“ unter Umständen ein Qualitätsproblem bekommen hätte. Das wollte ich nicht und strebte nach einer Konstruktion, die uns sogar die Möglichkeit gibt, Geld in Projekte zu stecken, die sich vielleicht nicht sofort rechnen, die aber entweder Spaß machen oder uns aus anderen Gründen wichtig sind. Diese Freiheit haben wir jetzt.

Aber damit sind Sie eine große Ausnahme im Fernsehen.

Es gibt eine Entwicklung, der zumindest ARD, ZDF, RTL, Sat.1 und Pro Sieben nicht folgen sollten. Es funktioniert so: „Wir holen eine alte Krimiserie aus dem Keller oder produzieren zu absoluten Billigpreisen irgendein neues Schrottprogramm nach amerikanischem Vorbild. Selbst wenn wir damit nur eine schwache Quote schaffen, bleibt letztlich mehr in der Kasse, als wenn wir ein Qualitätsprogramm mit Quote produzieren.“ Dann wäre die Quote sogar im kommerziellen Fernsehen nicht mehr so wichtig. An ihre Stelle tritt die Rendite — oder bei den Öffentlich-Rechtlichen die möglichst billige Produktion. Wenn keiner mehr den Ehrgeiz hat, Qualität zu machen, oder Quote — oder Qualität mit Quote zu verbinden, was durchaus geht –, dann krieg‘ ich als Journalist und Moderator, aber auch als Produzent ein Problem. Denn dann wird das Fernsehen richtig freudlos. Bisher war alles ganz einfach: „Mach ’ne schöne Quote“, das war das wichtigste, „und ’ne schöne Sendung haste auch noch gemacht, prima.“ Danach wurde man bewertet. Da droht gerade ein Paradigmenwechsel, der für Leute, die auf Quote und Qualität setzen, zum Problem werden kann. Aber wissen Sie, was mich hoffen läßt? Ich kenne einen Senderchef, der das inzwischen erkannt und mir versprochen hat: „Da halten wir dagegen!“ Mit dem werde ich mich jetzt öfter unterhalten.

Super, Sie wollen keinen Namen nennen. Kennen wir den Herrn?

Aber sicher.