Schlagwort: Guttenberg

Warum ist die „Zeit“ nicht besser? (4)

Die „Zeit“ berichtet heute, dass „neulich“ jemand bei Wikipedia dem neuen Wirtschaftsminister einen falschen zusätzlichen Vornamen verpasst habe. Aber dass die Geschichte alt ist, ist ihr kleinstes Problem.

Wenn Wikipedia also die „Heimstatt kollektiven Kurzzeitwissens“ ist — was ist dann die „Zeit“? Der senile Opa der Nation? Der wöchentliche Jahresrückblick?

Oder ist das eine Redensart, die Leute kennen, die auch Wörter wie „Pfiffikus“ noch benutzen (etwa: jmd. einen Heinrich unterjubeln)?

Auf eine Berichtigung ihrer kleinen und größeren Fehler aus ihrem Dossier über ARD und ZDF hat die „Zeit“ übrigens verzichtet. Auf der Leserbriefseite findet sich unter der Überschrift „Beherzte Kritik am Fernsehen“ zwar folgender Text:

Aber derjenige, der da meint, „Ich muss einen Fehler korrigieren“, ist natürlich keiner der beiden Autoren des Artikels. Sondern der ARD-Korrespondent Hubert Seipel. Die „Zeit“ korrigiert ihre Fehler nicht selbst, sondern lässt es von denjenigen übernehmen, über die sie sie verbreitet hat. Man könnte das elegant nennen.

[mit Dank an BILDblog-Leser KH Schneider]

Er sacht Willem, ich sach Wat?

„Spiegel Online“ hat jetzt eine Erklärung abgegeben, wie es dazu kommen konnte, dass sie den falschen Namen des neuen Wirtschaftsministers aus der Wikipedia abgeschrieben haben, eine Bankrotterklärung.

Der anonyme Autor des „Spiegel Online“-Artikels ist hörbar genervt. Er schreibt:

Ein Fälscher, der sich inzwischen in einem Blog damit brüstet, hatte in der Internet-Enzyklopädie Wikipedia den Guttenberg-Eintrag verändert.

Dann macht er diverse Nebenkriegsschauplätze auf:

Guttenbergs Vornamen werden allerdings nicht im von SPIEGEL ONLINE standardmäßig genutzten biographischen Archiv „Munzinger“ aufgelistet. Sie werden weder auf seiner eigenen Homepage, der Seite der Unionsfraktion im Bundestag, der CSU-Landesgruppe, im Bundestagshandbuch noch auf den Internetseiten der CSU oder des Wirtschaftsministeriums genannt.

Ja. — Und?

(Die Leute von „Spiegel Online“ hätten den kompletten Namen übrigens in einer dpa-Meldung vom 31.10.2008 finden können, sogar mit Quellenangabe: „Der Name des neuen CSU-Generalsekretärs ist lang und eindrucksvoll: Als Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jakob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg führt ihn das Handbuch des Adels.“)

„Übrigens“, schreibt „Spiegel Online“ weiter:

Nahezu alle Medien saßen am Montag dem „Wilhelm“-Fälscher auf. Und der Zeitdruck war groß. Selbst Guttenbergs Mitarbeiter hatten bei der SPIEGEL-ONLINE-Namensrecherche am Mittwochmorgen keine schnelle Antwort parat.

Der Zeitdruck war groß? Die wesentliche Information über den neuen Minister, die am Montag unverzüglich der deutschen Öffentlichkeit mitgeteilt werden musste, war die komplette Liste seiner Vornamen? Obwohl der Minister selbst, wie es in ungefähr jedem Artikel über ihn heißt, auf all diese Namen nicht einmal Wert legt? Und obwohl es Guttenberg bei der Rettung der deutschen Wirtschaft auch nicht helfen würde, wenn er zwanzig, dreißig oder acht Milliarden Vornamen hätte?

Wie war da die Vorgabe bei „Spiegel Online“ genau? „Jungs, ich habe gehört, bei der Konkurrenz arbeiten sie schon an einem detaillierten Vergleich der Vornamen von Guttenberg und dieser Frau Langstrumpf, wir müssen da als Leitmedium sofort einen eigenen Vornamens-Artikel raushauen, verdammtnochmal ZACK-ZACK-ZACK“?

Die „Spiegel Online“-Leute merken schon gar nicht mehr, was sie da produzieren und wie dumm ihre Regeln sind und wie sehr sie sich ihnen ausgeliefert haben. Sie halten ihre Hysterie, gegen die ein Börsenhändler fast gelassen wirkt, ganz ernsthaft für notwendig — und für Qualitätsjournalismus.

Dass „Spiegel Online“ am Montag schnell den Namen bei Wikipedia abgeschrieben hat, ist ein Fehler, den ich verstehen und leicht verzeihen kann. Nicht aber diese lächerliche Rechtfertigung mit ihrer Mischung aus selbstgemachten Zeitdruck und kindischem „Die anderen aber auch“ und „War aber auch schwer rauszukriegen“.

Den vielleicht dümmstmöglichen Beitrag zum Thema (abgesehen natürlich von der „Glosse“ auf sueddeutsche.de, die aber in einer eigenen Liga spielt) hat taz.de veröffentlicht. Da musste es anscheinend auch schnell gehen, jedenfalls hat den Artikel offenbar niemand mehr gelesen:

Lang ist die Liste der Namen des neuen Bundeswirtschaftsministers Freiherr von und zu Guttenberg. So lang, dass ein Vorname weniger [sic] schon nicht auffallen wird – dachte sich ein gewisser „Anonym“ – und fügte dem Wikipedia-Eintrag über von Guttenberg einfach einen weiteren hinzu: Wilhelm. (…)

Journalisten wissen das [dass Wikipedia-Einträge fehlerhaft sein können]. Doch auch sie möchten öfters informieren, um dies dann in ihren Medien zu verbreiten. Das nennt sich im Fachjargon Recherche – ein Vorgang, der stets gründlich geschehen sollte.

Das Stück endet wie folgt:

„Anonym“ hat uns hinters Licht geführt und uns daran erinnert, dass nicht immer alles so ist, wie es scheint. In Zukunft werden wir misstrauischer sein, aber solche Täuschungsversuche dürfen nicht zur Regel werden. Dann nämlich ist auf Wikipedia gar kein Verlass mehr. Wär‘ schade drum.

Das ist niedlich. Das lässt sich fast wie eine Drohung lesen: Wikipedia, reiß Dich gefälligst zusammen, sonst schreiben wir Journalisten nicht mehr ungeprüft aus Dir ab.

Solche Täuschungsversuche wird es bei Wikipedia immer geben, und im Zweifelsfall werden sie handfestere Motive haben als der in diesem Fall harmlose „Fälscher“. Journalisten sind anscheinend die einzigen, denen das bis gestern Abend nicht klar war.

Der Fall des „Wilhelm“ Guttenberg beschädigt nicht in erster Linie die Wikipedia. Er zeigt allerdings die gefährliche Macht der Rekursion, wenn Belege sich plötzlich selbst belegen.

Der Fall des „Wilhelm“ Guttenberg beschädigt meiner Meinung nach vor allem die Glaubwürdigkeit der professionellen Medien und entlarvt ihr Gerede von der eigenen Überlegenheit als eitle (Selbst-)Täuschung — oder bestenfalls als theoretisch einzulösenden Anspruch. Und ist es nicht komisch, dass keines dieser ganzen Qualitätsmedien, die den Namen aus der Wikipedia oder „Spiegel Online“ abgeschrieben haben, auf die Idee kam, die Quelle anzugeben?

Geht sterben (6)

Wenn Sie bitte einmal kurz diesen BILDblog-Eintrag lesen würden.

Die Medien, die da allesamt auf einen Witzbold hereingefallen sind, der den Wikipedia-Eintrag des neuen Wirtschaftsministers Karl-Theodor zu Guttenberg in einem kleinen Detail verändert hat, sind übrigens im Zweifelsfall dieselben, die Ihnen morgen wieder erzählen, dass wir deshalb auch in Zukunft nicht auf Zeitungen und etablierte Medien verzichten können, weil in ihnen im Gegensatz zum bösen Internet verlässliche, überprüfte Informationen stehen.

Beeindruckend ist aber auch, wie sich ein einmal ins System eingepflanzter Fehler selbst bestätigt: Erst übernimmt ihn „Spiegel Online“ von Wikipedia; dann ist „Spiegel Online“ für Wikipedia die Quelle, die seine Richtigkeit bezeugt. (Und natürlich funktioniert das auch mit gravierenderen, folgenreicheren Manipulationen als dieser.)

Für den Tiefpunkt der Geschichte sorgt diesmal das Online-Portal der im Abbruch befindlichen „WAZ“-Gruppe, DerWesten. Dort ist jemandem eingefallen, was man aus einem Mann mit so vielen Vornamen natürlich machen muss: eine Klickstrecke.











Da erkennt man doch gleich die Qualität einer Autorenzeitung.