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Thomas Knüwers Ende der Debatte

Vielleicht hat Sönke Iwersen einfach den Fehler gemacht, den Eintrag seines „Handelsblatt“-Kollegen Thomas Knüwer beim Wort zu nehmen. Unter der Überschrift „Weil der Journalist sich ändern muss“ wiederholte Knüwer in seinem „Handelsblatt“-Blog „Indiskretion Ehrensache“: Dass für Journalisten nichts mehr so zu sein scheint, wie es war. Dass Journalisten mit der bisherigen Arbeitsweise nicht weiter kommen. Dass Journalisten sich den neuen Kommunikationsformen nicht mehr verweigern dürfen. Dass Journalisten sich nicht mal ansatzweise ausreichend an die neue Zeit angepasst haben. Dass „viele, viele Kollegen eine geistige 180-Grad-Wende“ vollführen müssen.

Knüwer hat das schon oft gesagt, geschrieben und gebloggt. Und vielleicht war es für Iwersen das eine Mal zuviel. Jedenfalls dachte er wohl: Mache ich einfach mal etwas Anderes, etwas Unerhörtes, und benutze die neuen Kommunikatonsformen dafür, meinem Redaktionskollegen Knüwer öffentlich zu widersprechen.

Es war ein Widerspruch, der weniger mit diesem einen Eintrag zu tun hatte und mehr mit Knüwers ganzer Selbstinszenierung und seinen ewig glänzenden Augen für jeden Gimmick des Web 2.0. Offenbar hatte sich da schon länger etwas aufgestaut. Der Kommentar lautete:

Lieber Thomas,

Bei aller kollegialer Zurückhaltung: mir ist kein Journalist bekannt, bei dem Selbstdarstellung und Realität derart auseinanderklaffen wie bei Dir. Vielleicht könntest Du die permanente Selbstbeweihräucherung mal kurz unterbrechen und erklären, warum Deine fantastische Verdrahtung über Xing, Facebook, Twitter und Co. so wenig journalistischen Mehrwert bringt. Wenn es tatsächlich so wäre, dass diese Kommunikationswege neue Infos erschließen – warum kommen die Scoops im Handelsblatt dann nicht von Dir, sondern immer von anderen Kollegen?

Man kann Dir oft dabei zusehen, wie Du selbst in Konferenzen ständig mit Deinem Telefon herumdaddelst. Vielleicht twitterst Du nur grad, dass Du grad gern einen Keks essen würdest – wer weiß das schon. Jedenfalls führt das Ganze nicht dazu, dass Du das Blatt laufend mit Krachergeschichten füllst. Bieterkampf bei Yahoo? Neues vom Telekomskandal? Untergang von Lycos? Das alles wären doch Themen, zu denen Dir, dem hyper-vernetzten Journalisten, die Insidernachrichten zufliegen könnten. Tun sie aber nicht. Stattdessen stellst Du gern mal eine Nachricht als exklusiv vor, die morgens schon über Agentur lief oder in der New York Times stand.

Ich verstehe einfach nicht, warum Du ständig diejenigen Kollegen runtermachst, von deren Geschichten Du selbst lebst. Eine große Zahl Deiner Blogeinträge basiert doch auf Artikeln Deiner Print-Kollegen, zu denen Du dann einfach Deinen Senf dazugibst. Ohne die von anderen recherchierten Grundlagen hättest Du da nichts zu schreiben.

Du behauptest, die Journalisten müssten sich ändern und meinst damit wohl, sie müssten so werden wie Du. Es ist aber so, dass die meisten Kollegen gar kein Interesse daran haben, Nachrichten einfach nur wiederzukäuen, so wie Du.

Es ist Dir ja unbenommen, in Deinem Blog eine Art Resteverwertung zu betreiben. Aber bitte verkauf das nicht als Zukunft des Journalismus.

Bei aller Begeisterung, die ich selbst für viele neue Formen der Kommunikation und des Journalismus aufbringen kann, und bei aller Verzweiflung, mit der ich beobachte, wie viele Kollegen glauben, dass die beste Antwort auf Probleme und beunruhigende Veränderungen ist, sie nicht zur Kenntnis zu nehmen — ich finde, dass in dieser wütenden Erwiderung genug Wahrheit steckt, über die es sich zu diskutieren lohnt.

Und wer, wenn nicht Thomas Knüwer, plädiert immer wieder für schonungslose Offenheit und Kritik und Selbstkritik? Wer ist so schnell im Austeilen, dass er das auch einfach einstecken könnte?

(Knüwer ist einer von denen, die oft schneller bloggen als denken ((ich leider manchmal auch)), was er in dem Beitrag wieder zeigte, als er der FAZ vorwarf, sie hätte ihre mangelnde Internet-Kompetenz erneut bewiesen, indem sie einen Artikel zum Thema von Harald Staun aus der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ nicht online freischaltete. Dabei war er schon am Samstagabend online, woraus man wiederum Schlüsse über Knüwers eigene Internet-Kompetenz ziehen könnte.)

Jedenfalls: Eine Diskussion über den Kommentar von Iwersen fand nicht statt. Knüwer löschte ihn.

Er erklärte mir das auf Anfrage damit, dass Iwersen mit seinem Kommentar „eindeutig gegen interne Regeln im Umgang mit Blogs und Kommentaren“ verstoßen hätte. Es sei zwar erlaubt und sogar erwünscht, dass „Handelsblatt“-Redakteure die Blog-Einträge ihrer Kollegen kommentieren. Auch Widerspruch sei erlaubt — aber nur fachlicher Art. In Iwersens Kommentar sieht Knüwer aber keine solche Kritik, sondern eine „unglaubliche Diffamierung“. Er sei „zutiefst enttäuscht“, dass der Kollege ihn in dieser Form angegriffen habe.

Nachdem sich mehrere andere Blogger der Sache angenommen hatten, begründete Knüwer die Löschung schließlich in seinem Blog damit, dass Iwersen sich mit dem Kommentar möglicherweise „in arbeitsrechtliche Probleme gebracht hätte“ — keine überzeugende Argumentation, denn wenn es solche Probleme gibt, hat Iwersen sie nun auch so.

Knüwer weiter:

Warum Herr Iwersen Animositäten gegen mich hegt, die er in der Redaktion bisher nicht zum Ausdruck brachte, ist mir nicht klar. Dies auszudiskutieren ist aber kein Thema für ein Blog.

Nicht?

Warum Herr Iwersen Animositäten gegen Thomas Knüwer hegt, wird aus seinem Kommentar jedenfalls sehr deutlich. Im Zweifelsfall wird auch er sich diffamiert gefühlt haben — nicht persönlich, aber wieder und wieder getroffen von Knüwers Angriffen auf Journalisten, die nicht so sind wie Knüwer.

Ich finde es eine berechtigte Frage, der sich Leute wie Knüwer (und ich) ernsthaft stellen müssen: Wer denn die Artikel recherchiert, während wir Kommentare moderieren und Twitter-Beiträge lesen und lustige Experimente mit Kamera-Übertragungen machen. Das ist keine Entweder-Oder-Debatte, denn natürlich wird der Journalismus der Zukunft beides brauchen: traditionelle und neue Formen der Recherche und des Publizierens.

Der unwichtigste, aber vielleicht erstaunlichste Aspekt der kleinen Kollegen-Konfrontation 2.0 beim „Handelsblatt“ ist allerdings, dass Thomas Knüwer offenbar unterschätzt hat, wie viel Aufmerksamkeit er der Sache gibt, wenn er einen solchen Kommentar löscht. Dass er keinen Weg fand, ihn einfach stehen zu lassen und darauf zu antworten (oder auch nicht). Dass er da ungefähr soviel Internet-Kompetenz bewies wie Theo Zwanziger.

Nachtrag, 23.10 Uhr. Nach einigem Hin und Her und Hin hat Thomas Knüwer den Kommentar jetzt wieder freigeschaltet. Der Konflikt ist damit aber nicht aus der Welt — der grundsätzliche um das Thema nicht und der konkrete um den Kommentar auch nicht.