Schlagwort: Harald Schmidt

Elende Twitzbolde

Ist es nicht immer wieder rührend zu sehen, wie sehr sich die Leute von „Bild“ freuen, wenn mal einer anderen Zeitung ein Fehler passiert und nicht immer nur ihnen?

Gestern ist mein „FAZ“-Kollege Michael Hanfeld in einer kleinen Randnotiz auf den falschen „Harald Schmidt“ auf Twitter reingefallen, und wenn ich die „Verlierer des Tages“-Meldung in der „Bild“-Zeitung heute richtig interpretiere, hätte ihr das schon deshalb nicht passieren können, weil sie an der Existenz von Twitter insgesamt zweifelt.

Es ist aber auch ein Elend mit diesem „vermeintlichen Blogging-Dienst“ („Bild“). Nehmen wir nur den Scherzbold, der sich da als Peter Sloterdijk ausgibt. Nach der Premiere der ZDF-Sendung „Die Vorleser“ twitterte er über den neuen Moderator und „Zeit“-Redakteur Ijoma Mangold:

Minusvisionen (!)

Die Authentizität dieser Wortmeldung zu überprüfen, ist eine nur mittelanspruchsvolle Aufgabe. Man hätte zum Beispiel diesen Tweet finden können, in dem der Account als Fake bezeichnet wird, hätte sich dann aber möglicherweise in dem logischen Labyrinth verlaufen, ob man mit Hilfe eines Tweets beweisen kann, dass man Tweets nicht trauen darf (vgl. Kreta). Alternativ hätte eine kurze Nachfrage bei der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe geholfen, deren Pressestelle innerhalb von Minuten bestätigt: Nein, hinter @PeterSloterdijk steckt nicht der bekannte Philosoph Peter Sloterdijk.

„Welt am Sonntag“-Mitarbeiter Joachim Bessing jedoch nutzte die Woche Recherchezeit, die ihm theoretisch zur Verfügung stand, für keine dieser Möglichkeiten, sondern konfrontierte stattdessen den echten Mangold mit der vermeintlichen Kritik des falschen Sloterdijk, und brachte also folgende Meldung:

Peter Sloterdijk sieht schwarz für „Die Vorleser“

(…) Peter Sloterdijk äußerte sich unumwunden auf Twitter: „Minusvisionen (!) „Die Vorleser“ im ZDF: Gebe Herrn Mangold noch max. 2 Sendungen …“ schrieb er. Twitter ist nicht die Welt des Moderators und „Zeit“-Feuilletonisten Ijoma Mangold und so bekam er auch nichts von der harschen Kritik des Philosophen mit: „Herr Sloterdijk hat ja selber eine Sendung beim ZDF. Insofern hat er bestimmt einen guten Blick dafür, wie Sendungen verfolgt werden und wann sie wie funktionieren.“

Damit ist zwar nebenbei auch die Frage beantwortet, ob Twitter die Welt des Joachim Bessing ist, aber man muss ihm mildernde Umstände zugestehen. Zu denjenigen, die den falschen Sloterdijk für den echten halten, gehört nämlich auch: Sloterdijks Verlag. Auf der entsprechenden Autoren-Seite von Diederichs (Random House) ist der falsche Account fröhlich verlinkt unter der Zeile: „Aktuelles von Peter Sloterdijk“.

Nachtrag, 30. Juli. Der Verlag hat den Link entfernt.

Trash-Fernsehen

Erstaunlich, dass die Leute sich für sowas hergeben. Gut, das ist nicht die erste Riege der Stars, die da mitmacht, eher schon das etwas abgetakelte Personal, ein Soap-Darsteller, einige Schauspieler, von denen man noch nie etwas gehört hat, ein früher umjubelter Late-Night-Moderator, B-Prominenz.

Aber es ist dann doch einigermaßen erschütternd, das mitanzusehen: Allein wie sie mit den Tieren ihr Essen teilen müssen, zwischen ihnen schlafen und sogar mit ihnen reden. Die erbärmlichen Geschichten, die traurigen Dialoge, die billigen Witze, das Fehlen jeder Relevanz, jedes Anspruchs, jeder Qualität. Und wie das dann alles zusammengeschnitten ist. Es ist schwer, sich das anzusehen, es sei denn aus Häme. Um sich über diese Art des Fernsehens und seine Protagonisten lustig zu machen.

Natürlich: Die Quote ist prima, das hat sich über die Jahre nicht verändert. Trotzdem muss man sich fragen, warum sich Menschen immer wieder für so etwas hergeben. Ist es nur das Geld? Oder doch die Hoffnung, hinterher groß rauszukommen?

Aber hat es wirklich jemals jemand geschafft, eine Karriere darauf aufzubauen, dass er bei Unser Charlie mitgespielt hat?

Harald Schmidts unerträgliche Langeweile

Die alten Reflexe funktionieren noch. Ungefähr einmal im Jahr macht der „Spiegel“ ein großes Interview im Harald Schmidt, und alle tun so, als müsse irgendetwas Großes drinstehen. Dabei ist das einzige Neue, das Schmidt auf rund drei Seiten sagt: Er sehe sich gegenüber seinem zukünftigen Showpartner Oliver Pocher in der Rolle des Sidekick und nicht umgekehrt.

Schon „Spiegel Online“ ist beim Versuch, aus dem Interview eine Nachricht zu machen, gescheitert und verdreht die Aussage Schmidts, eine tägliche Late-Night, wie er sie früher bei Sat.1 gemacht hat, ruiniere das Privatleben, zu einem Statement, das sich auf seine aktuelle ARD-Show zu beziehen scheint. Die Hilflosigkeit gipfelt in dem Einstiegssatz: „Der Rückzug von Harald Schmidt hat Programm.“

Andere haben sich die fehlende News kurzerhand selbst erfunden. Bei vanityfair.de haben sie in die Vorabmeldung des „Spiegel“ hineinhalluziniert, Schmidt ziehe sich „aus dem Abendgeschäft zurück“ und werde seine Show aufgeben. Schmidt sagt nichts dergleichen.

Diese leicht hysterische Bedeutungshuberei wird Schmidt gefallen. Dem „Spiegel“ sagte er:

„Ich brauche all diese Reaktionen. Ich brauche sie wie ein Junkie die Spritze.“

Andere hätten vielleicht einfach von „Freude“ gesprochen. Aber Freude ist ein Konzept, das nicht zu Schmidt passt. Freude ist unironisch, undistanziert, unmittelbar. Die Blöße gibt er sich nicht. Vielleicht kann er das auch einfach nicht.

Schmidt wirkt inzwischen wie einer der freudlosesten Menschen überhaupt. Und einer der gelangweiltesten. Gelangweilt von der Welt. Und gelangweilt von sich selbst. Harald Schmidt langweilt inzwischen sicher viele Menschen, mich eingeschlossen, aber niemanden langweilt er annähernd so sehr wie sich selbst. Er ist wie ein hochbegabtes Kind, das nicht auf die Elite-Schule gehen darf und an der ständigen Unterforderung leidet. Nur dass für das Genie von Harald Schmidt nicht nur die Schule, sondern die ganze Welt eine Unterforderung ist.

Schon 1996, als seine Sat.1-Late-Night-Show noch neu war und von der Kritik verrissen wurde, sagte er dem „Spiegel“ auf die Frage, wie er seine Zukunft sehe:

Was der Feind nicht weiß, ist: Diese enormen Prügel, die ich kriege, das ist genau das, was mich 200prozentig motiviert. Mein größerer Feind ist die Langeweile, und die würde ich schnell empfinden, wenn sich meine Sendung sofort etabliert hätte.

2001, als er kurz vor der Heiligsprechung stand, fragte ihn der „Spiegel“, ob er überhaupt noch Feinde habe. Schmidt antwortete:

Das Problem ist: Ich bin in der Cocooning-Phase. Ich lebe zurückgezogen und lasse mich treiben. Bob Dylan wird auch nicht mehr gefragt, wie viele Platten er verkauft oder warum er das alles macht. Er ist einfach nur auf einer nie endenden Tournee. Ich mache es eigentlich gegen die Langeweile.

Das hat man vermutlich damals als Ironie genommen. (Obwohl Schmidt im Jahr zuvor, ebenfalls im „Spiegel“, bereits unter größter Anteilnahme der Feuilletons das „Ende der Ironie“ ausgerufen hatte – ohne dass sich jemals endgültig klären ließ, ob das nicht ironisch gemeint war.)

Im aktuellen „Spiegel“-Interview kommt es an einer Stelle zu folgendem Dialog:

SPIEGEL: Wie ist das, wenn Ihnen vor Studiopublikum ein Gag verreckt?
Schmidt: Wenig überraschend. Ich weiß es ja vorher.

In diesen paar Sätzen steckt für mich das ganze Elend Harald Schmidts. Nichts überrascht ihn. Er weiß es alles vorher. Aber er sieht auch keinen Anlass, dieses Wissen zu nutzen; den Gag zu ändern, besser zu machen, wegzulassen — irgendwie dafür zu sorgen, dass das Publikum lacht. Den Ehrgeiz hat er schon lang nicht mehr; es wäre auch eine völlig unnötige Verausgabung. Denn Schmidt kann es sich erlauben, dass seine Gags vor dem Publikum verrecken. Man vergibt es ihm nicht nur; man bewundert ihn auch dafür.

Viele Kritiker schaffen es, alles, was Schmidt macht, als Zeichen seiner Klasse zu deuten. Er hat Erfolg? Kein Wunder: Schmidt kann’s! Keiner guckt ihn? Ja, sein Humor ist so fein, den verstehen die Massen nicht. Er strengt sich an? Grandios! Er gibt sich keine Mühe? Toll, der Teufelskerl, was der sich rausnimmt!

Und wenn sich doch irgendwann nur noch schwer verleugnen lässt, dass seine Sendung schlecht ist, und zwar auf eine Art schlecht, die nicht auf irgendeine ironische Art schon wieder genial gut ist, dann liegt es nicht an Schmidt, sondern entweder an der Sendung, die einfach nicht oft genug läuft, oder im Zweifelsfall mindestens an der Großen Koalition und der Welt insgesamt, die für ein Genie wie Harald Schmidt inzwischen einfach zu klein und zu berechenbar geworden sind.

Vielleicht kann man Schmidt gar nicht vorwerfen, dass er keinen Ehrgeiz hat und kein Interesse an irgendwas. Vielleicht ist das nur eine logische Konsequenz, wenn man jahrelang öffentlich für jedes Scheitern genauso bejubelt wurde wie für jedes Gelingen, für jeden Versuch ebenso wie jeden Nicht-Versuch. Ich habe zum Beispiel bis heute nicht verstanden, warum Schmidt so dafür gelobt wurde, dass er nach dem 11. September 2001 seine Sendung zwei Wochen lang ausfallen ließ, und danach einfach zur Tagesordnung überging. Das war keine Heldentat, sondern eine Kapitulation. Schmidt hat sich nicht getraut. Das kann man ihm nicht vorwerfen. Aber muss man ihn dafür noch preisen? (Dies ist übrigens der Anfang der ersten „Daily Show“ mit Jon Stewart nach dem 11. September. Vermutlich hätte Schmidt nur Verachtung dafür übrig.)

Nachdem Schmidt im vergangenen Jahr den Bambi moderierte, schrieb „Bild“-Kolumnist Franz Josef Wagner an Harald Schmidt: „Weil Sie sich langweilen, werden Sie ein Langweiler.“ Und nur weil Wagner es schreibt, muss es ja nicht falsch sein.

Ich habe das damals schon für die „FAZ“ aufgeschrieben, und nun kann man natürlich fragen, wie absurd das denn ist: Schon wieder so viele Worte zu verlieren über jemanden, der doch angeblich nur langweilig ist.

Aber am Freitag zeigte der WDR eine Sendung zum 70. Geburtstag von Herbert Feuerstein, in der sich Schmidt und Feuerstein bei einem Abendessen unterhalten. Es war über weite Strecken eine langweilige Sendung, nicht zuletzt, weil sich Schmidt für nichts interessierte, schon gar nicht für Feuerstein, aber Feuerstein interessierte sich für Schmidt. Und in zwei Szenen hatte ich das Gefühl, dass die beiden nicht nur ihre üblichen Rollen spielten, sondern kurzzeitig die Masken fielen und es zu einem echten, ehrlichen Dialog kam.

Feuerstein: Hast du nicht Bedürfnisse, die du Lust hast, jetzt, wo du älter wirst, auszuleben?

Schmidt: Was soll das sein? Was sollte das sein?

Feuerstein: Das musst du doch haben. Du hast deine Bach-Wurzeln, du hast Deine Orgel-Wurzeln, du hast diese ganzen Geschichten. Soviel Erfolg auf der Welt kann man ja gar nicht haben, dass man nicht irgendwas anders braucht, wohin man die Fühler ausstrecken mag.

Schmidt: Aber wohin? Wohin? Es endet ja in Dilettantismus.

Feuerstein: Alles endet in Dilettantismus.

Schmidt: Ja, nicht alles.

Feuerstein: Mein Leitmotiv ist nur die Neugier. Würde ich eine Sache immer konsequent weitermachen, hätte ich jetzt den Nobelpreis in dieser eienen Sache. Aber das hat mich nie interessiert. Ich wollte immer irgendwas Neues, was anderes…

Schmidt: Aber was soll ich machen? Soll ich, soll ich Bach-Orgelkonzerte geben? Oder, äh – malen?

Feuerstein: Ich frag dich ja nur, ob Du nicht ein Bedürfnis hast. Das weiß ich ja nicht.

Schmidt: Nein.

Feuerstein: Du hast es nicht.

Schmidt: Ich habe Theater gespielt und gemerkt, es reicht bis zum gewissen Punkt, sehr früh, Feierabend. Soll ich versuchen, einen Roman zu schreiben?

Feuerstein: Du bist doch nicht am Ende angelangt. Du musst doch weitermachen.

Schmidt: Nein, aber man steht so auf, man trinkt’n Kaffee, geht’n bisschen einkaufen, schaut ein bisschen aus dem Haus.

Wie gesagt: Man muss sich diese Stelle nicht Form eines lustigen Schlagabtausches, der üblichen Frotzelei zwischen den beiden vorstellen. Sondern mit einem großen, ratlosen, leeren Gesicht Schmidts. Später nahm Feuerstein den Faden noch einmal auf:

Feuerstein: Ich hab öfter gedacht, du hörst auf. Weil du eigentlich die Sachen erreicht hast. Was motiviert dich, weiterzumachen?

Schmidt: Gegen die Langeweile.

Feuerstein: Also, deine jetzt, nicht der anderen.

Schmidt: Ja, klar, wessen sonst?

Feuerstein: Ich weiß es nicht. Es klingt wahnsinnig glaubwürdig, wenn du es so sagst.

Schmidt: „Die Wolllust der Disziplin“. Deine Worte.

Feuerstein: Ja, aber das ist was anderes. Die Wolllust der Disziplin, die zwingt mich zum Machen. Die Neugier erfüllen…

Schmidt: Das ist bei mir genauso.

Feuerstein: Ja, aber das ist nicht Langeweile. Ach so, wenn Du Langeweile definierst als: „Was soll ich denn sonst tun?“ Kannst du nichts anderes?

Schmidt: schüttelt ernsthaft den Kopf.

Feuerstein: Hm. Ich wahrscheinlich auch nicht, aber ich denk mir, ich könnt‘.

Schmidt: Aber Du machst doch auch wahnsinnig viel!

Feuerstein: Ich mach sehr viel…

Schmidt: Aber da kannst Du doch nicht im Ernst neugierig drauf sein.

Feuerstein: Du wirst lachen: Doch.

Schmidt: Wirklich.

Feuerstein: Ja: Kann ich das, wie stell ich mich dazu…? Es ist die Herausforderung. Dass man sich immer wieder so ’n bisschen rausfordert, was zu probieren, woran man ja eh scheitert…

Nein, Schmidt versteht das nicht. Er ist 49 Jahre alt, aber alles, was er kann, hat er gemacht, und alles, was er vielleicht nicht kann, traut er sich nicht oder es interessiert ihn nicht. Er ist satt und leer.

Über Pocher sagt er im aktuellen „Spiegel“:

Schmidt: Er ist jedenfalls einer, der mit hundert Ideen kommt.

SPIEGEL: Neuen?

Schmidt: Natürlich nicht. Alles war schon mal da und wurde im Zweifel auch von mir erfolgreich versendet. Aber er hat diesen Elan … das gefällt mir.

Was für eine tragische Figur.

Götz Alsmann

Möglicherweise war vergangene Woche Götz Alsmann bei Harald Schmidt. Ganz sicher bin ich mir nicht, ich habe einmal weggeguckt, und dann war wieder nur Schmidt im Bild und unterhielt sich lieber mit dem Mann an diesem kleinen Extra-Schreibtisch, der über seine Witze lacht. Da müsste Alsmann eigentlich noch dagewesen sein, aber die Kamera zeigte ihn nicht mehr. Obwohl: Hatte ihm nicht Schmidt gerade erst eine Mini-Triangel in die Hand gedrückt, um damit an den richtigen Stellen einer Geschichte „Pling“ zu machen? Ah, das Publikum hatte auch Instrumente, und Publikum sieht man ja immer gerne.

Pflichtschuldig hatte Schmidt erwähnt, dass Alsmann eine Platte mit der WDR-Bigband aufgenommen hat, aber wenn es etwas gab, das er noch weniger wusste als deren Titel, dann dies: Was mit dem merkwürdigen Mann neben ihm anfangen? Das geht leider nicht nur Schmidt so. Seit Jahren ist Alsmann ein Fremdkörper, der auf einer Art mittleren Umlaufbahn im Fernsehuniversum kreist. Wenn er irgendwo auftaucht, dann als schrulliger Witzbold mit hohem Wiedererkennungswert, gefährlichem Hang zum Kalauer und begrenzter Massentauglichkeit, der irgendwie auch was mit Musik zu tun hat. Das ist nicht die beste Rolle für einen, dem man eigentlich nur ein Klavier hinstellen müsste, um von ihm bestens unterhalten zu werden. Beim immer noch, immer wieder sehenswerten „Zimmer frei“ erlebt man den Unterschied: Der größte Teil der Sendung ist für Alsmann Kindergeburtstagsalberei. Aber wenn er am Ende mit dem Gast musiziert, dann ist da (wenn es ein guter Gast ist) plötzlich eine Leidenschaft. Und man sieht ihm an: Musik macht glücklich. (Und: Fernsehen macht nicht glücklich.)

Schade, dass das deutsche Fernsehen bislang keine Nische gefunden hat, in der einer wie Götz Alsmann wirklich zuhause sein und seine Entertainerqualitäten ausleben kann (und welcher andere Fernsehmensch hat die heute noch, der große Florian Silbereisen natürlich ausgenommen). Seine TV-Biographie ist ein Flickenteppich aus mehr oder weniger gelungenen, aber fast immer längst vergessenen Versuchen. Kommenden Samstag beginnt im WDR-Fernsehen ein neuer: In „Einfach Alsmann“ spricht er mit Prominenten über Musik („Ich kann Klavier“) und musiziert mit ihnen.

Und womöglich kann man sich an die Sendung und ihre Gäste (ja, auch: Harald Schmidt) am nächsten Tag noch erinnern. Das wär doch was.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Was ich noch fragen wollte

Zwei Kollegen von der „Süddeutschen“ schrieben gestern über Pläne in der ARD, „Harald Schmidt“ nur noch einmal die Woche auszustrahlen, dafür aber eine Stunde lang. Die Quoten hätten sich — vermutlich wegen der unübersichtlichen Lage, wann die Sendung überhaupt läuft — kontinuierlich verschlechtert.

Und dann steht da dieser Satz:

„Obwohl Harald Schmidt nicht in Quoten, sondern in brancheninterner Aufmerksamkeit zu messen ist, demokratisieren schlechte Zahlen, zumal in der vielstimmigen Bürokratie ARD, offenbar jedes Format.“

Und meine Frage lautet:

Hä?

Harald Schmidt

Harald Schmidt? Welcher Harald Schmidt? Wie es passieren konnte, dass dem großen Satiriker Wichtigeres verlorenging als Erfolg: Bedeutung

Die Arbeiter waren Demoliseure; Niederreißen war ihr Beruf, für Aufbauen kamen sie niemals in Betracht. „Und das ist recht so”, sagten sie. „Jedem sein Beruf und jedem sein Verdienst! Dies ist der König der Demolierer”, sagte der jüngere. Der ältere lächelte. So heiteren Sinnes waren die Zerstörer; und ich mit ihnen. (Joseph Roth)

Diesen Mittwoch war da fünf Minuten vor Schluß wieder dieses Gefühl: Er ist durch. Am Ende des Stoffs, den er sich vorgenommen hatte, war noch etwas Sendung übrig. Natürlich ist er Profi genug, die Reste zu strecken, zu improvisieren, die Leere zu verplappern. Aber die Spannung war dahin.

Vor allem war die Gewißheit dahin, daß die ein, zwei Sendungen, die Harald Schmidt pro Woche noch macht, vor Ideen platzen müßten. Daß sich in der Woche so viel Material angestaut haben würde, das von ihm abgehandelt gehört, einsortiert, relativiert, lächerlich gemacht, ernst gemacht, daß man mit ihm nach einer halben Stunde sagen würde: Die Sendung kann jetzt einfach noch nicht vorbei sein. Harald Schmidt rettet sich über die Runden. Nicht mühsam, sondern routiniert, aber er rettet sich über die Runden. Das wollte ich eigentlich nicht sehen.

Es gab eine Zeit, da hatten viele Menschen das Gefühl: Die „Harald Schmidt Show” muß man sehen. Wer sie verpaßt, verpaßt etwas. Natürlich stimmte das nicht immer. Natürlich gab es Sendungen, die langweilig waren, uninspiriert, mißlungen. Aber oft genug stimmte es. Heute ist dieses Gefühl nicht mehr da. Wenn ich Schmidts ARD-Show sehe, zufällig, aus alter Gewohnheit, aus naiver Neugier, gehe ich hinterher nicht mit einem Grinsen ins Bett über eine grandiose Idee und wache morgens nicht mehr auf mit dem Gedanken, irgend etwas daraus nachher den Kollegen erzählen zu müssen.

Man kann sich Harald Schmidt immer noch angucken. Aber man muß nicht. Manchmal denke ich mir nach einer Sendung, daß sie vielleicht nicht fünf Minuten früher hätte zu Ende sein sollen, sondern eineinhalb Jahre.

Vielleicht gibt es einen psychologischen Effekt, wie bei einer Beziehung. Schmidt hat sich uns ein Jahr lang entzogen, und nach so einer Trennung ist nichts wie vorher. Man kann nicht einfach dort weitermachen, wo man die Beziehung unterbrochen hatte, die Natürlichkeit ist dahin. Selbst Schmidts größte Fans, die Redakteure des „Spiegels”, haben irgendwann gelernt, sich an das Undenkbare zu gewöhnen: Ein Leben ohne Schmidt. Jetzt ist er wieder da, aber das Beste daran scheint zu sein, daß der Phantomschmerz weg ist.

Würde man den Fehler machen, seinen Begriff von der „Kreativpause” wörtlich zu nehmen, welche Ideen hätte er aus dem Jahr mitgebracht? Nur eine: Schmidt genügt.

Alles, was nicht Schmidt ist, hat er abgeschafft: Natali, Suzana und Zerlett, Dr. Udo Brömme, Bernd Zeller und all die Ansprechpartner, Stichwortgeber und Nebenfiguren. Übriggeblieben ist nur der bräsige Jeansjackenträger Andrack. Auf Studiogäste glaubt Schmidt auch verzichten zu können. Klar: Viele der Gespräche mit den vorbeischauenden Viva-Moderatorinnen waren unwichtig. Aber sie zwangen ihn in interessante Konflikte zwischen den Pflichten eines Gastgebers und dem natürlichen Desinteresse des Satirikers. Und sie konfrontierten Schmidt mit etwas anderem als sich selbst.

Der Titel seiner ARD-Show nennt nicht nur den Namen des Moderators; er ist eine fast vollständige Inhaltsangabe. In „Harald Schmidt” redet Harald Schmidt über Harald Schmidt. Jede Geste ein Zitat. Wie zu Sat.1-Zeiten fährt die Kamera immer noch auf Schmidt zu, wenn er einen Schluck Wasser trinkt. Schmidt macht Anspielungen auf sein Gehalt, die früheren Werbepausen, die ehemaligen Gäste, die Diskussion um die geringe Zahl der Sendungen. Selbst der Begriff „Unterschichtenfernsehen”, den er in die Welt gebracht hat, war ein Verweis auf seine eigene Vergangenheit.

Harald Schmidt war nie Fernsehmoderator, er war Fernsehmoderatoren-Darsteller. Er hat Karriere gemacht, indem er bekannte Fernsehrollen gespielt und gebrochen hat, und das Revolutionäre daran war, daß er diese Parodien nicht in irgendeiner Kabarettsendung oder Comedyshow aufgeführt hat, sondern an der Stelle, an der eigentlich das Original erwartet wurde.

Als Moderator der kleinen Quizshow „Maz ab!” karikierte er 1988 die Gattung der Kleinen-Quizshow-Moderatoren, indem er das Gegenteil dessen tat, was von einem Kleinen-Quizshow-Moderator erwartet wurde. Wahllos warf er mit Punkten, ließ vorsagen, zerstörte lustvoll die Rituale des Genres. Mit den gleichen Mitteln gab er als Moderator von „Verstehen Sie Spaß?” ab 1992 die Travestie eines Moderators einer großen Samstagabendshow.

In der „Harald Schmidt Show” auf Sat.1 spielte er nacheinander einen schlechten deutschen Nachahmer von David Letterman, einen erfolglosen Moderator, der mit Tabubrüchen Quote oder wenigstens schlechte Presse bekommen will, einen intellektuellen Missionar, der gemeinsam mit dem deutschen Feuilleton gegen die allgemeine Unbildung kämpft. Schillernd wurden all diese Rollen dadurch, daß Schmidt sie abwechselnd spielte und brach. Wenn man wollte, konnte man in den Tabubrüchen von „Dirty Harry” ebenso eine Kritik an Tabubrüchen wie eine Lust an Tabubrüchen sehen.

Inzwischen hat er alle Rollen durch. Geblieben ist die des Harald Schmidt. Harald Schmidt spielt, parodiert, konterkariert Harald Schmidt. Er hat seine eigene Person so kunstvoll in immer neuen Varianten seiner „Schmidt”-Persönlichkeit verschachtelt, daß alles, was er sagt, immer auch das Gegenteil bedeuten kann. Oder das Gegenteil des Gegenteils, was möglicherweise nicht identisch ist mit der Ursprungsaussage.

Die „Welt am Sonntag” hat Schmidt in einem langen Interview scheinbar ernsthaft gefragt, warum er seiner ersten ARD-Sendung das Motto „Es geht aufwärts in Deutschland” gegeben habe. Schmidt antwortete: „Das ist das Motto, unter dem die ganzen zwei Jahre, die der Vertrag läuft, stehen werden. Jede Sendung! Es boomt, es brummt, es ist phantastisch. Willkommen im Jahr der Entschlossenheit. Aus dieser positiven Grundhaltung wird gejammert.” So. Und jetzt versuchen Sie mal, diesen Sätzen die ganzen Wollmäntel und Kostüme aus Pathos und Ironie auszuziehen, bis nur noch die nackten Worte dastehen, und zu erklären, was uns Herr Schmidt wirklich sagen wollte. Meine Vermutung: nichts.

Schmidt hat sich so oft gewendet, daß man sich die Mühe sparen kann, zu versuchen, ihn zu entziffern. Spricht da Harald Schmidt, „Harald Schmidt” oder gar „,Harald Schmidt’”? Für Schmidt sind die Vielschichtigkeit und die ironische Brechung kein satirisches Mittel mehr, die Dinge klarer zu sehen, sondern Selbstzweck. Es ist müßig, darüber nachzudenken, ob Schmidt den Satz „Willkommen im Jahr der Entschlossenheit” sagt, weil alle das sagen oder keiner das sagt oder niemand das sagen sollte oder alle es denken und keiner es sagt. Schmidt hätte auch sagen können: „Willkommen im Jahr der fliegenden Meerschweine”, es hätte den gleichen „Höhö”-Effekt ohne weitere Bedeutung – nur ohne den falschen Anschein von Relevanz.

Schmidt hat jegliche denkbare Haltung schon eingenommen. Er hat Satire aus der Position des Quotenkillers gemacht, den man eigentlich sofort aus dem Programm nehmen müßte, und aus der Position des schließlich doch Erfolgreichen, der seinem Sender Ansehen bringt wie nichts sonst. Heute in der ARD ist er dort angekommen, wo er hingehört, kein Feigenblatt im Privatfernsehen mehr, sondern ein überbezahlter Fernsehstar, „Grundversorgung” für die Öffentlich-Rechtlichen. Er ist, in jeder Hinsicht, etabliert. Subversiv ist an seinen Sendungen nichts mehr, kann es auch nicht sein. Selbst wenn er das gleiche macht wie vor zwei, drei Jahren bei Sat.1 – es ist nicht mehr dasselbe.

Und aus welcher Position macht er in der ARD Witze über „Maischberger”, „Scheibenwischer”, „Polylux”? Seine Quoten sind kaum besser als die von „Maischberger”, seine Witze kaum origineller als die vom „Scheibenwischer”, und bei allem, was man am Lifestylemagazin „Polylux” aussetzen kann – daß dort Menschen arbeiten, die offensichtlich Lust haben, so Fernsehen zu machen, wie sie es tun, wirkt wahnsinnig sympathisch und entspannt gegenüber einem Harald Schmidt, der sich ununterbrochen von seinem eigenen Tun, seinem Sender, sich selbst distanzieren muß.

Alles, was er tun kann, hat er getan. Man sieht, wie er mit einem blauen ARD-Schal hantiert, und weiß: Das wird jetzt wieder so ein Running Gag wie mit den BSE-Schleifen. Man sieht, wie er in einer Parodie auf den Visa-Untersuchungsausschuß endlos langsam in einem Ordner blättert, und erinnert sich: Ja, das war toll bei „Verstehen Sie Spaß”, als er ein Metronom aufgestellt und minutenlang für viel Geld nichts gemacht hat.

Und alles, alles steht in Anführungszeichen. Schmidt erzählt einen mittelschlechten Witz in Dialekt, weil er weiß, daß man mit Dialekt auch schlechte Witze retten kann, und dann sagt er, daß er das im Dialekt erzählt, weil man damit auch schlechte Witze erzählen kann. Schmidt weiß, daß man auch schlechte Sendungen damit retten kann, daß man damit kokettiert, wie schlecht sie sind. Aber vielleicht weiß er nicht, daß dieser Trick nur eine begrenzte Zeit lang funktioniert. Er hat schon bei der vierstündigen Rheinfahrt nicht mehr funktioniert, im Sommer 2003 auf Sat.1, eine unfaßbar langweilige Fernsehsendung, die kein Stück weniger langweilig dadurch wurde, daß Schmidt während der Sendung immer wieder sagte, wie langweilig sie doch sei.

Die Zuschauerzahlen der ARD-Show sinken, aber das ist nicht das entscheidende. Die Bedeutung von Harald Schmidt hat sich nie an Quoten bemessen, aber seine Bedeutung geht gegen null. Hilfsweise wird dies damit erklärt, daß Schmidt besser wäre, wenn er häufiger käme. Wie absurd: Als Stefan Raab nur einmal die Woche auf Sendung ging, war „TV Total” regelmäßig ein Feuerwerk guter Ideen. Schmidt aber macht seine ein bis zwei Sendungen pro Woche nicht aus dem Gefühl heraus, eine Art Best-of einer imaginären täglichen Sendung zu produzieren, sondern als liefe morgen und übermorgen und überübermorgen noch eine Show von ihm, da komme es ja nicht so drauf an, ob diese heute wirklich so gelungen sei.

Vielleicht ist die Antwort auf die Frage, warum Harald Schmidt so egal geworden ist, also eine ganz einfache. Die Leute haben so lange applaudiert, egal, was er gemacht hat, daß er denkt, er muß gar nichts machen. Er gibt sich einfach keine Mühe mehr.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung